Süddeutsche Zeitung - 27.07.2019 - 28.07.2019

(nextflipdebug5) #1
von roman deinin ger

M


ünchen, 26. Juli. Nach ihrer ers-
ten gemeinsamen Kabinettssit-
zungamBodenseehabendieCo-
Ministerpräsidenten von Bayern-Baden-
Württemberg, Markus Söder und Win-
friedKretschmann,ihrePlänefürdiewei-
tereIntegrationvorgestellt.NochamWo-
chenende soll demnach an der vormali-
gen Landesgrenze zwischen Illertissen
und Dietenheim mit dem Bau einer ge-
meinsamenStaatskanzleibegonnenwer-
den.„AufdemDach werdenelfBienenvöl-
ker, aber auch Wölfe und Bären eine Hei-
mat finden“, kündigte Söder an. Die Bie-
nen würden pro Jahr insgesamt 240 Kilo
Südstaaten-Honigproduzieren,„aberoh-
ne jeden Druck und in familienfreundli-
chen Arbeitszeitmodellen“.
Söder und Kretschmann sagten, ihr
Anspruch sei es, dass es in wenigen Jah-
ren rechts und links von Bayern-Baden-
Württemberg kein anderes Bundesland
geben dürfe. „Nur in Bayern-Baden-
Württemberg bekommt jeder Haushalt
mit einer Person oder mehreren Perso-
nen sein eigenes Batterieforschungszen-
trum“, so Kretschmann. Als symboli-
scherAusdruck derVereinigungder Süd-
länder soll die Autobahn A8 zwischen
MünchenundStuttgartaufeinerGesamt-
länge von 203 Kilometern in einen Blüh-
streifen umgewandelt werden. Die bei-
den Ministerpräsidenten versicherten
aber, die Maßnahme dürfe „keinesfalls
zu Lasten des Automobils gehen“. Fahr-
verbote auf dem Blühstreifen seien „mit
uns nicht zu machen“.
Künftig wollen Söder und Kretsch-
mannmiteinemgemeinsamenExperten-
kabinettregieren.Bereits amFreitagwur-
de öffentlich, dass Kretschmann Hannah
Arendt als Staatsministerin für die Frei-
heitdesDenkensunddieBanalitätdesBö-
sen berufen will. „In dieser Kombination
hat es ein solches Ressort in der deut-
schen Politik bislang nur selten gege-
ben“,erklärteKretschmann.„Richtig“,er-
gänzteSöder.PeriklessollmitdenPortfo-
liosJustiz,BauundRhetorikeinSupermi-
nisterium übernehmen. Söder wiederum
hatdemVernehmennachAnakinSkywal-
ker das Verkehrsministerium angeboten.
Aus Söders altem Kabinett bleibt nie-
mand im Amt; der bisherige Vize-Minis-
terpräsident Hubert Aiwanger wird Be-
auftragterfürVerkehrssicherheitundAr-
tenvielfalt in Blühstreifen. Uneinig sind
sich Söder und Kretschmann offenbar
noch, ob in der Menschenrechtscharta
der neuen Landesverfassung von
„Brezn“oder„Brezeln“dieRedeseinsoll.
FernerteiltenSöderundKretschmann
mit, im Herbst als Duo für den SPD-Vor-
sitz kandidieren zu wollen.


Roman Deininger ist in
Brezn-Fragen ein Freund
der bayerischen Leitkultur.

von christin a berndt
und dietrich mittler

Landshut–KrisenstimmunginderLands-
huter Kinder- und Jugendpsychiatrie
(KJP). Ein Siebenjähriger ist völlig außer
sich.Ertobtundschreit.ImAufnahmezim-
mer beschimpft er das Pflegepersonal und
seine Eltern. Er wirft mit Stühlen um sich,
schlägt sogar auf seine Mutter ein, die ihn
beruhigen will. Der Bub ist nicht zu bändi-
gen, so sehen es die Ärzte. Daraufhin wird
er nach Absprache mit den Eltern und auf
richterliche Anordnung hin an einem Bett
festgebunden. Fixiert, wie es in der Fach-
sprache heißt. Ganze fünf Stunden lang.

