FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30 geld & mehr 29
A
nleger hatten an der im Okto-
ber endenden Amtszeit Ma-
rio Draghis ihre helle Freu-
de. Während der Präsident der Eu-
ropäischen Zentralbank (EZB)
Sparern regelmäßig tiefere Zinsen
zumutete, sorgten seine Ankündi-
gungen an den Börsen fast immer
für Begeisterung.
In der vergangenen Woche war
das anders. Zwar gab es keinen ve-
ritablen Crash, aber der Dax ver-
lor deutlich. Der Grund für die
Enttäuschung der Anleger: Mario
Draghi hatte nach der EZB-Sit-
zung am vergangenen Donnerstag
nicht das geliefert, was sie sich er-
hofft hatten – ganz entgegen sei-
ner Gewohnheit, könnte man sa-
gen. Die Börsen hatten beispiels-
weise darauf spekuliert, dass die
EZB den Strafzins, den Banken für
ihre Einlagen bei der Notenbank
zahlen müssen, noch einmal erhö-
hen könnte. Auch eine Wiederauf-
nahme des Anleihekaufprogramms
durch den Erwerb zusätzlicher
Staatsanleihen hatten sich manche
vorstellen können. Am Ende
schloss Draghi zwar keine dieser
Möglichkeiten aus, vertagte die
Entscheidung darüber aber auf die
nächste EZB-Sitzung im Septem-
ber. Daraufhin fielen die Kurse.
Finanzmarktteilnehmern wird
gemeinhin kurzfristiges Denken
unterstellt. Meistens ist dies ein un-
berechtigtes Vorurteil. Die Börsen
sind nun einmal wahnsinnig gut
darin, neue Informationen in Win-
deseile zu verarbeiten und auch
über das Offensichtliche hinauszu-
blicken. Das zeigt sich beispielswei-
se immer dann, wenn der Aktien-
kurs eines Unternehmens trotz
schlechter Zahlen steigt. Die Anle-
ger sind dann der Überzeugung,
dass das Schlimmste bereits über-
standen sei.
Im Umgang mit Draghi ist von
solcher Klugheit keine Spur. Statt-
dessen ist gerade den Profi-Anle-
gern Kurzsichtigkeit zu unterstel-
len. Sie haben sich an Draghi ge-
wöhnt – und merken gar nicht, wie
gefährlich diese Gewöhnung ist.
Ihre reflexhafte Reaktion ver-
drängt: In Zeiten von Nullzinsen
nimmt die Wirksamkeit von Geld-
politik ab, ihre Nebenwirkungen
aber nehmen überhand. Pensions-
zusagen früherer Tage werden auf-
grund der Nullzinsen für immer
mehr Unternehmen zur Last, und
auch die Lust am Konsum sinkt
bei nicht wenigen Menschen.
Denn wenn es keine Zinsen aufs
Ersparte mehr gibt, legen viele
noch mehr Geld zurück, um fürs
Alter gerüstet zu sein. All das sind
keine guten Nachrichten für Unter-
nehmen und deren Aktionäre. Es
ist an der Zeit, dass auch die Anle-
ger das endlich begreifen.
D
ie Schließung der Balkan-Route,
das Abkommen mit der Türkei
und die Sperrung der Häfen in
Italien und Malta für Schiffe mit Migran-
ten haben den Zustrom von Menschen
aus Afrika und dem Nahen Osten in die
Europäische Union deutlich verringert.
Daraus zu schließen, dass das Problem
der Zuwanderung aus diesen Regionen
damit gelöst ist, wäre jedoch ein Irrtum.
Die Weltbank prognostiziert, dass die Be-
völkerung in Afrika und dem Nahen Os-
ten in den nächsten dreißig Jahren um
1,3 Milliarden auf 2,9 Milliarden Men-
schen wachsen wird. Sie schätzt, dass
während dieser Zeit rund 56 Millionen
Menschen von dort auswandern werden.
Vermutlich werden die meisten nach
Europa kommen, so dass ein Volk in der
Größe des italienischen in die EU ein-
wandern könnte. Angesichts des Rück-
gangs der heimischen Bevölkerung wäre
die Zuwanderung in die Erwerbsbevöl-
kerung wünschenswert. Viele Migran-
ten werden jedoch die dafür nötige Qua-
lifikation nicht mitbringen und folglich
die Zahl der Wohlfahrtsempfänger erhö-
hen. Ob die europäischen Wohlfahrtssys-
teme dies aushalten können, darf bezwei-
felt werden.
