Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

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FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG

Sport (^) 28. JULI 2019 NR. 30 SEITE 30
F
ür Trennungen den richti-
gen Zeitpunkt zu finden
gehört zu den schwierigs-
ten Aufgaben des Lebens. Dass
es nicht mehr lange gutgehen
würde mit Ivan Lendl und Alex-
ander Zverev, hatte sich schon
eine Weile angedeutet. Nach der
guten ersten Hälfte der elfmona-
tigen Partnerschaft, mit dem Ti-
tel bei den ATP Finals als Höhe-
punkt lief es in der zweiten nicht
mehr rund. Die als unproblema-
tisch beschriebene Kooperation
zwischen Lendl und Alexander
Zverev senior, der den Sohn in
die Weltspitze geführt hatte und
stets dessen Chefcoach war, wur-
de am Ende zu einer Belastung.
Zverev junior nahm die Nach-
richt des Rückzugs von Lendl
ohne sichtbare Aufregung hin,
wunderte sich allerdings über
den Zeitpunkt während des
Hamburger Turniers. Das sei
nicht gerade toll gewesen. Es
habe eine Verabredung gegeben,
sich demnächst zusammenzuset-
zen, aber beiden sei klar gewe-
sen, was das zu bedeuten hatte.
Nach der Kritik, die er kürzlich
an Lendls Arbeitseinsatz öffent-
lich geübt hatte, hätte er sich al-
lerdings nicht über dessen Reak-
tion wundern müssen; wer lässt
sich schon nachsagen, einen
hochkarätigen Job mit halber
Kraft zu erledigen.
Die Trennung war überfällig.
Ob das Konzept mit einer zwei-
ten Kraft im Trainerteam endgül-
tig zu den Akten gelegt werden
kann? Eher ja als nein. Der Vater
sitzt wieder dauerhaft in der Box,
die Freundin ist zurückgekehrt,
und wie Zverev andeutete, ist
auch Licht im Rechtsstreit mit
seinem ehemaligen Manager Pa-
tricio Apey in Sicht. Erst wenn
dieses krasse Ende einer langjäh-
rigen Verbindung zu den Akten
gelegt ist, wird er wieder mit vol-
ler Kraft und Konzentration Ten-
nis spielen können.
Wie dieser Fall von der Kon-
kurrenz betrachtet wird, sagt eini-
ges über dessen Dimension. Gün-
ter Bresnik, langjähriger Coach
und Manager des Österreichers
Dominic Thiem, hatte die schnel-
le Trennung von Thiem auch
mit den Worten begründet, die
Causa Zverev/Apey sei ein ab-
schreckendes Beispiel dafür, wie
Probleme abseits des Tennisplat-
zes den sportlichen Erfolg „ver-
sauen“ könnten. Damit eine Kar-
riere den sportlichen Fähigkeiten
entspricht, muss alles passen.
Vielleicht wird Zverev, der selbst
im größten Durcheinander die
Nummer fünf der Welt geblie-
ben ist, eines Tages mit vier
Grand-Slam-Titeln in der Tasche
auf 2019 zurückschauen und sa-
gen, dieses chaotische Jahr habe
ihn entscheidend weitergebracht.
Überfällige
Trennung
VON DORIS HENKEL
A
uch nach Uli Hoeneß wird Bayern
München ganz oben im Fresssche-
ma des deutschen Fußballs blei-
ben. Dafür hat er vierzig Jahre lang gut
gesorgt. Und auch nach Hoeneß dürfte
es im Haifischbecken des großen Fuß-
balls, im Kampf um Fressen oder Gefres-
senwerden, an der Säbener Straße nicht
allzu vegetarisch zugehen. Denn auf den
Metzgersohn Hoeneß soll der Metzger-
sohn Herbert Hainer folgen. Mit ihm
verbindet den Bayern-Präsidenten nicht
nur eine Herkunft aus einfachen Nach-
kriegsverhältnissen, in denen man als
Halbwüchsiger ganz selbstverständlich
im elterlichen Kleinbetrieb mithalf;
nicht nur der Aufstieg zum erfolgreichen
Manager zweier sportlicher Weltunter-
nehmen. Sondern vor allem eine langjäh-
rige enge Freundschaft.