Das Kind zur Seite nehmen? Es beruhi-
gen? Es vielleicht in einem sicheren „Aus-
zeit-Raum“ erst einmal zur Ruhe kommen
lassen?Dafürsahendie Ärzteoffenbarkei-
ne Möglichkeit mehr. Aber gab es wirklich
keine? Und musste die Fixierung so lange
dauern? Der Fall des Buben, aber auch an-
dere Praktiken in Landshut, sorgen der-
zeitweit überBayernhinausfürDiskussio-
nen unter Fachleuten. Der Bezirk Nieder-
bayernalsTräger derEinrichtungsiehtin-
zwischen selbst Handlungsbedarf: Als ex-
terner Berater soll Romuald Brunner, der
Direktor der Klinik für Kinder- und Ju-
gendpsychiatrieanderUniversitätRegens-
burg, nun klären, ob die Therapiemetho-
den der KJPLandshut „den heutigen Be-
handlungsgrundsätzen entsprechen“, wie
der Bezirk mitteilte.
Dass der Vorfall überhaupt nach drau-
ßendrang,liegtletztlichaneinerStellung-
nahme des Bezirks. Darin wehrt sich Her-
mannSpießl,derÄrztlicheDirektordesBe-
zirkskrankenhauses Landshut (BKH), ge-
gen„schwereVorwürfe“durchdenbisheri-
gen KJP-Chefarzt Dietmar Eglinsky und
teilt mit, dass man sich von diesem ge-
trennthabe–nachgerademalneunMona-
ten. Einer von Eglinskys Vorwürfen, so
schrieb der Bezirk in seiner Stellungnah-
me, lautete: „Patienten sollen häufiger als
notwendig an Betten fixiert worden sein.“
Diesen Vorwurf bestätigt Eglinsky auf
Nachfrage. Die Bereitschaft zur Fixierung
sei in Landshut „niedrigschwellig“, sagt er
und fügt weitere Bedenken gegen die KJP
Landshuthinzu: Dortwürden zuvieleKin-
der und Jugendliche auf der geschlossen
Station untergebracht. Und außerdem sei
auf dieser der Umgang mit den Patienten
nicht wertschätzend und lösungsorien-
tiert, sondern bevormundend und abwer-
tend. Etwa sei einem stark weitsichtigen
Patienten die Brille abgenommen worden,
damit er die Gläser nicht zum Suizid nut-
zen könne. „Es gab keinen Anlass, ihm die

Brillewegzunehmen “,sagt Eglinsky.Es ist
nicht das erste Mal, dass er kritisch an die
Öffentlichkeit tritt. Bei einem Experten-
treffen in Regen hatte er kürzlich ange-
merkt: „Wenn ihr von Kindern oder Ju-
gendlichen aus der Landshuter Klinik
über Missstände hört, dann tut das nicht
einfach ab. Schaut bitte kritisch hin.“
Angesichts seiner Beobachtungenhatte
der 51-Jährige schon bald nach seiner An-
kunft in Landshut beschlossen, die Klinik
zureformieren.DochseineKritiklösteGe-
genwehr aus. Die Oberärzte fühlten sich
angegriffen. In einem gemeinsamen Brief
warfen sie dem neuen Chef Inkompetenz,
massive Fehler und Führungsschwäche
vor. Offenbar war es Eglinsky nicht gelun-
gen,seinTeamaufdemReformwegmitzu-
nehmen.InzwischenistervonseinerTätig-
keit freigestellt, sein Vertrag läuft Ende
des Monats aus. Warum er sich mit seiner
Kritik nach außen wandte? Monatelang
seiihminnerhalbdesKlinikums,vomTrä-
ger und vom Ärztlichen Direktor kein Ge-
hör geschenkt worden, sagt er.
Doch Bezirk und Krankenhaus setzen
sich zur Wehr. „In der Klinik werden keine
Fixierungen ohne richterliche Genehmi-
gung durchgeführt“, heißt es. Außerdem
erfolgten sie erst „nach der Ausschöpfung
aller anderen deeskalierenden Maßnah-
men“. Allerdings weisen die Zahlen darauf
hin, dass relativ häufig fixiert wird: 2018
sind in Landshut laut Bezirk 63Fixierun-
gen vorgenommen worden. Davon waren
28Patienten betroffen, was angesichts
von 470Patienten 6,0Prozent der Patien-
ten entspricht. 2017 waren es 4,6Prozent.
DasistvielimVergleichzuanderenHäu-
sern. So wurden 2018 in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie des Klinikums Nürn-
berg mit ihren 1100 Patienten 13 Personen
fixiert, das entspricht 1,2 Prozent, an der
Heckscher-Klinik in München waren es
im gleichen Zeitraum 0,9 Prozent, an den
zumUniversitätsklinikumWürzburggehö-
renden Institutionen 2019 gemittelt
2,6Prozent. Der Bezirk betont, dass sich
die Zahlen nur schwer vergleichen lassen.
Allerdings sind all diese Häuser ebenso
wie das BKH Landshut zur Versorgung all