Vor diesem Hintergrund hat das Bun-
desministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit im Jahr 2017 einen „Mar-
shallplan mit Afrika“ entwickelt, um die
„Fluchtursachen zu bekämpfen“. Der
Titel des Projekts bezieht sich auf eine
Initiative der amerikanischen Regierung
aus dem Jahr 1948, mit der Europa beim
Wiederaufbau seiner Wirtschaft aus
den Ruinen des Zweiten Weltkriegs fi-
nanziell unterstützt wurde. Zwischen
April 1948 und Dezember 1952 wurden
insgesamt rund 14 Milliarden Dollar an
europäische Länder vergeben, davon 1,4
Milliarden Dollar an Deutschland. Die
Idee des „Marshallplans mit Afrika“ be-
steht heute darin, offizielle und private
Gelder auf den Kontinent zu leiten, um
den Lebensstandard zu verbessern und
die Anreize für die Auswanderung zu
verringern.
Die bisherigen Erfahrungen mit der
Entwicklungshilfe haben jedoch gezeigt,
dass Kapitalströme in die Entwicklungs-
länder keine ausreichende Voraussetzung
für die Verbesserung des Lebensstan-
dards sind. Die Erwartung, dass die fi-
nanzielle Unterstützung die Migrations-
ströme aus Afrika in die EU-Länder re-
duzieren wird, ist daher fraglich. Vor die-
sem Hintergrund hat Rudolph Matete in
einer Masterarbeit an der Universität
Witten/Herdecke anhand von Daten aus
53 afrikanischen Ländern für den Zeit-
raum von 1996 bis 2017 untersucht, ob
mehr Investitionen der EU in afrikani-
schen Ländern zu einer Verringerung
der Auswanderung beitragen können.
Seine Ergebnisse widersprechen der
Hypothese, dass die Emigration aus Afri-
ka mit einem „Marshallplan“ reduziert
werden könnte. Matetes Untersuchung
zeigt, dass die menschlichen und wirt-
schaftlichen Beziehungen zwischen den
Kontinenten (gemessen an der Zahl von
Einwanderern in den EU-Ländern, der
geographischen Entfernung, gemeinsa-
men Sprachen und Handelsströmen)
eine sehr wichtige Rolle für die Migrati-
onsströme zwischen Afrika und der EU
spielen. Hinzu kommt, dass die Emigrati-
on aus afrikanischen Ländern eher zu-
nimmt, wenn sich der Abstand zwischen
den Einkommen pro Kopf der Bevölke-
rungen verringert, denn höhere Einkom-
men in Afrika machen die Reise nach Eu-
ropa überhaupt erst erschwinglich. Inves-
titionen aus der EU tendieren dazu, die
Emigration nach Europa zu erhöhen, da
sie diese Bestimmungsfaktoren stärken.
Dagegen verringern höhere Rechtssicher-
heit und ein höheres Maß an finanzieller
Entwicklung den Druck, aus afrikani-
schen Ländern abzuwandern.
Matetes Untersuchung lässt Zweifel
daran aufkommen, dass das Konzept des
in der Nachkriegszeit für Europa so hilf-
reichen Marshallplans für Afrika richtig
ist. Im Nachkriegseuropa gab es viele gut
ausgebildete Menschen, und man konnte
an die Institutionen der Vorkriegszeit an-
knüpfen. Was fehlte, war Kapital. Der
Marshallplan half, die Kapitallücke zu
schließen.
Afrika fehlt es vor allem an einer Ge-
sellschaftsordnung, in der die Herrschaft
des Rechts die Bürger vor staatlicher
Willkür schützt. In Europa hat es sehr
lange gedauert, bis eine rechtsstaatliche
Gesellschaftsordnung entstanden ist.
Der Nobelpreisträger Paul Romer hat da-
her vorgeschlagen, den Weg dorthin für
Afrika abzukürzen, indem entwickelte
Länder Patenschaften für Städte über-
nehmen, die aus der vorhandenen Staats-
ordnung ausgegliedert werden. Bisher
hat sich Romers Idee leider nicht durch-
gesetzt, und die Voraussetzungen für er-
folgreiche Kapitalhilfe fehlen weiterhin.
Europa wird es folglich nicht vermeiden
können, Zuwanderung zu steuern und
Einwanderung in den Wohlfahrtsstaat zu
verhindern.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des
Flossbach von Storch Research Institute und Professor
an der Universität Witten/Herdecke.
WIE GEHT ES DER WELTWIRTSCHAFT, HERR MAYER?
