Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30 medien 39


W


as ist gutes Schrei-
ben? Und was ist schö-
ne Sprache? Auf diese
Fragen gibt es ungezähl-
te Antworten, und die
meisten laufen auf solche Eigenschaften
hinaus: verständlich, pointiert, durch-
dacht, präzise, und dann erzählerisch,
unterhaltsam, vielleicht humorvoll. All
dies sind Adjektive, die einem nicht ge-
rade in den Kopf schießen, wenn von
gegenderter Sprache gesprochen wird –
allein der Begriff „gendern“ ist ein so
uneleganter Anglizismus, dass es nicht
verwundert, wenn viele das nicht mö-
gen. Das Thema ist aber da, lang genug
wurde darum gekämpft, und die Diskus-
sionen darüber, wer das letzte Wort hat,
werden so schnell nicht verstummen.
Die zahlreichen Positionen, die sich
im Diskurs über eine gerechtere Spra-
che finden lassen, ziehen zahlreiche Vor-
schläge nach sich, wie sich denn nun „ge-
recht“ schreiben lasse; dass die Qualität
„gerecht“ dabei über der Qualität
„schön“ steht – und zwar in jedem Kon-
text –, das steht für all jene, die das Gen-
dern befürworten, außer Frage. Es ist na-
türlich ein Unterschied, ob in offiziellen
Formularen gegendert wird oder in jour-
nalistischen Texten, und besonders deut-
lich wird das, wenn man noch einen
Schritt weitergeht – und sich vorstellt, li-
terarische Texte würden „genderge-
recht“ verfasst werden. So könnte in
Henry Fieldings „Tom Jones“ der erste
Satz wie folgt lauten: „Ein*e Autor*in
sollte sich nicht als eine*n Herr*in be-
trachten, die*r einen privaten oder mild-
tätigen Schmaus gibt, sondern vielmehr
als eine*n, die*r eine öffentliche Garkü-
che unterhält, in der alle Menschen um
ihres Geldes willen willkommen sind.“
Gerechter mag das sein, aber Stern und
Gap machen die Prosa kaputt.
Andererseits wird eben gerade an die-
sem Satz, den Fielding Mitte des


  1. Jahrhunderts verfasste, deutlich, dass
    hier in jedem Fall nur männliche Auto-
    ren gemeint waren (auch wenn die Meta-
    pher eines spendablen Herrn, der zum
    Diner lädt, auch auf andere Geschlech-
    ter übertragbar wäre) und dass er sich
    trotz seiner Allgemeingültigkeit doch ir-
    gendwie nur an solche richtet. Die Liste
    „verhunzter“, weil gegenderter Wörter
    ist lang, und gern werden gerade solche
    Begriffe angeführt, in denen Nomen zu-
    sammengesetzt wurden („BürgerInnen-
    meisterInnen“, „Anwält_innenkanzlei-
    mitarbeiter_innen“), an denen dann vor
    allem deutlich wird, wie unschön es ist,
    unnötig lange (bürokratische) Begriffe
    weiter unnötig zu verlängern.
    Ist das irreguläre Verwenden von In-
    terpunktionen aber gänzlich zu verwer-
    fen, wenn jemand „schön“ schreiben
    möchte? Mal abgesehen davon, dass
    uns unelegante Abkürzungen wie „etc.“
    oder „z. B.“, Fußnoten und Sternchen,
    die auf Kleingedrucktes hinweisen,
    nicht im selben Maß zu stören schei-
    nen – wer gerne Sternchen, Gendergap


