Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1
wickelt die Deutsche Bahn
gerade jetzt im Sommer an
manchen Tagen bundesweit
ab – darunter sind nicht nur
langwierigere Tunnel- oder
Brückensanierungen wie die
am Petersbergtunnel in
Rheinland-Pfalz. Vielmehr
nehmen die Arbeiter oft auch
kleinere Maßnahmen wie die
Erneuerung von Signal-
anlagen und Weichen oder
den Austausch von Schienen
und Gleisbetten vor. Die Bahn
versucht dabei nach eigenen
Angaben, mehrere solcher
Baumaßnahmen auf einzel-
nen Strecken zu bündeln, um
so die Belastungen für die
Fahrgäste zu reduzieren.

Nichts wirkt älter als die Mode von ges-
tern, das gilt auch für Vans: Was in den
Achtzigerjahren als ultimativ praktisch
und trendig erschien, kommt heute etwas
altbacken daher. Der erste Renault Espace
war seinerzeit eine Revolution: Die Groß-
raumlimousine botvielmehrPlatz undvor
allem Kopffreiheit als herkömmliche Au-
tos. Auch die parkplatzkompatiblen Kom-
paktvans mit nur zwei Sitzreihen wurden
Bestseller. Ihre halbhohe Sitzposition er-
leichtert nicht nur das Einsteigen, sondern
lässt auch den Hinterbänklern mehr Bein-
raum als flache Limousinen mit Brief-
schlitzöffnungen für die Füße.
In diesem Sinne sind die raumfunktio-
nalen Vans also Vorläufer der heute ach so
beliebten Crossover-Modelle. Doch in der
Mode zählt immer nur der jeweils letzte
Schrei. Das Van-Segment schrumpft rapi-
de, während Möchtegern-Geländewagen
von einem Verkaufsrekord zum nächsten
eilen. Als Segmentführer haben sie selbst
Fließheck-LimousinenwiedenVW Golfab-
gelöst. Da hilft es wenig, dass die kleinen
Raumwunder mehr Kofferraumvolumen
bieten als vergleichbare SUV- und Cross-
over-Modelle. Weil immer mehr Neuwa-
genkäufer Vernunft langweilig finden,
wird BMW den 2er-Kompaktvan in der
nächsten Generation durch eine Bergstie-
fel-Variante ersetzen. Aus Kostengründen
dünnen auch Daimler, Ford, Opel und VW
ihre Modellpalette aus und setzen voll auf
SUVs. Das verheißt für Kompaktvans wie
den VW Golf Sportsvan und die Mercedes
B-Klasse nichts Gutes.

Kann schon sein, dass die hochgebock-
tenAllradkraxlermitihrenRiesen-Schlap-
pen nicht nur das Straßenbild, sondern
auch die kollektive Wahrnehmung verän-
dern. Jedenfalls wirken kleine Räder unter
mächtigen Blechkörpern im Vergleich
plump und pummelig. Ziemlich out sind
auch diegroßen Glashäuser,dieKompakt-
vans optisch in die Höhe ziehen. Spötter
sprechen von rollenden Telefonzellen. Die
Rundumsicht ist zwar besser als durch die
heute fast obligatorischen Schießschar-
ten. Dafür lassen schmale Fensterbänder
selbst Zweitonner flacher, breiter und
sportlicher wirken.

Fazit der kurzen Stilkritik: Nicht der
Zweck, sondern die coole Form heiligt je-
desMittel.MercedesversuchtderRetrofal-
le durch modernes Design ohne Kanten
und Sicken zu entkommen. Auch der spoi-
lerähnliche Aufsatz über dem Heckfenster
der B-Klasse soll sportlich wirken. Und ei-
neaufgestellteDachrelingistgänzlichver-
boten, um die fließenden Linien nicht zu
stören. Bella figura vor der Eisdiele macht
der kleine Mercedes trotzdem nicht. Zu
viel Funktionalität, zu wenig Image-Ge-
winn. Das ist schlecht in Zeiten, in denen
sich viele Kunden nicht mehr fragen: „Was
brauche ich?“, um Personen und Güter von
A nach B zu transportieren. Stattdessen

