Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1
München– Eskönnte eine gute Nachricht
aus den Pflegeheimen sein, wo oft nur von
Personalmangel, Unterfinanzierung und
unwürdigenZuständendieRedeist:Seitei-
nigenMonatengibtesindenstrafforgani-
sierten Einrichtungen Mitarbeiter, die
sich Zeit nehmen, um mit den Bewohnern
zu reden. Sie hören ihnen zu, eine Stunde
oder noch länger, fragen nach ihren Wün-
schen. Und bezahlt wird diese Zuwendung
von der Krankenkasse. „Gesundheitliche
Versorgungsplanung“ heißt diese Leis-
tung, die manche Experten allerdings zu-
nehmend kritisch sehen. Und zwar nicht
nur wegen des Themas, um das es geht:
Wie stellen sich die Bewohner ihr Lebens-
ende vor, wie wollen sie sterben?
Wenige Monate, nachdem die Versor-
gungsplanungindeutschenHeimeneinge-
führt wurde, stellt sich heraus, dass diese
heiklenGesprächenichtimmermitdernö-
tigenSensibilität geführtwerden. DieDort-
munder Pflegewissenschaftlerin Angelika
Zegelin berichtet von Vorfällen, wo Heim-
bewohnerschonbeiihremEinzugnach ih-
renSterbewünschengefragt wurden.Pfle-
geschüler und Mitarbeiter von Heimen er-
zählen, dass mancherorts die Gespräche
an externe Dienstleister ausgelagert wor-
den seien. Wildfremde Menschen suchten
dieEinrichtungenauf, ummitdenBewoh-
nern,diesievorher niegesehenhaben,dar-
über zu sprechen, welche lebensverlän-
gernden Maßnahmen sie im Ernstfall be-
fürworten und was sie ablehnen. Die Neu-
eingezogenen bekämen dadurch den Ein-
druck vermittelt, „dass ihr baldiges Able-
ben gewünscht wird“, sagt die Pflegewis-
senschaftlerin Zegelin.
Rechtliche Grundlage für die Gesprä-
cheist der Paragraf 132g des Fünften Sozi-
algesetzbuchs.Erbeschreibt,wassichhin-
terdemsperrigenBegriffdergesundheitli-
chenVersorgungsplanungverbirgt:DieBe-
wohner eines Heims sollten „über die me-
dizinisch-pflegerischeVersorgungundBe-
treuung in der letzten Lebensphase“ bera-
ten werden und „Hilfen und Angebote der

Sterbebegleitung aufgezeigt“ bekommen.
Essolle„nachdenindividuellenBedürfnis-
sendesVersicherteninsbesondereaufme-
dizinische Abläufe in der letzten Lebens-
phase und während des Sterbeprozesses
eingegangen“werden.SeitAnfangdesJah-
res rechnen Heime die Gespräche bei den
Krankenkassen ab.
Hinter dem Gesetz steht eine Überle-
gung, die viele in der Pflege für sinnvoll
halten: Heimbewohner sollen, möglichst
imVollbesitzihrerkörperlichenundgeisti-
genKräfte,festlegen,wiesiesichihrweite-
res Leben vorstellen. Nicht der Heimleiter
oder ein Intensivmediziner entscheiden,
welche Apparate wann eingeschaltet, wel-
che Eingriffe vorgenommen werden, son-
dern die betroffenen Menschen selbst. Die
Patientenverfügung, das hat die Erfah-
rung gezeigt, reicht meist nicht aus, um
Menschen vor medizinischen Eingriffen

zu schützen, die sie eigentlich nicht wol-
len. In den Gesprächen zur gesundheitli-
chenVersorgungsplanungwirddieEinstel-
lungzumLeben,LeidenundSterbenabge-
fragt. Konkrete Szenarien kommen zur
Sprache,medizinischeNotfällewieSchlag-
anfall,welcheArtderBehandlungdieMen-
schen wünschen, wenn sie selbst nicht

