Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1

HELL’S KITCHEN (XXVIII)


LandlebenMeineOma hatte einen riesi-
genGarten–daswarmeinPrinzessinnen-
garten. Ich habe mir immer ein schönes
Chiffonnachthemd von meiner Mama
ausgeliehen und kam mir wie eine Prin-
zessinvor,wenn ich durchdie Bäumeund
Büsche gehuscht bin. So bin ich aufge-
wachsen,dieLiebezurNaturhatmichim-
merbegleitet. Darumhabe ich mirwieder
ein Zuhause gesucht, das wirklich total
am Arsch der Welt liegt, eine Stunde von
MünchenentferntaufdemLand,mitgro-
ßem Garten. Ich mag München, ich mag
auch Berlin. Aber ich möchte dort nicht
wohnen. Ich bin für den Beruf viel unter-
wegs, bald wieder auf Kinotour. Da ist es

mir wichtig heimzukommen und meine
Ruhe zu haben. Mein Garten erdet mich.
UnkrautzupfenoderRosenzurückschnei-
den,das istfür mich wie Urlaub.Wennich
mir vorstelle, ich würde dann nach Mün-
chen kommen und hätte tausend Nach-
barn drum herum – das wäre nichts für
mich. Ich könnte mir auch nicht vorstel-
len, Bayern zu verlassen, da hätte ich
schon sehr Heimweh. Was ich mir viel-
leicht noch vorstellen kann, wäre ein Le-
ben weiter südlich. Aber das wäre eine
rein klimatische Entscheidung, weil wir
hier so lange Winter haben. Aber warum
sollte man weggehen aus Bayern? Das
ergibt doch überhaupt keinen Sinn.

RATTELSCHNECK


InspirationMeinenMann Robert habe
ich kennengelernt, als ich in Landshut
im Lokal einer Freundin beim Kellnern
ausgeholfen habe. Gegenüber war die
Polizeistation,RoberthatmitseinenKol-
legen öfter noch ein Feierabendbier ge-
trunken, so kam das. Das Foto stammt
von unserer Hochzeit 1997. Seine Kolle-
gen standen vorm Standesamt Spalier,
danach haben sie uns Handschellen an-
gelegt und die Schlüssel weggeschmis-
sen. Ich fand es damals schon cool, ei-
nen Polizisten zum Mann zu haben.
Dass das später so viel mit meinem Be-
ruf zu tun haben würde, konnte ich da
noch nicht ahnen. Für Robert war es im-
merin Ordnung, dass ich die Inspiration
für meine Krimis aus seinen Erzählun-
gen von der Arbeit nehme. Bald er-
scheint schon der zehnte Band. Ich habe
auchregelmäßigKontaktzurMünchner
Polizei. Die sagen zu mir: Wenn dir mal
die Ideen ausgehen, einfach anrufen,
wir füttern dich.

von christian zaschk e

Ein Leben in Hell s Kitchen wäre unvor-
stellbar ohnedas „West Side Home
Center“. Der Laden ist nur so groß wie
eine Eckkneipe, aber er beherbergt
sämtliche nicht essbaren Produkte der
Welt. Wann immer ich feststelle, dass
in meiner bescheidenen Bleibe im
17.Stockwerk eines ehemaligen Schwes-
ternwohnheims oder in meinem Leben
etwas fehlt, schlendere ich die 9th Ave-
nue hinauf bis zur 52nd Street und
schreite durch die offenstehende Tür.
Anfangs fragte ich noch höflich, ob sie
Dosenöffner, italienische Kaffeema-
schinen, Neonröhren, Grillkohle, Blu-
menerde, Schubladengriffe, Aufnahme-
geräte, Regenschirme, Akkuschrauber,
Wassergläser, Notizbücher, Adapter,
Unterlegscheiben, Tischventilatoren
oder Weinregale hätten. Heute frage
ich nur noch, wo die Sachen stehen.