Deshalb scheint es nicht nur wegen
der noch ausstehenden Bestätigung des
Abschiedes zum Ende des Jahres frag-
lich, ob die Ära Hoeneß tatsächlich en-
det. Selbst wenn er mit 67 Jahren geht
und an den 65-jährigen Hainer übergibt,
wird Hoeneß präsent bleiben bei allen
wichtigen Entscheidungen des FC Bay-
ern. Einerseits persönlich, im Aufsichts-
rat, der allen wichtigen Personalfragen
und Spielertransfers zustimmen muss.
Andererseits über das Netzwerk seiner
Vertrauten, vom einfachen Angestellten
über das mittlere Management bis zu
den designierten Anführern des Vereins
im kommenden Jahrzehnt – bis zu Hai-
ner also und dem bald als Vorstands-Azu-
bi antretenden Oliver Kahn.
Hainer plus Kahn, Professionalität
plus Mentalität, Strategie plus Stallge-
ruch – das wäre so etwas wie Uli Hoeneß,
verteilt auf zwei Personen und zwei Pos-
ten. Nur mit scheinbar vertauschten Rol-
len. Hainer, der Adidas in 15 Jahren als
Vorstandschef zum zeitweilig erfolgreichs-
ten Dax-Unternehmen (und zum Anteils-
eigner des FC Bayern) machte, ließe sich
von seiner Vita her leichter im operativen
als im repräsentativen Geschäft vorstel-
len, eher also auf dem Chefposten im Bay-
ern-Vorstand als Nachfolger von Karl-
Heinz Rummenigge als im Präsidenten-
amt. Dort kann man als Nachfolger der
Klub-Ikonen Franz Beckenbauer und Uli
Hoeneß eine Volksnähe und Popularität
gut gebrauchen, wie sie der frühere Tor-
wart-Titan Oliver Kahn mitbringt. Und
dort darf man sich nicht nur im Glanz
der Fußballstars sonnen, sondern muss
auch ein Ohr für die kleinen und großen
Sorgen der Schachspieler oder Sportkeg-
ler im Verein haben.
Aber Hoeneß wird wissen, wie er das
moderiert und steuert, künftig dann
eben wohl lieber aus dem Hintergrund.
Die großen, früher gern polternden Auf-
tritte in einer Medienöffentlichkeit, die
ihn in ihrem zunehmenden Hang irri-
tiert, noch die kleinste Äußerung zu Em-
pörungspotential aufzublasen, hat er im-
mer mehr gemieden. Er ließ sich zuletzt
anmerken, künftig, wie ursprünglich
schon nach der Rückkehr aus der Haft
geplant, lieber mehr Zeit für Frau, Kin-
der, Enkel und auch die von ihm gegrün-
dete, vom Sohn geführte Wurstfabrik zu
haben als dafür, sich um jede Aufgeregt-
heit im Tagesgeschäft zu kümmern.
Mit dem Freund Hainer, der ihn als
noch aktiver Adidas-Chef in der Justiz-
vollzugsanstalt Landsberg besuchte, wäh-
rend andere Spitzen der Gesellschaft die
Nähe zu Hoeneß mieden, wird er jeman-
den auf seinem alten Posten wissen, der
bei der zweiten Hoeneß-Familie, dem
FC Bayern München, nie gegen den al-
ten Patriarchen und dessen Prinzipien ar-
beiten würde. Beide verbindet eine fast le-
benslange Leidenschaft für den Fußball
und den FC Bayern.
Hainer, aus Niederbayern stammend,
träumte von einer Karriere als Profi, die
aber nur sein jüngerer Bruder
Walter schaffte (und auf drei
Bundesligaspiele für den TSV
München 1860 kam). Seinen
Abschied bei Adidas vor drei
Jahren feierte er am Ball, mit ei-
ner Fußballpartie zwischen ei-
ner Adidas-Auswahl und einer
vom ihm zusammengestellten
Mannschaft vor Tausenden
Mitarbeitern.
Hier enden dann aber die
Gemeinsamkeiten zwi-
schen dem alten Chef und
dem vermuteten Nachfol-
ger. Mit einem Abschieds-
spiel wird Uli Hoeneß si-
cher nicht adieu sagen.
