Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1

Jan Gühring ist Geschäftsleiter der Elek-
troGühring GmbH in Stuttgart:
„Handwerker sind sehr loyal zu ihren
Chefs – deshalb ist es schwer, sie abzuwer-
ben. Ich leite unseren Betrieb in Stuttgart-
Stammheim in vierter Generation. Im Mo-
ment sind wir zu zwölft, aber der Betrieb
wächstundwirsuchendringendElektroin-
stallateure. Die klassischen Jobbörsen
sindnachmeinerErfahrungnichtso inter-
essant für Handwerker.
Unser Betrieb ist auf Photovoltaik und
Stromtankstellen für Elektroautos spezia-
lisiert, also auf moderne Themen, viel-
leichterreichen wir Bewerberdeshalb bes-
ser über soziale Medien. Mit Facebook
oder Instagram klappt das ziemlich gut,
zumTwittern habe ich leidernicht dieZeit.
Am allerbesten funktionieren natürlich
persönliche Empfehlungen. Ich bin bei
Business Network International aktiv, ei-
nem Netzwerk für kleine und mittlere Un-
ternehmer, und wir helfen uns gegenseitig
mit unseren Kontakten, auch beim Thema
Personalsuche.
Gerade haben wir unsere Betriebs-
Homepage umgestaltet, auf der Startseite
steht jetzt groß: „Willkommen im Team“.
Wir sind in Sichtweite von Porsche, Daim-
ler und Bosch, mit den Gehältern können
wir aber nicht mithalten. Doch wir haben


einsehrgutesBetriebsklima,flacheHierar-
chien, einmal wöchentlich ein gemeinsa-
mes Rückentraining – damit werben wir.
Ich habe auch ein Kurzbewerbungsformu-
lar eingeführt, das man in drei Minuten
ausfüllen kann. Denn wenn sich ein Hand-
werker,dersichvielleichtüber seinenChef
geärgert hat, nach einem langen Tag hin-
setzt, mal schnell nach Alternativen guckt
und dann sieht, dass die Bewerbung mit
vielAufwandverbundenist,findeter seine
alteStellegleich wiederganz okay.Schrift-
liche Bewerbungen sagen ohnehin nicht so
viel aus, finde ich. Wenn ich mich mit je-
mandem eine halbe Stunde lang treffe, se-
he ich schon, ob es passt.“

Doris Pechler ist Leiterin Personalgewin-
nung der Krones AG in Neutraubling bei
Regensburg:
„UnserUnternehmenstelltAbfüll-undVer-
packungsanlagen für Getränke her, keine
Produkte für Endkunden. Deshalb sind
wir bei potenziellen Bewerbern überregio-
nalsogutwieunbekannt.Umsomehrmüs-
sen wir uns anstrengen. Es genügt schon
lange nicht mehr, freie Stellen auf Online-
Jobbörsen und in Zeitungen zu inserieren.
Wirarbeitensehreng mitHochschulenzu-
sammen, um schon mit Studierenden in
Kontakt zu treten. Ein persönlicher Aus-
tausch, zum Beispiel auf einer Karriere-
messe, kann einen viel konkreteren Ein-
druck des Unternehmens verschaffen und
vieleStudierendesind froh,wenn sieeinen
Ansprechpartner für ihre Bewerbung ken-
nenlernen können.
Kontakt zu erfahrenen Fachkräften be-
kommen wir am besten auf Konferenzen,
Foren undMessen.Und potenzielleAuszu-
bildende und Praktikanten erreichen wir
vor allem über Social Media. Wir sprechen
unsere Zielgruppen an, wo sie sich bevor-
zugtaufhalten,seiesindendigitalenMedi-
en, mit Plakaten oder im Radio.
Damit man sich künftig auch mobil bei
Krones bewerben kann, wird gerade unse-
re Karriereseite überarbeitet. Unser Team

ist also gut gefordert, zumal die Bewerber
heuteeinevielhöhereReaktionsgeschwin-
digkeit erwarten als früher. 2018 hat Kro-
nes mehrere hundert Mitarbeiter einge-
stellt.Auchwennwir aktuelleinen Einstel-
lungsstopp haben, führen wir unsere Akti-
vitäten zur Personalgewinnung fort. Denn
einenbestimmtenBedarfwirdesja weiter-
hin geben.“

