Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

  1. JULI 2019 NR. 30 SEITE 41 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG


Technik & motor


U

nsere Schwimmbadpumpe
ist defekt. Warum wir Ihnen
das erzählen? Weil wir bitter
enttäuscht sind von der Firma
Speck, das Teil hat gerade mal 30 Jah-
re gehalten. Ist das etwa nachhaltig?
Sollen wir jetzt alle 30 Jahre eine
neue Pumpe kaufen müssen? Ha-
beck, Baerbock, Schulze, Umwelthil-
fe, machen Sie den Laden dicht!
* * *
Deutsche Ingenieure galten mal
was, weil ihnen die Gesellschaft eini-
ges zugetraut hat und sie sich selbst
auch. Es gibt Menschen, die glau-
ben bis heute, die Deutschen bau-
ten die besten Autos, die besten
Maschinen, stabile Stromnetze, so-
gar ewig laufende Umwälzpumpen.
Zum Glück ist es mit dieser trügeri-
schen Überheblichkeit vorbei. Nach
allem, was man täglich liest und
hört, bauen die besseren Autos die
Amerikaner, und die Chinesen zei-
gen, wo der Elektroschock hängt.
Von wegen, mosern deutsche Ent-
wickler, die Amerikaner haben allzu
gern den von Volkswagen aufgeleg-
ten Elfmeter verwandelt und unse-
ren Diesel ausgelöscht, weil deren
Gurkenantriebe um 400 Prozent in-
effizienter sind als unsere. Und die
so gar keine Ahnung von Verbren-
nungsmotoren habenden Chinesen
ersticken in ihren Zehnmillionen-
metropolen an Lärm und Abgas,
weshalb sie logischerweise Elektro-
autos vorschreiben, ohne sich frei-
lich darum zu kümmern, wie viel
CO2 deswegen in ihren Kohlekraft-
werken entsteht.

* * *
Solche Besserwisserei können wir
natürlich nicht ernst nehmen, weil
Selbstverteidigung der ewig gestri-
gen Dipl. Ing. Das Volk will ge-
zwungen werden, wissen die Tages-
themen, make Germany Greta
again. Deshalb: Keine Klimaanlage
mehr in diesem Sommer, keine Hei-
zung im Winter. In Stuttgart alle
Straßen sperren. Autos und Flugzeu-
ge und Pumpen zentral aus Berlin
steuern mit Steuern, also noch höhe-
ren. Die holen wir uns aus den Ein-
kommen der Ingenieure. Falls die
dann nicht baden gegangen sind.

M


an gebe den Namen eines
nahezu beliebigen techni-
schen Geräts in die Goo-
gle-Suche ein und ergänze um den
Begriff „Test“. Was der Internetkon-
zern dann zeigt, sind kompetent
und solide wirkende Seiten. Doch
die Stiftung Warentest warnt jetzt:
„Auf der ersten Ergebnisseite prä-
sentiert die Suchmaschine überwie-
gend Fake-Tests.“ Gemeint ist, dass
diese Auftritte den Eindruck erwe-
cken, sie böten unabhängige Pro-
dukttests. Was so aussieht wie, ist je-
doch von oben bis unten ein Potem-
kinsches Dorf. Es gibt zwar schöne
Bilder und scheinbar aufschlussrei-
che Tabellen. Aber tatsächlich hat
kein Tester die Produkte in der
Hand gehalten, ausprobiert oder be-
wertet. Es geht den Seitenbetrei-
bern einzig und allein darum, über
Verweise zu Online-Händlern wie
Amazon, Ebay oder Otto eine Provi-
sion einzustreichen. Klickt der Besu-
cher der Fake-Seite auf den Link
und kauft das Produkt in dem be-
treffenden Shop, erhält der Fake-
Tester bis zu 15 Prozent des Netto-
preises. Solche Internetseiten lassen
sich mit Bausätzen kinderleicht
selbst erstellen. Internetsuche im
Zeitalter des Google-Monopols:
Das System der Täuschung funktio-
niert, weil der amerikanische Kon-
zern die Fake-Seiten weit oben pla-
ziert – und seriöse Medien erst spä-
ter oder gar nicht.

Ein Teil der in Technik & Motor besprochenen
Produkte wurde der Redaktion von den Unternehmen zu
Testzwecken zur Verfügung gestellt oder auf Reisen,
zu denen Journalisten eingeladen wurden, präsentiert.

