Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

18 wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


Weisse Elefanten aus China


W


iderwillig gab vor 15 Jah-
ren die tansanische Regie-
rung auf Druck der Welt-
bank und des Internationalen
Währungsfonds den Plan auf, von einem
französischen Unternehmen ein neues
hochmodernes nationales Fußballstadion
in der Küstenstadt Daressalam bauen zu
lassen. Tansania hatte in den Jahren zu-
vor wie auch andere arme Länder einen
großen Schuldenerlass erhalten. Der Bau
eines teuren nationalen Stadions, wie es
damals der Präsident Benjamin Mkapa
wünschte, schien deshalb unangemessen.
Doch wenige Monate später unterzeich-
neten Tansania und China einen Vertrag
über den Bau der Benjamin-Mkapa-
Sportarena mit 60 000 Sitzen, die 53 Mil-
lionen Dollar kosten sollte. Grob die
Hälfte davon kam nach Medienberich-
ten als Zuschuss aus China. Für die ande-
re Hälfte bezahlte die tansanische Regie-
rung, die heute auch der Eigentümer des
Stadions ist.
Das Beispiel zeigt, wie die Regierung
in Peking ihre Entwicklungshilfe flexi-
bel an den Interessen der Nehmer aus-
richtet. Dabei bedient China auch Presti-
geprojekte von Präsidenten, unabhängig
vom wirtschaftlichen Nutzen. „Weiße
Elefanten“ werden solche kostspieligen
Bauten, die teuer im Unterhalt sind und
nur begrenzten Nutzen bringen, auch
genannt.
Im Frühjahr 2007 war das Stadion
noch im Bau. Zur selben Zeit wurde in
Daressalam mit japanischem Geld die
Kilwa Road ausgebaut, die am Stadion
vorbei in die Innenstadt führt und die zu
Stoßzeiten immer ein Nadelöhr mit
Staus gewesen war. Der konkrete Nutzen
des Straßenausbaus war – im Gegensatz
zur Arena – unmittelbar ersichtlich.
Andere Beispiele für die besondere
Art chinesischer Entwicklungshilfe in
Afrika gibt es zur Genüge. Im Dorf Yoni
im Bezirk Bombali in Sierra Leone wur-

de vor einigen Jahren eine wunderschö-
ne Schule errichtet, mitten im Busch, fi-
nanziert mit chinesischem Geld. Yoni ist
der Heimatort des damaligen Staatspräsi-
denten von Sierra Leone, Ernest Bai Ko-
roma. Ist das ein Zufall?
Dieses Beispiel stammt aus einer Stu-
die, die eine Forschergruppe um den
Heidelberger Ökonomen Axel Dreher
verfasst hat. Die Autoren gehen der Fra-
ge nach, ob afrikanische Despoten und
Präsidenten ausländische Entwicklungs-
hilfe dazu nutzen, ihre Heimatregionen
zu begünstigen. Unwahrscheinlich ist das
nicht, mühen sich doch auch in westli-
chen demokratischen Staaten Abgeordne-
te darum, staatliches Fördergeld in ihre
Wahlkreise zu lenken.
Chinesische Entwicklungshilfe, so ver-
muten die Ökonomen, ist für eine sol-
che politische Einflussnahme besonders
anfällig. Denn China ist bekannt dafür
und stolz darauf, dass es seine Entwick-
lungshilfe nicht an politische Bedingun-
gen knüpft, nicht in die inneren Angele-
genheiten des Empfängerlandes hinein-
regiert und die Souveränität der Emp-
fänger respektiert. So zumindest verkün-
det es die chinesische Propaganda. Weil
die Geldvergabe durch China mit weni-
ger Bedingungen und Auflagen verbun-
den ist, ist das Geld aus dem Reich der
Mitte bei vielen afrikanischen Regierun-
gen jedenfalls beliebter als westliche Ent-
wicklungshilfe.