Kerstin Wagner ist Leiterin Personalge-
winnung bei der Deutschen Bahn:
„Bei der DB stellen wir dieses Jahr rund
22000neueMitarbeiterein–invielenver-
schiedenen Berufen und auf allen Ebenen.
2018 hatten wir mehr als 400000 Bewer-

bungen. Um in dieser Größenordnung Be-
werber anzuziehen, nutzen wir sämtliche
Kanäle,dieesgibt:Online-Jobbörsen,Busi-
ness-Netzwerke wie Xing und Linkedin,
die sozialen Medien von Facebook bis
Snapchat. Vor allem bei den Jüngeren än-
dert sich das Kommunikationsverhalten
ständig und wir passen uns auch ständig
daran an – nicht weil es hip ist, sondern
weil wir so die meisten Leute erreichen
können.
Daneben ist es für uns aber auch sehr
wichtig, persönlich ins Gespräch zu kom-
men.WirmachenanverschiedenenStand-
ortenCastings,bei denensichSchulabgän-
ger und Fachkräfte bewerben können und
auch schnell eine Entscheidung bekom-
men. Für IT-Experten bieten wir eigene
Veranstaltungen an, auf denen man über
Projekte spricht und wir uns als Arbeitge-
ber präsentieren. Das alles gut zu kombi-
nieren, ist eine Kunst. Personalgewinnung
hat sich massiv gewandelt, Recruiting ist
heute kein Einstiegsjob mehr: Wir haben
ExpertenzumBeispielfürPersonalmarke-
ting und für Digitales, einige unserer Re-
cruiter sind auf Ingenieure oder IT-Exper-
ten spezialisiert, andere auf Schüler.
Die digitalen Technologien helfen uns
zwar massiv, abersieerfordern auch, stän-
dig am Ball zu bleiben. Was künftig sicher

noch wichtiger wird: dass man sich so ein-
fach und schnell wie möglich und von un-
terwegs ausbewerben kann.Wirhabenfür
einigeJobsschondieMöglichkeitderKurz-
bewerbung eingeführt und verlangen von
BewerbernfürAusbildungsplätzekeinAn-
schreiben mehr. Denn das sagt meist we-
nig aus und ist eine unnötige Hürde.
Vor allem junge Leute sind gewöhnt,
dass sie alles intuitiv und unkompliziert
vom Handy aus erledigen können, von der
E-Scooter-Ausleihe bis zur Online-Über-
weisung. Warum sollte das beim Bewer-
ben anders sein?“

pr oto kolle: miriam hoffme yer

Katrin Wagner
FOTO: P.V. RECKLINGHAUSEN

Doris Pechler
FOTO: KRONESAG

von miriam hoffme yer

E

in einziges Wort weist den Weg
zum neuen Job: Allein durch die
Eingabe „Bürokauffrau“ in die
Google-Suchmaske werden der
Nutzerin an diesem Tag 81 freie
Stellen in der Region Stuttgart angezeigt.
Vorausgesetzt, Google kennt ihren Stand-
ort.DieblaueBoxmitdemTitel„Stellenan-
gebote“istvordennachRelevanzgeordne-
ten Suchergebnissen platziert. Wer sie öff-
net,kann durch alle Angebote scrollen und
unteranderem nach Branche, Vollzeit oder
Teilzeit oder der Entfernung zum Arbeits-
platzfiltern.EinweitererKlickführtzurge-
nauen Stellenbeschreibung, Angaben zum
Unternehmen sowie zu Bewertungen von
Mitarbeitern,diejetztschondortarbeiten.
Die Jobsuche-Funktion von Google
startete in den USA im Jahr 2017 als Teil
des Programms „Google for Jobs“, das
auch einen Service zur Personalbeschaf-
fung für Unternehmen umfasst. Letzterer
wird in Deutschland bislang nicht angebo-
ten, die Jobsuche-Funktion gibt es jedoch
seit dem 22.Mai. Wie das Webanalysetool
Sistrix herausfand, erscheint die Google-
Jobbox seither bei der Eingabe von etwa
14000SuchbegriffenrundumArbeit, Aus-
bildung,BerufeundNamenvonUnterneh-
men ganz oben, während die bekannten
Online-Jobbörsen dahinter landen.
Google wurde so praktisch über Nacht
zum sogenannten Sichtbarkeits-Markt-
führer in diesem Themenfeld, wie es dem
Internetkonzern zuvor schon mit Flügen
oder Restaurants gelungen war. Zwar wer-
den oberhalb der Google-Jobbox diverse
Links angezeigt, etwa zu Indeed, Monster,


