Montag, 22. Juli 2019 SPORT31
INSIDE/OFFSIDE
Das schnelle
Fussballleben
Peter B. Birrer·Alle waren voller Erwar
tung. Remo Meyer, der Sportchef des
FC Luzern, sprach von einer «absoluten
Wunschlösung» und freute sich «ex
trem», als er im Medienraum der Luzer
ner Arena denTr ainerRenéWeilervor
stellte.Weiler sass daneben, faltete die
Hände und erinnerte sinngemäss daran,
wie schön doch Luzern und alles sei.
Etwas mehr als einJahr ist das her.Wei
ler weilt längst nicht mehr in Luzern.
Etwa zur gleichen Zeit, im Sommer
2018 war’s, schrieb die «Aargauer Zei
tung» vor dem ersten Spieltag: «Nach
einer Saison des Grauens mit Unruhen,
Intrigen und einem schlimmen Image
verlust wollen die Grasshoppers dieVer
gangenheit hinter sich lassen.» Nur vier
Punktehatte sie vom AbsteigerLau
sanne getrennt. Es sollte alles besser
werden nach demYakinJahr. Den Spie
lerRaphael Holzhauser nannten die
GCVerantwortlichen «Königstransfer».
DerTr ainerThorstenFink versprühte
GCOptimismus. EinJahr ist das her.
Fink ist längst weg und GC nach einer
Saison des noch schwärzeren Grauens
aus der Super League verschwunden.
Guillermo Abascal trainierte vor
einemJahr den FC Lugano. Maurizio
Jacobacci den FC Sion. Michel Decastel
Xamax. RaphaelWicky den FCBasel.
Nur Marc Schneider(Thun), Gerardo
Seoane (YB),Peter Zeidler (St. Gallen)
und Ludovic Magnin (FC Zürich) über
standen dasJahr.
InBasel mutmasste im Sommer 20 18
die«Tageswoche», dassin Bern eine Ero
sion einsetzenkönnte, die der FCBasel
hintersich habe. Gemeint warenTr ans
fers und Umwälzungen imTeam. Doch
während YB bis zum Sommer 20 19 sta
bil blieb, brachen dafür in derBasler
Teamführung Steine weg.Wicky und
seine Assistenten mussten kurz nach
Saisonbeginn gehen, AlexFrei liess kurz
als Interimstrainer etwas von sich hören.
Alsbald kamen MarcelKoller und seine
Assistenten, weshalb sich Ende Saison
letztlich auch der Sportchef Marco Strel
ler verabschiedete. Wie hatte Bernhard
Burgener, der Präsident des FCBasel,
an derVorsaisonMedienkonferenz vor
einemJahr gesagt, als das Programm mit
Wicky noch amLaufen war?«Wenn wir
auf hoher See sind, dann müssen wir das
Schiff auch durch die Stürme führen.»
Und noch das: «Ich vertraue unseren
Leuten – und nicht nur in gutenZeiten.»
Wir folgern aus all dem: Erstens geht
es schnell imFussball – und noch schnel
ler imTr ainerleben. Zweitens sindParo
len vor der Saison mit grosserVorsicht
entgegenzunehmen.Und drittens sollte
man das alles nicht so ernst nehmen.
MATCHBLATT
Lucas
und der VAR
Verteidiger des FC Luzern im Hoch
brb. St. Gallen· Eigentlich war derVA R
(Video AssistantReferee) der entschei
dendeFaktor im Spiel St. Gallen gegen
Luzern. Die Spieler taten sich schwer,
den Rhythmus zu finden. Es war Sai
sonauftakt – das sah man: Bedächtigkeit,
Quer,Rück undFehlpässe.Am emo
tionalsten war es, als derVAR eingriff.
St. Gallen durfte einenPenalty nicht tre
ten, dafür erhielt der FC Luzern kurz vor
dem Ende derPartie die Chance, vom
Elfmeterpunkt zu treffen. DerVAR hatte
in seinemVideoÜberprüfungsraum ge
sehen, dass St. GallensTorhüter Stojano
vic mit seinerFaust denKopf desVertei
digers Lucas traktiert hatte. Der Brasilia
ner hatte vorder Attackemit ebendiesem
Kopf denBall an dieLatte gesetzt. Eleke
verwandelte denPenalty,Luzern gewann.
