Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1
„Dieser Weißwein riecht schlimm
synthetisch, die Nase hat Noten
von Gummi und Parkettpflegemit-
tel mit Fichtennadelaroma. Das
schreit fast nach 50000-Liter-
Tank, chemisch und kontrolliert.
Als Sommelier reagiert man da
ähnlich emotional wie ein Spitzen-
koch auf Chicken McNuggets. Ge-
schmacklich dominiert Bitterkeit.
Eklig künstlich. Wie Napalm. Das
verursacht erst leichtes Brennen,
legt sich dann auf den Gaumen und
bleibt und bleibt und bleibt. Dazu
Obstnoten. Der Wein schmeckt, als
würde man versuchen, eine faule
Birne durch einen Gummischlauch
zu saugen. Das ist ein Riesling von
Sofia Coppola? Schmeckt null nach
Riesling. Der Wein ist gnadenlos
oberflächlich. Und wieso wird er in
Limoncello-Flaschen abgefüllt?
Der Tiefpunkt der Verkostung!“

Wein:Sofia Riesling 2016, Monterey
County von Sofia Coppola
Preis:21,90 Euro
Bewertung:1 von 10 Punkten

„Der Goldton ist für Weißwein selt-
sam. Er erinnert an Weine, die als
Blattgold-Prosecco neu abgefüllt
werden, weil sie sich nicht verkau-
fen ließen. Mancher Kunde hält das
für wertig, aber im Grunde wirkt es
billig oder überreif. Die Farbe kann
auch mit der Rebsorte zu tun ha-
ben. Muscat aus Südfrankreich?
Am Gaumen ist er sehr süß. Wenn
die Süße ernst gemeint ist, dann ist
der Wein okay, auch wenn man bei
Süßwein tricksen kann. Er ist etwas
schlicht und ohne Länge, aber nicht
schlecht gemacht. Zu Fruchtdessert
passt er. Die Auflösung zeigt, wie
sehr ich danebenlag: Riesling-Ausle-
se von der Mosel? Dafür gibt es
leider Abzug. Keine Säure, zu flach,
schlecht definiert. Für Muscat gin-
ge das, als Riesling ist er verfehlt.
Nebenbei: Die Flasche ist die häss-
lichste, die ich je gesehen habe.“


Wein:Güntherslay Riesling Auslese 2013,
Mosel, von Günther Klum (Heidis Vater)
Preis:29,50 Euro
Bewertung:3 von 10 Punkten


„Dieser Weiße ist geradezu die
Definition von Mittelmaß. Sehr
diplomatisch, weder gut noch
schlecht. Die Nase ist nicht großar-
tig, aber interessant. Viel Gelb-
frucht: goldener Apfel, Birne, unrei-
fe Aprikose und – ein Pluspunkt:
null künstlich. Am Gaumen ist der
Wein supersolide. Nicht beeindru-
ckend, aber okay. Er hat etwas viel
Säure, was im Massensegment oft
daher kommt, dass die Trauben
nicht so gut selektiert wurden, da
sind grüne dabei, aber auch sehr
reife. Er schmeckt sehr deutsch. Ist
das eine Cuvée mit Weißburgun-
der? Aha, von Günther Jauch. Das
ist lustig, weil seine Familie ein
tolles Traditionsweingut besitzt,
von dessen Weinen ich kein großer
Fan bin. Aber der hier, der nicht
vom Gut stammt, passt. Good Job,
Günther! Jedenfalls für den Preis.“


Wein:Cuvée weiß 2017 von Günther Jauch
Preis:4,99 Euro
Bewertung:5 von 10 Punkten


„Hier haben wir ein Paradebeispiel
für Künstlichkeit. Die Nase ist eindi-
mensional fruchtig: sehr dunkle
Kirsche und Himbeere, dazu Kunst-
stoff. Auf dem Gaumen ist nur
Kampf: kräftig, bitter, fruchtig, zu
alkoholisch und mega extraktreich.
Bäng! Ich kriege sofort Kopfweh.
Ohne Filigranität, Finesse und
Tiefe, ohne vernünftige Tannin-
Struktur. Und extrem adstringie-
rend, aber nicht gut wie bei tannin-
reichem, jungem Bordeaux, son-
dern wegen Gerbsäure und Alko-
hol. Der Rotwein erzählt von keiner
Region oder Rebsorte, er atmet nur
Schwere. Das soll ein Pinot Noir aus
Sonoma sein? Von Francis Ford
Coppola? Sonoma in Nordkaliforni-
en steht für kühle Lagen, für filigra-
ne Trauben mit klarer Säuredefini-
tion. Dieser Pinot Noir schmeckt
wie ein ganz mieser Primitivo.“