Schon seiner Knie we-
gen. Vor allem aber, weil
es gar kein richtiger Ab-
schied sein wird. Nur einer
aus dem Rampenlicht.
Selbst wenn der eine Metzgersohn an den anderen übergibt, wird der alte Patriarch präsent bleiben bei wichtigen Entscheidungen. Von Christian Eichler
A
m Ende war der Wettergott gnä-
dig. Vielleicht doch ein Radfah-
rer. Jedenfalls verzichtete er am
Samstag, als die verkürzte 20.
Etappe der Tour de France
in Albertville startete, auf weiteren Thea-
terdonner, auf Blitze, Hagel und Regen
wie am Tag zuvor und auch noch paar
Stunden vor dem Start. Um 14.30 Uhr
kam die Tour in Albertville ins Rollen,
die ersten Kilometer raste sie auf der Au-
tobahn dahin, und als sie gut zwei Stun-
den später das Ziel im Wintersportort
Val Thorens auf 2365 Metern Höhe er-
reicht hatte, stand fest: Sieger der 106.
Frankreich-Rundfahrt ist mit an Sicher-
heit grenzender Wahrscheinlichkeit
Egan Bernal. Nur ein Sturz oder eine
Aufgabe auf der Schlussetappe an die-
sem Sonntag nach Paris könnte den
22-Jährigen noch stoppen. Auf dem fina-
len Teilstück wird der Führende traditio-
nell nicht mehr angegriffen, so will es
das ungeschriebene Gesetz der Tour.
Bernal wäre der erste Kolumbianer,
der die Tour de France gewinnt, und
schon jetzt steht seine radsportbegeister-
te Heimat Kopf. Die Ziellinie in Val
Thorens überfuhr er 17 Sekunden nach
dem italienischen Etappengewinner Vin-
cenzo Nibali Hand in Hand mit Vorjah-
ressieger Geraint Thomas, der seinem
jungen Ineos-Teamkollegen diesmal den
Vortritt lassen musste und die Tour, soll-
te auch er Paris unversehrt erreichen,
als Zweiter beenden wird. „Dass ich das
Gelbe Trikot tragen darf, ist unglaub-
lich“, sagte Bernal.
Eine brillante Tour fuhr Emanuel
Buchmann vom deutschen Team Bora-
hansgrohe. Der 26 Jahre alte Ravensbur-
ger verbesserte sich am Samstag um ei-
nen Rang auf Platz vier der Gesamtwer-
tung – ein Ergebnis, das der deutsche
Radsport lange nicht verbuchen konnte.
Buchmann überholte auf der kurzen,
aber extrem schweren letzten Alpenetap-
pe in der Gesamtwertung noch den
Franzosen Julian Alaphilippe, der vier-
zehn Tage in Gelb gefahren war, das Tri-
kot aber tags zuvor an Bernal verloren
hatte. Am Samstag konnte er 13 Kilome-
ter vor dem Ziel dem Tempo der Favori-
tengruppe nicht mehr folgen und wurde
nach hinten durchgereicht.
Neben Bernal und Thomas wird in
Paris der Niederländer Steven
Kruijswijk auf dem Podium stehen. Der
Kapitän des Teams Jumbo-Visma vertei-
digte seinen knappen Vorsprung vor
Buchmann, wofür er den vollen Einsatz
seiner starken Mannschaft benötigte,
die am Berg ein Tempo anschlug, das
am Ende eine Attacke von Buchmann
nicht mehr zuließ. Für den Ravensbur-
ger ist Platz vier, auch wenn er nur um
25 Sekunden am Podium vorbeifuhr, ein
großartiger Erfolg. „Ein absolutes
Traumergebnis“, sagte er. „Mehr war
nicht drin. Drei waren stärker, das muss
man anerkennen.“ Angetreten war er,
um in die Top Ten der Tour zu fahren.
Geschafft hat er den Aufstieg in die ers-
te Liga der Rundfahrer.
Der einzige Konkurrent, der nach
den Eindrücken der ersten beiden Tour-
Wochen Bernal hätte gefährlich werden
können, der Franzose Thibaut Pinot,
hatte auf der 19. Etappe verletzt und un-
ter Tränen aufgeben müssen. Ihn stopp-
te ein Muskelriss im linken Oberschen-
kel. Er sei „sicher gewesen, dass er die
Tour gewinnt“, gab Pinot nach seinem
Ausscheiden zu Protokoll. Den Beweis
musste er schuldig bleiben.
