Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1

SZ: Herr Hegmann, Sie beraten Men-
schen aufPartnersuche. Wie unterschei-
den sich Ihre heutigen Klienten von de-
nen, die vor 15 Jahren kamen?
Eric Hegmann: Sie haben vor allem deut-
lich mehr Erfahrung. Als Anfang Dreißig-
jähriger hat man heute oft schon mehr Be-
ziehungen geführt als die eigenen Eltern,
Großeltern und Urgroßeltern zusammen.
Aber jede Beziehung hat ein Ende. Deshalb
bringen Singles heute auch deutlich mehr
Trennungserfahrungen mit als früher.
Macht die Erfahrung souveräner?
Manche sicher. Aber diejenigen, die zu mir
kommen, leiden darunter. Jede Trennung
ist zunächst ein psychologisches Trauma,
das massiv aufs Selbstwertgefühl schlägt.
Und zwar egal, wie lang die Beziehung
ging. Ein Ghosting nach zwei Wochen...
...also der kommentarlose Abbruch der
Kommunikation...
...wirktoftähnlichtraumatischwie dasEn-
de einer einjährigen Beziehung.
Welche Rolle spielen Dating-Apps?
Eine sehr große. Ausnahmslos alle meine
Klienten haben heute Erfahrung mit Tin-
der und Co. Und sie leiden besonders unter
derUnverbindlichkeit,dieaufsolchenPor-
talen üblich ist: Sie chatten tagelang nett,
gehen vielleicht sogar mal auf ein Date,
und plötzlich bricht Ihr Gegenüber den
Kontakt ab. Weil er oder sie sich vielleicht
für jemand anderen entschieden hat. Da-
mit kommen viele Singles nicht zurecht.
Aussagen wie: „Ich kann kein Vertrauen
mehr fassen“, höre ich deutlich häufiger
als noch vor fünf Jahren.
Eher von Männern oder Frauen?
Etwas mehr von Frauen. Die suchen häufi-
gerBestätigung vonaußen. Oft glaubensie
auch, sich nur genug anstrengen zu müs-
sen, um einen Mann zu einer Beziehung zu
überreden – was natürlich nicht funktio-
niert. Insgesamt sind die Verlierer von Da-
ting-Apps aber die Durchschnittsmänner.
Warum?
Weil Menschen online dazu neigen, ober-
halb ihrer Liga zu suchen, was das Ausse-
henangeht.InderKneipesprichtmanLeu-
te an, die vergleichbar attraktiv sind wie
man selbst. Das ist für die große Mehrheit
super, jeder hat eine riesige Auswahl. Aber


die zwei Prozent der außergewöhnlich
Attraktiven, bei denen sozusagen jeder
schwach wird, die traut man sich online
vieleheranzusprechen.Damit geht für alle
die Messlatte nach oben.
Müsste das nicht auch Frauen treffen?
Schon, aber gut gebildete, attraktive Män-
ner sind sozusagen ein rares Gut. Es gibt
heute mehr junge weibliche Akademiker
als männliche. Und man weiß, dass sich
Frauen, auch was Bildung und Status an-
geht, eher nach oben orientieren. Durch-
schnittlichgebildete,durchschnittlichaus-
sehende Männer trifft das teilweise hart,
sie werden zu Ladenhütern.

Wie coachen Sie frustrierte Singles?
Zuerst mache ich Aufbauarbeit. Ich lege
dar, dass die Zurückweisung nichts mit ih-
nen selbst zu tun hat, sondern mit den Er-
wartungendesGegenübers.Dannanalysie-
renwirMusterinderPartnersuche,diebis-
hererfolgloswaren.Undstatt dieseMuster
in ewiger Variation zu wiederholen, versu-
chen wir, neue Strategien zu entwickeln.
Angenommen, jemand geht jeden Sams-
tag aus. Eine Variation dieses Musters wä-
re,auchdonnerstagsundfreitagsauszuge-
hen. Aber wahrscheinlich liegt der Misser-
folg daran, dass der Single in dieser Umge-
bung einfach niemanden findet, der eine
Beziehung sucht. Eine neue Strategie wäre
also, sich stattdessen am Sonntagmorgen
einer Jogginggruppe anzuschließen.
Analysieren Sie auch das Dating-Profil?
Wenn die Klienten das wünschen, ja. Oft