Wein:Director’s Pinot Noir 2015 von
Francis Ford Coppola
Preis:26,50 Euro
Bewertung:2 von 10 Punkten


„Krasse Farbe! Das nennt man wohl
Puffrot. Per se ist das nicht negativ.
Wo es heiß ist, in Süditalien oder
Spanien, liegt mancher Rosé nur
drei Stunden auf der Schale – für
eine Farbe, die ein Franzose nach
einem Tag nicht hat. Aber rote Bon-
bonfarbe fällt natürlich auf! Die
Nase ist schön: reife Frucht, nicht
überreif, etwas Cut, grüne Noten,
Kühle. Und nicht künstlich. Am
Gaumen ist der Wein wenig balan-
ciert. Ihm fehlt Länge. Die Frucht,
die in der Nase knackig ist, wird im
Mund flach und lieblich. Der Alko-
hol ist gut integriert, aber der Wein
schmeckt, als hätte die Erntezeit
früher sein müssen. So macht die
Farbe weniger Sinn, bei dem Rot
erwartet man mehr Biss am Gau-
men. Von Jimi Blue Ochsenknecht?
Den Rosé kenne ich. Er ist nicht
komplex, aber für den Preis okay.“

Wein:Horizont Rosé 2018, Weingut Hinter-
bichler, Pfalz von Jimi Blue Ochsenknecht
Preis:8,90 Euro
Bewertung:5 von 10 Punkten

„Puh, die Nase dieses Rotweins hat
was von Pferdestall, dazu Blaubee-
re, Granatapfel, Zwetschge. Heftig!
Sehr reduziert. Das muss nicht
negativ sein. In dieser Cuvée sind
vermutlich Rebsorten, die reduktiv
ausgebaut werden, also viel Sauer-
stoff brauchen. Wenn du dem Wein
keinen zuführst, dann ist der noch
beim Abfüllen animalisch. Syrah
etwa riecht dann fast wie Pferde-
arsch. Das kann gewollt sein, etwa
um dem Wein Nachhall zu verlei-
hen und ihn kellerfähig zu machen.
Aber den hier würde man nie la-
gern. Zu billig. Vielleicht gab es ein
Problem mit den Trauben? Mir ist
aber ein ehrlicher kleiner Stinker
lieber als ein hingetrimmter Möch-
tegern-Wein. Der ist nichts Beson-
deres, aber am Gaumen kriegt er so
gerade die Kurve: rau, ledrig, etwas
bissig. Wie wilde Wiese. Von Gün-
ther Jauch? So vernünftig!“

Wein:Cuvée rot 2017 von Günther Jauch
Preis:4,99 Euro
Bewertung:4 von 10 Punkten

„Dieser Rote riecht nach Toskana!
Die Nase ist elegant: fleischig, wür-
zig, dezent fruchtig; man riecht
Herbstlaub, Waldboden, Sauerkir-
sche, Pfeffer. Der erste Eindruck ist
super. Toll, wenn ein Wein von
seiner Herkunft erzählt! Aber dann?
Am Gaumen ist er viel heftiger, das
Mundgefühl geradezu prollig. Ge-
schmack und Konsistenz wie Eier-
punsch: Muskat, Vanille, Eigelb,
Rum. Dazu Bitternoten und zu viel
Alkohol. Sehr künstlich! Ein Bull-
shit-Wein, der Eleganz verspricht
und dann grob wird. Die Rebsorten
stehen bei Cuvées oft nicht auf dem
Etikett. Ob da nun Merlot oder Sy-
rah drin ist – mit Hilfe der Hefen
dreht man Geschmack eh hin, wie
man will. Den verkauft Sting? Echt?
Ich habe ihn mal bedient, er ist nett,
aber er sagte, er trinke nie Alkohol.“

Wein:Message in a Bottle rot (Cuvée)
2016 von Sting
Preis:14,60 Euro
Bewertung:3 von 10 Punkten