oder Binnen-I verwendet, bezweckt da-
mit, bei den Lesenden je nach politi-
scher Gesinnung eine positive oder ne-
gative Reaktion aufzurufen, die beide
durch den gleichen Reiz ausgelöst wer-
den: ein Stolpern im Lesefluss. Dieses
Stolpern ist unschön, und es nervt, aber
es hält einen auch dazu an, sich umzubli-
cken, zumindest für den Moment. Neu
pflastern, neu begehen, naheliegende
Metaphern einer gegenderten Sprache.
Dieser Ansatz mag utopisch erscheinen.
Hierfür müssten ja nicht mal neue Be-
griffe erfunden werden, denn es geht
schließlich – wie sowohl von der gegne-
rischen als auch der befürwortenden
Seite so oft beschworen – um das Mit-
denken. So ein Mitdenken könnte
durch das ständige Stolpern erreicht
werden. Es würde sich aber, sobald es
seinen Zweck erfüllt, selbst auflösen,
worauf sich wieder die Frage eröffnet,
ob das nicht auch ohne Umweg ginge.
Nun ist das Gendern in Formularen
und Pässen sprachlich anders zu bewer-
ten als in journalistischen, belletristi-
schen oder auch wissenschaftlichen Tex-
ten; aber gerade hier wird sichtbar, wor-
um es beim Gendern im Grunde geht:
etwas – jemanden – zu registrieren.
Und wenn man die Bedeutung dieses
Verbs ernst nimmt, dann sind das Häk-
chensetzen und das schöne literarische
Schreiben gar nicht so weit voneinan-
der entfernt; wer gut schreibt, ist eine
Person, die gut beobachtet, die sieht,
eben registriert, und in der Lage ist, das
Erkannte treffend wiederzugeben. Gera-
de im Journalismus ist diese Fähigkeit
nicht nur ein wünschenswertes Talent,
sie kann auch inklusiv wirken.
Das vom Journalistinnenbund kürz-
lich lancierte Projekt „Genderleicht.de“
hält eine gendergerechte Sprache des-
halb für einen journalistischen An-
spruch, der letztendlich Teil des Presse-
kodex ist: Wer journalistisch arbeitet,
soll dies wahrheitsgetreu tun, nicht dis-
kriminierend sein. Das schließt ein, prä-
zise zu formulieren: Wer konsequent
von Politikern und Krankenschwestern
spricht oder stets das generische Masku-
linum verwendet, der bildet nun einmal
nicht die Gegenwart ab, in der Politike-
rinnen und Pflegekräfte das Bild unse-
rer Gesellschaft mitbestimmen und in
der die Hälfte der wahlberechtigten Be-
völkerung sich theoretisch nicht im glei-
chen Maße angesprochen sieht. Mehr

als dreißig Jahre linguistische For-
schung legen nahe, dass im generischen
Maskulinum nicht alle mitbedacht wer-
den. Und dass sich nicht alle mitge-
meint fühlen, die sich doch immer mit-
gemeint fühlen sollen.
Um also diesem Anspruch gerecht zu
werden, will „Genderleicht.de“ Medien-
schaffende unterstützen: Das vom Bun-
desfamilienministerium geförderte Pro-
jekt beschäftigt sich mit gegenderter
Sprache in Text, Bild, Video und Audio.
Im Moment geht es vor allem ums
Schreiben, aber auch die anderen Berei-
che sollen in den nächsten Jahren wei-
terentwickelt werden. In der Vorberei-
tung des Projekts wurde der aktuelle
Zustand der deutschen Medienland-
schaft erfasst und eine Datenbank mit
Beispielen von Themen, Bildern, Tex-
ten aufgebaut, bei denen hinsichtlich In-
klusivität etwas falschgelaufen ist. Was
deutlich wurde, ist, dass entweder nicht
darüber nachgedacht wurde, ob ein
Sachverhalt korrekt abgebildet wurde
(„Kopftuchverbot für Lehrer“), oder
dass gegendert wurde, wo gar nicht zu
gendern war („Ministerinnen und Mi-
nister“, obwohl nur Letztere anwesend
waren). „Es macht weder Sinn, im Jahr
2019 auf dem generischen Maskulinum
zu bestehen, noch auf Texte einfach
eine Gender-Schablone aufzuziehen.
Zu gendern ist ein Lernprozess, mit
dem sich Redaktionen täglich beschäfti-
gen müssen“, so Rebecca Beerheide, Ini-
tiatorin des Projekts und ehemalige Vor-
sitzende des Journalistinnenbunds.
Deshalb bündelt „Genderleicht.de“
nicht nur Leitfäden und Studien, die
von Sendern, Verwaltungen oder Uni-
versitäten erstellt wurden, sondern
stellt ein eigenes „Textlabor“ zur Verfü-
gung: Hier können Schreibende Formu-
lierungen einreichen, mit denen sie ha-
dern. Es werden einem dann verschiede-
ne Vorschläge gemacht, die alle ausführ-
lich erläutert werden, auch um zu zei-
gen, was für Spielräume es gibt: „Wir
wollen explizit nicht den Chefredaktio-
nen in Deutschland vorschreiben, dass
sie ab sofort anfangen müssen, zu gen-
dern. Unser Projekt soll Kolleginnen
und Kollegen bei der Textarbeit unter-
stützen. Redaktionen können auf
Grundlage dessen dann ihre eigenen
Handhabungen entwickeln“, erläutert
Beerheide. Damit sich in der deutschen
Medienlandschaft strukturell eine inklu-
sive Sprache durchsetze, müsse sich, so