mehr in der Lage sind, ihren Willen zu äu-
ßern. Die Ergebnisse werden festgehalten
und geben ein wesentlich differenzierte-
res Bild vom Willen eines Menschen als
standardmäßige Patientenverfügungen.
So jedenfalls die Hoffnung von Befür-
wortern der Gespräche. Für den Meerbu-

scherHausarztundPalliativmedizinerJür-
gen in der Schmitten etwa bedeuten sie ei-
ne kleine Revolution, weil damit endlich
dieAutonomiederPatientenindenVorder-
grund rücke. Die gängige Patientenverfü-
gung beziehe sich nur auf Situationen, in
denen der Tod ohnehin unausweichlich
sei – „das ist eigentlich ein Witz“. Mit der
Versorgungsplanung werde nun eine Ent-
scheidungsfreiheit eingeräumt, „die sich
nichtnurauftodesnaheBehandlungenbe-
schränkt“, findet in der Schmitten.
Deutschlandweit werden seit kurzem
Kurse angeboten. Sie sollen Interessenten
aufdie GesprächeindenHeimenvorberei-
ten. Das Problem: Weder der Gesetzgeber
noch die Krankenkassen haben Auflagen
gemacht, wer solche Kurse geben darf. Sie
laufen nun an den Akademien von Sozial-
verbänden wie Diakonieoder Caritas, aber
auch Bestattungsunternehmen sollen
schon in diese Marktlücke gestoßen sein.
„Da gibt es einen ziemlichen Wild-
wuchs“,beklagtderGöttingerPalliativme-
dizinerFriedemannNauck, dermit Jürgen
inder Schmitten einKonzept für einequa-
lifizierte Gesprächsbegleitung erarbeitet
hat und selbst ausbildet für diesen neuen
Beruf, „der eine Riesenverantwortung be-
deutet“. Pflegewissenschaftlerin Zegelin
fürchtet, dasssich nichtalledieser Verant-
wortung bewusst sind. Ein Taxifahrer aus
ihrem Bekanntenkreis, der vor langer Zeit
als Pfleger ausgebildet wurde, aber nie in
dem Beruf arbeitete, habe ihr kürzlich er-
zählt, dass er einen Kurs absolviert habe,
um Gespräche zur Versorgungsplanung
zu führen. „Er sagte, dass er die 1600 Euro
Kursgebühr schon reingeholt hat. Das ist
für ihn leicht verdientes Geld, mit dem Ta-
xifahren will er bald aufhören.“
Zegelin kritisiert, dass diese Gespräche
nicht selten mit Menschen geführt wür-
den, die gerade ins Heim eingezogen sind.
„Für die meisten ist das eine Phase, in der
sie sehr verletzlich sind.“ Sie empfänden
den Umzug häufig als Katastrophe. Natür-
lich gebe es auch beispielhafte Heime,

doch allzu oft kümmere sich niemand um
die Leute, ihre Biografie sei den Mitarbei-
tern unbekannt, nur ab und an würden sie
routinehaft bespaßt. „Und plötzlich
kommt einer um die Ecke und spricht mit
ihnen, eine Stunde lang – und da geht es
ums Sterben.“ Das sei nicht gerade ein er-
bauliches Signal an die alten Menschen.
Der wissenschaftliche Beirat des Deut-
schen Hospiz- und Palliativ-Verbands be-
mängelt,dasssichdieGesprächeaufmedi-
zinische Behandlungsfragen beschränk-
ten. Sterben werde so „zu einem medizini-
schen Planungsvorgang“, und es gerieten
„dominant medizinische Interventionen
in den Fokus“. Darin drücke sich vor allem
der „Wunsch der Träger nach größerer
Rechtssicherheit in der Alltagspraxis der
Heime“aus.EineFörderungderPatienten-
autonomie sieht der Beirat nicht. Die Pla-
nungsgespräche seien eher Ausdruck ei-
neraufSelbstoptimierunggetrimmtenGe-
sellschaft. „Der Imperativ der Autonomie
lautet:DumusstdeinLebenselbstbestim-
men, und natürlich auch dein Sterben.“
Die Pflege-Expertin Zegelin bezweifelt
zudem, dass ein einziges Gespräch reicht.
DerWilleeinesMenschenänderesichstän-
dig, die Einstellung zum Leben auch. Es
sei unmöglich vorherzusagen, welche
Schmerzen man aushalten wolle, und
wannmanesbevorzuge,Medikamenteab-
zusetzen und Apparate auszuschalten. Ih-
re Beobachtung: „Unter sehr reduzierten
Bedingungen kommt Vielen das Leben auf
einmal sehr lebenswert vor.“
Der Palliativmediziner Nauck kann die
Einwände nachvollziehen. Er verweist
aber auch auf die Missstände der Gegen-
wart: Noch immer verbrächten viele Men-
schen ihre letzten Tage auf Intensivstatio-
nen in den Krankenhäusern und müssten
sinnlose Behandlungen über sich ergehen
lassen. Das sei inhuman und teuer. Nauck
sagt, er würde das Geld lieber in der Pflege
einsetzen – nicht zuletzt, um den Men-
schen wieder einen menschenwürdigen
Tod zu ermöglichen. rainer st adler