Stepstone oder meinestadt.de. Im Ver-
gleich zur Box selbst sind diese Links aller-
dings eher unauffällig.
In den USA ist „Google for Jobs“ nach
Schätzungen heute schon für 80 Prozent
derBewerberdieersteStationaufderStel-
lensuche.DerKonzernwilldieseZahlnicht
kommentieren. „Bis heutehaben wir mehr
als hundert Millionen Menschen in mehr
als 120 Ländern über diese Funktion mit
Jobs verbunden“, lässt Google-Manager
Nick Zakrasek schriftlich mitteilen.
Die Informationen, die in der Jobbox
angezeigt werden, holen sich Algorithmen
aus dem Netz – von den Karriereseiten der
Unternehmen, von Arbeitgeber-Bewer-
tungsplattformen oder von Partnern, die
mitGooglezusammenarbeiten.Dazugehö-
ren beispielsweise das Karrierenetzwerk
Xing und die international tätige Stellen-
börse Monster. Die Google-Partner erhof-
fen sich eine höhere Reichweite. „Google
isteinrelevanterEinstiegspunktindieJob-
suche. Unsere Aufgabe ist es, dort zu sein,
wodieKandidatensind“,sagtSteffenGün-
der, Monster-Vertriebsleiter für Deutsch-
land.
Dagegen lehnen die Jobbörse Stepsto-
ne, der Marktführer in Deutschland, sowie
derjapanischeWeltmarktführerIndeedei-
ne Zusammenarbeit mit Google strikt ab.
StepstonesowiederBundesverbandDeut-
scher Zeitungsverleger haben schon 2018
bei der EU-Kommission Beschwerde ge-
gen die neue Google-Suchfunktion einge-
legt: Sie werfen dem Konzern vor, seine
Marktmacht zu missbrauchen, um das ei-
gene Produkt zu bevorzugen und letztlich
die Konkurrenz aus dem Stellenvermitt-
lungsmarkt zu verdrängen.

Eine Entscheidung der EU-Kommissi-
on steht noch aus. Dass die Jobbörsen mit-
telfristig überflüssig werden könnten, be-
kommt Monster in den USA aber schon zu
spüren:DasAnalysetoolsSimilarwebregis-
trierte dort 2019 weniger als halb so viele
ZugriffeaufMonsterwievordemStartvon
„Google for Jobs“.

Monster Deutschland hat sich offenbar
schon darauf eingestellt, dass die Einnah-
men aus Stellenanzeigen zurückgehen
werden.Manwollesichjetztstärkeraufin-
haltliche und technologische Beratungs-
leistungen für Arbeitgeber konzentrieren,
sagt Steffen Günder, unter anderem zur
OptimierungderKarriereseitenvonUnter-
nehmen. Denn um in der Google-Jobbox
überhaupt zu erscheinen, wenn möglich
auf einem der oberen Plätze, müssen Ar-
beitgebersehrgenaueundvielfältigeInfor-
mationen zu der Stelle im HTML-Code auf
derSeitehinterlegen.„VielePersonalabtei-
lungen können die Optimierung für Goo-

gle und auch andere Strategien nicht
selbstinternumsetzen,hierwerdenwirals
Experte auch zukünftig gefragt sein“,
meint Günder optimistisch.
AusBewerbersichtscheintdieJobsuche-
Funktion auf den ersten Blick nur Vorteile
zu bieten: Die mühselige Suche in vielen
verschiedenenJobbörsenentfällt,wennal-
le Angebote in einer Box erscheinen. Zu-
dem nützt das Prinzip, dass Arbeitgeber
möglichst viele Informationen zur Verfü-
gungstellen,automatischauchdenBewer-
bern. In der Praxis zeigt sich allerdings
schnell, dass zumindest derzeit nur ein
Teil der passenden Stellenangebote per
Google-Suche zu finden ist.
Das liegt zum einen daran, dass zahlrei-
che Stellen über Jobbörsen oder Verlage
inseriert werden, die nicht mit Google ko-
operieren. Zum anderen sind viele Unter-
nehmennochnichtweitgenugmitderUm-
gestaltung ihrer Seiten. Freie Stellen bei
Zeitarbeitsfirmen kommen hingegen bei
den Google-Algorithmen auffällig gut an.
So findet die Stuttgarter Bürokauffrau auf
Stellensuche unter ihren ersten zwölf Job-
box-Treffern sieben Zeitarbeitsstellen. Bei
einer Suche in der Börse der Arbeitsagen-
tur sieht das Ergebnis ähnlich aus, wäh-
rend Zeitarbeitsangebote bei den großen
kommerziellenJobbörsen wesentlichselte-
ner zu finden sind.
Die Datenbank des Branchenbeobach-
ters Crosswater-Job-Guide listet fast 1200
verschiedene Jobbörsen in Deutschland
auf. Dazu zählen neben den bekannten
GeneralistenauchkleineregionaleStellen-
portale sowie Spezialisten für Ingenieure,
Mediziner oder IT-Experten. Die meisten
Jobbörsen bieten die Möglichkeit, ein Be-