„Endlich maleine erfrischende
Nase! Scharf und sehr schlank, was
nicht nur positiv ist. Ich vermute, es
geht hier um Grau- oder Weißbur-
gunder? Vor allem ersterer neigt ja
zur Banalität. Böse Zungen sagen:
Grauburgunder ist Chardonnay in
schlecht. Aber der hier ist gut ge-
macht. Ein einigermaßen komplet-
ter Wein. Knackig, spritzig, jung,
mit breitem Aromeneintopf: nicht
so anspruchsvoller grüner Apfel,
Birne, etwas weißer Pfirsich, Kräu-
ter, Vanille. Im Mund hat der Cre-
migkeit und Struktur. Da ist Säure
und etwas Nachhall. Er ist nicht
superseriös, aber ein guter Terras-
senwein. Ein Grauburgunder von
„Drei Freunde“? Ja, die Winzerin,
Juliane Eller, kann was. Das ist
mein Testsieger. Vor allem wegen
des Preis-Leistungs-Verhältnisses.“

Wein:Grauburgunder 2018, Rheinhessen
von „Drei Freunde“ (Joko Winterscheidt,
Matthias Schweighöfer, Juliane Eller)
Preis:8,90 Euro
Bewertung:7 von 10 Punkten

„Dieser Rosé macht Spaß. Die Far-
be ist attraktiv und die Nase rund
und fruchtig, mit kräutrigen Noten.
Gefällt mir. Am Gaumen könnte er
eleganter sein. Er kommt etwas zu
alkohollastig rüber, zu tuttifrutti.
Mehr Tiefe wäre gut, der hat jetzt
nicht den Cut, den etwa ein guter
Sancerre-Rosé hat. Man schmeckt,
dass der Wein aus Amerika kommt;
da ist Rosé gerade „in“, das Ange-
bot ist oft überteuert und richtet
sich an Durchschnittstrinker. Die
Auflösung überrascht mich nicht:
Drew Barrymore, Monterey in Kali-
fornien. Pinot Noirs von dort sind
alle ziemlich „Vanilla“ – sehr weich
und rund, passend für alle eben.
Aber mal ehrlich: Was erwarten die
meisten Leute von Rosé? Spaß und
Sommergefühl. Das erfüllt der hier.
Da würde ich ein Glas mittrinken.
Aber er ist viel zu teuer.“

Wein:Barrymore Rosé of Pinot Noir 2017
von Drew Barrymore
Preis:39,90 Euro
Bewertung:6 von 10 Punkten

„So muss Rosé aussehen! Die Farbe
ist zwar kein echtes Qualitätsmerk-
mal, aber so ein edler Kupferton ist
ästhetisch ein Genuss. Die Nase ist
blumig, dezent tiefgründig, wenn
auch nicht anspruchsvoll. Am Gau-
men ist der Wein gut, mit einer
gewissen Länge, der Alkohol schön
integriert. Geschmacklich ist er
eher schlicht. Leicht gummibären-
mäßig, der Knack fehlt, die Minera-
lität, vor allem für einen provenzia-
lischen Rosé. Ein guter Saufwein.
Ich kenne das Weingut Miraval, die
haben früher einen super Wein mit
Pink Floydgemacht. Die Entwick-
lung der letzten Jahre ist schade.
Das Terroir ist gut, aber die Produk-
tion wurde stark erhöht, die Lage
ist von der Menge wohl überfor-
dert. Der Wein hat an Charakter
eingebüßt, dafür ist der Preis ge-
stiegen. 17 Euro sind etwas frech.“

Wein:Miraval Côtes de Provence Rosé
2017 von Angelina Jolie und Brad Pitt
Preis: 16,90 Euro
Bewertung:6 von 10 Punkten

„Ein schöner Lachston! Die Nase ist
extrem zurückhaltend; für Rosé
nicht untypisch, aber die hier lässt
mich verzweifeln. Mit viel gutem
Willen rieche ich eine leichte Rosen-
note, dazu Hagebutte und Wasser-
melone, aber dafür muss ich schon
fast fantasieren. Am Gaumen ist er
dann schlimm. Pappsüß! Keine
Säure, keine Struktur, keine Balan-
ce, bei sicher 20 Gramm Restzu-
cker. Ein Fabrikwein. Stammt der
aus einer 60-Millionen-Flaschen-
Produktion? Ein ähnliches Ge-
schmackserlebnis kriegt man für
1,89 Euro beim Discounter. Gut,
das ist ein Rosé d’Anjou, der darf
also süß sein, muss er aber nicht.
Das ist jedenfalls keine Entschuldi-
gung für fehlende Balance. Gérard
Depardieu gilt als Gourmet, von
dem hätte ich mehr erwartet als
schick verkorkten Melonensaft.“

Wein:Rosé d’Anjou AOC 2017, Château de
Tigné von Gérard Depardieu
Preis:10,75 Euro
Bewertung:2 von 10 Punkten

