Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1
32 SPORT Montag, 22. Juli 2019

Der Golfspieler Shane Lowry erfüllt sich und den Iren


den grossen Traum vom British-Open-Sieg SEITE 28


Dem FCZürich missrät der Saisonstart vollends –


0:4 gegen den FCLugano im Letzigrund SEITE 31


IM SCHAUFENSTER


Der Wegzug des Ironman Switzerland wirft kein gutes Licht auf Zürich


ElmarWagner·Für einen Ironman mit seinen 3,8 km
Schwimmen,180kmRadfahren und 42 kmLaufen
braucht es ordentlichAusdauer. Das Geschäft mit
dem Ironman hingegen ist so richtig schnelllebig:
Alljährlich schiessen neueVeranstaltungen aus
dem Boden, andereverschwinden wieder.Nun ver-
schwindet auch der IronmanSwitzerland, oder prä-
ziser: Er zieht von Zürich nachThun um.
Das mag ein Detailsein , aber ein entschei-
dendes. Denn Zürich ist die Schweizer Geburts-
stätte des Ironman, hier fand1983 die ersteAus-
dauerprüfung statt. Sie hiess damalsSwiss Triath-
lon und versammelte ein paarDutzendVerrückte,
66 kamen ins Ziel. Unter demLabel Ironman fir-
miert dieVeranstaltung seit1997; sie ist der älteste
Ironman desKontinents und zog jährlich rund 20 00
Athletinnen und Athleten an den Zürichsee.
Es istkein Geheimnis,dass derWegzug aus
Zürich auch aus finanziellen Gründen erfolgt. Die
Interessenten aus dem Berner Oberlandrollten
den Organisatoren denroten Teppich aus. Diese
wiederum fühltensich mit ihren So rgen um Infra-

struktur und Strassensanierungen zu wenig ernst
genommen. InThun stehen solche Probleme nicht
an,und der Beitrag deröffentlichen Handwird dort
höhersein als jener in Zürich. DieRede ist von
einem sechsstelligen Betrag.
Das sind starkeArgumente beim Buhlen um
eineVeranstaltung, die ein interessantesPoten-
zial hat. Es geht schliesslich um eine kaufkräftige
Klientel, die sich einen Ironman antut: EineAus-
wertung zeigte jüngst,dass beinahe die Hälfte aller
Teilnehmenden in Zürich einJahressalär von über
130 000 Franken hat. Diesekönnen sich ein Start-
geld von über 800Franken problemlos leisten; und
weil die meisten der Startenden aus demAusland
kommen,fallen da jeweils mehrere Hotelübernach-
tungen an, häufig mit Kind undKegel. Eine Stu-
die wies vor einigenJahren eineWertschöpfung im
zweistelligen Millionenbereich aus.
Der Verlust des IronmanSwitzerland lässt sich
für Zürich leicht in Zahlen messen.Aber er schlägt
sich auch in einem problematischen Image nieder:
Die Stadt,die sich gern weltoffen gibt,kommt beim

Spitzensportals sehrkleingeistig daher.Das zeigt
sich in den unendlichen Diskussionen um einFuss-
ballstadion, e benso sehr aber auch bei den gros-
sen Veranstaltungen. Sie geniessen wenigWert-
schätzung von der Stadt und stossen entsprechend
schnell an ihre Grenzen.Darum hat Zürich in den
letztenJahren die Züri-Metzgete (Rad), den An-
lass Freestyle.ch (Trendsport),den Inline-Marathon
und den E-Prix (Automobil) verloren. Und jetzt
eben auch den IronmanSwitzerland.
Der Abgang des Grossanlasses wird der Ent-
wicklung desLangdistanz-Triathlons imLand nicht
förderlich sein. Eskommt nicht vonungefähr, dass
die vier stärksten Schweizer Ironman-Athleten
allesamt im Umkreis von rund 20 Kilometern von
Zürich aufgewachsen sind. Sie haben ihre Soziali-
sierung im Sport quasi auf derLandiwiese erfahren:
Ronnie Schildknecht etwa war bei seinem ersten
Besuch desRennens1997 dermassen beeindruckt,
dass er vom Eishockey zumTriathlon wechselte.
Unterdessen ist er neunfacher Sieger des Ironman
Switzerland und bedauert, dass er seiner kleinen