werberprofil anzulegen oder den Lebens-
lauf aus einem Karrierenetzwerk zu über-
nehmen, um sich damit besonders einfach
und schnell bewerben zu können – so wie
es Bewerber heute nach Meinung aller Ex-
perten erwarten.
Weil mehr Menschen an der Möglich-
keit interessiertsind, sich vonmobilen Ge-
räten aus bewerben zu können, ist auch
das Angebot an Jobvermittlungs-Apps in
den vergangenen Jahren stark gewachsen.
Alle großen Jobbörsen gibt es heute auch
in einer mobilen Version, zudem haben
sichetliche Nischenanbieteretabliert–bei-
spielsweise Jobufo, das Bewerbungen per
Video ermöglicht, oder Mobilejob, die bis-
lang einzige App speziell für Jobs im Ge-
werbe. „Das Angebot an Job-Apps wird
sich sicher noch weiter ausdifferenzieren.
Die vorhandenen Apps richten sich vor al-
lem an junge Leute“, sagt Professor Peter
Wald, Personalmanagement-Experte an
der Hochschule für Technik, Wirtschaft
und Kultur Leipzig.
Das Berliner Start-up Truffls setzt seit
der Gründung 2014 vorrangig auf Schnel-
ligkeit und intuitives Bedienen. Es war die
erste Job-App, die nach dem Prinzip von
Tinderfunktioniert:InteressanteJobange-
bote werden einfach nach rechts gewischt,
uninteressante nach links. „Wir richten
uns vor allem an Kandidaten, die offen für
Neues sind, aber eigentlich keine Zeit zum
Bewerben haben“, sagt Truffls-Gründer
Matthes Dohmeyer. Die meisten Nutzer
sind Akademiker in Großstädten. Sie
schauen bevorzugt indieApp,wennsievor
oder nach der Arbeit in der S-Bahn sitzen.
Jobbörsen und -Apps sowie die Google-
Suchfunktion können zwar die Jobsuche

beschleunigen. Aber letztlich hängt es von
den Arbeitgebern ab, wie lange es bis zu
einer Zusage dauert. Die 24-jährige Lisa
Freiberger, die nach ihrem Masterab-
schluss in Wirtschaftsrecht im Oktober
2018 fast alle Kanäle nutzte, hat einige Er-
fahrungen gesammelt: „Viele Unterneh-
men haben überhaupt erst nach zwei Wo-
chen auf meine Bewerbung reagiert, eines
hatmichimJanuarzueinemVorstellungs-
gespräch im April eingeladen.“
Da ging Lisa Freiberger allerdings nicht
mehr hin: Sie hatte in der Zwischenzeit
schon einen Job bei einem Berliner Bil-
dungsanbieter gefunden, mit der Truffls-
App.„Anfang Märzhabe ich dieStelle nach
rechts gewischt, und sie haben mir noch
am selben Tag zurückgeschrieben“, er-
zählt sie. „Nach einem Telefonat haben wir
einen Termin für ein Vorstellungsge-
spräch vereinbart – und kurz danach habe
ich schon angefangen.“
Dass Bewerbungen automatisch immer
noch einfacher, schneller und bequemer
werden, ist nicht unbedingt gesagt. Denn
dieser Trend wurde nicht nur durch die
neuen technischen Möglichkeiten ausge-
löst, sondern auch durch den für viele Be-
werber sehr günstigen Arbeitsmarkt der
letzten Jahre. Diese Situation könnte sich
wieder ändern, auch wenn bestimmte
Fachkräfte sehr gefragt bleiben werden.
„Gut möglich, dass künftig ein und das-
selbe Unternehmen verschiedene Bewer-
bungsverfahren vorsieht“, meint dazu der
Leipziger Wirtschaftswissenschaftler Pe-
ter Wald: „Die einen bekommen mit ein
paar Klicks eine Einladung zum Vorstel-
lungsgespräch, die anderen müssen deut-
lich mehr Aufwand treiben.“

Jan Gühring
FOTO: ALEXANDER WUNSCH

Erst Flüge und Restaurants,
jetzt Jobs – Google hat
ein neues Themenfeld erobert

Auf allen Kanälen


Ein Handwerksbetrieb, ein Weltmarktführer in der Provinz und ein Großkonzern: Drei Personalverantwortliche erzählen, wie sie neue Mitarbeiter suchen


DEFGH Nr. 172, Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019 61


BERUF & KARRIERE


Googles nächste Attacke


Mit einerneuen Jobsuche-Funktion rollt der Internetkonzern seit ein paar Wochen den Stellenmarkt auf.


Online-Portale, die nicht kooperieren, könnten bald überflüssig werden


In den USA steuern schätzungsweise bereits 80 Prozent der Bewerber als erste Station ihrer Stellensuche „Google for Jobs“ an. In Deutschland wurde die Suchmaschine praktisch über Nacht zum „Sichtbarkeits-Marktführer“. FOTO: PEOPLEIMAGES / GETTY
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