jener Patienten verpflichtet, die zu ihnen
kommen. Und an allen Häusern gilt das
Credo: Fixierungen sind so gut es geht zu
vermeiden. Eglinsky sagt: „Eine Fixierung
ist die maximale Traumatisierung, die
man in der Kinder- und Jugendpsychia-
trie anrichten kann.“
In einem weiteren Punkt fällt Landshut
auf:AnkeineranderenKlinikistindenver-
gangenen Jahren ein Kind unter zehn Jah-
ren fixiert worden, sofern es nicht geistig

behindert war. „Bei einem so jungen Kind
hat man schon wegen der Körpergröße in
derRegel andereMöglichkeiten“, sagt Lui-
sePoustkavonderKJPdesUniversitätskli-
nikums Göttingen. Auch die Länge der Fi-
xierung des Siebenjährigen irritiert. In der
Regel dauern Fixierungen 15, 30 oder ma-
ximal 60 Minuten, nur im Einzelfall Stun-
den. Auch in Landshut sei das aber eine
Ausnahme gewesen,betont der Bezirk.
NebenderhohenFixierungsquotesorgt
einweiteres Detail für Unruhe in derFach-
welt:derinLandshutpraktizierte„Stufen-
plan“. Demnach gilt für suizidgefährdete
KinderundJugendlichezunächstdie„Stu-
fe Null“. In dieser dürfen die Patienten nur
mit dem Löffel essen – Messer und auch
Gabeln gelten als zu gefährlich. Sie dürfen
ihrZimmernichtverlassen,BadundToilet-
te nur in Begleitung betreten. Alle Schrän-
ke sind verschlossen. Bei angemessenem
BetragengelangendieKinderundJugend-
lichen später auf Stufe Eins. Wer sich aber
gegenüber Pflegepersonen und Ärzten
nicht ruhig und respektvoll verhält, nicht
auf körperliche Distanz achtet, zu den
Mahlzeiten keine angemessenen Portio-
nen isst oder gar mit Mitpatienten zu tu-
scheln anfängt, wird laut Plan wieder zu-
rückgestuft. Überdies: Aufforderungen
seistets ohne Diskussionnachzukommen.

Renate Schepker, Regionaldirektorin
beim Zentrum für Psychiatrie Südwürt-
temberg,hatsichmitdemLandshuterStu-
fenplan auseinandergesetzt. Ihr Fazit: Ei-
ne Isolierung sei für suizidale Patienten
„genau die falsche Herangehensweise“.
DassdiePatientendasZimmernichtaufei-
genen Wunsch verlassen dürfen, sei eine
freiheitsentziehendeMaßnahme,unddie-
se nach einem Plan tagelang durchzuzie-
hen,seiseit Oktober 2017 nicht mehrlegal.
Dass Patienten Aufforderungen ohne Dis-
kussion nachzukommenhätten,zementie-
re ein Machtverhältnis wie beim Militär.
„Vollkommene Anpassung und Unterwer-
fung“, das könne in der Psychiatrie doch
niemand wollen, sagt sie.
Auch Michael Kölch hält den Landshu-
terStufenplanfürproblematisch.JedeKli-
nik, so betont der stellvertretende Präsi-
dent der Deutschen Gesellschaft für Kin-
der- und Jugendpsychiatrie, halte sich an
gewisseStandards.Aberdiemüsstensoge-
staltet sein, „dass sie nicht zynisch oder
menschenverachtend werden“, dass sie
nicht ins Absurde abgleiten. „Was letztlich
hinter diesem Stufenplan steht, ist meines
Erachtens die Sorge, etwas falsch zu ma-
chen“, sagt er.
UngeklärtbleibtderweildieZahlderUn-
terbringungen auf der geschützten Stati-
on in Landshut. Der Bezirk gibt sie nicht
heraus. Eglinsky zufolge liegt sie bei rund
50Prozent. Sollte diese Zahl zutreffen, sei
sie „erstaunlich hoch“, sagt Kölch. Er fin-
det es „ungewöhnlich, dass die Hälfte aller
Patienten offenbar nicht freiwillig da ist
oder einen Beschluss braucht“. Üblich sei-
en 15 bis 30Prozent.
FürDietmarEglinskystehtjedenfallsei-
nes fest: Er will mehr Öffentlichkeit für die
Vorfälle in Landshut – egal, welche Folgen
das für ihn persönlich haben wird. „Wenn
Interessen von Kindern betroffen sind“,
sagt er, „kann ich nicht schweigen.“