steht selbst bei Volkswagen die vollständi-
ge Individualisierung ganz oben auf dem
Programm. „Was will ich?“ lautet der neue
Schlachtrufallderjenigen,diesich vor lau-
ter Service- und Unterhaltungsangeboten
kaum noch retten können.
Das Augenmerk verlagert sich auf den
Innenraum: Hier spielt die Musik, bezie-
hungsweise:hierplappertderSprachassis-
tent. Was sich jenseits der Panoramafens-
ter abspielt, ist weniger interessant. Zu-
mindest solange es noch keine animierte
Umwelt wie bei Pokémon Go gibt. Die neue
B-Klasseversuchtmitihremhochauflösen-
den Widescreen-Cockpit jeden Hosenträ-
ger-Verdachtabzustreifen.Auchdernächs-
te Golf wird ab Ende des Jahres zum tod-
schicken Abspielplatz der digitalen Rund-
umversorgung. Der Sportsvan ist dagegen
noch von altem Schrot und Korn. Von we-
gen digital Lifestyle auf hochauflösenden
Displays: DerBildschirmaufderMittelkon-
sole wirkt wie ein aufgeflanschter Röhren-
fernseher, der nur einen Bruchteil der Un-
terhaltungs- und Informationsangebote
im Vergleich zur B-Klasse bietet.
Nützlichkeitallein stehtauchbeimMer-
cedes-Kompaktvan nicht mehr an erster
Stelle.Dasmachtdie68-seitige(!)Ausstat-
tungslisteüberdeutlich.Mitedelsten Mate-
rialkombinationenverdoppeltderTestwa-
gen kurzerhand den Grundpreis des
B200d auf gut 60000 Euro. Mehr Luxus
und Digital-Programm können auch die
Flaggschiffe der Sternenflotte nicht bie-
ten. Im Gegenteil: Wer aus der neuen
B-Klasse in die C-Klasse umsteigt, weiß,

wie groß der Fortschritt bei dem frontge-
triebenenKompaktenist.AufWunschwer-
denzwei10,25-Zoll-Displays mitje26Zen-
timeter Bildschirmdiagonale zur großen
BühnefürdasneueMBUX.DasBediensys-
tem, das auf „Hey Mercedes“ hört, ver-
stehtzumerstenMal fastalle Wünscheder
Passagiere aufs Wort und setzt sie in Win-
deseile um. Das gilt nicht nur für Navigati-
onsziele, sondern auch für andere Einstel-
lungen wie die Wohlfühltemperatur. Von
der wachsenden Zahl von Vernetzungs-
diensten in der Cloud gar nicht zu reden.
Ohne diewulstigeHutzefrühererModel-
le strahlt die freistehende Mercedes-Me-
dia-Landschaft jetzt eine kühle Eleganz
aus. Dagegen ist der Sportsvan sichtlich in
die Jahre gekommen: Jeder Knopf ist beim
Golf da, wo er immer schon war. Die Basis-
Bedienung funktioniert oft nicht einmal
schlechter als bei den vielen Eingabemög-
lichkeiten der voll ausgestatteten B-Klas-
se. Doch die Drehknöpfe wirken ungefähr
so modern wie ein Tastentelefon. Zudem
kann das System viele Digital-Gimmicks
nicht bieten, deren Entwicklungstempo
viel schneller ist als bei der Hardware. Wer
sich an den Mercedes-Sprachassistenten
gewöhnt hat, empfindet selbst Apples
Spracherkennung Siri als veraltet. Wenn
dann beim Abbiegen auch noch ein Live-
Bild der vorausliegenden Straße mit gro-
ßen blau animierten Abbiegepfeilen auf
der Mattscheibe erscheint, wird das bana-
le Autofahren zum Hightech-Videospiel.
Das ist aufregender als jeder Eisdielen-
Faktor. joachim beck er

von mar co völkl ein

N

ein, sagt Bodo Tauch, der Pro-
jektleiter für die Erneuerung
des Petersbergtunnels an der
wichtigen Bahntrasse zwi-
schen Koblenz und Trier, eine
komplette Sperrung der Strecke lasse sich
leider nicht verhindern. Wenn die Arbeiter
im November die schützende Einhausung
aus dem Tunnel und das temporär verleg-
te Gleis entfernen, anschließend die neuen
SchienenundSchwellensamtOberbauver-
legen, dann geht das gar nicht anders als
miteinerTotalsperrung.Unddennochver-
suchenTauchundseineLeute,denZugver-
kehr auf der Strecke möglichst lange auf-
recht zu erhalten. „Nur vier Wochen“, sagt
Tauch, werde die Vollsperrung dauern.
Und er sagt es mit einem gewissen Stolz.
Denn ansonsten fahren weiterhin Züge
durch den Petersbergtunnel, währenddie-
ser aufwendig erneuert wird. Möglich
macht es eine spezielle Form des Bauens:
die Tunnel-im-Tunnel-Methode.
DerPetersbergtunnelwurde 1879in Be-
trieb genommen, ist also 140 Jahre alt. Die
Innenwände wurden damals mit 60 bis
70 Zentimeter dickem Mauerwerk ausge-
kleidet. Das hielt viele Jahrzehnte, doch
nun muss die Bahn die zweigleisige Röhre
erneuern. Und das bedeutet nicht nur,
dass die Außenwände neu verkleidet wer-
den. „Das Bauwerk verliert damit den Be-
standsschutz“, sagt Tauch. Und das heißt
unter anderem: Auf den Tunnel muss nun
auch das aktuelle Regelwerk der Bahn an-
gewendet werden. Um zum Beispiel einen