Berlin– Der Bundestag hat eine Norm-
größe von 598 Abgeordneten, derzeit
sindesaber709 –undessindWahlergeb-
nisse denkbar, bei denen die Zahl auf
mehr als 800 steigen würde. Seit Jahren
wird dieser Missstand beklagt, doch bis-
herhabensichdieFraktionen nichtaufei-
ne Verkleinerung verständigen können.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäub-
le (CDU) hat das gerade wieder auf seine
Weise beklagt. In der Sondersitzung zur
Vereidigung der neuen Verteidigungsmi-
nisterinim Paul-Löbe-Haus–dereigent-
liche Plenarsaal wird gerade renoviert –
sagte er: „Als Paul Löbe Alterspräsident
des ersten Bundestages war, hatte unser
Parlament noch 410 Abgeordnete.“ Das
sei „mit Blick auf die immer dringlichere
WahlrechtsreformandiesemOrt eine Er-
wähnungwert“.DaraufhinklatschtenAb-
geordnete allerFraktionen.DerbreiteAp-
plaus dürfte aber vor allem Ausdruck
schlechten Gewissens gewesen sein.
Denn eine Reform, die zu einer deutli-
chen Verkleinerung des Bundestags
führt, würde zu Lasten aller Fraktionen
gehen. Sie müssten sich selbst beschnei-
den – doch das tun sie bisher nicht. „Das
isteinklassischesDilemma“,hatSchäub-
le bereits vor einem Jahr eingestanden.
Abermankönne„deshalbjanichtdenRe-
volvernehmenundsicherschießen“,sag-
te Schäuble damals. Er habe jedenfalls
„nicht die Absicht zu kapitulieren“. Der
Bundestag müsse „erkennen, dass seine
Akzeptanz in der Öffentlichkeit Schaden
nimmt, wenn er nichts ändert“.
Doch bisher hat der Bundestag noch
nichts geändert. Im April musste eine
Wahlrechts-Arbeitsgruppe aus Vertre-
tern aller Fraktionen ihr Scheitern einge-
stehen. Seitdem werfen sich die Fraktio-
nen gegenseitig die Schuld daran vor. Die
Union wehre sich gegen eine Reduzie-
rung der Zahl der Wahlkreise, klagen Op-
position und SPD. Im Gegenzug moniert
die Union, dass Opposition und Sozialde-
mokraten eine Begrenzung der Aus-
gleichsmandate ablehnen.


BundestagsvizepräsidentThomasOp-
permann(SPD)hatdeshalbamFreitagei-
ne Lösung unter Ausschluss der Union
insSpiel gebracht. SeineParteibasis habe
die SPD-Fraktion aufgerufen, einen neu-
en Anlauf zu unternehmen und dabei
auchmitGrünen, FDPundLinken zuver-
handeln,wenndieUnionsichweiterquer-
stelle,sagteOppermanndemRedaktions-
netzwerkDeutschland.Erhoffe,dasssei-
ne Fraktion „das tun wird“. Aus Sicht der
UnionistdaseineDrohungmitdemKoali-
tionsbruch.SchließlichhatmanimKoali-
tionsvertrag vereinbart, nur „gemein-
samoder,imAusnahmefall,imgegensei-
tigen Einvernehmen“ zu agieren. Und so
verurteilten Vertreter der Unionsfraktion
den Oppermann-Vorstoß umgehend als
„Provokation“. robert roßmann