Tochter nun nicht mehr am Anlass selber zeigen
kann, wo er zum Helden der Szene wurde. Und der
aktuelle SiegerJan van Berkel wurde hier schon als
Ironkids-Teilnehmer vomVirus infiziert. DenWeg-
zug seines Heimrennens von Zürich bezeichnet er
als «Verlust für den Sport».
Man kann für das Standing des IronmanSwit-
zerland am neuen Standort jedenfalls nicht nur
Optimismus versprühen. Seit diesemJahr verzich-
tet derVeranstalter darauf, ein Profirennen sowohl
für die Männer als auch für dieFrauen auszuschrei-
ben – er wechselt neu zwischen den Geschlech-
tern ab. Damit können die Organisatoren, die im
Solde der chinesischenWanda Sports Holding ste-
hen , zwar Preisgeld einsparen (und einenTeil da-
von dem anderen Geschlecht zukommen lassen).
Aber die massenmedialeAusstrahlung wird abneh-
men:Wer wird denn 2020inThun über dasFrauen-
rennen berichten wollen, wenn nicht die Ironman-
ÜberfliegerinDanielaRyf am Start steht?Kein
Wunder, sagt derRenndirektor NicoAeschimann:
«Wir wollen sie unbedingt verpflichten.»

Spät passt das Puzzle, aber es passt


Am letzte n Ironman Switzerland in Zürich gewinnt Jan van Berkel erneut – und eine andere Karriere endet


ELMARWAGNER, ZÜRICH


Es hätte ein richtig kitschiger Abschied
von Zürich werdenkönnen, mit drei
Schweizern auf demPodest – wie zu-
letzt vor siebenJahren. Immerhin stan-
den gleich vier starke Schweizer am
Start: derVorjahressiegerJan van Ber-
kel,der Zweite von 2017, Ruedi Wild,der
SeriensiegerRonnie Schildknecht und
der Olympiamedaillengewinner Sven
Riederer. Doch ein Ironman ist ein der-
massen langerWeg voller Unwägbarkei-
ten, dasssolche Luftgebilde seltenRea-
lität werden.


RonnieSchildknecht scheitert


Als Ersten erwischte esWild; er erlitt
zu Beginn derRadstrecke einenReifen-
schaden. Er konnte ihn nicht innert nütz-
licherFrist reparieren, aus derTraum.
Danach fiel Schildknecht aus demRen-
nen umsPodium.Auf demVelo hatte
er noch «super Beine» verspürt, doch
die Aufholjagd auf dieFührenden war
zu viel; auf dem abschliessenden Mara-
thon verlor er alle Energien. Der neun-
fache Ironman-Switzerland-Sieger ver-
abschiedete sich alsFünfter von seinem
Rennen und sagte, er habe sich nichts
vorzuwerfen.
Den anderen beidenFavoriten lief es
deutlich besser. Jan van Berkel siegte wie
bereits imVorjahr, und er wirkte wäh-
rend der 8:17 Stunden nie so, als könnte
er in Schwierigkeiten geraten. Er legte
einen klassischen Start-Ziel-Sieg hin.
Riederer, seinen letzten Begleiter, liess
er zu Beginn der zweiten von vierLauf-
runden einfach stehen.Am Schluss wies
er auf ihn einenVorsprung von über sie-
ben Minuten auf. Hier zeigte sich eine
Leichtigkeit, die angesichts der Ge-
schichte desTriathletenvan Berkel er-
staunlich ist: Der Zürcher Unterländer
hatte erst in seinem siebentenJahr als
Ironman-Athlet einRennen über die
volle Distanz gewonnen.
Die Wende kam mit dem neusee-
ländischen Sportphysiologen Daniel
Plews,der van Berkel im vorletzten
Jahr eine Ernährung verordnete, die
auf einem Minimum anKohlenhydra-
ten sowie fett- und proteinreicherKost
basiert. Seither ist der heute 33-Jährige
zu einem sehr starkenLäufer gewor-
den: Die letzten vier Marathons inner-
halb eines Ironman absolvierte er alle
fast gleich schnell – jenen vom Sonntag
in 2:46 Stunden.Plewsstandam Sonntag