Begünstigt das die Umverteilung von
Geld hin zur politischen Heimatbasis?
Die Ökonomengruppe findet in ihrer
ökonometrischen Analyse von Daten
aus 47 afrikanischen Ländern in den Jah-
ren 2000 bis 2011 hinreichend Indizien,
um ihre These zu stützen. Man muss da-
von ausgehen, das afrikanische Führer
chinesisches Entwicklungsgeld nutzen,
um ihre Klientel zu Hause vor Ort zu be-
vorzugen.
Bei dieser Aussage bleiben die For-
scher zum Glück nicht stehen. Denn das
Einschlagen auf China bringt nicht viel,
wenn der Vergleich mit der Entwick-
lungshilfe westlicher Prägung fehlt. Ein
direkter Vergleich mit der bilateralen
Entwicklungshilfe zum Beispiel von
Deutschland nach Afrika wäre hilfreich,
doch mangels Daten greifen die Auto-
ren für ihre Analyse auf multilateral fi-
nanzierte Projekte der Weltbank zu-
rück. Dieser Vergleich zeigt einen inter-
essanten Gegensatz.
Im Unterschied zur chinesischen Ent-
wicklungshilfe sind die Weltbank-Projek-
te weit weniger anfällig dafür, von den
Herrschenden der Empfängerländer für
die lokale Umverteilung in die Heimat
missbraucht zu werden. Das strenge und
bürokratische Regelwerk der Weltbank
scheint der politischen Korruption einen
gewissen Riegel vorzuschieben, wenn es
wohl auch Verschwendung innerhalb der
Weltbank begünstigt.
Die scheinbare Überlegenheit der
Weltbankprojekte ist kein Grund für die
westlichen Geber, sich moralisch besser
als die chinesischen Entwicklungshelfer
zu fühlen. Westliche Entwicklungshilfe
gleicht mit all ihren Konditionen und
Bedingungen der Geldspende an den Al-
koholiker auf der Straße, die nur gezahlt
wird, wenn der Mann davon Brot statt
Schnaps kauft. Chinesische Entwick-
lungshilfe verzichtet zumindest nach der
Propaganda auf solche Auflagen, lässt

dem Mann aber die Würde, selbst über
sein Schicksal zu entscheiden. Aus frei-
heitlicher Sicht ist eindeutig, was die mo-
ralisch überzeugendere Lösung ist. Man
darf wohl auch vermuten, dass Korrupti-
on in Entwicklungsländern ebenso wie
die Alkoholsucht wohl nur von innen
heraus oder durch den eigenen Willen,
nicht aber durch Auflagen von außen zu
heilen ist.
Die korrupte Lenkung ausländischer
Entwicklungsgelder in die Heimatregion
der Herrschenden muss nicht bedeuten,
dass das Geld verschwendet ist. Die Auto-
ren finden in ihrer Datenanalyse starke
Hinweise, dass die untersuchten chinesi-
schen Entwicklungshilfeprojekte die wirt-
schaftliche Entwicklung innerhalb und
außerhalb der Heimatregion der politi-
schen Führer fördern. Das lässt sich dar-
an ablesen, dass die nächtliche Beleuch-
tung sich in diesen Regionen als Zeichen
wachsenden Wohlstands ausbreitet. Satel-
litenfotos helfen Ökonomen so, die regio-
nalen Effekte der Entwicklungshilfe bes-
ser zu verstehen. Das ist ein origineller
Ansatz, der zeigt, dass Ökonomen weit le-
bensnaher forschen, als es die oft wohlfei-
le Kritik an der theoretischen Kunst
wahrnehmen will.
Lässt sich mit dieser Methode auch
für Entwicklungshilfeprojekte der Welt-
bank aufzeigen, dass sie dem wirtschaftli-
chen Wachstum in der jeweiligen Region
helfen? Leider nein. In einer anderen
Studie konnte Dreher zusammen mit
dem Ökonomen Steffen Lohmann die-
sen Zusammenhang jedenfalls nicht nach-
weisen. Vielleicht hat der chinesische An-
satz, den Empfängerländern bei den Ent-
wicklungshilfeprojekten mehr Mitspra-
che einzuräumen, doch seine Vorteile.
Axel Dreher u. a. (2016): Aid on Demand: African Leaders
and the Geography of China's Foreign Assistance, AidData,
Working Paper 3, Oktober 2016.
Axel Dreher und Steffen Lohmann (2015): Aid and Growth
at the Regional Level. Oxford Review of Economic Policy,
Bd. 31, S. 420–446.