Ich habe lange darüber nachge-
dacht, ob ich in einem Laden, der alles
hat, eine größere Bedeutung erkennen
müsste. Ob es vielleicht ein Ort ist, an
dem die Meridiane zusammenlaufen,
so wie im Rudy s, einer exzellenten
Schrottbar hier in der Gegend. Das
West Side Home Center wird von einer
iranischen Einwandererfamilie betrie-
ben, deren ältere Mitglieder hinter den
beiden Verkaufstresen herumlungern,
während die jüngeren immer neuen
Kram in die Regale räumen. Bleistift-
spitzer. Schubladenauslagepapier.
Incredibly Strong Gorilla 100 % Tough
Super Glue. Brillenputztücher.
Zugegeben, ich gehe auch ins West
Side Home Center, wenn ich nicht fest-
gestellt habe, dass etwas fehlt. Dann
quetsche ich meinen fülligen Leib
durch die Gänge, blicke prüfend auf
Moskitonetze, vergleiche Wandfarben
und bringe ein wenig Ordnung ins
Zahnstochersortiment. Ich tue das,
weil ich weiß, dass ich die Dinge hier
ebenso finde, wie sie mich finden: Spül-
maschinenpulver (keine Tabs), grasfar-
bene Teppichstücke (ist eine längere
Geschichte), Rückenkratzer, die Ant-
wort auf die Frage, ob erst der Tee in
die Tasse kommt oder erst die Milch.
In dieser Woche ließ ich mir im West
Side Home Center neue Schlüssel ma-
chen, weil meine Schlüssel die Neigung
haben, sich im Schloss zu verbiegen
wie Knete. Der Schlüsselmacher trug
ein Trikot von Borussia Dortmund.
„Deutscher Klub“, sagte ich. Er ignorier-
te mich und schliff den ersten Schlüs-
sel. „Ich komme aus Deutschland“,
sagte ich. Er tat so, als hätte er nichts
gehört. Ob ich vielleicht, fragte ich in
vornehmsten Englisch, hier in Hell s
Kitchen auf einen iranischstämmigen
Anhänger des Ballspielvereins Borus-
sia 09 e.V. aus Dortmund getroffen sei?
Er hielt inne und blickte auf. „Schlüs-
sel alle Schlösser?“, fragte er. Ich sah
auf den halb fertigen Schlüssel. Ich sah
die Reisebügeleisen auf den Regalen.
Ich sah die Kühlschrankmagneten
neben der Kasse, die Klebepistolen. Ich
sah die grünen Gießkannen, die Hand-
staubsauger, und ich sagte, obwohl ich
keine Ahnung hatte, was es bedeutete:
„Ja. Schlüssel bitte alle Schlösser.“


Home Center


TierliebeHundehabe ich schon immer
gehabt. Aber das mit den Eseln war
noch mal eine ganz andere Geschichte.
Wir haben Bekannte, die Esel und Pfer-
de haben. Und immer, wenn wir bei de-
nen zu Besuch waren, saß mein Mann
am Kaffeetisch, und ich stand im Esel-
stall.Irgendwannhater dannzu mirge-
sagt: „Wahnsinn, du bist immer so ent-
spannt, wenn du bei den Eseln warst.
Als wärst du im Kurzurlaub gewesen.“
Da habe ich gemerkt, dass mir die Tiere
guttun. Die haben wirklich was total
Entspannendes. Dann haben wir be-
schlossen, uns selber zwei Esel anzu-
schaffen, Bobby und Benny. Irgendwie
sind dann noch Ponys dazugekommen.
Wenn ich auf die Koppel runtergehe
und mich einfach so zu ihnen stelle,
kommensiezumir,undihreEntspannt-
heit überträgt sich auf mich. Das mache
ich meistens in meiner Schreibpause,
nach sechs, sieben Stunden. Vor allem
ist den Tieren auch völlig wurscht, wer
ich bin, die sind grundehrlich – nicht
nur nett zu mir, weil ich eine Bestseller-
autorin bin. Das tut mir gut. Ich habe ja
nie vorgehabt, Schriftstellerin zu wer-
den. Ich war Bürokauffrau und bin ar-
beitslosgeworden,dahabeichbeschlos-
sen, mal etwas Längeres zu schreiben.
Ichhabedaserstgarnichternstgenom-
men, es war nur als Überbrückung bis
zum nächsten Job gedacht.

Dreharbeiten Für dieVerfilmung der
Eberhofer-Krimis haben wir mit dem Re-
gisseur rund um Landshut nach einem
Drehort gesucht. Die wollten wissen, wie
ichmirsoeinniederbayerischesDorfvor-
stelle. Das Dorf in den Büchern, Niedern-
kaltenkirchen, ist karg: keine Geranien
am Fenster, keine Lüftlmalereien, keine
geschnitzten Balkone. Nicht so viel Chichi
wieinOberbayern,Niederbayernistdaan-
ders. In Frontenhausen, dem echten Nie-
dernkaltenkirchen, bin ich immer ein
paar Tage am Set, so auch bei „Leberkäs-
junkie“, der nun ins Kino kommt. Ich be-
komme oft eine Statistenrolle, mit Perü-
cke,damitmanmichnichtsoforterkennt.