Dank demVAR und demWillen von
Lucas, einTor zu erzielen.
Es sei «vielAdrenalin» im Blut ge
wesen, sagte Lucas, ein Spiel zum Sai
sonauftakt sei schwierig. Der Brasilia
ner ist einer von jenen Spielern, die über
denFussball versuchen,in derFremde
eine Existenz aufzubauen. Lucas war
von Corinthians in Brasilien an andere
Klubs imLand verliehen, kam dann
nachDeutschland, Aalen, dann in die
Schweiz, Biel, Le Mont. Unterligen
Fussball.Dann die Chance im Ober
haus, aber die Karriere stockte. DerAuf
strebende stiess in Luzern nicht auf un
geteilte Liebe, man zweifelte an seinen
Qualitäten. Eine Oberschenkelverlet
zung tat das Übrige, dass es nicht vor
wärtsging: fast einJahrPause,dreiOpe
rationen am Muskel.Jetzt sei er physisch
stabil und in einergutenAusgangslage,
sagteder26Jährige mit dem imposan
tenKörper von193 Zentimetern.
Es gab gar ein Angebot ausJapan
vonVisselKobe. Luzern lehnte ab. Der
Klub hatte erkannt, Qualitäten nicht
erkannt zu haben. SeinTr ainerTho
mas Häberli rühmt ihn als «gutenJun
gen mit grossem Herz», er sei «einFix
punkt».Vielleicht war es dieses grosse
Herz des Innenverteidigers, das drängte,
so mutig in das Luftduell zu steigen und
denTorhüter zum Blindflug zu verleiten.
So schlecht wie lange nicht
Der FCZ verliert gege n Lugano 0:4 – schlechtes ter Saisonstart seit 35 Jahren
HANSJÖRG SCHIFFERLI, ZÜRICH
Mit einemResultat diesesAusmasses
hätte wohl auch imTessinkeiner nur an
nähernd gerechnet. Schon gar nicht nach
den ersten Minuten, als der FC Lugano
«wenigkonzentriert» war, wie derTr ainer
Fabio Celestini hinterher zugab.Doch
der FC Zürich, insbesondere Benjamin
Kololli,vergab früh zwei klare Chancen –
es warder Beginn des Niedergangs.Drei
Gegentore in derViertelstunde vor der
Pause warfen den FCZ bald hoffnungslos
zurück. Luganos Entwicklung war hin
gegen positiv: Zuerst durfte derRouti
nier Mijat Maric nach einer leichtfertigen
Aktion UmaruBanguras gegenJonathan
Sabbatini einen Elfmeter verwerten.Da
nach schlenzte Marco Aratore zum Ab
schluss eines sehenswertenAngriffs den
Ball brillant in die weite hohe Ecke. Und
schliesslich warFranciscoRodriguez im
Strafraum viel entschlossener als die Zür
cherVerteidiger. «Nach 30 Minuten hät
ten wir 2:0 führen müssen, dann begin
gen wirFehler, wie sie auf diesem Niveau
unerklärlich sind»,sagte der FCZTrai
ner Ludovic Magnin. Und: «Am Schluss
steht es 0:4, und wir hatten das Gefühl,
das Ergebnis spiegle nicht den Spielver
lauf.Aber wir sind selber schuld.Wir
hätten dieToreschiessen müssen, dann
hätte Lugano öffnen müssen. So war der
Spielverlauf das perfekte Szenario für
Lugano.» Diese Sicht der Dinge muss
man nicht zwingend teilen. Denn die
Tessiner verfügten über mehr Struktur
in ihrem Spiel. Es war gewiss nicht nur
eine Sache des Spielverlaufs, dass Lugano
schneller und vor allem auch ballsiche
rer nach vornespielte, wenn sich die Ge
legenheit dazu bot. Die Luganesi waren
vor allem im zentralen Mittelfeld besser.
Das FCZDuo im Mittelfeldzentrum mit
Simon Sohm und DenisPopovic agierte
hingegen träge. Mit Leistungen wie die
sen werden die zwei ihrTeam nicht zu Er
folgen führen.
