Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1
von joseph hanimann

E

ineFotoausstellungmitAufnah-
men des Fotografen André Zuc-
ca, die dieser für das deutsche
PropagandamagazinSignalge-
machte hatte, zeigte unlängst
Aufnahmen aus dem besetzten Paris der
frühen Vierzigerjahre: die Hauptstadtbe-
wohnerin Straßencafés, Theatern, Waren-
häusern und Parks bei dem Versuch, ein
halbwegsnormales Lebenzu führen. Man-
cherorts verlief der Alltag geradezu frene-
tisch normal, etwa im Kunstmarkt. Aus
leicht einsehbaren Gründen: Die Enteig-
nungen jüdischer Sammler führte nicht
nur zum Abtransport vieler Objekte nach
Deutschland.AuchindenPariserAuktions-
sälen häufte sich die Ware.
Eine Ausstellung in Paris über den
Kunstmarkt während der Besatzungszeit
von 1940 bis 1944 geht dieser Geschichte
nach. Sie bringt keine radikal neuen Ein-
sichten, gewährt aber detaillierte Einbli-
cke in die Situation jener Jahre.
Als im Juni 1940 die deutschenTruppen
in Paris einmarschierten, hatten die meis-
ten jüdischen Galeristen die Stadt schon
verlassen. Lazare Wildenstein beobachte-
te den Verlauf der Dinge aus dem Atlantik-
ortLaBaule.Daniel-HenryKahnweilerhat-
tesichinsLimousinzurückgezogen.Pierre
Rosenberg wartete auf seinem Landsitz in
der Gironde. Die meisten von ihnen verlie-
ßen später das Land in Richtung Amerika.


DiedeutscheBotschaftundderunterGö-
ring arbeitende Einsatzstab des Reichslei-
ters Alfred Rosenberg machten sich der-
weil in Paris daran, die Kunstgüter in fran-
zösischem Privatbesitz „in Sicherheit zu
bringen“. Alle Privatsammlungen mit ei-
nem Wert von über 100000 Franc mussten
innerhalb eines Monats der Feldkomman-
danturgemeldetwerden.DieBesatzerwoll-
te sich einen Überblick verschaffen.
Die Keller der deutschen Botschaft im



  1. Arrondissement quollen jedoch bald
    über von den beschlagnahmten Gütern.
    Das Museum Jeu de Paume, in dessen Un-
    tergeschoßschonseitKriegsbeginnbeson-
    dere Lagersäle eingerichtet waren, wurde
    zur Hortung der Enteignungen requiriert.
    Die alten Meister der nordischen Schulen
    wurden dort für den Abtransport nach
    Deutschland aussortiert. Die „entartete“
    Kunst von Picasso, Matisse, Braque, Ernst,
    Arp, Chagall oder Arp kam dagegen in ei-
    nen Nebensaal des Jeu de Paume, der als
    „Saal der Märtyrer“ bekannt wurde.
    Über den Geldwert dieser Werke waren
    die Nazis sich bestens bewusst. Mit ihrer


Vermarktung betrauten sie den Kunsthis-
toriker Bruno Lohse. Die „Arisierung“ der
französischen Gesellschaft begann gleich
im September 1940 mit der Auflage an alle
jüdischenGeschäfte,sichzweisprachigam
Eingang als solche kenntlich zu machen.
Die Vichy-Regierung wollte an Eilfertig-
keit nicht zurückstehen und entzog allen
Franzosen,diedasLandimSommerinsge-
heim verlassen hatten, die Staatsbürger-
schaft. Ein Jahr später verordnete Vichy
für die noch in jüdischen Händen befindli-
chen Unternehmen die Ernennung eines
nichtjüdischen provisorischen Verwalters.

Die Hinterlassenschaft „der Feiglinge
Wildenstein, Bernheim, Rosenberg, Hes-
sel, Lévy und Konsorten“, jubelte der
Kunstkritiker Camille Mauclair, läge nun
in den Händen arischer Abwickler.
An vier Beispielen führt die Ausstellung
Galerieschicksale vor, eines ist das von
Pierre Loeb. In seiner 1924 eröffneten Gale-
rie hatte ein Jahr später die erste Surrealis-
tenausstellung stattgefunden. Pierre Loeb
nahm dann Miró, Picasso, Balthus, Wifredo
Lam, Matisse, Giacometti, Antonin Artaud
in sein Angebot auf. Obwohl er sein Ge-
schäft an den nichtjüdischen Kollegen