Afrikas Despoten lenken
chinesische
Entwicklungshilfe in ihre
Heimatregion.
Ist das schädlich?

Von Patrick Welter


I

mmerhin, aus dem Gespräch
zum Alpentransit in dieser
Woche kam der deutsche Ver-
kehrsminister nicht mehr
ganz so breitbeinig heraus, wie er
hineingegangen war. Den „Ge-
sprächsstau“ gelte es zunächst
aufzulösen, verkündete Andreas
Scheuer nach einem „Krisenge-
spräch“ mit den Kollegen aus
Österreich. Die Entspannung des
realen Staus von Autos und Lastwa-
gen soll irgendwann folgen.
„Gesprächsstau“: Das ist eine
ziemlich vornehme Umschreibung
für die wortlose Ignoranz, mit der
die Bundesrepublik bisweilen ihre
Probleme in den Nachbarländern
ablädt. Das gilt besonders, wenn es
um Verkehrsfragen geht. Da ma-
chen deutsche Politiker gern, was
in Beziehungen als tödlich gilt: Sie
schalten auf Durchzug. Sie nicken
geistesabwesend, wenn Nachbarlän-
der ihre Probleme vortragen. Sie
tun so, als ginge sie das nichts an.
Sie versprechen Dinge, die sie hin-
terher aber nicht einhalten.
Immerhin hat sich die Debatte
jetzt gedreht. Als die Tiroler Lan-
desregierung vor kurzem verkünde-
te, sie werde bei verstopfter Auto-
bahn den Ausweichverkehr über
Landstraßen und Ortsdurchfahr-
ten nicht mehr dulden, war die Auf-
regung in Deutschland groß: Über
die angebliche Wegelagerei empör-
ten sich sogar Leute, die daheim
gegen jede Umgehungsstraße pro-
testieren – wohl in der Annahme,
das sei wieder irgendeine populisti-
sche Idee aus dem Arsenal der
FPÖ. In Tirol regiert allerdings
schon länger eine schwarz-grüne
Koalition.
Inzwischen ist die Erkenntnis ge-
wachsen, dass die Tiroler so falsch
nicht liegen. Denn sie leiden nicht
nur an ihrer geographischen Lage,
sondern auch an der Politik der
Nachbarländer. Die Schweiz hat
schon vor längerem vorgemacht,
wie es geht: Sie hat Straßenausbau-
ten wie die zweite Gotthard-Röhre
gestoppt, den Lkw-Verkehr be-
schränkt, die Eisenbahn im Gegen-
zug massiv ausgebaut, zwei lange
Schienentunnels durch Lötschberg
und Gotthard neu gebaut.
Das versucht jetzt auch Öster-
reich, 2028 sollen die Züge durch
den neuen Brenner-Basistunnel rol-
len. In Italien, dem Anrainer im
Süden, sind die Pläne für den Aus-