Die verhängnisvolle
Gewöhnung an Draghi
VON DENNIS KREMER
f
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MILLIONEN
DIE LUST AUF GRÜNZEUG WÄCHST
f MILLIONEN VERZICHTEN AUF FLEISCH
DEUTSCHLAND IST VEGANER SPITZENREITER BILDUNG BEEINFLUSST DIE ERNÄHRUNG
Aktienkurs von Beyond Meat, einem amerikanischen
Hersteller veganer Fleischersatzprodukte und Burger
in Dollar
DAS ESSEN VEGETARIER & CO. (NICHT)
FLEISCHLOS AN DIE BÖRSE LOHNT SICH DIE DEUTSCHEN EXPERIMENTIEREN
RINDFLEISCH VERSCHLINGT WASSERMASSEN
Vegetarier: Kein Verzehr von Fleisch und Fisch, nur
tierische Produkte wie Eier, Milch und Honig.
Veganer: Verzicht auf Verzehr und Nutzung tierischer
Produkte jeglicher Art.
Frutarier: Steigerung des Veganismus. Nur Verzehr pflanz-
licher Produkte, deren Gewinnung der Pflanze nicht schadet
(Fallobst, Nüsse, Samen).
Flexitarier: Ab und zu Verzehr von Fleisch oder Fisch.
Umfrage unter 14- bis 84-Jährigen in Deutschland (in %)
Möglichst wenig Zucker
„Mache ich gerade“
„Früher mal ausprobiert“
Möglichst wenig Fett
Möglichst wenig Salz
Vegetarisch
Low Carb
Rohkost
Vegan
Umsatz mit vegetarischen und veganen Lebensmitteln
in Deutschland
Schulabschluss
von Vegetariern
1% Ohne Abschluss
Hauptschule
Realschule
Fachhochschulreife
Allgemeine
Hochschulreife
Schulabschluss
Gesamtbevölkerung
Zahl der Vegetarier in Deutschland
26 Prozent der Deutschen glauben, dass heute wesent-
lich mehr , und 45 Prozent ,dass etwas mehr Menschen
in ihrem persönlichen Umfeld vegetarisch oder vegan leben.
Anteil veganer Produkte an neueingeführten
Lebensmitteln und Getränken (in Prozent)
Deutschland
Großbritannien
Vereinigte Staaten
Frankreich
Spanien
Australien
Italien
Kanada
Österreich
Brasilien
15
14
12
4
4
3
3
3
736
Millionen €
978
Millionen €
1219
Millionen €
18 %
26 %
9 %
47 %
3 %
30 %
32 %
8 %
27 %
51
12
39
21
37
11
11
14
9
22
4
6
2
7
2017 2018 2019
3
3
So viel Wasser verbraucht die Herstellung dieser Produkte
Rindfleisch
Milch
Käse
17 093 LITER
JE KILO
15 415
3178
1020
Tomate
214
Leder
250
150
200
100
50
2.5.2019 26.7.2019
Quellen: Flaticon.com; Institut für Demoskopie Allensbach; Greenpeace; Mintel; Nielsen; Statista;Water Footprint Network
W
enn jemand eine Reise tut, so
kann er was erzählen, beginnt
ein Gedicht von Matthias Clau-
dius. Die Worte gelten heute wie vor 250
Jahren, auch wenn sich die Herausforde-
rungen geändert haben. So hatten Rei-
sende zu Claudius’ Zeiten nicht die Qual
der Wahl, auf welche Weise sie ihre Ver-
gnügungen im Urlaub bezahlen: ob bar,
ob mit Kreditkarte oder mit der Giro-
card, die landläufig EC-Karte genannt
wird. Entscheidet man sich im Ausland
leichtfertig für die eine oder andere Kar-
tenzahlung, kann das teuer werden.
Dann hat man von seiner Reise Ärgerli-
ches zu erzählen.
Vielen Deutschen ist es zur Gewohn-
heit geworden, im Restaurant, im Super-
markt oder selbst am Kiosk vor allem mit
der Girocard zu bezahlen. Diese Gewohn-
heit kann getrost beibehalten, wer in ein
Mitgliedsland der Europäischen Wäh-
rungsunion reist. Denn dort dürfen für
Eurozahlungen mit der Girocard keine
Entgelte verlangt werden.
Heikel wird es auf Reisen außerhalb
der Eurozone. In einem Londoner Pub
beispielsweise kann einem deutschen
Sparkassenkunden, der jedes Pint Bier
mit seiner Girocard zahlt, beim Blick auf
die Abrechnung schnell der Spaß verge-
hen. Für jede Zahlung wird eine Aus-
landspauschale von mindestens 1,50 Euro
(oder 1,5 Prozent des Umsatzes) berech-
net. Ein Londoner Kneipentourist, der
sein Girokonto bei der Commerzbank
hat, bezahlt nach jeder Bierbestellung so-
gar 2,50 Euro extra. Die jeweiligen Kondi-
tionen findet jeder deutsche Karteninha-
ber im Preis- und Leistungsverzeichnis
seiner Bank oder Sparkasse. Aber Hand
aufs Herz: Wer schaut schon dort hinein,
erst recht kurz vor der Abreise?