kann man mit wenigen Handgriffen die
Antwortquote deutlich erhöhen.
Was sind Ihre Tipps?
DerklassischeFehlersindaufwendiginsze-
nierte Fotos, vielleicht vom Fotografen, die
betont cool wirken sollen. Dabei müssen
Siegeradenichtcoolwirken,sondernsym-
pathisch! Sie glauben gar nicht, wie viele
Menschen ein Profilbild einstellen, auf
dem sie nicht lächeln.
Was ist der häufigste Fehler bei der
Selbstbeschreibung?
Oft finden sich da Informationen, die man
potenziellen Partnern eigentlich nicht
übermitteln will. Zum Beispiel schreiben
viele indirekt über negative Erfahrungen
von vorherigen Dates. So was wie: „Wenn
du nur Sex willst, wisch gleich nach links“,
oder„IchhabedieHoffnungnichtaufgege-
ben, hier doch noch jemand Vernünftigen
zu finden“. Das ist kontraproduktiv.
Warum?
Es wirkt frustriert und anstrengend. Wir
suchen aber optimistische Menschen, mit
denen wir uns vorstellen können, auch in
zehn Jahren noch Spaß zu haben. Diesen
Eindruck zu vermitteln kann natürlich
schwierig sein, wenn Sie gerade zum drit-
ten Mal in zwei Wochen geghostet wurden.
Welche innere Haltung empfehlen Sie?
Man sollte herausfinden, wie man Men-
schen anzieht, die zu einem passen. Und
den Selbstwert so stärken, dass man dieje-
nigen, die nicht passen, von vornherein
abwählt. So wie man irgendwann lernt,
einem besetzten Taxi nicht zu winken.
Millennials werden immer mal wieder
als „Generation beziehungsunfähig“ be-
zeichnet. Zu Recht?
Quatsch,esgibtkeine Beziehungsunfähig-
keit. Es gibt Verhaltensweisen, die nicht
sehr beziehungstauglich sind. Aber wenn
man sich die genauer anschaut, sind es
meist unbewusste Strategien, um sich vor
neuen Verletzungen auf der Partnersuche
zu schützen. Tatsächlich ist die Partner-
wahl oft überfrachtet mit Erwartungen,
Wünschen und Hoffnungen. Das Bezie-
hungsglück ist heute das höchste Gut, das
Sie erreichen können.

inter view: jan str emmel

Martin, 54, & Christiane, 52,leben in Herne
Zusammen seit: 35 Jahren
„Wir kannten uns aus der Diskothek. Sie fand mich süß,
weil ich so einen suchenden Blick hatte, was daran lag, dass
ich eigentlich Brillenträger bin. Ich fand sie wunderbar, traute
mich aber nicht, sie anzusprechen. Als ich mir beim Pogo-
Tanzen den Arm brach, kam ich in das Krankenhaus, in dem
sie ihr Praktikum absolvierte. Sie besuchte mich jeden Tag
und lieh mir ihre Lieblingskassette. Ich hörte sie auf dem
Walkman rauf und runter. Wir bekamen bald unser erstes
Kind, drei weitere folgten. Das war nicht immer leicht zusam-
menzubringen mit Ausbildung und Beruf. Aber uns war im-
mer klar: Wir ermöglichen uns gegenseitig, unsere Träume zu
verwirklichen. Und das tun wir bis heute.“FOTO: PRIVAT

Marcel, 38, (links) & Matthias, 37,leben in Berlin
Zusammen seit: 17 Jahren
„Ich hatte an der Uni in Jena schon eine Weile heimlich für
Matthias geschwärmt, bevor wir uns bei einem Seminar tra-
fen. Ich redete fröhlich drauflos, er antwortete einsilbig. Wir
kommen beide aus der ostdeutschen Provinz, sind aber sehr
gegensätzlich. Matthias ist menschenscheu und sarkastisch,
ich bin offen und herzlich. Unsere Liebe fiel uns von Anfang
leicht, obwohl wir es nicht immer leicht hatten. Das neue Le-
ben in Berlin riss Matthias irgendwann den Boden unter den
Füßen weg, er wurde depressiv. Da haben wir gelernt, dass
Liebe auch bedeutet: für die Beziehung kämpfen, sich immer
wieder füreinander entscheiden. Wir tun das jeden Morgen,
wenn wir aufwachen und uns ansehen.“FOTO: CHRIS CHI/ TALE OF MEN

Yves, 49, & Cornelia, 48,leben inWurzen bei Leipzig
Zusammen seit: 31 Jahren
„Wir kannten uns aus der EOS, der Gymnasialausbildung in
der DDR. In der 11. Klasse arbeiteten wir drei Wochen auf dem
Erdbeerfeld, und ich legte die süßesten Erdbeeren für Cornelia
zur Seite. Als unser erster Sohn nach der Geburt starb, machte
der Schmerz uns sprachlos. Trotzdem schafften wir es, uns
gegenseitig Halt zu geben. Später heirateten wir heimlich, eine
große Hochzeit konnten wir uns eh nicht leisten. Erst elf Jahre
später ließen wir uns noch einmal trauen, diesmal mit allen
Freunden und unseren Söhnen. Bis heute freuen wir uns über
jeden Tag, den wir gemeinsam verbringen können. Und im
Frühsommer bringe ich meiner Frau immer noch die süßesten
Erdbeeren mit, die ich finden kann.“FOTO: PRIVAT