Beerheide, vor allem von der Fixierung
auf Blüten von gegenderter Sprache ge-
löst werden: „Auch die Bild- und, allge-
meiner, die Themenauswahl müssen
sich verändern. Im Endeffekt fängt
Gendersensibilität nicht dann an, wenn
ich etwas ,gendergerecht‘ aufschreibe,
sondern wenn ich mich frage: Wie er-
zähle ich meine Geschichte? Wem er-
zähle ich sie und warum? Das sind letzt-
endlich grundsätzliche Fragen des Qua-
litätsjournalismus.“
Und was wäre für die Initiatorin eine
erstrebenswerte, gegenderte Sprache?
„Sprache ist für mich dann schön, wenn
im Augenblick des Lesens gar nicht auf-
fällt, dass gegendert wurde. Aber das
hat natürlich viel mit Gewohnheiten zu
tun. Mir fällt es beispielsweise mittler-
weile negativ auf, wenn sich in einem
Text offensichtlich nicht um eine neu-
trale Schreibweise bemüht wurde. Da-
bei fällt es mir selbst oft schwer, mich
in der gesprochenen Sprache so auszu-
drücken.“ Gerade im Sprechen zeige
sich, wie sehr alte Sprachgewohnheiten
nachwirken, selbst für diejenigen, die
diese aktiv vermeiden wollen: Aus „Bür-
gerinnen und Bürger“ wird im schnel-
len Sprechen oft „Bürger und Bürger“,
mit Lücke sprechen wirkt oft affektiert
und verlangt etwas Übung, und Sätze
sind oft schon halb formuliert, bis sich
herausstellt, dass sie nicht neutral kon-
struiert sind. Im Schreiben gestaltet
sich dies einfacher.
Dass das Gendern auf eine inklusive
und gleichzeitig präzise Sprache abzielt,
ist sein größtes Potential – und sein
größtes Problem: Texte voll von zerteil-
ten und mit Interpunktionen garnierten
Wörtern mögen sich nicht gut lesen las-
sen, vor allem aber können auch sie
letztendlich nicht alle abbilden. Und
hier verdichten sich die Standpunkte in-
nerhalb der befürwortenden Gruppen,
denn während die einen sich über eine
„simple“ Handhabung freuen, wenn sie
Begriffe nun einfach nur entsprechend
anpassen müssen, zielen andere darauf
ab, den Diskurs nicht durch dogmati-
sche Lösungen zu ersetzen.
Zweifelsohne machen die Eigenarten
der deutschen Sprache die Dinge nicht
einfacher: die drei Genera etwa oder
die komplizierten Regeln der Movie-
rung (also der Ableitung weiblicher Be-
zeichnungen aus männlichen Formen),
welche ja nicht weniger irrsinnig sind
als die Vorschläge für eine gerechte
Sprache (Warum heißt es nicht die Ma-
schinenbäuerin? Warum gibt es keinen
Hebammer?). Gleichzeitig ist das Deut-
sche aber auch eine besonders flexible
Sprache, die es durch Partizipien, Rela-
tivsätze, Komposita, Substantivierun-
gen und einen enormen Wortschatz er-
möglicht, sich vielfältig auszudrücken –
vielfältiger als es das geschlechtsneutra-
lere Englisch kann. So könnte gerade
das Gendern dazu anhalten, in Fiel-
dings’ Garküche, in der alle Schreiben-
den um ihres Bemühens willen willkom-
men sind, eine schöne Sprache zu entwi-
ckeln. CAROLINE JEBENS