Georges Aubry abgetreten hatte, wurden
ihm die Bankkonten gesperrt und die Bilder
in der Privatwohnung beschlagnahmt. Im
Januar 1942 verließ Loeb sein Land und ge-
langte über Casablanca nach Havanna, wo
er wegen der Ablehnung seines US-Visums
dieKriegsjahreverbrachte.BeiseinerRück-
kehr verweigerte Aubry zunächst die Rück-
gabederGalerie.ErstalsPicassoihmamTe-
lefon erklärte: „Pierre ist zurück, er über-
nimmt die Galerie wieder“, willigte er ein.
Umfassender als in der Ausstellung
führt die Kuratorin Emmanuelle Polack
ihr Material in ihrem gerade erschienenen

Buch „Le marché de l art sous l occupation
1940-1944“ (Verlag Tallandier) vor. Das
gilt besonders für das Geschehen im Pari-
ser Auktionshaus Drouot. In dieser be-
rühmtenInstitution,woseit1852diestaat-
lich beglaubigten „Commissaires-pri-
seurs“ ihres Amtes walten, herrschte wäh-
rendderKriegsjahreHochbetrieb.Nachei-
ner kurzen Schließung infolge des deut-
schenEinmarschs konntedas Hauswieder
aufmachen, mit der Auflage, dass Verkäu-
fer und Käufer aller Auktionen im Wert
von über 100000 Franc der Kommandan-
tur gemeldet werden. Auch anderen Be-

stimmungen, etwa dem strikten Zugangs-
verbot für Juden ins „Hôtel Drouot“, beug-
ten die Auktionsbevollmächtigten sich
mehr oder weniger willfährig. Der Verlust
des internationalen Publikums wurde
durch Museumsvertreter aus Köln, Ham-
burg oder München und durch Profiteure
des Pariser Schwarzmarkts kompensiert.
Bei der Masse von Werken aus den
Sammlungsauflösungen machten Auktio-
näre und Experten sich mitunter einen
Spaß daraus, den naiven, wenn möglich
deutschen Käufern Fälschungen unterzu-
jubeln – so weit ging ihr Widerstandsgeist
gegen die Besatzungsmacht denn doch.
Und ihm fielen nicht nur Dilettanten
zum Opfer. Auch in der Schwabinger
Schatzkammer des Kunsthändlers Hilde-
brand Gurlitt kamen ein offensichtlich un-
echtesBildvonChagallundzweisehrunsi-
chere Zeichnungen von Auguste Rodin
zum Vorschein. Gurlitt tat sich aber vor al-
lemdurchseinenscharfenBlick,seineEnt-
schlossenheit und seine finanzielle Potenz
hervor. Zu den Großereignissen jener Zeit
gehörte die Nachlassversteigerung des
1939 verstorbenen Sammlers Georges
Viau im Dezember 1942. Das Endergebnis
kam auf 46 Millionen Franc. Mit insge-
samt fast zehn Millionen Franc über-
trumpfte Gurlitt den Louvre beim Bieten
um mehr als das Doppelte.

BeiWeitemnichtalleTransaktionengin-
gen auf Enteignung zurück. Undurch-
schaubarkeit, Nervosität und Komplizen-
schaft mit dem Regime schufen aber das
ideale Klima für gerissene Figuren wie den
Experten André Schoeller oder den Aukti-
onsvollzieherÉtienneAder,dieinderDop-
pelrolle als Autoritätsperson und Käufer
Geschäfte machten.
VerbreitetwarauchdiePraxisdes„rava-
lage“, des „Neuverputzens“, die darin be-
stand, dass Werke mit unsauberer Her-
kunft im Hôtel Drouot versteigert und
gleich wieder zurückgekauft wurden, um
mit fortan bereinigtem Pedigree den Weg
in den Kunstmarkt anzutreten. Über die
Spätwirkungen dieser Spurenverwi-
schung zerbrechen die Provenienzfor-
scher sich noch heute den Kopf.
Die Ausstellung und das Buch von Em-
manuelle Polack überzeugen diesbezüg-
lichmehrdurchihreakribischzusammen-
getragenen Einzelheiten als durch einen
klaren Überblick einer Situation, die da-
mals keiner so genau kennen wollte.

Le marché de l art sous l occupation 1940 –1944.
Mémorial de la Shoah, Paris. Bis 3. November.

Nachdem Krieg sprang Picasso


einem jüdischen Galeristen bei.


So bekam er sein Geschäft zurück


Werke mit unsauberer Herkunft
wurden versteigert und
gleich wieder zurückgekauft

DEFGH Nr. 172, Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019 FEUILLETON KUNSTMARKT 19


Putz für den Pedigree


Eine Studie und eine Ausstellung über den Pariser Kunstmarkt zur Besatzungszeit zeigen:


Einige französische Auktionshäuser machten unter den Nazis gute Geschäfte


Für den Pariser Kunstmarkt verlief die deutsche Besatzung geradezu frenetisch normal: Die Enteignung jüdischer Sammler führte dazu, dass sich in den Pariser
Auktionshäusern die Ware häufte. FOTO: LAPI/ROGER-VIOLLET

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