Hagel, Schnee, Schlamm, über-
schwemmte Straßen, Erdrutsche. Am
Donnerstag hatte noch Weltuntergangs-
stimmung geherrscht, als die zweite von
drei schweren Alpenetappen 30 Kilome-
ter vor dem Ziel abgebrochen werden
musste. Die Profis waren auf der Ab-
fahrt vom 2764 Meter hohen Col de l’Ise-
ran gestoppt worden, weil weiter unten
Schneeräumer beim verzweifelten Ver-
such scheiterten, die Straße von den
Wassermassen zu befreien. Die Jury wer-
tete schließlich die Durchgangszeiten
auf dem Gipfel des Iseran, was Bernal
das Gelbe Trikot bescherte. Alaphillipe
der es bis dahin trug, fiel auf den zwei-
ten Platz zurück. Er hatte dabei noch
Glück im Unglück, denn Bernal, der ju-
gendliche Held dieser Tour, hätte bei ei-
ner Etappe in Gänze wohl noch deutlich
mehr Zeit herausgefahren. Auch die an-
deren Favoriten auf den Gesamtsieg,
oder zumindest auf einen Podiumsplatz
in Paris, Thomas, Kruijswijk und Buch-
mann, hatten Alaphilippe bereits ab-
hängt.
Am Freitagabend hatte die Tourlei-
tung dann beschlossen, die dritte Alpen-
etappe von Albertville nach Val Thorens
von 130 auf 59 Kilometer zu verkürzen,
weil auch hier auf der geplanten Strecke
Wetterkapriolen für unbefahrbare Stra-
ßen gesorgt hatten. Somit führte die vor-
letzte Etappe nicht wie geplant über den
Cormet de Roselend, einen Berg der ers-
ten Kategorie, und die Côte de Longe-
foy, einen der zweiten, sondern ohne
weitere Umwege und Hindernisse in
den 33 Kilometer langen Anstieg hinauf
nach Val Thorens. Aus der Monsteretap-
pe war ein Bergsprint mit rund 2000 Hö-
henmetern geworden. Wem würde das
in die Karten spielen? Am ehesten wie-
der Julian Alaphilippe, war zu vermuten,
der ohne die beiden gestrichenen Anstie-
ge in den Beinen darauf hoffen durfte,
seinen zweiten Platz in der Gesamtwer-
tung zu verteidigen. Eine Hoffnung die
sich 13 Kilometer vor dem Ziel in Luft
auflöste.Buchmann allerdings blieb dran
an der Favoritengruppe. „Einen so lan-
gen Berg fährt man selten. Von unten
weg sind sie sehr schnell gefahren“, er-
zählte Buchmann. „Dazwischen waren
zwar ein paar Flachstücke, wo man sich
erholen konnte, aber vom Kopf muss
man immer dranbleiben. Aber heute hat-
te ich nicht die besten Beine.“ Ansonsten
war bei dieser Tour aber auf Augenhöhe
mit den Favoriten. Nur dem entscheiden-
den Antritt von Bernal am Samstag konn-
te auch er nicht folgen, aber wer konnte
das schon: „An jedem Berg zählte Egan
zu den stärksten Fahrern neben Pinot.
Er hat den Sieg absolut verdient.“
KÖPFE DER WOCHE ULI HOENESS UND HERBERT HAINER
Ein Abschied – nur aus dem Rampenlicht
Der Kolumbianer fährt in Gelb nach Paris. Buchmann verbessert sich auf Platz vier.
Von Michael Eder, Val Thorens
Hoeneß und
sein potentieller
Nachfolger
Fotos Sven Simon,
People Picture;
Bearbeitung F.A.S.
Bernal vor dem Tour-Sieg
Der erste Kolumbianer: Egan Bernal vom britischen Team Ineos hat den Tour-Sieg vor Augen. Und der Mann hat Zukunft, denn er ist erst 22 Jahre alt. Fotos EPA,Roth, Reuters,AFP
Starke Vorstellung: Emanuel Buchmann Diesmal Zweiter: Geraint Thomas Erschöpfter Kämpfer: Julian Alaphilippe

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