Synthetisch: Sofia Coppola

P


rominente und Alkohol – lange stand diese Kom-
bination für persönliche Exzesse; heute ist sie ei-
ne Formel für geschäftlichen Erfolg. Wie sehr ein
berühmter Name den Marktwert einer Flasche steigern
kann, bewies am eindrucksvollsten George Clooney.
Der Schauspieler baute zusammen mit Rande Gerber,
Ehemann von Supermodel Cindy Crawford, in Mexiko
die Tequila-Marke „Casamigos“ auf und verkaufte sie
vor zwei Jahren an den Spirituosenmulti „Diageo“ wei-
ter–fürerstaunlicheeineMilliardeDollar.NunhatCloo-
ney Werbewerte, die selbst für viele Stars unerreichbar
sind. Doch klar ist: Solche Beispiele machen Schule.
AuffallendvielePromishabensichindenletztenJah-
ren dem Weinbau zugewandt oder zumindest irgendei-
ner Cuvée ihren Namen geliehen. Das liegt nahe, Wein-
machengiltalsanspruchsvollundkultiviert,alsoimage-
fördernd, ist aber trotzdem einigermaßen massentaug-
lich. Damit ist die Vermarktung unproblematischer als
die von harten Spirituosen, für die nur wenige Stars als
glaubwürdige Paten infrage kommen. Zudem ist Wein
hochindividuell unddaherwiegeschaffenfürdasZeital-
ter der Personalisierung. Es ist ja kein Zufall, dass eine
feminineSchauspielerinwieDrewBarrymorefürspiele-
rischen Rosé steht und Altmeister wie der Regisseur
Francis Ford Coppola für schwerblütigen Pinot Noir.
Der Markt ist vielfältig. Einige Prominente, wie die
Coppolas, der französische Schauspieler Gérard Depar-
dieu oder der Moderator Günther Jauch, gelten als auf-
richtig interessierte Winzer. Es gibt ehrgeizige Novizen

wie die Hollywoodstars Angelina Jolie und Brad Pitt, die


  • also sie noch ein Paar waren – mit Château Miraval
    gleich ein Weingut in der Provence kauften. Andere be-
    schränkensichlieberaufEinmalaktionenmitSondercu-
    vées. Günther Jauch verkauft seine Weine bei Aldi, Joko
    Winterscheidt und Matthias Schweighöfer ihre „Drei-
    Freunde“-Flaschen auch bei Rewe. Die übrigen Weine
    sind im Onlinehandel erhältlich; genannte Preise bezie-
    hen sich auf das jeweils günstigste Angebot im Netz.
    Für den Test wurden die Weine erst blindverkostet,
    amEnde wurde die Herkunft dann offengelegtund vom
    Sommelierkommentiert.DasErgebnisisternüchternd:
    Trotz oft gehobener Preise schaffte es kein Wein in die
    höhere Wertung. Das Marketing ist hier wohl wichtiger
    als die Qualität. Interessant ist trotzdem, was die Weine
    über ihre Paten verraten. Wie heißt es so schön: In vino
    veritas. marten rolff und regin a steff ens


Der Experte:Der Amerikaner und Wahlmünchner
Justin Leone zählt zu Deutschlands bekanntesten
Sommeliers. Leone studierte Kontrabass und Litera-
tur, spielte in einer Band, war Sommelier im Münch-
ner Restaurant „Tantris“ und Sommelier des Jahres.
Er saß in der Jury der Kochshow „Masterchef“,
schreibt Weinführer („Just Wine“) und hat oft mit
Prominenten zu tun. Im Herbst wird Leone in Mün-
chen seine erste eigene Weinbar „Bottles & Bones“ eröffnen.
ILLUSTRATION: DIRK SCHMIDT, FOTOS: NATALIE NEOMI ISSER, STEPHAN RUMPF

Schwer: Francis Ford Coppola Lieblich: J. B. Ochsenknecht


Vollmundig: Sting

Frisch: Drei Freunde

Ästhetisch: A. Jolie & B. Pitt

Supersüß: Gérard Depardieu

Rebe zum


Ruhm


Günther Jauch, Sting oder Sofia


Coppola: Prominente


verkaufen gerne ihren eigenen


Wein – oft zu erstaunlichen


Preisen. Eine ernüchternde


Blindverkostung


DEFGH Nr. 172, Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019 STIL 59


Goldig: Günther Klum


Solide: Günther Jauch (I)


Animalisch: Günther Jauch (II) Spaßig: Drew Barrymore
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