bau der Zufahrtstrecke weit gedie-
hen, einzelne neue Abschnitte so-
gar schon in Betrieb.
Das Problem liegt, wie auch im
Fall der Schweiz, auf deutscher Sei-
te: Während die Tiroler den perma-
nenten Lkw-Stau auf ihrer Dorf-
straße gefälligst ertragen sollen, ge-
rät in Deutschland schon die Vor-
planung der neuen Zubringerstre-
cke zum Debakel. Die CSU fürch-
tet den Zorn ihrer Wählerschaft,
die um ihren Vorgarten bangt. Von
einer Fertigstellung womöglich erst
2050 ist jetzt die Rede, wenn es
denn überhaupt noch klappt.
Ähnliches spielt sich in Baden-
Württemberg ab, wo der Ausbau
der Rheintalstrecke trotz des fla-
cheren Terrains aus vergleichbaren
Gründen stockt. Deutschland hat-
te der Schweiz vertraglich zugesi-
chert, das Vorhaben bis 2008 abzu-
schließen. Heute gilt auch der Ter-
min 2030 als kaum noch realistisch


  • zumal in Rastatt die Strecke bei
    dem Versuch abstürzte, die zwei zu-
    sätzlichen Gleise mit Rücksicht auf
    die Anwohner unter die bestehen-
    de Trasse zu verlegen.
    Auch andere Länder wissen da-
    von ein Lied zu singen. Im Süden
    Polens oder im Westen Tsche-
    chiens fahren moderne Elektrozü-
    ge bis kurz vor die deutsche Gren-
    ze, wo die Passagiere dann Rich-
    tung Westen auf tuckernde Diesel-
    triebwagen umsteigen. Die Belgier
    warten seit Jahrzehnten auf die Fer-
    tigstellung einer Autobahn durch
    die Eifel, die mit den Deutschen
    vertraglich vereinbart war. Die Lis-
    te ließe sich fortsetzen, abgesehen
    von EU-Richtlinien, die Deutsch-
    land nur zögerlich umsetzt, oder
    dem Klimaschutz, über den die
    Bundesregierung lieber andere be-
    lehrt, statt selbst zu handeln.
    Aber wehe, der deutschen Poli-
    tik geht es mal umgekehrt, sie
    fühlt sich durch die Verkehrspoli-
    tik der anderen beeinträchtigt.
    Dann versucht sie sich an einer
    „Ausländermaut“, die vor allem
    Österreicher und Niederländer
    treffen soll, oder sie protestiert ge-
    gen Anflüge auf Schweizer Flughä-
    fen über deutsches Terrain, als
    stünde der Weltuntergang bevor.
    Das alles zeugt von einer neuen
    deutschen Arroganz, die sich im
    Umgang mit den Nachbarn aufge-
    baut hat. Da ist mehr aufzulösen
    als bloß ein Gesprächsstau.


D


ie Bibel erzählt von den Schwes-
tern Maria und Martha. Jesus ist
zu Besuch bei den Frauen. Wäh-
rend Maria sich sogleich zu Jesu Füßen
setzt und ihm lauscht, macht Martha –
wie Luther übersetzt – „sich viel zu schaf-
fen, ihm zu dienen“. Offensichtlich wer-
ben beide Frauen um die Gunst des cha-
rismatischen Mannes. Martha provoziert:
Ob der Meister es nicht merkwürdig fin-
de, dass sie die ganze Arbeit mache, wäh-
rend die Schwester immer bloß dasitze
und lausche? Doch Jesus erteilt ihr eine
Abfuhr: „Was werkelst Du und kümmerst
Dich um alle möglichen Dinge?“ Maria
hat es besser angestellt: Sie konzentriert
sich auf das, was wesentlich ist – sie ist
ganz Ohr für das Wort des Herrn.
Die Geschichte von Maria und Mar-
tha ist ein Schlüsseltext zum Stellenwert
der Arbeit. Er erinnert, was heute verges-
sen ist: dass über lange Jahrhunderte die
Arbeit einen schlechten Leumund hatte.
Wer es sich leisten konnte, machte sich
von Arbeit frei. Die „vita contemplativa“,
die betrachtende Muße, rangierte weit
über der „vita activa“, dem tätigen Le-
ben. Erst seit der Neuzeit gilt die Arbeit
als die Quelle des Reichtums. Und zwar
nicht einfach jede Arbeit, sondern eine
Arbeit, die produktiv ist und die gegebe-
nen Ressourcen effektiv nutzt. Das Anse-
hen der Arbeit wurde ungleich aufgewer-
tet; sie bringt Sinn und Geld in das Le-
ben. Die Reihenfolge ist wichtig: Erst
kommt die Arbeit, dann das Geld und
nicht umgekehrt. Ohne Fleiß kein Preis.
„Die Neuzeit hat im siebzehnten Jahr-
hundert damit begonnen, die Arbeit zu
verherrlichen“, schreibt Hannah Arendt:
„Und sie hat zu Beginn des zwanzigsten