MAKE GERMANY


GRETA AGAIN
VON HOLGER APPEL

DIES IST


KEIN TEST
VON MICHAEL SPEHR

M HINWEIS DER REDAKTION

SCHLUSSLICHT


TECH-TALK


E


in leichter Fingerdruck auf
den Hebel, schon legen sich
hinter München die vier elek-
trischen Fahrmotoren kraft-
voll ins Zeug. Mit unserer
rund 90 Tonnen schweren Lokomotive
193 386 hat der Antrieb heute leichtes
Spiel, schließlich hängen keine Wagen
am Zughaken. Jeder Motor leistet bis zu
1600 kW, zusammen bringen sie maximal
6400 kW auf die Schiene – umgerechnet
8700 PS. Jeweils zwei Motoren sind in ei-
nem Drehgestell zusammengefasst (Achs-
folge Bo’Bo’).
In nur sechs Sekunden kann der Vec-
tron MS aus dem Stand auf 100 km/h
sprinten. Und tatsächlich beschleunigt
die Lokomotive jetzt mit Wucht, bis das
digitale Display 160 km/h zeigt. Dann
plötzlich eine Vollbremsung. Druckluft
zischt. Die Trägheit der gewaltigen Mas-
se kämpft gegen den Griff der Scheiben-
bremsen und gegen die Generatorwir-
kung der Motoren. Auf dem Bildschirm
vor dem Lokführer wechseln die Balken
für den Energiehaushalt der Fahrmoto-
ren die Farbe: Statt Blau (Energieaufnah-
me aus der Oberleitung) zeigen sie jetzt
Gelb (Energierückgewinnung und Ein-
speisung in die Oberleitung).
Der Stillstand kommt nach exakt 799
Metern. Draußen zieht weißer Rauch
von den heißen Bremsscheiben am Sei-
tenfenster vorbei. „Passt!“, sagt DB-Lok-
führer Stefan Endres zufrieden – der
Bremsweg liegt im für diese Baureihe
vorgegebenen Bereich. Der Triebfahr-
zeugführer sitzt im Führerstand der ver-
kehrsrot lackierten Mehrsystem-Güterlo-
komotive aus der Vectron-Familie von
Siemens. Der Gigant ist fabrikneu, hat
gerade einmal neun Kilometer auf dem
Tacho. An diesem Sommermorgen absol-
viert die Lok ihre Abnahmefahrt vom
Werk in München-Allach nach Augs-
burg. Endres prüft sie dabei auf Herz
und Nieren.
„Eine solche Abnahme machen wir
mit jedem Fahrzeug, schließlich wollen
wir zuverlässige, funktionstüchtige Loks
in den Dienst übernehmen“, sagt Karsten
Boldt. Der Verkehrsingenieur ist bei DB
Cargo Projektmanager für das Beschaf-
fungsmanagement von Lokomotiven und
Fahrzeugen. Bei der Abnahmefahrt wer-
den auf offener Strecke zahlreiche Funk-
tionen unter realistischen Bedingungen
erprobt – so wie eben die Schnellbrem-
sungen aus verschiedenen Geschwindig-
keiten in verschiedenen Modi. Aber auch
die Funktion der anderen Systeme hat
der Lokführer im Blick, bis hin zum Sig-
nalhorn (Makrofon) und dem Scheiben-
wischer. Bereits in den Wochen zuvor ha-
ben umfassende Systemtests im Werk
stattgefunden, und vor der endgültigen
Auslieferung macht ein Ingenieur der
Deutschen Bahn noch einmal eine finale


Prüfung. Zwischen der Abnahmefahrt
und den ersten Einsätzen werden etwa
sechs Wochen vergehen.
Rund 40 Abnahmefahrten für die Bau-
reihe 193 führt DB Cargo allein in diesem
Jahr aus, sagt Boldt. Das macht klar, wie
wichtig die Siemens-Lok für das laufende
Beschaffungsprogramm der Güterbahn
ist. Entscheidend ist die Vielseitigkeit des
Vectron: Er arbeitet in dieser Konfigurati-
on nicht nur mit den vier wichtigen
Stromsystemen in Europa (Gleichstrom
mit 1500 und 3000 Volt sowie Wechsel-
strom mit 15 000 Volt/16,7 Hertz und
25 000 Volt/50 Hertz, F.A.Z. vom 25.
April 2017), sondern auch mit der Leit-
und Sicherungstechnik vieler verschiede-
ner Länder – ein echter Europäer also.
Mit dieser Ausrüstung kann die Lok
einzeln oder in Doppeltraktion Güterzü-
ge durchgehend quer durch Europa be-
fördern. Zum Beispiel von Rotterdam
nach Genua oder von Deutschland weit
nach Osteuropa hinein. „Der große Vor-
teil ist, dass wir mit diesen Fahrzeugen
Systemgrenzen ohne langwierige und
aufwendige Lokwechsel überschreiten
können. Das erhöht die Qualität und
macht unsere Transporte schneller sowie
robuster“, erklärt der Projektmanager.
Das sei umso wichtiger, als die Logistik-
ketten der Kunden innerhalb Europas im-
mer stärker miteinander verknüpft wür-
den. Die Güterbahn sei schon heute ein
wichtiger Teil dieser Entwicklung. Und
es gebe den politischen Willen, diese Ver-
kehre künftig noch stärker auf die um-
weltfreundliche Schiene zu verlagern.
Dazu passe auch die hohe Energieeffi-
zienz des Vectron.
Die Fahrt geht weiter mit 160 km/h.
Der Personenfernverkehr der Bahn ist
heute meist schneller unterwegs. Schließ-
lich hat auf genau dieser Strecke zwi-
schen München und Augsburg im Som-
mer 1965 der moderne Hochgeschwindig-
keitsverkehr der deutschen Eisenbahn be-
gonnen: Mit der Lokomotive E 03 be-
spannte Reisezüge verkehrten damals an-
lässlich der Internationalen Verkehrsaus-
stellung in München erstmals mit
200 km/h. Güterzüge sind aber bis heute
in der Regel gerade einmal halb so
schnell unterwegs. Grund für die Höchst-
geschwindigkeit von 100 km/h sind insbe-
sondere die Klotzbremsen der Wagen,
mit denen sich weniger wirksam verzö-
gern lässt als mit Scheibenbremsen.
Insgesamt 100 Loks der Baureihe 193
umfasst der laufende Rahmenvertrag von
DB Cargo mit Siemens. Das ist für die
Güterbahn ein wichtiger Baustein in der
kontinuierlichen Modernisierung der
Flotte. Konkrete Kosten für eine Lok
nennen weder Kunde noch Hersteller.
Aber grundsätzlich fallen für einen Mehr-
system-Vectron je nach Ausstattung und
Volumen der Bestellung zwischen 3,5

