Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1
G

ibt es einen Rohstoff, der
gleichzeitig so geliebt und ge-
hasst wird wie Kohle? Der für
die einen Lebensinhalt ist, für
die anderen eben Klimakiller
Nummer eins? Gerd Sieling schüttelt den
Kopf, für solche Überlegungen hat er keine
Zeit. Sieling ist Produktionschef der Lau-
sitz Energie Bergbau AG (Leag), einer der
Nachlassverwalter des gigantischen Ener-
giekombinats Schwarze Pumpe, das bis
1990 viele Millionen Bürger und ostdeut-
scheBetriebe mitStrom, Gas, Koks,Kohle-
staub und Briketts versorgt hat. Als es vor-
bei war, hat Sieling geholfen, den Standort
inderLausitzzuretten.Jetzttreibtihneine
Zahl um: 2038. Spätestens dann, sagt Sie-
ling, „ist es vorbei hier“.
2038 ist das Jahr, in dem die Bundesre-
publik aus der Kohle aussteigen will. „Als
Abschlussdatum empfiehlt die Kommissi-
on Ende des Jahres 2038“, so steht es im
336-seitigen Bericht der extra eingesetz-
ten Kohlekommission. Die Bundesrepu-
blik ist das erste große Industrieland, das
ein Datum festlegt, an dem es alle Kohle-
kraftwerke abschaltet. Was in Berlin be-
schlossenwurde,hatinderLausitzkonkre-
te Folgen: Man wird keine Kohle mehr ab-
baggern, nicht mehr verbrennen, nicht
mehr vergasen, nicht mehr veredeln, nicht
mehr zu Briketts pressen, nicht mehr zum
Straßenbau verwenden – die letzten ver-
bliebenen2000Arbeitsplätzewerden weg-
fallen. „Ende Gelände“ hat jemand auf ein
leergezogenes Haus nahe dem Tagebau
Welzow-Süd gesprayt.


KennenSiejemandenhier,dersichüber
den Kohleausstieg freut, Herr Sieling?
Schweigen.
GerdSielingisteinerderÜbriggebliebe-
nenausDDR-Zeiten.ErkommtausderGe-
gend, er hat sein Arbeitsleben auf diesem
Gelände verbracht. Sein Büro ist in einem
barackenartigenHausaufdemGeländeun-
tergebracht, wo seit Jahrzehnten aus Koh-
lebrocken Kohlebriketts gemacht werden.
„Kohleveredlung“ heißt die Abteilung. Es
klingt wie aus der Zeit gefallen: Wie kann
man Kohle veredeln, wenn sie eigentlich
dochderKlimafeindsein soll? Sielingsteht
auf, geht zum Schrank in der Ecke, sucht
undstelltvorsichtigeinBrikettaufdenrun-
den Besprechungstisch, blank poliert. Die
Zahl 1000000000 ist darauf gedruckt,
1966 bis 2018, das Bergbau-Emblem und
der Schriftzug „Tgb. Welzow-Süd“. Ja, das
haben wir 2018 gefeiert, sagt er, trotz al-
lem, eine Milliarde Tonnen Briketts seit



  1. Er weiß: Ein Zwei-Milliarden-Ton-
    nen-Jubiläum wird es nicht geben.
    Ende Gelände eben. Aber wie gehen die
    Menschendamitum?Erstmalso:Siearbei-
    ten einfach weiter.
    Wer über dasGelände geht,fühlt sich an
    denmonumentalenStummfilm„Metropo-
    lis“ von 1927 erinnert. Täglich rollen bis zu
    zwanzig Güterzüge voll mit Kohle aus den
    Tagebauen an. Förderbänder transportie-
    ren die Kohlebrocken zur Verarbeitung.
    MächtigeFlügelbrecherundHammermüh-
    len zerkleinern die Brocken, danach wird
    getrocknet und gepresst. An diesem Mon-
    tagmittag hat die Schicht gerade die riesi-
    gen Kohlepressen angeworfen, sie laufen
    sich warm. Arbeiter gehen an Betonbauten
    entlang, steigen gelbe Leitern hoch und