Frankfurt– Die Behörden prüfen, ob der
wegenVerdachtsdesMordesamnordhes-
sischen Regierungspräsidenten Walter
Lübcke inhaftierte Stephan E. 2016 einen
irakischen Asylbewerber in der Nähe von
Kassel niedergestochen hat. Das Haus
von E. am Stadtrand von Kassel wurde
durchsucht, potenzielle Beweismittel
wurdensichergestellt,teiltedieStaatsan-
waltschaft Kassel mit. Details wurden
nicht genannt, allerdings dürfte es sich
bei der Suche um Kleidungsstücke und
Gegenständehandeln,diebeiderAttacke
womöglich verwendet wurden.
Der Iraker war am 6. Januar 2016 nahe
der damaligen Erstaufnahmestelle in
LohfeldenmiteinemMesserniedergesto-
chen worden und an der Schulter verletzt
worden. Der Täterentkam unerkanntauf
einem Fahrrad, die Staatsanwaltschaft
Kassel ermittelt seither wegen versuch-
ter Tötung.
Obsich nachmehrals dreiJahrennoch
Utensilien bei Stephan E. finden, die ei-
nen klaren Bezug zu derStraftat ergeben,
gilt als zweifelhaft. Die Staatsanwalt-
schaft Kassel hegt ihren Anfangsver-
dachtwohlauchdeshalb,weilE.biszusei-
ner Verhaftung im Juni im Osten Kassels
lebte,naheLohfelden.StephanE.,derfrü-
her in der rechtsextremen Szene aktiv
war, soll auch 2015 bei der Bürgerver-
sammlung in Lohfelden gewesen sein, in
derLübckefürdieRechtevon Asylbewer-
bern eintrat und den viel zitierten Satz
sagte, wer die Werte der Demokratie
nicht vertrete, „der kann jederzeit dieses
Landverlassen,wennernichteinverstan-
den ist“. E. hatte den Mord an Lübcke zu-
nächst gestanden, später diese Aussage
aber widerrufen. hö l


Thomas Oppermann (SPD) regt
eine Lösung ohne CDU an. FOTO:DPA

Die Pflegewissenschaftlerin
Zegelinbezweifelt, dass
ein einziges Gespräch reicht

von susanne kl ein

W

ir haben es geschafft!“, ju-
belte Dieter Lenzen, kaum
dass am Freitag vergange-
nerWocheinBonnverkün-
det worden war, welche
Hochschulen sich „Exzellenzuniversität“
nennen dürfen. Elfmal wurde der Titel
bundesweit vergeben, und Lenzens Hoch-
schule, die Universität Hamburg, war da-
bei, erstmals, endlich. „Unsere Universität
istnunauch,amtlich‘Spitzenklasse“,freu-
te sich der Universitätspräsident, der sich
lange darüber geärgert hatte, dass seine
Hochschule nicht den Ruf genoss, den sie
in seinen Augen verdiente.
AmtlichSpitzenklasse,dasklingtaußer-
halb der Wissenschaftsszene für viele so,
als ob die prämierten Hochschulen hoch-
offiziell rundum empfehlenswert seien.
Exzellente Unis eben, an denen man tun-
lichst studieren sollte. Doch stimmt das?
Sollten Studienbewerber sich anstrengen,
an eine Exzellenzuniversität zu kommen?