Vor allem die Leistungen der Neu
zugänge müssen zur Analyse heran
gezogen werden. Drei Neuverpflichtun
gen begannen für den FCZ, zwei weitere
kamen nach derPause hinzu. Überzeugt
hatkeiner von ihnen: wederPopovic
noch derRechtsverteidiger Britto, und
schon gar nicht die eingewechselten An
greifer Mimoun Mahi und Blaz Kra
mer. Solide spielte am ehesten noch der
Innenverteidiger Nathan. Drei Neuver
pflichtungen starteten auch für Lugano:
Der CelestiniSchüler Olivier Custodio
war ein sehr solider «Sechser»,Aratore
undRodriguez,einfrüherer FCZSpieler,
schossen je einTor. Aratore bewies seine
offensiven Qualitäten in einem Match, in
dem er eine Stunde lang als linkerAus
senläufer neben einer DreierAbwehr
defensiv gefordert war. Dann erschien
der defensivere Linus Obexer, ein Zu
zug auch er.
Magnin mag nach diesem «Start, der
so richtig in die Hose gegangen ist», den
ken, die Leistung sei «nicht so schlecht
gewesen, wie dasResultat glauben ma
chenkönnte». Doch sie war nach den
frühen verpassten Chancen in derTa t
schlecht, fehlerhaft, offensiv uninspi
riert. Zumindest in Zahlen war es der
schlechteste Start seit 35Jahren, seit
dem 0:4 MitteAugust1984 in St. Gal
len. CelestinisRechnung mag auch auf
gegangensein, weil derTorhüter Noam
Baumann zu Beginn zweimal brillierte.
Der FCZ muss sich hingegen bereits ein
erstes Mal dieFrage nach der Qualität
stellen – etwa bezüglich jener der Neu
verpflichteten.
Eine Gesteder Enttäuschung:DerFCZ-SpielerAntonio Marchesano kann es nicht fassen. ENNIO LEANZA / KEYSTONE
Ein erstes Versprechen
Der Servette FC deutet beim 1:1 in Bern gege n YB an, dass erdie Liga bereichern könnte
PETERB. BIRRER, BERN
Es sind Bilder, Gesten undWorte, die
von der Super League aufgesaugt wer
den, wie das ein trockener Schwamm
mitWasser tut.Wie Alain Geiger,der
Tr ainer des Servette FC, im Stade de
Suisse bereits antizipierend die Arme
zumJubel hebt, bevor SébastienWüth
rich nach etwas mehr als einer halben
Stunde das sehenswerte 1:1 erzielt.Wie
Geiger nach dem Match mehrmals wie
derholt, dass seine Equipe beim Meister
«etwasgewagt» habe.Wie der Klubprä
sident DidierFischer im Kabinengang
einige Spieler herzt und wieWüthrich
auf der Suche nach Gründen für den
passablen Saisonstart nicht zu erwäh
nen vergisst, wie «gesund» die Mann
schaft sei.
Willkommen in der SuperLeague,
liebeAufsteiger aus Genf.Auch wenn
Prognosen nach dem ersten, in sommer
licher Hitze auf Plastikrasenausgetrage
nen Saisonspiel gewagt sind, lehnt man
sich mit derVermutung kaum zu weit
aus demFenster hinaus, dass die Servet
tiens die Liga zumindest nicht auf ein
tieferes Niveau drücken werden. Sie
waren gut in Bern, kämpferisch, läufe
risch und spielerisch, auch wenn ihnen
der Anfang missriet. Doch nach dem frü
hen 0:1 vermochten sie sich «vonKom
plexen zu befreien»,wie es der Klubchef
Fischer nannte.Als wären sieRoutiniers.
Vor allem wissen sie für einenAuf
steiger erstaunlich viel mit demBall an
zufangen. Der dank gutenVerbindungen
inLyon aufgespürte 21jährigeTimothé
Cognat, der in denWeitenRusslands
aufgestöberte 23jährige Kameruner
Gaël Ondoua und der 29jährige in der
Super League erprobte SébastienWüth
rich:Wären nicht derFehlstart oder zum
Beispiel das rücksichtsloseFoul des Ivoi
rersKoroKone gewesen, das zumAus
fall desYBCaptainsFabian Lustenber
ger führte, könnte man den Servette FC
fast in denSuperLeagueHimmel loben.