wieder runter, treten in eine gemauerte
Halle. Innen ist es heiß wie in der Sahara:
Von den über mehrere Stockwerke ragen-
den runden Pressen sind nur Lochplatten
zu sehen, sie drehen sich langsam. Überall
hängen Wasserschläuche, man weiß ja nie,
ob sich ein Funken entzündet. Pro Etage
steht ein Arbeiter mit gelbem Helm und
schwarzen Ohrenschützern vor einem Pult
mit Knöpfen. Auffallend junge Menschen
sind darunter, Auszubildende. Tatsäch-
lich? Ja, es wird noch ausgebildet. Es sind
ja noch 19 Jahre, bis Schluss ist.
Geschäftiggehtes auchzu inderBriket-
tierung.Förderbänderlaufen,vollautoma-
tisch rasseln Briketts heran; die Qualitäts-
kontrolle ist unerbittlich: Schlechte Ware
fällt durch den Rost auf den Boden. So ent-
stehen die Kohlehügel, die nach einem Re-
genguss die Sonnenstrahlen brechen und
glänzen wie Gold.
Die gute Ware aber läuft weiter in die
Verpackung.
Es gibt noch genug Leute, die heute Bri-
ketts kaufen. Sieling und seine Leute, das
ist neben den Auszubildenden die nächste
Überraschung, haben ihre Briketts zu ei-
nem Exportschlager gemacht. Im vergan-
genen Jahr haben sie um die 640000 Ton-
neninhandlichenPaketenbisnachAustra-
lien verkauft. „Heating Briquettes“ ist auf
einer orange-gelben Verpackung zu lesen,
und: „How to get the best from your bri-
quettes“–„WieSiedasBesteausIhrenBri-
ketts machen“. Kleine Piktogramme zei-
gen an, wozu die Briketts verwendet wer-
den können: für Lagerfeuer, offene Feuer-
körbeodergeschlosseneKamine.Aberbit-
te, liebe Australier, ganz wichtig jetzt:
Nicht zum Grillen benutzen!
Matthias Borgmann erzählt stolz, dass
sich das Kohlebrikett aus Schwarze Pum-
pe,das denwunderbaren Namen „Rekord“
trägt, in den vergangenen Jahren sogar
von einer Art „Arme-Leute-Ware“ zum
Lifestyle-Produkt entwickelt hat. Borg-
mann ist der Marketingleiter; er ist als ge-
bürtiger Westdeutscher in die Lausitz ge-
kommen. Es gefalle ihm im Osten, sagt er.
Aber leben, das gehe besser in Berlin. Auch
einen neuen Job wird man dort wohl
schneller finden.
Borgmann berichtet, dass in der Haupt-
stadt Kaminöfen im Trend lägen. Die Leu-
te wollten es zu Hause gemütlich haben,
Feuer sehen. Alte Kachelöfen werden um-
gerüstetundmiteinerschönenGlastürver-
sehen.ImBaumarktgibtesdasSixpackda-
zu: Rekordkohle aus Schwarze Pumpe. Es
sei schon ein Treppenwitz der Geschichte,
sagtBorgmann,dassdieostdeutsche„Lau-
sitzerRekord“30 JahrenachdemEndeder
DDRvoralleminWestdeutschlandmoder-
ne Kamine in gediegenem Ambiente heize.
Nur:Wenn2038dieKraftwerke abgeschal-
tet werden, wird es sie nicht mehr geben.

Die Briketts der Marke Rekord haben ei-
ne lange Tradition. Sie sind wie Werksleiter
Sieling Überlebende der Wendewirren und
Zeitzeugen des Wandels, der 1989 begann.
ManmussdieGeschichtekennen,umerfas-
senzukönnen,wasdieKohle,diefürKlima-
aktivisten der Klimakiller Nummer eins ist,
für die Menschen in der Lausitz bedeutet.
Schwarze Pumpe, das war lange nur ei-
ne Siedlung zwischen den Städten Hoyers-
werda und Cottbus. Die Legende besagt,