Kreditkarten haben gegenüber der Gi-
rocard zwar den Vorteil, dass sie überall
auf der Welt einsetzbar sind. Komplizier-
ter ist es aber mit den Kosten. Einige Kre-
ditkarten werden zwar damit beworben,
dass man mit ihnen überall kostenlos be-
zahlen und Geld abheben kann. Bei den
Visa-Karten von DKB, Barclays und San-
tander sowie der Advanzia-Mastercard
und der Klarna Card ist dies tatsächlich
der Fall. Doch bei Kreditkarten, die von
der eigenen Bank ausgegeben werden
und mit dem Girokonto verbunden sind,
fallen in der Regel Gebühren an. Banken
oder Kreditkartenfirmen verlangen für je-
den Bezahlvorgang ein sogenanntes Aus-
landseinsatzentgelt, das bei den meisten
Anbietern 1,75 Prozent beträgt.
Nun stellt sich die Frage, ob ein Reisen-
der außerhalb der Eurozone lieber mit
der Kreditkarte bezahlen sollte oder mit
der Girocard, um die Gebühren gering
zu halten. Welche Karte im Ausland güns-
tiger ist, hängt vom jeweiligen Einkaufs-
betrag ab. Bei Beträgen um die 50 Euro
(und darunter), so hat die Finanzbera-
tung FMH herausgefunden,sind Kredit-
karten oft die bessere Wahl. Wer bei-
spielsweise in einem Restaurant für
50 Euro isst und trinkt und danach mit
der Kreditkarte bezahlt, muss 88 Cent
Fremdwährungsgebühr bezahlen. Für
Kunden von Sparkassen und einer Reihe
von Banken wird eine Mindestgebühr
von 1,50 Euro oder mehr fällig – so wie
beim London-Besucher im Pub.
Ab einem Betrag von 100 Euro jedoch
ist die Girocard oft günstiger. Wird die
Mindestgebühr überschritten und pro-
zentual abgerechnet, verlangen beispiels-
weise Deutsche Bank, Commerzbank
und Hypo-Vereinsbank ein Prozent des
Umsatzes – und damit 0,75 Prozent weni-
ger als bei der Kreditkartenzahlung. Wer
im Urlaub in einer Modeboutique für
umgerechnet 200 Euro einkauft und mit
der Kreditkarte bezahlt, muss 3,50 Euro
berappen. Mit der Girocard werden nur
zwei Euro fällig. Bei noch größeren An-
schaffungen fällt der Vergleich weitaus
stärker zugunsten der Girocard aus.
Teurer als eine Kartenzahlung ist es,
sich an Geldautomaten außerhalb der Eu-
rozone mit Bargeld zu versorgen. Zusätz-
lich zum Wechselkurs und den Entgel-
ten, die seine Sparkasse und Bank meist
verlangt, wird dem Reisenden auch noch
eine Gebühr des Automatenbetreibers
draufgeschlagen. Wer 500 Euro abhebt,
der kann somit auf Zusatzkosten von bis
zu 30 Euro kommen. Noch viel teurer
wird es, wenn man sich am Geldautoma-
ten die Landeswährung in Euro bezif-
fern lässt. Dann berechnet der Automa-
tenbetreiber einen schlechten Wechsel-
kurs oder verlangt saftige Aufschläge.
Man kann es sich selbstverständlich
einfacher machen und für die Reise viel
Bargeld einpacken. Das hält Max Herbst
von der FMH-Finanzberatung allerdings
für keine gute Idee: „Das Risiko, dass ei-
nem Bargeld geklaut wird, ist unverhält-
nismäßig größer als die Gefahr, dass mit
einer Karte Schindluder getrieben wird.“
Wurde das Geld gestohlen, mag von der
Reise niemand gerne erzählen.
Keine Almosen für Afrika!
Deutschland will Afrika mit einer Neuauflage des Marshallplans zu
Hilfe kommen. Das klingt gut, ist aber eine schlechte Idee.
Wer außerhalb der Eurozone mit Karte bezahlt,
erlebt oft böse Überraschungen. Hohe Gebühren lassen
sich aber leicht vermeiden. Von Thomas Klemm
Immer mehr vegane und vegetarische
Produkte kommen auf den Markt. Sogar
die Börse ist begeistert.
Von Stefan Walter (Grafik) und Anna Steiner
Wie zahle ich im Ausland am besten?
Hoffentlich ist es die richtige Karte. Andernfalls wird der Kaffee sehr teuer. Foto Getty