Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1
Montag, 22. Juli 2019 SCHWEIZ 9

Kommunistenfresser mit eigenem Institut: Peter Sager


warnte jahrzehntelang vor der roten Gefahr SEITE 10


Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger findet nicht,


dass es hierzulande zu viele Touriste n habeSEITE 10


Alpauffahrt mit Rösti


Der SVP- Präsident besucht seinen Bruder auf der Alp und nutzt die Gelegenheit für einen klimapolitischen Anschauungsunterricht


CHRISTINA NEUHAUS (TEXT),
JOËL HUNN (BILDER)


Nein,sagtAlbertRösti. Erkenne wirk-
lich keine Bauern, die die Sache mit
dem Klima anders sähen als dieSVP.
Schliesslich sei die vonRot-Grün propa-
gierte Klimapolitik für dieBauernkon-
traproduktiv. Der SVP-Präsident ist ge-
rade dabei, seinenVolvo aus demPark-
platz vor demBahnhofThun zu steuern.
Rösti fährt ein bisschen unkonzentriert,
weshalb ihm einPostauto-Chauffeur,
der nochschnell die Strasse überqueren
will, einen strengen Blick zuwirft.Als er
Rösti erkennt, lacht er und winkt.Rösti
kurbelt dasFenster herunter und ruft
dem Mann zu: «Me sött nid d Chaufföre
überfahre, die bruuche mer no!»


Dr.RöstisWetterdienst


«Pardon, bin immer imWahlkampf»,
brummt er, bevor er weiter über die
Klimapolitik seiner Partei redet. Mit
im Wagen sitzen seineFrau Theres , ein
Fotograf und eineJournalistin.Das Ziel
ist die Alp Ueschinen oberhalb von
Kandersteg, wo Röstis ältester Bruder,
Meisterlandwirt HansRösti, jährlich
sein Vieh sömmert. Die beiden Männer
haben jeden Sommer ihrer Kindheit auf
der Alp verbracht. Später übernahm
HansRösti den elterlichen Hof und die
Alpwirtschaft.Sein jüngster Bruder ver-
liess Kandersteg, um an derETH Zürich
Agronomie und in den USA Ökonomie
zu studieren.
Theres Rösti, die freundlich, aber be-
stimmt ankündigt,dass von ihrkeine
politischenKommentare zu erwarten
sind,ist dabei, weil sie den Schwager und
die Schwägerin wieder einmal besuchen
möchte. Der Fotograf und dieJourna-
listin sind dabei, weil die NZZ kürzlich
einen Artikel mit demTitel «Dr. Röstis
Wetterdienst irrt» publiziert hat.ImText


steht, dass viele derSVP nahestehende
Bauern mit der aggressiven «Klima-
hysterie»-Kampagne derPartei nichts
anfangenkönnen und sich mehr klima-
politisches Engagement wünschen.
Der Artikel hat Albert Rösti gar
nicht gefallen. Die SVP versteht sich
seit je alsBauernpartei. Anders als für
den SchweizerBauernverband, der seit
kurzem sogar nach einem griffigen CO 2 -
Gesetz ruft,ist Klimapolitik für dieSVP
vor allem Bevormundung,Umerziehung
und ein grossangelegterRaubzug der
Linken auf dasPortemonnaie des Mit-
telstands. Rösti ist überzeugt, dass das
die Mehrheit der SchweizerLandwirte
ebenso sieht. Ein wenig landwirtschaft-
licherAnschauungsunterricht, findet er,
könne der NZZ deshalb nicht schaden.
«Vegan essen, aber dafür Soja impor-
tieren?», fragtRösti, nachdem er am
Automaten die zehnFranken für die
Zufahrt zur Alp bezahlt hat. «Möglichst
wenige tierische Produktekonsumieren
und damit Arbeitsplätze im ländlichen
Raum gefährden? Dort, wo der ökolo-
gischeFussabdruck ohnehin kleiner ist
als in der Stadt?»Da fördere man doch
besserregionale Produkte. Und was es
bitte bringen solle, wenn die Schweizim
Alleingang eine Flugticketabgabe oder
eine CO 2 -Steuer einführe? «Die Schweiz
kann dasWeltklima allein nichtrett en»,
sagt Rösti.Der vonRot-Grün und neus-
tens der FDP betriebene Klimapopulis-
mus verteuere nur die hiesige Produk-
tion, was zu mehr Billigimporten aus
Ländern mit tieferen Umweltstandards
und mehr CO 2 -Ausstoss führe.
Rösti rumpelt über drei harmlos aus-
sehende Rinnsale, die bei Gewittern zu
reissendenBächen anschwellenkön-
nen, und parkiert schliesslich vor der
Hütte seines Bruders. Es sei nicht aus-
zuschliessen, dass dessen Meinungnicht
gross von seiner abweiche, sagt er mit
verschmitztemLachen, bevor er aus-