Jenseits des Gender


*/– Gaps


Ist es wirklich so schwer, zu


schreiben, ohne Menschen


auszuschließen? Nein, sagt das


Projekt „Genderleicht“. Wer


gendert, sorgt im besten Fall auch


für Vielfalt und Genauigkeit


D

ie „Bild“-Zeitung hat sich
in der vergangenen Woche
mal wieder publikumswirk-
sam über die Speisepläne privater
Einrichtungen empört – und dass
sie es, um aus einer regionalen
Wurstgeschichte einen nationalen
Skandal zu machen, mit der Wahr-
heit nicht so genau nahm, ist keine
große Überraschung. Aber eine
Schweinerei ist es natürlich schon:
Zwei Leipziger Kitas, so berichtete
das Blatt am Dienstag, hätten, aus
Rücksicht auf das „Seelenheil“ zwei-
er muslimischer Mädchen, „Schwei-
nefleisch verboten“, nicht einmal
Gummibärchen soll es dort noch
geben. Dass sich der Kita-Leiter
aber dazu entschieden hatte, nur
noch Essen auszugeben, das frei
von Schweinefleisch ist, hat mit ei-
nem Verbot so viel zu tun wie die
Entscheidung, keinen Alkohol an
die Kinder auszuschenken. Dass et-
was schon verboten ist, wenn es
nicht angeboten wird, ist ein belieb-
tes Missverständnis bei der „Bild“.
Doch immer wieder beweist das
Blatt sein bemerkenswertes Talent
dazu, beides absichtlich zu verwech-
seln, um vor einem vermeintlichen
Verbotswahn zu warnen. Wie ernst
die Lage ist, mussten die Mitarbei-
ter des Springer-Verlags in dieser
Woche sogar am eigenen Leib er-
fahren: Als sie am Freitagmittag ins
Restaurant „Paparazzi“ kamen, in
die Kantine des Axel-Springer-Ver-
lags in Berlin, fanden sie auf der
Karte zwar Putengulasch mit Leip-
ziger Allerlei, Matjesfilet auf Reibe-
kuchen und Rindersteak mit Potato
Wedges; aber weit und breit kein
Schweinefleisch. Selbst im eigenen
Haus ist das offensichtlich an man-
chen Tagen schon verboten!
* * *
Mitte Juni trennte sich der Sender
RTL von einem Mitarbeiter, der
mehrere seiner Beiträge manipu-
liert hat, vor allem für das Mittags-
journal „Punkt 12“. Eine Überprü-
fung ergab nun, dass das Ausmaß
des Betrugs größer ist als zunächst
angenommen: Nicht nur in sieben
Beiträgen, sondern in weiteren vier-
zehn fanden die Kontrolleure Mani-
pulationen. Mehrfach hatte der Re-
porter Menschen dazu überredet,
Dinge zu erzählen, die sie nie er-
lebt hatten, hat bei Selbstversuchen
die Dauer seiner Experimente über-
trieben oder Archivbilder als aktuell
gedrehte Aufnahmen ausgegeben,
damit sie, wie der zuständige Pro-
grammchef Michael Pohl es nann-
te, „aufregender und größer wirken
sollten, als es die Realität hergab“.
Dass der Fall der gefälschten
RTL-Berichte schnell mit den Fäl-
schungen des „Spiegel“-Reporters
Claas Relotius verglichen wurde,
lag nahe. Wobei, wenn man sich
die Manipulationen seines Fernseh-
kollegen im Detail anschaut, sofort
die Unterschiede deutlich werden.
Ob irgendeiner unbekannten Frau
einmal der Führerschein entzogen
wurde; ob sich die Sängerin Mela-
nie C. die Hände mit Desinfekti-
onsmittel oder mit Feuchtigkeitscre-
me einreibt; ob der Reporter selbst
tatsächlich einmal einen ganzen
Monat lang scharf gegessen hat –
oder ein paar Tage weniger: all das
ist letztlich von beeindruckender Ir-
relevanz. Und doch ist es fast noch
erbärmlicher, wenn jemand auf die
Idee kommt, selbst solche Schrott-
berichte mit viel Aufwand zu frisie-
ren. Und trotzdem könnte man es
als Fortschritt betrachten, wenn
heute auch beim Boulevardfernse-
hen ein Bewusstsein dafür entsteht,
solche Manipulationen nicht mehr
zu dulden: Als der Fall vor sechs
Wochen bekannt wurde, räumte
„Punkt 12“ sogar wertvolle Fernseh-
zeit dafür ein, sich für die „man-
gelnde Sorgfaltspflicht“ zu entschul-
digen und dem Publikum zu ver-
sprechen, „auch weiterhin sehr
wachsam zu sein und alles daranzu-
setzen, unsere journalistischen In-
halte in höchster Qualität auf Sen-
dung zu bringen“.
Noch schöner wäre es natürlich,
wenn man solche Vorsätze auch
ernst nehmen würde: Am Freitag
sendete „Punkt 12“ einen Bericht
über ein britisches Paar, das beim
öffentlichen Sex gefilmt wurde,
während es auf eine Pizza wartete.
Das Video wurde im Internet ver-
breitet, dem RTL-Reporter Dan
Farrington gelang es, die beteiligte
Frau am Telefon zu erreichen.
Schließlich hatte er dafür auch
über zwei Jahre Zeit: Die Sache er-
eignete sich im Februar 2017, die
Bewährungsstrafe, die im Beitrag
erwähnt wird, ist längst verstrichen