Jahrhunderts damit geendet, die Gesell-
schaft im Ganzen in eine Arbeitsgesell-
schaft zu verwandeln.“ Das macht die
Welt egalitär; jeder ist ein Arbeiter, der
Hausmeister im Kanzleramt genauso wie
Kanzlerin Merkel: Auch sie hat einen
Job, macht ihn sogar ganz ordentlich,
wie viele sagen.
Kein Wunder, dass die Ahnung, der
Arbeitsgesellschaft könne die Arbeit aus-
gehen, seither eine Horrorvorstellung
ist. Einer Welt, die sich ausschließlich
auf die Arbeit versteht, muss die Andro-
hung einer Welt ohne Arbeit als der Ab-
sturz in das Nichts erscheinen. Wovon
sollen wir dann noch leben? Was gibt
uns dann noch Sinn? Gewiss, sporadisch
machen Utopien eines „Rechts auf Faul-
heit“ die Runde. Der große Ökonom
John Maynard Keynes träumte in den

Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts da-
von, dass für seine Enkel und Urenkel –
also für uns – der wirtschaftliche Fort-
schritt die wichtigsten Bedürfnisse erfüllt
habe. Arbeit werde eine Sache für Spezia-
listen. Der Rest der Menschheit kann
sich schöneren Dingen zuwenden und
sich erfreuen an den Lilien auf dem Feld.
Es ist bekanntlich anders gekommen.
Weder haben sich die Menschen von der
Arbeit befreit, noch wollten sie es. Immer
noch ist die Arbeit Quelle unseres Reich-
tums. Wir sind inzwischen alle ungleich
reicher (zumindest in den Industrielän-
dern) als Keynes und seine Zeitgenossen.
Abermals ist deshalb die Angst immens,
eine technologisch verursachte Arbeitslo-
sigkeit werde uns in den Abgrund reißen.
Die beste Antwort auf die Drohung,
uns werde von den Maschinen die Arbeit

abgenommen, heißt immer noch: Dann
erfinden wir eben eine andere, neue Ar-
beit, für die es (noch) keine Maschine
gibt. Wir werden Personaltrainer im Fit-
nessstudio (die vermehren sich derzeit
ungemein) oder programmieren die Ro-
boter (KI-Programmierer wie Roboter
vermehren sich derzeit auch). Der Ver-
weis auf den Arbeit schaffenden mensch-
lichen Erfindergeist ist schlagend. Aller-
dings sollte man die Zeit nicht unter-
schlagen, die vergeht zwischen der Ver-
nichtung der alten Arbeit und der Entste-
hung neuer Arbeit, wie der Wirtschafts-
historiker Carl Benedikt Frey in seinem
neuen Buch „The Technology Trap. Ca-
pital, Labour, and Power in the Age of
Automation“ schreibt (Patrick Bernau
hat das Buch in der F.A.S. vom 19. Juni
vorgestellt).