liegengebliebenenZugevakuierenzukön-
nen,müssennunlinksundrechtsderGlei-
se Gehsteige angelegtwerden.In deralten,
engenRöhrewäredasschlichtnichtmach-
bar gewesen, die Ingenieure müssen den
Tunnel daher aufweiten, also mehr Platz
schaffen für zusätzliche Einbauten.
Das Problem ist nur: Auf der Moselstre-
cke zwischen Trier und Koblenz rollen in
der Regel täglich mehr als 170 Züge; viele
Personenzüge im Nahverkehr, aber noch
mehrGüterzüge,die zumBeispielErze aus
Nordfrankreich und Luxemburgabfahren.

Eine Vollsperrung des Tunnels während
der gut knapp dreijährigen Bauzeit hätte
nichtnurzurFolge,dasssichvieleFahrgäs-
te in Ersatzbussen durch die engen Schlei-
fen des Moseltals quälen müssten, auch
die Güterzüge müssten weite Umleitungs-
wegefahren.Deshalb versuchtenes dieIn-
genieure der Deutschen Bahn (DB) mit der
Tunnel-im-Tunnel-Methode.
Dabei werden zunächst die beiden Glei-
se aus dem bestehenden Tunnel entfernt
und ein neues Gleis in der Mitte verlegt.
UmdiesesbauendieArbeiterdanneineso-
genannte Einhausung, eine Röhre in der
Röhre quasi. Der Vorteil: Im Raum zwi-
schen dieser Einhausung und der beste-
henden Tunnelwand können die Arbeiter
werkeln, also etwa mittels Druckluftmei-
ßeloderSprengungen denQuerschnitt des

bestehenden Tunnels aufweiten – und
zwar völlig getrennt vomparalleldazu lau-
fenden Bahnbetrieb. Und auch wenn der
Zugverkehr im Tunnel so nur noch über
ein Gleis und mit Tempo 60 statt 80 Kilo-
metern pro Stunde läuft, wickelt die Bahn
dennochlautTauchso140Zügetäglichauf
derStreckeab.BeieinerVollsperrungwür-
de gar nichts mehr fahren.
Das Arbeiten im Tunnel allerdings, also
in dem verbliebenen Spalt zwischen tem-
porärer Einhausung und alter Tunnel-
wand, darf man sich keinesfalls als beson-
ders kommod vorstellen. Auf engstem
Raummussten sichdieArbeiterdortbewe-
gen und das alte Mauerwerk sowie das Ge-
stein dahinter aus dem Berg brechen. Um
zwei Meter auf jeder Seite wurde der Tun-
nelsoverbreitert, dieWändemitBeton ver-
kleidet. Mit schmalen Spezialfahrzeugen
wurde das Material in die Röhre gefahren.
Zumal im Petersbergtunnel eine weite-
re Besonderheit herrscht: Denn die Stre-
ckeTrier–Koblenzwurde inden Siebziger-
jahren elektrifiziert; die Oberleitung, auf
der15000Volt Spannungliegen,musstein
die Einhausung integriert werden. Auch
das keine einfache Aufgabe, denn die Tun-
nel-im-Tunnel-Methode wurde bislang
nur auf Diesellokstrecken ohne Oberlei-
tungangewandt.DeshalbfertigteeineSpe-
zialfirma die Einhausung im Petersberg-
tunnel zum Beispiel in weiten Teilen aus
Holz,umErdungsproblememöglichstaus-
zuschließen. Das wiederum rief Brand-
schützer auf den Plan: Die setzten durch,
dass die Holzkonstruktion mit einer spezi-
ellen Brandschutzfarbe bepinselt und eine

