Der Bär saß „am Komposthaufen“. Ge-
sichtet im Juni 2019 mitten in St. Pan-
kraz in den Ortler Bergen, währenddes-
sen plünderten seine Artgenossen an-
dernorts in aller Ruhe reihenweise Bie-
nenkörbe. Das bestätigt die Südtiroler
Landesverwaltung. In den Alpen ist in
diesem Sommer der Bär los: Ein weite-
res Tier trottete durchs Gental im Kan-
ton Bern, ein anderes kreuzte nahe der
Talstation die Piste des Skigebietes
Melchsee-Frutt, und ein drittes wurde
gerade im Oberwallis am Straßenrand
gefilmt. Auch in Kärnten und Osttirol
leben laut WWF ein gutes Dutzend Bä-
ren in freier Wildbahn. Und ein Schafe
reißender Problembär namens „M49“
ist gerade ausgebüxt und wurde zuletzt
oberhalb von Trient beim Blaubeer-Na-
schen beobachtet. Pubertierende Exem-
plare zieht es derweil auf der Suche
nach neuen Jagdgründen gen Norden.
Genau 13 Jahre nach „Bruno“ ist gera-
de mal wieder ein Jungbär Richtung
Bayern unterwegs. Das scheue Männ-
chen tappte im Juni 2019 in eine Foto-
falle im österreichisch-deutschen
Grenzgebiet bei Reutte (Tirol). Mitten
in der Nacht. Die Wildtierkamera hatte
ein Jäger aufgestellt, der nur ein paar
Hirsche bestätigt haben wollte. Auf dem
Foto (rechts) sieht man das zwei bis
drei Jahre alte Tier beim Fressen, un-
weit davon wurde ein Rotwildkadaver
gefunden. Auch die genetische Untersu-
chung der Rissspuren ergab: Ein Bär
treibt sich um. Er soll wie einst „Bruno“
sie in der Nähe sind. „Sogar wenn sich
Wölfe direkt neben einem Wanderweg
befinden, warten sie, bis die Menschen
an ihnen vorbeigegangen sind“, heißt es
beim österreichischen WWF. Auch von
Wanderern überraschte Wildschweine
warnen erst einmal schnaufend durch
die Nase („Blasen“ nennen das die Jä-
ger) und ergreifen normalerweise nach
einem kurzen Scheinangriff die Flucht,
sofern sie sich nicht mitsamt ihrer
Frischlinge bedrängt fühlen.
Eine ganz andere Tierart sollte Berg-
wanderern mehr Respekt einflößen:
„Das wehrhafteste Vieh in den Bergen
wirkt bedächtig, plump und steht wie-
derkäuend auf den Wiesen“, sagt Wer-
ner Lampert, Österreichs prominentes-
ter Naturschutz-Pionier. „Die Alpkuh
wird unterschätzt“, meint der Tier-
freund, der eine monumentale Hom-
mage auf das Rindvieh („Die Kuh“, te-
Neues Verlag) verfasst hat. Denn nur sie
hat, im Gegensatz zu Stall-Artgenossen,
in langen Sommern auf der Alp ihre Ur-
Instinkte wiedererlangt: „Furchtlos,
wachsam, temperamentvoll und ge-
scheit“, beschreibt Lampert das Weide-
vieh. „Jeder Wolf, jeder Bär, jedes Wild-
schwein hätte keine Chance, wird über-
rollt. Kühe senken die Häupter und
greifen gemeinsam frontal an.“ Jede
von ihnen hat eine geballte Kraft aus bis
zu 750 Kilo Muskelmasse. Raubtiere ge-
hen dem Rindvieh lieber aus dem Weg.
Das sollten auch Wanderer tun. „Ich
halte immer einen Abstand von 10, bes-
ser 30, 40 Metern ein. Einen großen Bo-
gen um die Herde schlagen!“, rät Lam-
pert. Eine Alm ist kein Streichelzoo.
WERNER LAMPERT GMBH, PHOTO RAMONA WALDNER
AUS DEM BAND „DIE KUH“; TENEUES; GETTY IMAGES (3); PRIVAT/APA/DPA
VONKIRA HANSER
aus dem italienischen Trentino kom-
men, wo bereits etwa 50 Bären in freier
Wildbahn leben. Die Fotofalle steht nur
gut 28 Kilometer von Garmisch-Parten-
kirchen entfernt, für einen Braunbären
ist das ein Klacks, gerade mal ein, zwei
Nachtmärsche.
Ob er wie sein Vorgänger zum Pro-
blem wird, ist noch ungewiss. „Bruno“
zeigte damals keine Menschenscheu,
riss Schafe, spazierte durch ein Dorf
und wurde daraufhin nach einer wilden
Hatz erschossen. Er blieb in Bayern –
und steht seither ausgestopft im
Münchner Museum „Mensch und Na-
tur“ auf Schloss Nymphenburg.
Doch nicht nur diese Raubtiere haben
die Alpen zurückerobert. Mehrere Hun-
dert Wölfe leben in den Bergwäldern,
von Slowenien bis Frankreich, von Ita-
lien bis Deutschland, allein in der
Schweiz wurden 2018 genau 47 Einzel-
tiere gezählt. Auch Wildschweine, be-
kannt als wehrhafte Allesfresser, fühlen
sich in den Alpen zunehmend wohler.
Denn der Klimawandel mit milden Win-
tern begünstigt es, dass sie bereits bis
auf auf 1700 Meter Höhe wandern, ge-
nügend Nahrung finden und dort oben
sogar überwintern. Forstwissenschaft-
ler vom „Wildökologischen Forum Al-
penraum“ befürchten inzwischen eine
„problematische Versauung“ der Alpen.
Müssen sich Wanderer also Sorgen
machen, wenn sie auf den Almwiesen
wandern? Eine Begegnung mit Bär und
Wolf ist unwahrscheinlich. Beide Raub-
tierarten sind grundsätzlich scheu und
gehen Menschen lieber aus dem Weg.
Kaum jemand wird es bemerken, wenn
Respekt vor dem
Vieh
Wilde Gesellschaft in den Alpen: Wolf und Bär sind zurück,
Wildschweine werden zur Plage. Bergwanderer sind besorgt.
Dabei ist das wehrhafteste Tier ein ganz anderes
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WWWildes Treiben: Das Tirolerildes Treiben: Das Tiroler
Grauvieh (o.) gilt als besonders
fffurchtlos. Selbst ein Bär hat vorurchtlos. Selbst ein Bär hat vor
KKKühen Respekt. Er jagt lieberühen Respekt. Er jagt lieber
Rotwildkälber – wie dieses
Männchen, das im Juni 2019 in
Tirol in eine Fotofalle getappt ist.
Ein Picknick auf der Almwiese
neben einer Kuhherde ist
deshalb keine gute Idee. Auch
WWWölfe und Wildschweine ölfe und Wildschweine
haben die Alpen erobert
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