an der Strecke und rief seinem Schütz-
ling jeweils zu, was im Moment gerade
seineAufgabe sei.Es ging darum,fokus-
si ert zu bleiben. Zu siegen.
«Mir sind nie Siegegeschenkt wor-
den. Bis alles zusammengepasst hat,
dauerte es bei mir etwas länger», sagte
van Berkel auf derLandiwiese. Offen-
bar passt das Puzzle jetzt. Das Gewicht
dieser Erkenntnis wird im Oktober an
den Ironman-Weltmeisterschaften ein

nächstes Mal geprüft. Hier ist es fürvan
Berkel bisher nicht aufgegangen. Bei
seiner Premiere erlitt er eine Knöchel-
verletzung, über einen 22.Rang ist er nie
hinausgekommen.Am Sonntagnachmit-
tag wollte er nicht über Hawaiireden.
Doch imVorfeld hatte er verraten, dass
er an der WM irgendwann in dieTop
Ten wolle, «ich habe es drauf».
Riederer wird nicht mehr erleben,
was er auf Hawaii draufhat. Er hatte

stets gesagt, für einenTriathleten ge-
höre es dazu, mal auf der Insel gestar-
tet zu sein. Ironischerweise hätte Rie-
derer der zweite Platz in Zürich zur
erstmaligen Qualifikation für Hawaii
gereicht – und das ausgerechnet in sei-
nem allerletztenRennen. Doch Riede-
rer lässt sich nicht verführen, er über-
läss t seinen Platz an derWeltmeister-
schaft dem Drittplatzierten, demFran-
zosenCyril Viennot.

Nun ist für Riederer die Zeitfür ande-
res gekommen. Er, der 2004 in Athen
über dieKurzdistanz olympische Bronze
gewann, wurde zuletzt immer mehr zum
Organisator. Bald wird er Betreiber einer
3000-Quadratmeter-Arena in einer alten
Fabrikhalle inDübendorf. Dort sollen
verschiedene Sportarten angeboten wer-
den. «Ich bin sehr froh, dass es vorbei
ist», sagte der 37-Jährige in Zürich. Und
er nagelte im Zielraum in einem symbo-
lischen Akt einTrikot aus seinerJugend-
zeit an ein Brett mit seinem Bildnis. Den
Spind in seinem Heim-Schwimmbad
Wallisellen hat er bereits geräumt.
Obwohl Riederer in seiner zweiten
Karriere alsLangdistanz-Triathletkeine
Siege mehr gelangen,sagt er:«Es stimmt
so für mich.»Wobei es durchaus noch
Platz für eine andere Überlegung gibt:
Waswäregewesen,wenn er schon vor
siebenJahren, nach den Olympischen
Spielen in London, von derKurz- auf die
Langdistanz umgestiegen wäre? Riede-
rer war einTalent, einer, der inkeiner
Disziplin eine richtige Schwäche hatte.
Und als es für ihn später im Schwim-
men immer enger wurde, machte er die-
ses Defizit mit Kampfkraft wett: Es gab
wenige, die auch im grössten Getüm-
mel eine so direkte Linie haltenkonn-
ten wie er. Diese Art von Überlebens-
wille ,gepaart mit seiner Grundschnellig-
keit, hätte ihn bei einem früheren Um-
stieg auch über die langen Distanzen
weit bringenkönnen.

Undder Schweizer Nachwuchs?


Nun aber verschwindet Riederer als
aktiver Athlet.Auch Schildknecht wird
keinen IronmanSwitzerland mehr be-
streiten,die kommende Saisonwird
wohl seine letzte sein, mit dannzumal
41 Jahren.Wild hat dasselbe Alter wie
Riederer, und da wird es für ihn nicht
einfacher, irgendwann mal doch noch
einen Ironman über die Originaldistanz
zu gewinnen.Junger, überdurchschnitt-
lich starker Schweizer Nachwuchs ist
derzeit nicht auszumachen.Auch der
Sechstplatzierte vom Sonntag, Samuel
Hürzeler, ist bereits 35-jährig.
Es liegt also vorerst anvan Berkel,
für eine weiterhin hohe Schweizer Sieg-
quote am eigenen Ironman zu sorgen:
Bei den 23Austragungen setzte sich19-
mal ein Schweizer durch. So oder so
wird der nächste einheimische Sieger
des IronmanSwitzerland inThun gekürt
werden, nicht mehr in Zürich.

Er hat viel Grund zurFreude:Jan vanBerkel beim Zieleinlauf. ENNIO LEANZA / KEYSTONE
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