steigt. Später wird sich herausstellen,
dass HansRösti 16 Jahre lang für die
SVP im Berner GrossenRat sass. Seine
Vorstösse tragenTitel wie«Wie viele
Wölfe erträgt der Kanton Bern?» oder
«Standesinitiative: Höhere Bundesbei-
träge für den Hochwasserschutz».
Auf der Alp ist gerade das Mittag-
essen serviert worden. AmTisch sitzen
HansRösti, ein polnischer Saisonarbei-
ter und eine jungeLandschaftsgärtne-
rin, die den Sommer über in der Alp-
wirtschaft hilft. HansRöstis Frau Gaby
verschwindet nach der Begrüssung wie-
der im Hintergrund der Hütte. Hans
Rösti schaut kurz von seinemTeller auf
und sagt: «DerDürresommer von 20 18
ist übrigens die beste Saison gewesen,
die wir auf der Alp je erlebt haben. Die
Sommer hiersindmeistens zu nass.»
SeineFrau Gaby, die noch schnell den
Käsekessel geputzt hat, setzt sich dazu
und öffnet eine Dose mitBärentatzen.
DreiLaibe Käse produzierenRöstis
proTag,2,5 Tonnen proJahr.50Laibe
übernimmt der örtlicheVolg, der Rest
geht anRestaurantsund andereAbneh-
mer.Theoretischkönnte man den Alp-
käse auch nach ganz Europa exportie-
ren. Er ist seit kurzemAOP-zertifiziert.

«In 20 Jahren alles gehabt»


Seit 20Jahren, sagt GabyRösti, führe
sie das Produktionsprotokoll für den
Käse. Darin werde auch stets dasWet-
ter vermerkt. «In 20Jahren haben wir
hier schon alles gehabt.»Jedes Jahr
packe sie vomTrägershirt bis zur wär-
mendenFunktionsunterwäsche alles ein,
was man auf der Alp an Kleidung brau-
chenkönne. Ein Blick in ihreRapport-
blätter zeige, dass es Sommer gegeben
habe, in denen sie die leichten Leibchen
gar nicht erst habe auspacken müssen.
In anderenJahren wiederum sei man
fast nur ärmellos herumgelaufen.

«Der Mensch», kommentiert Hans
Rösti,«ist zu klein,um das Klima zu ver-
ändern.» Wenn ihn etwas ärgere, dann
seien es Leute, die ihm aus der fernen
Stadt heraus sagten, was auf demLand
zu tun und zu lassensei. Rösti meint da-
mit Belehrungen wie diejenige einer
St.Galler SP-Nationalrätin, die wäh-
rend der Debatte über dieTrinkwasser-
Initiative bemerkt hatte, die Bauern
müssten eben lernen, mit der Natur zu-
sammenzuarbeiten.Wenn Menschen
aus der StadtRespekt und Interesse für
dieArt undWeise mitbrächten, wie man
hier oben lebe, dannkönne man disku-
tieren.Dassei für beide Seiten interes-
sant, sagt HansRösti und erzählt vom
Besuch einer anderen SP-Nationalrätin,
die kürzlichsamt Mannund Kindern auf
derAlp war. Der Stadt-Land-Graben sei
nicht so gross, wie er von derPolitik ge-
macht werde. Das Problem sei nicht die
Einstellung, sondern dass immer mehr
Menschen gar nicht mehr wüssten, wie
es sei, auf demLand zu leben und den
Sommer auf einer Alp zu verbringen.
GabyRösti sagt: «DieVerbindung
zwischen den Generationen wird immer
loser. Die dritte Generationkennt die
Erfahrungen des Grossvaters vielleicht
noch aus den Erzählungen, die vierte
weiss dann gar nichts mehr.»Dann er-
zählt sie von einem «bitzLand», das die
Familie auf der Alp besitze. Bis vor ein
paarJahren sei es alsTrockenstandort
ausgewiesen gewesen.Dann habe eine
Biologin befunden, die Artenvielfalt sei
zu klein. Eine kürzliche Nachzählung
eines anderen Biologen habe nun aber
rund 20 seltene Arten ergeben.
Hans und GabyRösti sindkeine
Romantiker. Sie sehen ihr Leben auf der
Alp mit klarem Blick. Sonderlich CO 2 -
freundlich lebten sie nicht,geben sie zu.
Früher, als man den Hausrat noch mit
den Pferden auf die Alp gebracht habe,
sei man bis zur Alpabfahrtgeblieben.