Ärztlicher Direktor Hermann
Spießl weist die Kritik zurück.

Raubling/München– In einer beinahe
zehnstündigen Operation haben Münch-
ner Ärzte einem 13-jährigen Jungen nach
einemBadeunfalleinenabgerissenenUn-
terarm wieder angenäht. Der Bub hatte
am Donnerstagnachmittag mit Freun-
den am Hochstraßer See in der Nähe von
Raubling (LandkreisRosenheim)gespielt
und gebadet. „Der Junge hat sich wohl
mit einem um den Arm geschlungenen
Seilauf den See geschwungen, wollte los-
lassen, aber das Seil hat sich nicht gelöst,
unddurchsein eigenesKörpergewichtist
derUnterarmausgerissen“,sagtederLei-
ter des Hand-Trauma-Zentrums am
Münchner Universitätsklinikum, Riccar-
do Giunta, am Freitag nach der erfolgrei-
chen Operation.
„Derzeit haben wir eine sehr gute
Durchblutung des replantierten Arms.
DieRekonstruktiveMikrochirurgiehatei-
neWiederherstellungvonNervenund Ge-
fäßen möglich gemacht“, erläuterte
Giunta. Das schnelle Annähen des abge-
rissenenArmsseidurchdas reibungslose
ZusammenspielvonHaunerscherKinder-
klinik und von Unfallchirurgie, Anästhe-
sie sowiederHand-undPlastischenChir-
urgie am Klinikum der LMU möglich ge-
wesen. Auch der Junge und seine Freun-
de hatten nach dem dramatischen Unfall
in fast unglaublicher Weise gehandelt.
„Er ist dann selbst noch zu einem Kiosk
gegangen, und Freunde haben den Arm
wohl nachgebracht. Von dort wurde der
Junge mit einem Rettungshubschrauber
in das Dr.von Haunersche Kinderspital
gebracht“, zitiert das Uniklinikum die an
der Rettung beteiligten Kinderärzte. Der
direkt am Inn gelegene Hochstraßer See
ist ein beliebtes Badegewässer für die
Menschen im Raum Rosenheim. dpa


Dietmar Eglinsky kritisiert den
Landshuter Klinikbetrieb.

UNTER BAYERN

Laugengebäck für


die Südstaatler


Fünf Stunden


Dietmar Eglinsky, ehemaliger Chefarzt der Landshuter Kinder- und Jugendpsychiatrie, erhebt Vorwürfe gegen die Klinik.
Dort sollen Patienten häufiger als notwendig an Betten fixiert worden sein. Der Bezirk Niederbayern verspricht Aufklärung

Ärzte nähen Buben


den Armwieder an


In der Fachwelt
besteht kein Zweifel
daran, dass es
problematisch ist,
Kinder und
Jugendliche am Bett
zu fixieren. Nicht erst
seit den Vorwürfen
gegen die Kinder- und
Jugendpsychiatrie, die
zum Bezirkskranken-
haus Landshut
gehört (unten), wird
darüber gestritten,
wann diese
Maßnahme wirklich
nötig ist.
FOTOS: PRIVAT (2),
BILDBEARBEITUNG: SZ,
BEZIRK NIEDERBAYERN (2)

Vollkommene Anpassung
und Unterwerfung könne in
der Psychiatrie niemand wollen


DEFGH Nr. 172, Samstag/Sonntag, 27./28. Juli 2019 – R13


BAYERN


Ministerpräsident Markus Söder stellt
sich in Nürnberg Vertretern der
Fridays-for-Future-Bewegung. Seite R14

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