Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

24 wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


s war der Tag
der Anja Karliczek. So groß wie am Mitt-
woch kam die westfälische CDU-Politi-
kerin, die seit 16 Monaten das Amt der
Bundesbildungsministerin versieht, je-
denfalls noch nicht raus: In einer eigens
einberufenen Sondersitzung des zuständi-
gen Bundestagsausschusses, mitten in
der Sommerpause, wurde die Ressortche-
fin von der Opposition gegrillt. Es ging
um die Frage, ob sie ihrer Heimatregion
womöglich eine lukrative Forschungsfa-
brik für Batteriezellen zugeschanzt und
dabei den Rat von Experten ausgeschla-
gen hatte.
Zu verdanken hatte sie den Termin der
neuen Verteidigungsministerin, die an
diesem Tag vereidigt wurde, was sowieso
die Anreise der Abgeordneten erzwang.
Der Aufstieg Annegret Kramp-Karren-
bauers hat für die Bildungsministerin
langfristig jedoch auch Vorteile, wie sich
noch zeigen wird. Kurzfristig brachte sie
der Termin erst mal in die Bredouille.
Die Opposition hatte sich ein leichtes
Ziel ausgesucht. Wieder einmal eine Mi-
nisterin im Zentrum der Kritik, die von
Anfang an als eine der schwächsten im
Kabinett gilt. Auf Wunschlisten, wen die
Kanzlerin bei einer Kabinettsumbildung
als Erste entlassen sollte, stand Karliczek
stets ziemlich weit oben. Zwar erschie-
nen dort auch Namen wie Peter Altmai-
er oder Horst Seehofer aus dem Wirt-
schafts- und Innenressort, denen man
aber immerhin noch ihre politische Le-
bensleistung zugutehielt.
Doch Anja Karliczek, 48 Jahre alt, hat-
te nichts davon vorzuweisen, weder eine
lange politische Karriere noch fachliche
Expertise im Wissenschaftsbetrieb. Als
Quotenministerin gilt sie manchen bis
heute: Die Kanzlerin habe halt noch
eine Frau gebraucht, unter fünfzig, aus
Nordrhein-Westfalen, möglichst nicht
mit allzu konservativen Ansichten.
Schließlich hatte sie vor der Regierungs-
bildung ausdrücklich Verjüngung ver-
sprochen, einen fünfzigprozentigen
Frauenanteil sowieso. Da ihr der alte Ri-
vale Jens Spahn als Gesundheitsminister
aufgezwungen wurde, musste ein Gegen-
gewicht her.
Aber war das nicht das Prinzip, nach
dem Merkel 1990 zu ihrem ersten eige-
nen Ministeramt gekommen war? Oft
genug hat sie darüber gespottet, zuletzt
auch öffentlich, wie Helmut Kohl einst
sein Kabinett nach dem Quotenprinzip
organisierte und das einstige Gedöns-
Ministerium für Frauen, Familie und Se-
nioren in ein „Dreimäderlhaus“ aufspal-
tete, um die Zahl der CDU-Ministerin-
nen zu verdreifachen, ohne den männli-
chen Machtanspruch aufzugeben. Könn-
te es nicht also sein, dass sich die Kanz-
lerin, die zuletzt immer deutlicher als
Vorkämpferin der Frauenrechte auftrat,
bei der Berufung Karliczeks etwas ge-
dacht hat?
Banklehre bei der Deutschen Bank in
Osnabrück, dann die eher unfreiwillige
Übernahme des elterlichen Hotels mit 43
Zimmern, Restaurant, 50 Beschäftigten;
nebenher Fernstudium der Betriebswirt-
schaft, zwischendurch zwei Kinder und
ein oft abwesender Pilot als Ehemann.
Schließlich folgte, eher ungeplant, mit 41
Jahren die Kandidatur für den Bundes-
tag. Nur wenig älter als die heutige Kanz-
lerin war Karliczek bei ihrem Einstieg in
die gesamtdeutsche Politik: Eigentlich
verkörpert sie so ungefähr alles, wonach
immer gerufen wird in der Politik: Sie
hat Lebenserfahrung gesammelt, statt im-
mer nur in einer Partei Intrigen für den
Aufstieg zu spinnen; sie hat erst eine Fa-
milienphase eingelegt, bevor sie eine
zweite Karriere startete.
Seither steht nicht nur eine, es ste-
hen gleich zwei Fragen im Raum: Kann
eine Fachfrau für Hotelfragen dem Wis-
senschaftsbetrieb der größten europäi-
schen Volkswirtschaft jenen neuen
Schub verleihen, den er so dringend
braucht? Und: Hat eine Quereinsteige-
rin, die zuvor nur eine Wahlperiode
lang im Bundestag saß, die nötige politi-
sche Standfestigkeit dafür?