Heute fahre man dauernd mit demAuto
hin und her. Die Käselaibe etwa, die sie
hier produzierten,müssten in die untere
Hütte gebracht werden. Dort imKeller
befinde sich das Salzbad,worin derAlp-
käse nun eingelegt wird.Aber auch nach
Kandersteg hinunter fährt man täglich:
Der Betrieb imTal läuft parallel, zudem
steht der Computer dort, die Etikettier-
maschine ebenfalls. Das Ueschinental
wird eben erst mitWasser und Strom er-
schlossen. Die Elektrizität, die auf der
Alp auch für die Melkmaschinen ge-
braucht wird,stammtaus Diesel-Gene-
ratoren. «Stellen Sie sich vor,wir müss-
ten eine CO 2 -Abgabe bezahlen»,sagt
HansRösti. «Wir müssten hier oben zu-
machen,und dieAlp würde verganden.»

Lautsein, um gehört zuwerden


Auf die Frage, ob sie Klimapolitik grund-
sätzlich für überflüssig hielten, schwei-
gen alleRöstis kurz.Dann sagt Hans
Rösti: «Vielfach geht es nur um diePar-
teien, nicht um die Sache.»Sie störe die
Abgehobenheit der Diskussion, ergänzt
GabyRösti. «Alle schweben stets ein
paar Zentimeter über dem Boden und
‹bä äggen› dasselbe.» Da habe doch in
Thun kürzlicheiner einen Innovations-
preis gewonnen, weil er veganen Käse
aus Cashewnüssen herstelle – mit Nüs-
sen ausVietnam.«Dassind doch Luxus-
lösungen für Luxusprobleme.»
Mit der Zeit wird das Gespräch weni-
ger politisch. Die beiden Brüder erzäh-
len, dass auf der touristisch kaum er-
schlossenen Alp noch16 Familien mit
knapp 500 Tieren sömmerten. Das
Weiderecht heisse hier auf der Alp Ue-
schinenKuhrecht, wobei insgesamt 389
Kuhrechteregistriert seien. EinKuh-
recht entspreche im Übrigen ersatz-
weise drei Kälbern oder sechs Geissen.
DerFotograf wi rd langsamunruhig.
Dunkle Wolken hängenüber den stei-
len Bergwänden.Wenn es zu regnen be-
ginnt, kann er nur in der Hütte fotogra-
fieren. Also geht man nach draussen.
HansRösti zieht sich auf Bitte seiner
Frau nochein anderes Hemdan, eines,
das seine Mutter für ihn genäht hat.
Es wird Zeit zu gehen.Reihum wer-
den Hände geschüttelt und die letzten
Nachrichten ausgetauscht, dann klet-
tert der Besuch in denWagen, und Al-
bert Rösti fährt los. Nach einem Not-
stopp beim nächstenBauern, der breit
lachendeinen Kanistermit Benzin holt,
und mehreren Plaudereien mit Nach-
barn, dieRösti alle seit seiner Kindheit
kennt, fährt man wieder durch Kander-
steg,wo Rösti herkommt. «Hier istAdolf
Ogi aufgewachsen, hier wohnt er heute,
und da wird jeweils ‹Bauer, ledig, sucht›
gedreht», erzählt derSVP-Präsident.
Zeit für ein letztes politischesRé-
sumé. Es sei ihm bewusst, dass der
scharfeTon, den dieSVP in der Klima-
debatte angeschlagen habe, nichtallen in
der Partei gefalle, sagt Rösti.Die Schärfe
sei aber nötig,damit dieSVPüberhaupt
gehört werde.Wenn man die Klima-
politik einfach denrot-grünen Klima-
populisten überlasse, ende das desas-
trös – gerade für dieBauern. ZweiTage
später wirdRösti in der Zeitung lesen,
dass der Zürcher Bauernverband dem
Ständeratskandidaten derSVPzum ers-
ten Mal überhaupt die Gefolgschaft ver-
weigernkönnte. Man habe noch nicht
entschieden, ob manRoger Köppel im
Wahlkampfunterstützenwerde, sagte
Verbandsvorstand undSVP-National-
rat Martin Haab der «NZZ am Sonn-
tag»: «Einige derAussagenKöppels
zum Klimawandel stossen unter Zür-
cherBauern aufKritik.» Es stehe aus-
ser Frage, dass der Mensch eine Mitver-
antwortung trage für die Klimaerwär-
mung. Ob Dr. Röstis Wetterdienst irrt
oder dochrecht hat,entscheidet sich am


  1. Oktober bei denWahlen.


SVP-Präsident AlbertRösti (oben links) an der Seite seines Bruders Hans ob Kandersteg.Dieser sagt: «Mit einerCO 2 -Abgabe müssten wir hieroben zumachen.»

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