Anna, 37, & Albrecht, 31,leben inPettluis bei Bad Segeberg
Zusammen seit: 8 Jahren
„Er war der Assistent des Geschäftsführers, ich die Assistentin
der Geschäftsführerin. Nach einem Bar-Abend mit Kollegen
begannen wir, uns heimlich zu treffen – und blieben beim ‚Sie‘.
Uns war wichtig, Nähe aufzubauen, ohne alles gleich selbstver-
ständlich wirken zu lassen. Zum ‚Du‘gingen wir erst über,
als ich schwanger war. Albrecht und ich lernten, miteinander
über Sorgen und Ärger zu sprechen – man vertraut sich dem
anderen ja nur an, wenn man weiß, dass man aneinander wach-
sen kann. Inzwischen haben wir drei Kinder; um etwas zu
besprechen, setzen wir uns in einen großen, alten Ohrensessel.
Manchmal, bei sehr ernsten Themen, siezen wir uns immer
noch. Es fühlt sich dann einfach herzlicher an.“FOTO: PRIVAT

Friederike, 27, & Bader, 36,lebenin München
Zusammen seit: 6 Jahren
„Bader lebte bis letzte Woche in Senegal. Wir lernten uns bei
einem Musikfestival kennen, als ich zehn Monate in Dakar
wohnte. Sprache und kulturelle Unterschiede erschienen von
Anfang an nebensächlich. Ich kannte das Gefühl vorher nicht,
ganz und gar angenommen zu werden, wie man ist. Während
ich ständig vorausplane, lebt er in der Gegenwart. Sein uner-
schütterlicher Optimismus trug uns über die fünf Jahre Fern-
beziehung. Klar, der Papierkram, um hier leben zu dürfen, das
ist die Hölle, wir brauchen eine Wohnung, und Bader muss irre
viele kleine Dinge lernen, von der Streifenkarte bis zur Spülma-
schine. Aber wir sind seit April verheiratet, und jetzt ist er
endlich bei mir. Die größte Hürde liegt hinter uns.“FOTO: PRIVAT

Inge, 69, & K.D., 72,lebenin Bonn
Zusammen seit: 45 Jahren
„Mein Verlobter hatte mich überreden müssen: eine fünfwöchi-
ge Segeltour mit Freunden, trotz meiner Seekrankheit. Nach
der Tour war ich entschlossen, nicht den Verlobten, sondern
den Skipper zu heiraten. Wir sind dann jahrzehntelang gese-
gelt, ich habe mich jahrzehntelang übergeben. K.D. sprüht
damals wie heute vor Begeisterung, Engagement und Humor.
(Er kann alles: unterrichten, Häuser restaurieren, Messer
schmieden, Seepferdchen züchten.) Der Grund für unsere
Verbundenheit liegt auch in der Hochachtung, die wir vor- und
füreinander hegen. Begeisterungsfähigkeit, Engagement und
Humor prägen auch unsere erwachsenen Kinder. Selbst unser
Hund scheint einen Sinn für Komik zu haben.“FOTO: PRIVAT

An der Universität


Ina, 29,& Stefan, 33,leben in Krefeld
Zusammen seit: 5 Jahren
„Ich saß im Zug zum Frankfurter Flughafen, auf dem Weg
nach New York. Stefan stieg in Köln zu, er sprach mich an, wir
redeten über New York, und er gab mir Tipps, in Gießen
tauschten wir Nummern aus. Stefan ist bedacht, ich eher im-
pulsiv, er braucht die Natur um sich herum und ich ab und an
eine Ausstellung. Wir wecken diese Leidenschaft im anderen,
plötzlich mag ich Wandern und Stefan Südfrankreich. Wenn es
mal einen Konflikt gibt, reden wir lieber länger darüber, statt
zerstritten einzuschlafen. Und eines verbindet uns ja eh: die
Sehnsucht zu reisen und Orte zu entdecken. Von seinen Tipps
habe ich in New York übrigens keinen einzigen umgesetzt. Das
haben wir dann zu zweit nachgeholt.“FOTO: ALOYS BUSHUVEN

Im Büro


Auf einem Festival


Tatsächlich Liebe


Es gibt sie noch: Orte außerhalb des Internets, an denen man


zueinander findet. Die SZ hat Leser nach ihren Kennenlern-Geschichten


gefragt. Hier sind sieben von mehr als 250 Einsendungen
protok oll e: jenny buchho l z

Bloß nicht cool wirken!


Single-Coach Eric Hegmann über die Wahl des richtigen Profilbilds und


über Durchschnittsmänner – die wahren Verlierer der Dating-Apps


Eric Hegmann,53,
arbeitet als Paartherapeut
in Hamburg und hat
diverse Bücher über
die Partnerwahl
geschrieben. Seit 15
Jahren bietet er spezielles
Coaching für Singles an.
FOTO: PRIVAT

„Die Partnerwahl ist oft
überfrachtet mit Erwartungen,
Wünschen und Hoffnungen.“

Im Krankenhaus


Auf einem Erdbeerfeld


Im Regionalexpress


Auf dem Zweimaster


DEFGH Nr. 172, Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019 HF2 BUCH ZWEI 13

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