Dieter Imboden ist emeritierter Profes-
sor für Umweltphysik aus Zürich. Zwi-
schen 2014 und 2016 hat er im Auftrag der
Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz
von Bund und Ländern federführend das
Vorläuferprogramm „Exzellenzinitiative“
geprüft. Seine Kommission aus Wissen-
schaftlern besuchte zahlreiche Unis, prä-
mierte, nicht prämierte und solche, die es
gar nicht versucht hatten. Imboden sagt:
„Die Wirkkraft des Begriffs Exzellenzuni-
versität suggeriert, dass eine Uni komplett
exzellent ist. Aber das trifft vielleicht nur
auf einzelne Fachgebiete oder Projekte
zu.“ Diese Projekte, sogenannte Cluster, in
denen viele Wissenschaftler im Verbund
international wettbewerbsfähige For-
schungsfelder wie den Klimawandel be-
ackern, sind nämlich eine Vorbedingung
für den begehrten Titel. Nur Universitä-
ten, die im Herbst 2018 die Kommission
der „Exzellenzstrategie“ von mindestens
zwei Clustern überzeugen konnten, durf-
tensichüberhauptfürden Titelbewerben.
Jährlich 385 Millionen Euro pumpt der
großteils vom Bund bezahlte Wettbewerb
in diese Forschungsprojekte. Viel Geld,
aber im Gesamtbudget einer großen Uni
macht die jeweilige Förderung allenfalls
zwei Prozent aus. Der Großteil der For-
schungstätigkeit findet außerhalb der ge-
fördertenCluster statt.Siebringen der Uni
zwar viel Renommee, sagen über die übri-
ge Forschung aber wenig aus – und noch
weniger über die Qualität der Lehre.
Imboden warnt zwar davor, den primär
auf Forschung und nicht auf Lehre zielen-
den Wettbewerb als generelle Studien-
empfehlung misszuverstehen, hält diese
Gefahr aber gleichzeitig für gering. Seine
Kommission sprach damals auch mit vie-
lenStudierendenundstelltefest:Nichtein-
maldiejenigen,dietatsächlichaneinerEx-
zellenzuni studierten, waren dort wegen
des Titels. Inzwischen sei das Elitepro-
gramm etwas bekannter, für Studien-
anfänger bei der Uniwahl aber nach wie
vorkaumrelevant,sagtImboden.Vermut-

lich liegt er damitrichtig: Viele kaufen sich
zwar einen Studienführer und besuchen
Bewertungsangebote im Internet, doch
Studien zeigen, dass bei der Entscheidung
für eine Hochschule die Entfernung zum
HeimatortundeinpassendesStudienange-
bot eine weit größere Rolle spielen als der
Ruf der Uni oder ihr Platz in Rankings.
Trotzdem üben Studierende Kritik an
demProgramm.EsseiZeit,diesen„sinnlo-
sen Wettbewerb“ zu beenden, schrieben
die Studierendenvertreter von zehn Unis
vergangene Woche in einer Erklärung.
Von einem Zweiklassensystem ist die Re-
de, statt wenige Unis mit Projektgeldern
zubelohnen,dieStudierendennichtsnütz-
ten, solle man lieber alle ausreichend
grundfinanzieren. Unter der chronischen
Finanznot leide vor allem die Lehre, zu-
dem sei die in der Exzellenzstrategie nicht
mitberücksichtigt worden. „Ein fataler
Fehler“, rügen die Autoren, darunter Ver-
treter aus Hamburg.
Das will der dortige Universitätspräsi-
dent Lenzen so nicht stehen lassen. „Si-

cher, wir reden bei der Exzellenzstrategie
über Forschung, dafür ist sie ja da. Dazu
zähltaberauchdieDimensionforschungs-
orientierterLehre.Etwa,indemmanin Ex-
zellenzbereichen eine Überholspur für
sehr qualifizierte Studierende einrichtet,
die gleich nach dem Bachelor promovie-
ren.“ Die Auffassung, durch finanzstarke
Instrumente wie die Exzellenzstrategie
werde die Lehre benachteiligt, hält er für
falsch. Lenzen sagt: „Weil es keine For-
schunggibt,diesichnichtinderLehreaus-
wirkt. Wer nicht forscht, kann in der Lehre
nur reproduzieren, was er irgendwo gele-
sen hat.“
Karim Kuropka, Vorsitzender im Ham-
burger Asta, also dem Studierendenaus-
schuss, kontert: „Wenn Herr Lenzen sagt,
dass nur forschende Lehre gute Lehre sein
kann, unterschätzt er, dass die Studieren-
den zunächst die Grundlagen und Metho-
den lernen müssen.“ Nur auf dieser Basis
könne ja überhaupt Forschung betrieben
werden. „Man kann also das Ganze auch
umdrehen und sagen: Nur exzellente Leh-