dass die Bewohner im Schwedenkrieg die
Wasserpumpen schwarz strichen, um die
feindlichenSoldatenfernzuhalten. Schwar-
ze Pumpen bedeuteten: Pest. Dann musste
die DDR aufgebaut werden, und der Ort
wurde zum Symbol der ostdeutschen In-
dustrie.
Kohle wurde zum Lebensinhalt. Bis zu
40000 Menschen arbeiteten in einem
mehr als tausend Fußballfelder großen In-
dustrieareal mit Tagebauen, Kraftwerken,
Kokereien, Gasspeichern. Sie radelten un-
ter backsteinernen Industriebauten, rat-
terndenKohleförderbändernund zischen-
denGasleitungendurchundaßenihrePau-
senbrote in der staubigen Luft. Sie spielten
Fußball und Skat, gingen zum Arzt in die
Poliklinik und gründeten Familien.
Sie lebten für und von der Kohle.
Schwarze Pumpe, das waren Koks,
Strom,Briketts,Stadtgas–aberauchFami-
lien, Freunde und Heimat. Im Ruhrpott
des Ostens war man stolz darauf, dass das
LandvonderEnergieausSchwarzePumpe
lebte: „Niest Schwarze Pumpe, kriegt die
Republik einen Schnupfen.“
Es gibt einen Film, der diese Zeit ein-
fängt, „Spur der Steine“ aus dem Jahre
1966, in dem der junge Manfred Krug mit
seiner Zimmermannsbrigade in die sozia-
listische Großbaustelle Schkona einfällt
und sich daran macht, recht unkonventio-
nell den Sozialismus mitbauen zu wollen.

1989, als die Mauer fällt, ist von dem
Stolz nicht mehr viel zu spüren. Aber noch
ist Schwarze Pumpe Heimat. Die Verände-
rungen kommen schnell. Sieling erinnert
sich, dass die Arbeiter in Brigaden einrü-
cken mussten, um ihre Kündigungen ent-
gegenzunehmen. „Ein langer Tisch, man
ging hin, unterschreiben, fertig“. Die Alten
gingen zuerst, die Jungen später. Die alten
Kraftwerke wurden geschlossen, was, ne-
benbei bemerkt, dazu beitrug, dass die
Emissionen der Bundesrepublik drastisch
sanken. Dann wurden die Kokerei und die
Gasreaktoren abgerissen.
Einsthatte SchwarzePumpedreiViertel
der DDR mit Stadtgas versorgt, in jedem
HaushaltbranntedieFlammeausderLau-
sitz. Plötzlich war alles vorbei. Die frühere
Treuhand-Chefin Birgit Breuel, zuständig
für die Abwicklung der DDR-Wirtschaft,
sagte jetzt in einem Interview der FAS, sie
habegemeinsammitderBundesregierung
„dieStrategiederindustriellenKerne“ent-
wickelt“. In Schwarze Pumpe gaben sich
dieInvestorendieKlinkeindieHand:West-
deutsche, Schweden, Tschechen.
Die Treuhand-Strategie trug dazu bei,
dass in der Lausitz Zehntausende Lebens-
läufe unterbrochen wurden, wie in ganz
Ostdeutschland. Achtzig Prozent der Ost-
deutschen verloren in den Neunzigerjah-
ren den Job zeitweilig oder für immer. 80
Prozent des Betriebseigentums der DDR
wurde bis 1994 an Westdeutsche verkauft,
14ProzentanAusländerundnursechsPro-
zent an Ostdeutsche. Der Umbruch im Os-
ten – er war gewaltig, er traf jeden. Breuel
sagt, „in Westdeutschland wäre es nicht
möglich gewesen, den Leuten eine Verän-
derung dieses Ausmaßes zuzumuten“.
DerOsten rücktnun wieder inskollekti-
ve Bewusstsein der Bundesrepublik. Wie
riesige Ausrufezeichen stehen die kom-
mendenWahlsonntageimKalender.Bran-

denburg:1.September.Sachsen:1.Septem-
ber. Thüringen: 27. Oktober. Anfang des
Jahres kündigten der Linke Bodo Rame-
low, Ministerpräsident Thüringens und
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbau-
erfastgleichzeitigan,sichderUngerechtig-
keiten aus dem Einigungsvertrag anneh-
men zu wollen. Ein Finanztopf soll aufge-
setzt werden, ein Härtefall-Fonds für die
vergessenenRentner,Verwitweten undGe-
schiedenen der DDR. Geld soll die Unge-
rechtigkeiten von damals ausgleichen.
Wenn es schon keine blühenden Land-
schaften gab, dann zumindestdreißig Jah-
re später glückliche Rentner.