Farbenfreundin Ich male bestimmt
schon seit 20 Jahren, immer wieder mit
Unterbrechungen. Vor anderthalb Jahren
hat mir mein Agent eine dreimonatige
Schreibpause verordnet.Nachdrei Tagen
ist mir langweilig geworden. Ich kann
ganzschlechtentspannen,nacheinerhal-
ben Stunde Sitzen oder Liegen muss ich
wieder aufstehen. Also habe ich wieder
das Malen angefangen. Als ich ein Inter-
view hatte, lagen die Bilder zum Trock-
nen auf dem Tisch. Der Fotograf fragte
ganz interessiert, von wem denn die Bil-
der seien. Als ich sagte, die sind von mir,
istertotalausgeflippt.SokameszurAus-
stellung in einer Bank in München.

FamilienbandeVor Kurzem war ich mit
meinem Mann und meinen zwei Söhnen
in Amsterdam. Zusammen sind wir da
über einen Zebrastreifen gegangen, so
wie dieBeatlesin London. Mein Sohn Da-
niel ist gerade 28 geworden, Patrick wird


  1. Wir machen viel mit den Kindern, das
    ist immer ganz harmonisch. Die Familie
    ist für mich die Basis von allem. Nach
    dem Urlaub in Amsterdam gab es wieder
    einen tränenreichen Abschied – Patrick
    macht gerade seinen Master in den USA
    und ist ein paar Tage später zurückgeflo-
    gen. Das ist immer furchtbar. Ich weiß
    dann, dass ich ihn erst Weihnachten wie-
    der für ein paar Tage zurückkriege.


Felder, so weit das Auge reicht, und dann dieser herrliche Duft von frisch gemähter Wiese und Kühen.


Allein dieFahrt eine Stunde raus von München nach Denklingen zuRita Falk, 55, ist wie Urlaub.


Am Gartenzaun begrüßen einen drei Hunde und eine sichtlich entspannte Bestsellerautorin. Und wer


die Eberhofer-Krimis nicht kennt, der glaubt es ihr spätestens jetzt: Die Provinz ist etwas Großartiges


proto koll e: la ur a krzikalla

In diesem Laden
findeich die Dinge ebenso,
wie sie mich finden

KindertageDas binich mit meiner Oma
in ihrem Garten in Oberammergau. Die
ersten sieben, acht Jahre meines Lebens
bin ich bei ihr aufgewachsen. Meine Oma
war damals meine wichtigste Bezugsper-
son. Sie ist Witwe geworden, als ich an-
derthalb Jahre alt war. Es gab also plötz-
licheineLücke inihremLeben,dieichge-
füllt habe. Meine Eltern habe ich nur am
Wochenende gesehen. Mein Vater hat da-
mals in München studiert, meine Mutter
war berufstätig. Da hat es sich einfach er-
geben,dassichmitmeinerOmasozusam-
mengewachsenbin. Das ersteJahrbin ich
inOberammergauauch zurSchulegegan-
gen, dann hat mein Vater seinen ersten
Job bekommen und wir sind nach Mün-
chengezogen.Bisdahinwaricheinfröhli-
ches, unbeschwertes Kind. Der Umzug
war damals ganz schlimm für mich, ich
bin richtig entwurzelt worden. Man muss
sich das mal vorstellen: Von diesem gro-
ßen Anwesen auf dem Land in eine Drei-
zimmerwohnungimachtenStockinMün-
chen-Laim. Es war die Hölle! Mir hat die
Freiheit so gefehlt, schon morgens im
Nachthemd über die Wiese zu laufen. Na-
türlichhabeichauchmeineOmatotalver-
misst. Sie war eine sehr resolute Frau und
hat sehr gut gekocht. Diese Leidenschaft
habeichvonihrübernommen,ihrbayeri-
sches Gulasch koche ich heute noch ge-
nauso wie sie damals. Sie ist der Eber-
hofer-Oma, einer meiner Romanfiguren,
sehr ähnlich, denn sie war auch so eine
Schnäppchenjägerin. Nach einem Jahr in
München sind wir wieder umgezogen,
nach Landshut, und haben Gott sei Dank
ein Haus mit Garten gehabt. Landshut
wurde zu meiner zweiten Heimat. Es war
viel besser als München, aber immer
FOTOS: IMAGO, PRIVAT (6) noch nicht Oberammergau.

FOTOALBUM


50 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019, Nr. 172DEFGH

Free download pdf