re sorgt am Ende für exzellente For-
schung.“
Aber auch Kuropka erkennt an, dass
Unis, die sich exzellent nennen wollen,
nichtnurClusterhaben,sondernauchPro-
jekte für die gesamte Hochschule anschie-
ben müssen. Und dabei wird die Lehre in
gewissem Maße bedacht. 24 Vorhaben ha-

ben die Hamburger beantragt, um nach
gleich vier bewilligten Forschungsclus-
tern auch noch den krönenden Exzellenz-
titel zu ergattern. Mit bis zu 15 Millionen
EuroproJahrundUniistdasKrönchendo-
tiert. Damit will Hamburg unter anderem
elfProfessureneinrichten,etwazweifürei-
nenneuen Liberal-Arts-Studiengang nach
US-Vorbild. Diese Professoren, sagt Len-
zen, müssten immer auch in der Lehre tä-
tig sein.

Inka Spang-Grau leitet die Stabsstelle
beimWissenschaftsrat,derfürdieFörder-
linie Exzellenzuniversitäten verantwort-
lich ist. Was sagt sie zu der Frage, ob diese
besondersguteStudienortesind?DasVor-
läuferprogramm habe den Studierenden
tatsächlich kaum genutzt, sagt sie, aber
das sei jetzt anders. Im Fokus stehe zwar
die Forschung, aber wer international in
derTop-Ligamitspielenwolle,müsseinal-
len Aufgabenfeldern einer Uni herausra-
gen. Auch in der Lehre.
Spang-Grau lobt die vielen „kreativen
Ansätze“derUnis,etwainderinterdiszipli-
nären oder digitalen Lehre. Sie sagt aber
auch:„EinBewerbersolltesich eheranStu-
dienangeboten orientieren als an Exzel-
lenztiteln.“ Damit liegt sie auf der Linie
Lenzens: „Zuerst überlegen, was ist meine
fachlicheLeidenschaft.DannandieUnige-
hen, wo dieses Fach spitze ist“, rät der Uni-
versitätspräsident.„DasmusskeineExzel-
lenzuni sein.“ Eine kleine Hochschule, wo
vielleicht nur dieses eine Fach top ist, wäre
in dem Fall ebenso gut.

Weiterer Verdacht


gegen Stephan E.


Streit um Reform


des Wahlrechts


Verkleinerung des Bundestags
entzweit die Koalition

6 POLITIK HF2 Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019, Nr. 172DEFGH


München, Technische Universität, eine der deutschen „Exzellenzuniversitäten“: Die Vorlesung in diesem großen Hörsaal ist vielleicht exzellent. Vielleicht aber auch gar
nicht. Der Titel sagt darüber wenig aus. FOTO: PETER KNEFFEL/DPA

Klingt super


„Exzellenzuniversität“ ist ein Titel, den viele Unis haben wollten, aber vor einer Woche nur elf bekommen haben.
Doch heißt das, dass man dort auch bestens studieren kann? Über eine Auszeichnung, die Hochschüler nur zum Teil wörtlich nehmen sollten

Der Präsident der Hamburger
Exzellenzuni hat einen Tipp
für die Wahl des Studienorts

Wie geht es weiter bis zum Tod? Die Wünsche von Pflegeheimbewohnern werden
neuerdings abgefragt – bisweilen aber eher unsensibel, meinen Experten. FOTO: DPA

Erst einmal noch leben


In Pflegeheimen werden alte Leute neuerdings gefragt, wie sie sich ihre letzen Jahre vorstellen – und wie sie sterben wollen. Das geht Experten zu weit


„Die Wirkkraft des Begriffs
suggeriert, dass eine Uni
komplett exzellent ist.“
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