Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

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München– Esschien schon so, als würde
dieser Tag ohne besondere Zwischenfälle
zu Ende gehen für die Beamten der Bereit-
schaftspolizei. Für den Donnerstag hatte
die Polizei einen „Kontrolltag“ im Engli-
schen Garten angesetzt. Etwa 60 Beamte
waren im Einsatz. Darunter neben den
Streifenbeamten der Polizeiinspektion 12
in der Maxvorstadtauch Hundeführer und
zwei Pferde von der Reiterstaffel sowie je
25 Beamte einer Hundertschaft. Doch ge-
gen 23 Uhr wurde der Kontrolltag vorzeitig
abgebrochen, die Mannschaftswagen ras-
ten nach Starnberg, wo ein Fest vor einer
Schule eskaliert war.


Man wolle im Englischen Garten „an-
lasslos das Treiben überblicken“, hatte der
Einsatzleiter, Polizeidirektor Stephan
Funk, am Nachmittag vor dem Chinesi-
schen Turm die Aktion beschrieben. Einen
Anlass gab es natürlich schon, der lag nur
schon einige Wochen zurück: An den ers-
ten warmen Tagen des Jahres im April und
Maihatten sichmehrfachGruppenvonJu-


gendlichen auf der Karl-Theodor-Wiese
zwischen Monopteros und U-Bahn-Stati-
on Universität verabredet, um ein biss-
chen Radau zu machen und die Grenzen
des Erlaubten auszutesten. Am 17. April
wurdediePolizeigarzueinerMassenschlä-
gerei gerufen. 50 Beamte machten sich auf
denWeg,fandenabernuretwa15Jugendli-
che vor, zwei waren leicht verletzt.
Im vergangenen Jahr war die Lage ein-
malaußerKontrollegeraten,alsaufderun-
ter den Jugendlichen „Mono-Wiese“ ge-
nannten Fläche mehrere Geburtstage mit
vielAlkoholgefeiertwurden.EsgabProvo-
kationen und Rangeleien zwischen den
Gruppen. Ein Rettungswagen wurde geru-
fen, weil einer der Jugendlichen wohl noch
nicht einschätzen konnte, wie viel Alkohol
er vertragen kann. Aber dann griffen Um-
stehende die Sanitäter an und kletterten
auf das Dach des Rettungswagens. Fla-
schen flogen und die Polizei löste einen
Großeinsatz mit mehr als hundert Beam-
ten aus. Ein anderes Mal hatten sich ver-
gangenes Jahr mehrereHundert Halbstar-
ke via Internet verabredet, um unterhalb
des Monopteros ihre Kräfte zu messen. Als
diePolizeieintraf,wurdendieBeamtenan-
gegriffen, Flaschen geworfen. Schließlich
setzte die Polizei Schlagstöcke ein.

Damit sich ähnliche Szenen nicht wie-
derholen, zeigt die Polizei seitdem immer
wieder Präsenz im Englischen Garten, un-
ter anderem an diesem „Kontrolltag“. Auf
etwa 5000 schätzt die Polizei die Zahl der

Besucher auf der Karl-Theodor-Wiese am
Abend. Die Beamten gehen nicht auf die
Wiese selbst, sondern kontrollieren an den
Wegen dorthin und an den Eingängen zum
Englischen Garten. „Wir wollen vermei-

den, dass wir alle belästigen, die nur ihren
Spaß haben wollen“, sagt Funk. Bei Schlä-
gereien gehen sie natürlich dazwischen.
EsistvollwieaufeinemVolksfestandie-
sem Sommerabend. Ein Schüler schleppt

schwitzend einen Kasten Helles. Die Poli-
zisten bitten ihn zur Seite, wollen seinen
Ausweissehen: Ist derüberhauptschon alt
genug für Bier? Das Alkoholverbot für den
EnglischenGartenistAuslegungssache.Al-
koholgenuss ist verboten, „soweit andere
dadurch mehr als unvermeidbar belästigt
werden“, heißt es in der „Verordnung der
staatlichenParkanlage“.BierlassendiePo-
lizisten meistens durchgehen.
Als erdreiJugendlichemitleeren Jäger-
meister-Flaschen in den Händen sieht,
spricht der Einsatzleiter Funk sie an: „Ich
hoffe mal, sie sammeln hier nur die leeren
Flaschen ein“, sagt er. „Klar“ sagen die drei
scheinbar einsichtig und trotten davon.
Dass es gelungen sei, die Gewalt weitge-
hend aus dem Englischen Garten zu ver-
drängen, liege nicht nur an der Polizei,
sagt Funk, sondern auch an den vielen an-
derenBesuchern:„DienormalenLeutever-
drängen die Bösen.“
Die Bilanz des Kontrolltages fällt denn
auch harmlos aus: Fünf Personen wurden
an diesem Donnerstag mit Joints erwischt,
ein besoffener E-Scooter-Fahrer wurde
aus dem Verkehr gezogen, drei Jugendli-
chewarennochzujung,um Alkoholzutrin-
ken. Der Krawall war an diesem Abend an-
derswo. julian hans