Dochrelativierend ist festzuhalten,
dass sich dieYoung Boys schwertaten.
Dagriff wenig ineinander,was nichter
staunt, da zum Beispiel die Abwehr
reihe gänzlich neu zusammengesetzt ist
und nach demAusfall Lustenbergers
di e NamenJordanLotomba, Nicolas
Bürgy, Cédric Zesiger und Ulisses Gar
cia umfasste. In andereLigenabgereiste,
druckvolleAussenverteidiger wieKevin
Mbabu und Loris Benito sind nicht ein
fach so zu ersetzen.
Das gilt auch für einen Klub, der in
der letzten Saison mit gefühlt 100 Punk
ten Vorsprung Meister geworden ist und
in derRegion mit zu vielen Superlati
veneingedeckt wird.Ausdem Stolpern
der Berner und dem Lichtblick aus Genf
schöpft die Liga erst einmal Hoffnung,
dass nicht alles so wird wieletztesJahr.
YB lenkt nicht jedes Spiel dank einem
finalenFurioso auf seineBahnen. Und
YB hat dank denTr ansfers von Djibril
Sow und Mbabu zwar viele Millionen
Franken eingenommen, aber auch Qua
lität verloren.
Angewöhnung, Teil 1
Erster Sieg der Grasshoppers in der Challenge League
fcl.· Vielleicht hatten sie einfach ver
gessen,wie man so richtig herzhaft und
ausgelassen jubelt; nach acht sieglosen
Monatenkann einem das schon einmal
entfallen sein.Jedenfalls standen die
Grasshoppers nach dem 2:1 gegen den
Aufsteiger StadeLausanneOuchy so
emotionslos auf demRasen, dass sie der
Tr ainer UliForte dafür fast mehr kriti
sierte als für das ziemlich bescheidene
Spiel, das sie zuvor gezeigt hatten.Viel
Arbeit stehe ihnen noch bevor, sagte
Forte und fand bei all seinen Spielern
Mängelausser beim Goalie MirkoSalvi
so wie beimAbwehrchef MarkoBasic.
Für die Grasshoppers war es die erste
Angewöhnung in der für sie ungewohn
ten Liga, sie erlebten die Premiere in
der Challenge League in einem leeren
Stadion, weil sie wegenVorfällen in der
letzten Saison mit einem Geisterspiel be
straft worden waren.Das bedeutet: Stim
mungsmässig kann es für GC in Zukunft
nicht mehr schlimmer werden,vielbes
ser wird es vermutlich aber auch nicht,
weil das Interesse am Klub weiterhin be
scheidenist. Mit 20 00 Zuschauernrech
nen dieVerantwortlichen pro Heimspiel.
Nach dieserPartie müsse nun jeder
ve rstanden haben, dass eskein Spazier
gang werde, sagteForte. Und als er nach
dem Spiel in den Katakomben des Sta
dions stand, fragte man sich, worüber er
sich wohl mehr wunderte: darüber, dass
seine Spieler dieLage offenbar nicht
genug ernst genommen hatten; oder dass
es ihm noch nicht gelungen war, ihnen
allen klarzumachen, was es bedeutet,
in dieser Liga zu spielen.Fortekennt
die Challenge League aus Zeiten mit
St. Gallen und dem FCZ in und auswen
dig. Nun muss er dieseKenntnisse bloss
noch auf seine Mannschaft übertragen.
Die Grasshoppers waren die qualita
tivbessere Mannschaft an diesem Sams
tagabend, aber sie versteckten ihreVor
züge ziemlich gut, besonders in der
Abwehr.Auch das ist eigentlich eine
bemerkenswerte Erkenntnis:Fortes frü
here Mannschaften zeichneten sich oft
durch defensive Stabilität aus, aber von
Stilsicherheit war GC weitentfernt.
Erwartet wird, dass der Mittelfeld
spieler NedimBajrami GC in den nächs
tenTagen verlassen wird.«Ichnehmean,
dass eine Offertekommt», sagteForte.
Lucas
KEYSTONE Verteidiger FC Luzern
SuperLeague,1. Runde
Sitten -Basel 1:4
St. Gallen - Luzern 0:2
Thun - Xamax 2:2
YB - Servette1:1
Zürich - Lugano 0:4