Die Wissenschaftler selbst interessier-
ten sich vor allem für die erste der bei-
den Fragen. In den hämischen Kom-
mentaren, mit denen Professoren die an-
geblich so ahnungslose Ministerin be-
dachten, steckte viel Dünkel. Schließ-
lich waren sie es zuletzt anders ge-
wohnt. Johanna Wanka, die Vorgänge-
rin, war Mathematikprofessorin gewe-
sen, wenn auch bloß an einer Fachhoch-
schule in Merseburg, und sie hatte zu-
vor in gleich zwei Bundesländern als Mi-
nisterin im selben Ressort amtiert. Da-
vor wiederum hatten sie es viele Jahre
mit Annette Schavan zu tun, einer pro-
movierten Erziehungswissenschaftlerin
(mit später aberkanntem Titel), die im-
merhin in der Studienförderung gearbei-
tet hatte, ebenfalls Landesministerin ge-
wesen war und zudem das besondere
Ohr der Kanzlerin hatte.
Das Ressort ist nicht einfach, die Be-
harrungskräfte sind groß. „Von außen
hat man bisweilen einen frischeren Blick,
als wenn man die Dinge immer nur von
drinnen betrachtet“, sagt Karliczek, das
könnten manche schon als Drohung be-
greifen. Und das Selbstbewusstsein der
Klientel ist kaum zu toppen. Wo immer
Bundesminister hinkommen, werden sie
normalerweise zuvorkommend behan-
delt, bei Betriebsbesichtigungen machen
auch altgediente Manager schon mal ei-
nen tiefen Bückling, selbst wenn sie die
Politik der Regierung nicht schätzen.
Wissenschaftler hingegen tun gerne so,
als könnten Politiker froh sein, dass sie
überhaupt mit ihnen reden.
Vor knapp drei Wochen zum Beispiel
besuchte Karliczek in Hannover die Vor-
stellung der bislang umfangreichsten
Langzeitstudie über den Gesundheitszu-
stand der Deutschen. Als sie einem der
Projektleiter, einem Professor aus Leip-
zig, die erste Frage stellte, ging der erst
mal gar nicht darauf ein. „Darf ich das
mal zurückstellen“, antwortete er knapp,
und dann erzählte er, was er über seine
Studie sowieso erzählen wollte. „Ich halt
mich mal zurück“, hatte die Ministerin
da schon erklärt. Natürlich sagt sie nach

wie vor Sätze, die vermutlich gar nicht
so arglos gemeint sind. „Ich bin immer
neugierig“, verkündet sie frohgemut
beim nächsten Termin, zum Glück einer
Initiative gegen den Azubi-Mangel; an
der Uni wäre das schon wieder als Aus-
weis der Ahnungslosigkeit durchgegan-
gen.
Aber spricht das schon gegen sie? In
der Wissenschafts- und Kulturpolitik ist
sie nicht die Erste, der es so geht. Als der
langjährige CDU-Bundesgeschäftsfüh-
rer Peter Radunski das Amt des Berliner
Kultursenators übernahm, konnten die
Künstler vor lauter Häme kaum noch an
sich halten, erst recht, nachdem Radun-
ski seine Vorliebe für die vermeintlich
seichte Kunstform der Operette kundge-
tan hatte. Die Studenten verspotteten
ihn als „Radummski“. Knapp vier Jahre
später, zum Ende der Amtszeit, hatte
sich das Bild gewandelt: Anders als der
kunstliebende Vorgänger hatte er es
dank seiner politischen Verbindungen ge-
schafft, trotz aller Sparzwänge kein Thea-
ter schließen zu müssen.
Ähnlich lief es, als der Bremer Christ-
demokrat Bernd Neumann 2005 auf Bun-
desebene den Job des Staatsministers für
Kultur übernahm. CDU-Mitglied, Kohl-
Vertrauter, Provinzler aus Bremen: Der
Mann verkörperte so ungefähr alles, was
seine neue Klientel verabscheute. Trotz-
dem blieb er länger im Amt als seine bei-
den kunstbeflissenen Vorgänger, und bei
seinem Abschied war er allseits geschätzt:
Er hatte seine acht Amtsjahre vor allem
damit verbracht, übers Land zu reisen
und Geld zu verteilen. Das machte Ein-
druck, auch und gerade im angeblich so
idealistischen Kunstbetrieb mit seinen oft
prekären Finanzverhältnissen.
So ähnlich könnte es jetzt auch der
neuen Bildungsministerin gehen. Die
meisten der kritischen Stimmen aus dem
Wissenschaftsbetrieb datieren aus der
Zeit bis zum Frühjahr; damals bewertete
etwa der Hochschulverband, die Lobby-
Organisation der Professoren, das Wir-
ken der Ministerin mit der Note „Vier“.
Anfang Mai hat sie dann geschafft, wor-