von david cost anzo

D

as Sommerfest des Starnber-
ger Gymnasiums ist eine ent-
spannte Angelegenheit. 400
Schüler, Eltern, Lehrer und
EhemaligefeiernamDonners-
tagdenVorabend desletzten Schultags vor
den Sommerferien, Musik spielt, es gibt
Aufführungen,imPausenhofsindunterei-
nemriesigenSonnenschirmBierbänkeauf-
gestellt. Alkohol wird nicht ausgeschenkt.
Wohl auch deswegen treffen sich die äl-
teren Jugendlichen seit Jahren vor dem
Gymnasium – Schüler, die zwischen Som-
merfest und Party unter freiem Himmel
pendeln, Freunde, Bekannte und andere,
die davon wissen, bis aus Herrsching und
sogar Ingolstadt sollen Besucher gekom-
men sein. Zwei Tankstellen sind nah, ein
Burger-Brater,dieNachtist heiß,dieSchu-
le ist vorbei, für die Abiturienten für im-
mer. Was kann es Schöneres geben? Dut-
zende, wenn nicht hunderte Jugendliche
bevölkern den Gehweg.
Die Stimmung ist gut. Bis um kurz vor
zehn die Fete vor der Schule eskaliert. Eine
Gruppe von 50 Jugendlichen versucht, die
gegenüberliegende Polizeiinspektion zu
stürmen,sieschleudernFlaschenundStei-
ne, eine Scheibe geht zu Bruch. Einzelne
versuchen, die Tür zur Wache zu knacken,
um einen Gefangenen zu befreien. Blau-
licht und Sirenen erfüllen die Nacht, 70
Beamte rücken an, nehmen drei Jugendli-
che fest. Starnberg, Schnösel, Selbstjustiz



  • das klingt nach einer Mischung, die alle
    Vorurteile über den reichsten Landstrich
    derRepublikbedient.Aber ganzsoklarlie-
    gen die Dinge nicht.
    AuslöserderEskalationisteinbetrunke-
    ner15-JährigerausdemLandkreis,derdas
    Starnberger Gymnasium gar nicht be-


sucht. Er pöbelt einen Sicherheitsmann
an, will Drogen bei ihm kaufen, randaliert.
Die Schule bestellt seit Jahren drei Wach-
leute,weilimmerwiederSchulfremdever-
sucht haben, sich aufs Sommerfest zu mo-
geln. Und Schulleiter Josef Parsch will kei-
nemseinerLehrerzumuten,währenddrin-
nen die Abschlussfeier stattfindet, drau-
ßen betrunkene Halbstarke abzuweisen.
Das übernehmen also Security-Mitarbei-
ter. Sie lassen den 15-Jährigen nicht rein,
schaffen es aber nicht, ihn zu beruhigen,
und gehen rüber zur Polizei.
ZweiStreifenbeamterückenan,identifi-
zieren den Randalierer auf der Freiluftfete
abseits des Schuleingangs. Der 15-Jährige
führt sich laut Polizei „extrem aggressiv
und beleidigend“ auf, auch gegenüber der
Streife. Nachdem er mehrere Platzverwei-
se ignoriert, nehmen ihn die Polizisten in
Gewahrsam. Schüler, die das Geschehen
beobachten, berichten, dass die Beamten
den Jugendlichen zu Boden gebracht und
gefesselt hätten.Dann sollen die Polizisten
den15-JährigenaufdieandereStraßensei-
te Richtung Wache geschleift haben. Das
versuchen mehrere seiner Freunde bereits
zu verhindern. Einer tritt laut Polizei in
Richtung des Kopfes eines der Beamten,
verfehlt aber sein Ziel.
DieAufruhristgroß.Biszu100Leutefol-
gen den Polizisten zur Dienststelle. Laut
Polizei rotten sich etwa 50 Jugendliche zu-
sammen, Augenzeugen aus der Schule be-
richten von 20 bis 30 Menschen, die sich
vor dem Eingang der Wache aufbauen.
Wie viele davon tatsächlich Schüler des
Gymnasiums sind, hat die Polizei noch
nicht ermittelt. Direktor Parsch geht da-
von aus, dass es, wenn überhaupt, nur ein