und 4,5 Millionen Euro an, heißt es bei
Siemens. 2017 hat die Güterbahn die ers-
ten 60 Loks des Typs bestellt, später
noch einmal weitere 40. Die letzte Ma-
schine des Auftrags soll noch 2019 ausge-
liefert werden.
Unsere 193 386 ist die 81. Maschine der
Serie. Wo sie einmal unterwegs sein
wird, lässt sich an der Seite des Rahmens
ablesen: Deutschland, Italien, Ungarn,
Tschechien, Polen, Slowakei, Kroatien
und Slowenien. Noch kleben rote Kreu-
ze auf den meisten Länderkürzeln der
Anschrift. Sie werden sukzessive ent-
fernt, wenn das Fahrzeug für das jeweili-
ge Land zugelassen ist. Entscheidend da-
für ist die Ausstattung der Lokomotive
mit allen Systemen für die Stromversor-
gung sowie die Leit- und Sicherheitstech-
nik des jeweiligen Landes. „Länderpa-
ket“ heißt das in der Bahnbranche.
Die Liste der möglichen Länderpake-
te ist beim Mehrsystem-Vectron ziemlich
lang. Daher hat sich DB Cargo dafür ent-
schieden, drei verschiedene Versionen zu
ordern, deren Ausrüstung jeweils be-
stimmte Marktregionen zusammenfasst:
D-A-CH-I-NL beinhaltet die Technik
für Deutschland, Österreich, die
Schweiz, Italien und die Niederlande.
„Ab 2020 wird hier noch Belgien dazu-
kommen“, sagt Boldt. Außerdem gibt es
zwei Südosteuropa-Varianten, die 193 386
gehört zur Variante 1.
Zur Leit- und Sicherungstechnik ge-
hört vor allem die Zugbeeinflussungs-
technik. Sie überwacht zum Beispiel
das Einhalten der Signalbegriffe.
Durch die Einführung des European
Train Control Systems (ETCS) ist es
heute leichter als je zuvor, die Vielfalt
der länderspezifischen Lösungen abzu-
bilden. Denn ETCS kann viele nationa-
le Zugbeeinflussungssysteme nachbil-
den. Auch die nachträgliche Integrati-
on, wie jetzt in der Baureihe 193 für Bel-
gien, ist dadurch möglich.
Die Idee für Mehrsystemloks ist nicht
neu. So hat schon die Deutsche Bundes-
bahn Mitte der sechziger Jahre fünf
Exemplare der Viersystem-Lok E 410 in
Dienst gestellt. Doch zunächst haben
sich vor allem technisch einfacher zu ver-
wirklichende Zweisystemloks durchge-
setzt, zum Beispiel die Baureihe 181 für
den Frankreich-Verkehr, die als Kleinse-
rie in den siebziger Jahren gebaut wurde.
Heute hat DB Cargo rund 350 Mehr-
systemlokomotiven im Bestand von insge-
samt etwa 2700 Loks. Die Alleskönner
verkehren in 17 europäischen Ländern
und bilden so ein wichtiges Rückgrat der
Traktionsleitungen für den europäischen
Güterverkehr. Schon heute überschrei-
ten mehr als 60 Prozent aller Verkehre
der Güterbahn mindestens eine Grenze.
Künftig soll der Anteil noch steigen.
Denn Europa ist für DB Cargo ein
Wachstumsmarkt.

Bis die


Bremsen


qualmen


Bevor die Deutsche Bahn eine neue


Lokomotive von einem Hersteller


übernimmt, steht eine Abnahmefahrt


an. Wir sind mit an Bord der Vectron,


die künftig im Europaverkehr fährt.


Von Peter Thomas


Viermal drei: Die Baureihe 193 kommt mit allen vier europäischen Stromsystemen zurecht, braucht aber für jedes Land die passende Zugbeeinflussungstechnik und eine Zulassung. Fotos Peter Thomas


Gemischtwaren laden: Der kombinierte Verkehr mit Containern, Wechselbrücken
oder Trailern macht einen Großteil des Eisenbahn-Güterverkehrs in Europa aus.

BERUF & CHANCE

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