an viele schon gar nicht mehr glaubten:
Sie hat sich mit den Ländern auf langfris-
tige Finanzzusagen für Hochschulen und
Forschungsinstitute geeinigt. Einen
„Hochschulpakt“ schloss sie, der den
Unis langfristig je 2,05 Milliarden Euro
jährlich von Bund und Land sichert,
nicht bloß befristet wie bisher. Der außer-
universitären Forschung bescherte sie
ein jährliches Plus von drei Prozent für
die nächsten zehn Jahre. Weniger Geld
fiel allerdings für die Lehre ab.
Sie habe „durchaus geliefert“, gibt
man bei den Wissenschaftsverbänden
jetzt etwas verdruckst zu, allerdings
bleibe sie weiter „unter kritischer Beob-
achtung“. Bei der Leibniz-Gesellschaft,
deren Präsident Matthias Kleiner im
Frühjahr noch eine damals geplante
Kürzung des Forschungsetats attackier-
te, will man von harscher Kritik an der
Ministerin jetzt gar nichts mehr wissen.
Es scheint, als ob die Methode eines
Peter Radunski oder Bernd Neumann
auch für Anja Karliczek funktioniert:
Geld hilft, so manchen Dünkel zu über-
winden.
Aber ist damit die zweite Frage schon
beantwortet, diejenige nach der politi-
schen Durchschlagskraft? „Natürlich ha-
ben Kollegen, die seit ihrer Jugend in
der Politik sind, ein größeres Netzwerk“,
sagt Karliczek selbst. „Ich musste zum
Beispiel meine Kollegen in den 16 Län-
dern erst einmal kennenlernen.“ Aller-
dings ist das ein Feld, auf dem auch lang-
jährige Beziehungen nicht viel helfen:
Bildungspolitik ist das letzte große The-
ma, für das die Länder zuständig sind,
das lassen sie sich nicht nehmen. So gese-
hen, hat Karliczek das komplizierteste
Ressort der ganzen Regierung.
Im Streit um ihren Etat hat sich Kar-
liczek immerhin schon halb durchge-
setzt. Das Minus von 534 Millionen
Euro, das ihr der sozialdemokratische Fi-
nanzminister zunächst auferlegen wollte,
ist inzwischen auf einen Bruchteil ge-
schrumpft. Aber Karliczek verhielt sich
in der Debatte politisch ungeschickt:
Während sich alle Welt über die Kürzun-

gen beim Zukunftsthema Bildung und
Wissenschaft empörte, blieb sie lange
still – auch weil sie wusste, dass es dabei
nur um nicht abgerufene Bafög-Gelder
ging und nicht um eine echte Kürzung.
Aber das war ein sachliches Argument,
kein politisches.
Ungeschickt war sie auch im Streit um
die Forschungsfabrik für Batterien. Das
Thema gilt als das Forschungsfeld
schlechthin, eine halbe Milliarde Euro
aus ihrem Etat will Karliczek spendieren,
entsprechend groß war das Gerangel. Die
Riege der Bewerber reichte von Salzgitter
bis Ulm, oft in der Nähe großer Auto-
fabriken gelegen. Umso größer war die
Überraschung, als Karliczek verkündete:
Es wird Münster, weit weg von jedem Au-
tobauer, dafür umso näher am Wahlkreis
der Ministerin. Die Opposition empörte
sich, warf ihr Manipulation vor.
„In dem Verfahren und auf die Stand-
ortentscheidung habe ich keinen Ein-
fluss genommen“, beteuert sie seither,
ihre Beamten hätten das auf Basis wis-
senschaftlicher Gutachten für sie ge-
macht. Und sie habe einen Amtseid ge-
schworen, deshalb dürfe sie „nicht dem
besten Standort den Zuschlag verwei-
gern, nur um mir persönlichen Ärger zu
ersparen“. Sie gibt sich gelassen, das hat
sie inzwischen gelernt. Dafür gibt es al-
lerdings auch einen Grund: Vieles
spricht dafür, dass die unterlegenen Kon-
kurrenten deshalb so viel Rabatz ma-
chen, weil sie einen möglichst großen
Teil des Geldes abgreifen wollen. Auch
dieser Konflikt lässt sich also mit
Schecks bereinigen.
Für Karliczeks neue Gelassenheit
gibt es allerdings noch ein weiteres Mo-
tiv. Es hängt ebenfalls mit dem Anlass
für die unschöne Sondersitzung zusam-
men, mit der neuen Verteidigungsminis-
terin Annegret Kramp-Karrenbauer:
Durch diese Personalie hat sich die
Kanzlerin eine größere Kabinettsumbil-
dung erspart, und sie wird auch nicht
kommen, solange die Regierung hält.
Fürs Erste sitzt Karliczek also wieder
halbwegs sicher im Sattel.

Lange Zeit machten


sich Wissenschaftler


über ihre neue


Ministerin Anja


Karliczek lustig. Seit


sie Geld verteilen


kann, hat sich das


geändert.


Von Ralph Bollmann


Bankerin mit Bildungsauftrag

Anja Karliczek, 48, ist gelernte Bankkauffrau und heute Bundesbildungsministerin. Foto Funke
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