  • was alles in „Punkt 12“ selbstver-
    ständlich verschwiegen wird. Denn
    natürlich ist es kein Versehen, son-
    dern das Prinzip solcher Sendun-
    gen, dass alles, worüber sie berich-
    ten, „aufregender und größer“ wir-
    ken soll, als es die Realität hergibt.


DIE LIEBEN KOLLEGEN


VON HARALD STAUN

D


as ändert sich nicht: Spätestens,
wenn das „Kicker Sonderheft“ in
den Handel kommt, beginnt
man, der neuen Saison entgegenzufie-
bern. Doch so tröstlich es ist, dass die
Prosa des Magazinklassikers über die
Jahrzehnte gleich geblieben ist – so beun-
ruhigend ist jedes Jahr die Frage: Wo
kann ich die Spiele meiner Mannschaft
sehen? Das ändert sich nämlich ständig.
Es sind die klassischen Kantschen Fra-
gen: Was kann ich wissen, was soll ich
tun, was darf ich hoffen? Sicher ist:
2021/22 bricht eine sogenannte neue Rech-
teperiode an, geboten wird dafür schon
im nächsten Jahr, eine Entscheidung soll
es bis zum Spätsommer 2020 geben.
Aber auch im alten Zeitraum bleibt nicht
alles, wie es war. Kurz bevor es richtig
losgeht mit der ersten Liga, hat der Strea-
mingdienst DAZN noch einen größeren
Transfer getätigt. Er übernimmt vom
Sender Eurosport die Rechte für 40 Bun-
desligaspiele. Damit sind alle Freitags-
spiele im Internet zu sehen, die fünf zu-
sätzlichen Sonntags- und die fünf bei
den Fans verhassten Montagsspiele sowie
die Relegation. Der Supercup übrigens
auch – aber wer schaut den schon?
Dieser Deal geht noch weiter, denn
die beiden Sender Eurosport 1 und Euro-
sport 2 sollen in DAZN integriert wer-
den, das so auch an Olympische Spiele,
drei Tennis-Grand-Slams und den alpi-
nen Ski-Weltcup kommt. Das ist eine
breite Basis für den nächsten Rechtepo-
ker, wobei DAZN-Geschäftsführer Tho-
mas de Buhr sich in Interviews sehr be-
deckt gehalten hat, ob man im nächsten
Jahr auch im Kampf um die Bundesliga-
rechte angreifen wird. Die Formel „Net-
flix des Sports“ war jedenfalls nicht so
falsch – und könnte sich auch darin bestä-
tigen, dass die Konsumenten auf Preis-
erhöhungen sehr empfindlich reagieren.
Wie bei Netflix steigt bei DAZN der
Preis jetzt über die Marke von 9,99 Euro
pro Monat. Es werden nun 11,99 Euro
(oder 119,99 Euro im Jahresabo) sein.
Auch der Bezahlsender Sky würde un-
ter Druck geraten, wenn DAZN weiter
wachsen will. Zwar hat man die Premier
League wieder, zumindest 232 Spiele in
der kommenden Saison, aber in der
Champions League konnte DAZN mit
seiner Sublizenz schon in der abgelaufe-
nen Saison das breitere Programm bie-