Was bedeuten die Versprechen für die
Beschäftigten im Industriepark Schwarze
Pumpe, der genau an der Grenze zwischen
SachsenundBrandenburgliegt?DieErgeb-
nisse der Europawahl sind alarmierend. In
SüdbrandenburghatdieAfDzweistelligzu-
gelegt, auf bis zu 30 Prozent. Und die Grü-
nen? Sind meist einstellig. Auf der sächsi-
schen Seite sieht es genauso aus. Es
scheint, als wäre es höchste Zeit, dass die
Klimaaktivisten um Greta Thunberg und
Luisa Neubauer sich in die Lausitz aufma-
chen, um mit den Menschen zu reden, die
noch dageblieben sind.
Sachsen und Brandenburg haben etwa
eine Million Einwohner verloren seit den
1990er-Jahren.HeutekannSchwarzePum-
pe die Grippe haben, ohne dass es jemand
in der Republik mitkriegt.
Außer jetzt, so kurz vor den Wahlen. Die
Koalition hat versprochen, viele Millionen
Euro in die ehemaligen Kohlereviere zu
pumpen, damit Neues entstehen kann.
Herr Sieling, was könnte das sein? Der
Produktionschef will nicht darüber reden.
Was soll er auch sagen? Damals, vor drei-
ßig Jahren, gab es das Versprechen, dass
man den Wandel schaffen kann. Manhatte
sich angestrengt, Investoren gesucht,
selbst kleine Firmen gegründet. Aber die
meisten hängen eben doch von der Kohle
ab.Wie die Brikettfabrik Schwarze Pumpe.
Oder die größte Staubmahlanlage der
Welt: Kohlestaub wird für Asphalt benö-
tigt.Ein kohlenstoffarmes Kohlekraftwerk
gibt es auch. Und viele Zulieferer und
Dienstleister. Das Problem ist nur: Wenn
die Kohle nicht mehr in großem Stil abge-
baggert und verbrannt wird, müssen auch
die kleinen Firmen schließen. Was soll
dann kommen, fragt Sieling.
Als Olaf Scholz im März 2018 Bundesfi-
nanzministerwurde,fuhr derSozialdemo-
krat gleich in die Lausitz. Der „Struktur-
wandel“ soll „ausfinanziert“ werden, sagte
er. Auch wenn die Energiepolitik in Berlin
gemacht werde: „Wir wollen hier keinen
Strukturbruch wie nach 1990 erleben.“
Konkrete Zusagen machte Scholz nicht.
Er weiß, dass der geplante Kohleausstieg
viele Milliarden Euro kosten wird. Um in
den betroffenen Regionen wie der Lausitz
mitzuhelfen, neue Unternehmen anzusie-
deln. Und auch, um Entschädigungen für
Kraftwerksbetreiber zu zahlen und höhere
Strompreise auszugleichen. Scholz will bis
2023 insgesamt 2,5 Milliarden Euro zur
Verfügung stellen. So weit reicht die Fi-
nanzplanung der Bundesregierung. Wie
das mit dem „Ausfinanzieren“ bis 2038
klappen soll, ist offen.
Jetzt wird eh erst einmal gewählt.

Es gab Zeiten, da arbeiteten an die 40000 Menschen in
diesem mehrals tausend Fußballfelder großen Industrie-
areal. Und es gab alles hier: Tagebau, Kraftwerke, Kokerei-
en, Gasspeicher.FOTOS: REGINA SCHMEKEN

32 WIRTSCHAFT REPORT Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019, Nr. 172DEFGH


Die Strategie trug dazu bei, dass
in der Lausitz Zehntausende
Lebensläufe unterbrochen wurden

Ein einsames Fahrrad im früheren Energiekombinat Schwarze Pumpe: Noch wird im Braunkohle-Veredlungsbetrieb der Lausitzer Energie Bergbau AG gearbeitet – doch schon in einigen Jahren ist Schluss damit. FOTO: REGINA SCHMEKEN

Lausitz

Ende Gelände


Im Osten der Lausitz stand einst das


größte Energiekombinat der DDR. Den Fall der


Mauer hat es nicht überlebt. Heute gibt es immerhin


noch einen echten Exportschlager –


zumindest bis 2038. Und dann?


von cerstin gammelin


Wie kann man Kohle


veredeln,wenn sie eigentlich


doch der Klimafeind sein soll?


Schwarze Pumpe, das war
lange nur eine Siedlung zwischen
Hoyerswerda und Cottbus

Der geplante Kohleausstieg wird
viele Milliarden Euro kosten, um
neue Unternehmen anzusiedeln
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