Nach Freys Forschungen gibt es zwei
sehr unterschiedliche Verläufe einer tech-
nologischen Revolution: Im frühen 19.
Jahrhundert, als die Industrialisierung in
England losging, haben Spinn- und Web-
maschinen ein Heer von Arbeitslosen
produziert: Maschinen ersetzen Men-
schen. Die Produktivität verbesserte
sich, Produkte wurden billiger, was wie-
derum vielen Menschen Arbeit gab.
Kurzfristig ein Verlust, langfristig ein Ge-
winn: Diejenigen, die später Arbeit beka-
men, waren leider nicht die diejenigen,
die sie früher verloren haben. „Kurzfris-
tig“ kann für manche eben das ganze Le-
ben gewesen sein. Dagegen hat die Auto-
matisierung des 20. Jahrhunderts Arbeits-
plätze nicht vernichtet, sondern gleichzei-
tig neue Beschäftigung kreiert: an den
Fließbändern der Automobilindustrie
oder in den Fabriken, die Kühlschränke,
Waschmaschinen oder Backöfen für je-
den Mittelschichtshaushalt produzieren.
Digitalisierung, Künstliche Intelligenz
und Algorithmen sind die Treiber unse-
rer heutigen technologischen Revolution.
Noch wissen wir nicht, nach welchem
Muster sie verläuft. Carl Benedikt Frey,
der Wirtschaftshistoriker, befürchtet, es
könnten – kurzfristig – viele Jobs ver-
schwinden, wie damals im frühen 19. Jahr-
hundert. Die Furcht vor Jobverlust er-
klärt den Erfolg populistischer Politiker.
Ist es ein Wunder, dass gerade jetzt
die Idee eines „bedingungslosen Grund-
einkommens“ wieder in Mode kommt?
Jeder zweite Deutsche findet es prima.
Der Grundansatz ist von „provozierender
Schlichtheit“, wie die Ökonomen Philip
Kovce und Birger Priddat in einem gera-
de bei Suhrkamp erschienenen verdienst-

vollen Reader („Bedingungsloses Grund-
einkommen. Grundlagentexte“) schrei-
ben: Jeder Bürger eines Gemeinwesens
soll lebenslang ein existenzsicherndes Ein-
kommen beziehen, das ihm als individuel-
ler Rechtsanspruch ohne etwaige Arbeits-
pflicht oder Bedürftigkeitsprüfung ge-
währt wird. Alter, Bildung, Beruf, Vermö-
gen – all das soll keine Rolle spielen.
Konzentrieren wir uns auf den philoso-
phischen Kern des Grundeinkommens,
so bestätigt sich Hannah Arendts Analy-
se, wonach wir die Automation stets als
Fluch und nicht als Segen zu erleben
pflegen. Das „bedingungslose Grundein-
kommen“ verspricht Befreiung vom
Zwang der Arbeit und will aus der Not
(Automatisierung) eine Tugend (Geld
auch ohne Arbeit) machen. Doch die Be-
dingung des bedingungslosen Grundein-
kommens heißt: Wenige müssen mehr
oder produktiver arbeiten, um das bedin-
gungslose Grundeinkommen der vielen
zu finanzieren. Falsche Anreize sind der
bleibende Widerspruch dieser Utopie.
Es geht ihr nicht darum, die „vita activa“
durch eine neue Form der „vita contem-
plativa“ zu ersetzen. Es geht ihr „ledig-
lich“ um Kompensation.
Der Arbeitsgesellschaft können und
wollen wir nicht entrinnen. Sollten dieje-
nigen recht behalten, die einen kurzfristi-
gen Verlust vieler Arbeitsplätze befürch-
ten, wäre wohl tatsächlich eine kompen-
satorische Politik nötig – nicht nur aus
Furcht vor einer weiteren Radikalisie-
rung der Populisten. Doch es gibt gute
und weniger gute Kompensation. Vom
Grundeinkommen halte ich nichts. Aber
was dann? Dazu mehr in einer der nächs-
ten Folgen von „Hanks Welt“.

DER SONNTAGSÖKONOM


HANKS WELT


Deutschland,


der schlechte


Nachbar


Von Ralph Bollmann


Geht uns die


Arbeit aus?


Warum ein Grundeinkommen so viele Freunde


hat. Von Rainer Hank

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