LöschwasserleitungimTunnelverlegtwur-
de. Zudem installierten Techniker nur für
dieZeitderBaustellemehrereVideokame-
ras, um eine mögliche Rauchentwicklung
frühzeitig entdecken zu können.
Doch trotz des ganzen Aufwands zieht
Projektleiter Tauch nach gut zweieinhalb
Jahren Bauzeit ein positives Zwischenfa-
zit. Die Sache mit der Oberleitung habe
man gut in den Griff bekommen, auch an-
sonsten sei die Baustelle weitgehend nach
Plan gelaufen. Tauch ist sich sicher, dass
dieDBkünftig dieTunnel-im-Tunnel-Me-
thode auch bei anderen erneuerungsbe-
dürftigenTunnelnmitOberleitunganwen-
den wird. Und nicht nur sie: „Die Kollegen
in Österreich und der Schweiz“, so Tauch,
„schauen gespannt auf unsere Baustelle
und warten auf unsere Erkenntnisse.“
Zumal es künftig wichtiger wird, Bahn-
baustellen ohne größere Einschränkun-
gen für die Fahrgäste und die Betreiber
von Güterzügen abzuwickeln. Über viele
Jahrzehnte wurde das Schienennetz auf
Verschleiß gefahren, die Politik pumpte zu
wenig Geld in den Erhalt der bestehenden
Infrastruktur. Der „Sanierungsstau“, sa-
gen Fachleute, ist immens, überall im
Land müssen alte Tunnel oder bröckelnde
Brücken dringend saniert oder gar durch
Neubauten ersetzt werden. Viele dieser
Bauwerke stammen – so wie der Peters-
bergtunnel an der Mosel – oft noch aus der
Anfangszeit der Eisenbahn. Die Bundesre-
gierung hat mittlerweile das Problem er-
kannt und stellt mehr Geld zur Verfügung,
wenngleichBahn-Gewerkschafterkritisie-
ren, dass das noch zu wenig sei. Die DB in-

des erklärt, aktuell laufe das „größte Mo-
dernisierungsprogramm der Bahnge-
schichte“. Die Schattenseite ist, dass die
Zahl der Schienenbaustellen steigt. Viele
Betreiber von Personen- wie Güterzügen
stöhnenüberEinschränkungenundBelas-
tungen. Frachtkunden könnten auf die
Straße ausweichen, befürchten manche;
auch Fahrgäste könnten, einmal durch
Baustellen vergrault, nur schwer wieder
vomAuto zurück aufs Gleis geholt werden.
Branchenvertreter fordern daher auch, öf-
termalaufeineVollsperrungzuverzichten
und beispielsweise eine Behelfsbrücke zu
errichten, wenn an einer wichtigen Über-
führung gebaut wird. „Beim Autobahnbau
ist das gängige Praxis“, sagt Peter Westen-
berger vom Netzwerk Europäischer Eisen-
bahnen (NEE), einem Zusammenschluss
mehrerer Güterbahnbetreiber. Auf der
Schiene hingegen seien solche Behelfs-
konstruktionen oft noch die Ausnahme.
Bei der Sanierung des Petersbergtun-
nels indes schwenken die Arbeiter lang-
sam auf die Zielgerade ein. Aktuell werden
noch die letzten Tunnelwände betoniert,
im November sollen während der dann
vierwöchigen Vollsperrung die Einhau-
sung entfernt und die endgültigen Schie-
nenstränge verlegen werden, zudem wird
die neue Oberleitung installiert. Anschlie-
ßendstehennochTest-undAbnahmefahr-
ten an. Am 9.Dezember 2019, exakt um
vierUhrinderFrüh,sollderreguläreBahn-
betrieb wieder laufen. „Dieser Termin
steht“, sagt Tauch, er sei den Bahnunter-
nehmen, die auf der Strecke fahren, zuge-
sagt. „Und wir werden ihn halten.“

Als digitaler Trendsetter hat
die B-Klasse kurzerhand die
großen Modelle überholt

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Baustellen


Arbeiten auf engstem Raum: Während die Züge weiterhin durch
die innereRöhre rauschen, brechen Arbeiter Gestein aus dem Berg, um
den Tunnelquerschnitt zu vergrößern. Künftig ist damit in dem
Bauwerk auch Platz für zwei seitliche Fluchtwege. Bundesweit gibt es
fast 800 Eisenbahntunnel im Netz der Deutschen Bahn, viele
davon müssen in den kommenden Jahren erneuert werden.
FOTOS: MICHAEL CHROMETZ/DEUTSCHE BAHN, MVÖ (3)

140 Züge passieren täglich die
Baustelle. Bei einer Vollsperrung
würde überhaupt nichts fahren

Sag nicht Baby-Bomber zu mir


Bei Kompaktvans zählen die inneren Werte. Mercedes interpretiert das mit der B-Klasse neu


Kompaktvans sind aus der Mode – die neue Mercedes B-Klasse will mit ihrem Digital-
Cockpit gegensteuern (Bild unten). Der VW Golf Sportsvan wirkt mit seinem altbe-
kannten Interieur dagegen überholt. FOTOS: MERCEDES, VOLKSWAGEN

Tunnel


im Tunnel


An der Mosel testet die Bahn eine neue Methode, um alte


Eisenbahnröhren zu erneuern. Der Vorteil: Während der


Bauzeit kann die Strecke weiterhin befahren werden


DEFGH Nr. 172, Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019 MOBILES LEBEN 67

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