ten. Die Bundesliga minus der vierzig
Spiele, die komplette zweite Liga und
der Pokal sind weiter bei Sky. Aber wie
es um die Abonnentenzahl steht, darüber
wird geschwiegen, seit Sky 2015 von der
Börse genommen wurde.
Ob die Zersplitterung der Rechte
künftig weiter bestehen und die Fans zu
Mehrfachabos zwingen wird, ist unge-
wiss. Vom Rechteverkäufer DFL, der
Deutschen Fußball Liga GmbH, war zu
hören, man könne sich vorstellen, dass
die Rechte künftig auch wieder in einer
Hand lägen.
Aber nicht jeder hat seinen Club da-
mit schon auf irgendeinem Bildschirm.
Da muss man dann den Streamingdienst
Magenta Sport der Deutschen Telekom
abonnieren, der alle 380 Spiele der drit-
ten Liga live zeigt, wobei die dritten Pro-
gramme der ARD insgesamt 86 Partien
live übertragen. Mehr als neun Millio-
nen sahen bei Magenta zu in der vergan-
genen Saison, was einem Zuschauer-
schnitt von fast 24 000 pro Partie ent-
spricht. Im Stadion waren durchschnitt-
lich nur 8132 Zuschauer pro Spiel. Diese
Resonanz hat mit den zahlreichen Anhän-
gern tief gefallener Traditionsclubs wie
dem 1. FC Kaiserslautern oder München
1860 zu tun.
Wer jetzt immer noch nicht genug
Fußball hat, für den ist Sportdigital da,
das vor allem über Pay-TV-Plattformen
wie Sky oder Vodafone Kabel Deutsch-
land verfügbar ist. Hier kann zugreifen,
wer unbedingt Begegnungen aus den
Niederlanden, Russland, Argentinien,
Australien, Indien, China, Tschechien
oder der Ukraine braucht und trotz der
Zeitverschiebung nicht auf die Copa Li-
bertadores, das südamerikanische Pen-
dant zur Champions League, verzichten
kann. Ein bisschen ist das wie in der be-
liebten Kontaktanzeigenformel: Alles
kann, nichts muss.
Warum allerdings die öffentlich-recht-
lichen Sender weiterhin eine Gebühren-
erhöhung verlangen können und müs-
sen, nachdem sie im Fußballgeschäft kei-
ne nennenswerte Rolle mehr spielen, dür-
fen sie einem gerne mal erklären. Das
Quantum Bundesliga, das es da noch
gibt, ist nicht der Rede wert. Die Länder-
spiele zur EM-Qualifikation überträgt
RTL und hat auch den derzeit besten Ex-
perten gecastet, den Ex-Profi Steffen
Freund. ARD und ZDF präsentieren
sich nicht erst in der kommenden Saison
wie ein Erstligaabsteiger, der noch im-
mer einen viel zu großen Kader und zu
hohe Gehälter hat. So eine Art HSV des
Fußballfernsehens. Es ist ja bekannt, wo
so etwas endet. PETER KÖRTE

Alles kann,


nichts muss


Auf welchen Kanälen in der


kommenden Saison Fußball


zu sehen sein wird

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