sehr kleiner Teil war. Die Einsatzleitung
der Polizei zieht etwa 25 Wagen aus Ober-
bayern in Starnberg zusammen. Lehrer
und Eltern berichten, dass zwei Beamte
mit Schild aussteigen und „wahnsinnig
aufgeregte Polizeihunde“ ihre Führer hin-
tersichherziehen. Die Jugendlichenversu-
chen, das Dienststellenschild von der
Wand zu reißen, das aber standhält. Am
Tagdaraufistesabmontiert,umFingerab-
drücke und DNA-Spuren zu sichern.
Der 15-Jährige klagt in der Nacht über
Kopfschmerzen und wird ins Kranken-
haus gebracht. Alkotest und Drogen-
schnelltest verlaufen positiv. Sein Vater
nimmt ihn in Empfang. Festgenommen
werden auch ein 19-Jähriger aus Berg und
ein15-Jähriger aus dem Landkreis.Die Po-
lizei stellt ihre Identität fest und lässt ih-
nen Blut abnehmen. Die Kripo ermittelt
wegen Verdachts des Landfriedensbruchs,
versuchterGefangenenbefreiung,versuch-
ter gefährlicher Körperverletzung und Wi-
derstands gegen Vollstreckungsbeamte.
Ausgewertet werden auch Handyvideos.

Drogen, Hitze, Aggression – doch es
gibt noch mehr Faktoren, die zur Eskalati-
on beitragen. Die Polizeiinspektion liegt
keinen Steinwurf vom Gymnasium ent-
fernt.DieJugendlichenziehennichtmaro-
dierend durch die Stadt, ihre Wut entlädt
sich auf ihrem Höhepunkt nach nur weni-
genMeternvordem HaupteingangderPo-
lizeiinspektion. Und wütend, das sind die
Freunde des 15-Jährigen. Nach der Fest-
nahme des schwarzen Jugendlichen hät-
tensiedieBeamtenmitRassismusvorwür-
fen und polizeifeindlichen Schlachtrufen
überzogen,berichtenAugenzeugen.Präsi-
diumssprecher Hans-Peter Kammerer be-
stätigt das. Das Vorgehen der Beamten
aber habe damit nichts zu tun gehabt, es
sei verhältnismäßig gewesen: „Die Sache
wäreerledigt gewesen, wenn der Jugendli-
che einfach weggegangen wäre.“
Die meisten Besucher des Sommerfests
im Gymnasium bemerken den Vorfall erst
nach dem Ende der Feier gegen 22 Uhr, als
sieandenPolizeiabsperrungenihrePerso-
nalien angeben müssen. Schulleiter
Parsch –einfreundlicherMannmitresolu-
ter Stimme – versichert, dass der Vorfall
nichtsmitdemGymnasiumzutunhat.Au-
ßerhalb der Schule könne er niemanden
wegschicken: „Da endet meine Macht.“
Überhaupt habe er ja nichts dagegen,
wenn Jugendliche draußen friedlich fei-
ern.
Starnbergs Bürgermeisterin Eva John
istamnächsten MorgenzurSchulegekom-
men und zitiert aus einem Brief, den die
Schüler der Polizei geschrieben haben.
„Unreif und inakzeptabel“ nennen sie dar-
in das Verhalten der Jugendlichen, sie be-
dauern, dass es so weit gekommen ist. Im
kommenden JahrwilldieStadt dieFeteun-
terfreiemHimmelzusammenmitderPoli-
zei unterbinden.

Schulleiter Josef Parsch ist überzeugt, dass der Angriff auf
die Polizeiwache, bei der auch eine Scheibe zu Bruch ging,
nichts mit dem Gymnasium zu tun hat. FOTOS: ARLET ULFERS

Mit einem Großaufgebot rückte die Polizei am Donnerstagabend im Englischen Garten an, um „anlasslos das Treiben“ zu beob-
achten. FOTOS: ROBERT HAAS

Fast ein ruhiger Abend


Weiles in der Vergangenheit auf der Wiese unterhalb des Monopteros mehrfach Probleme mit betrunkenen Jugendlichen gab, wollte die Polizei mit einem „Kontrolltag“ ein Zeichen setzen


Jugendliche wollen


Polizeiwache stürmen


Am Rande einer Feier am Starnberger Gymnasium
nehmen Beamte einen 15-Jährigen in Gewahrsam –
danach eskaliert die Situation

„Die Sache wäre erledigt
gewesen, wenn der Jugendliche
einfach weggegangen wäre.“

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„Wir wollen vermeiden,


dass wiralle belästigen, die nur


ihren Spaß haben wollen.“



R2 MÜNCHEN – Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019, Nr. 172DEFGH


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