Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

  1. JULI 2019 NR. 30 SEITE 45 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG


Reise


E


veryone can travel steht
über dem Eingang zum
„A&O Hostel“ an der Kö-
penicker Straße in Berlin. Seit ver-
gangener Woche rettet Everyone
dort auch die Umwelt. Durch den
freiwilligen Verzicht auf die tägli-
che Zimmerreinigung habe man
im Sinn der Nachhaltigkeit in
zwei Monaten bereits 10 000 Zim-
merreinigungen gespart, hieß es
vergangene Woche in einer
Pressemitteilung.
Aber ist der Verzicht auf et-
was, das sonst die Umwelt belas-
tet, Umweltschutz? Jein. Genau-
so wenig wie jemand, der im
Schlussverkauf ein Teil für 50 an-
stelle für 100 Euro erwirbt, am
Ende 50 Euro „gespart“ hat.
Dazu kommt, dass ausgerechnet
das „A&O Hostel“ an der Köpe-
nicker Straße den Bezirk nun
eher gar nicht schont. Ständig
parken (gerne gleichzeitig) ver-
schiedene Reisebusse in zweiter
Reihe, legen mangels Parkraum
den Verkehr lahm und entlassen
aus ihrem Bauch rollkofferziehen-
de, lärmende Teenager, die blass
und geblendet ihre einwöchige
Krötenwanderung durch das
Viertel beginnen. Als Fangzäune
fungieren die Spätis und die
Clubs, in die sie dann doch rein-
kommen. Eine Nacht im Acht-
bettzimmer in dem 1600-Betten-
Hostel kostet weniger als ein Al-
kopop in einem der Spätis, deren
Anzahl sich inzwischen verviel-
facht hat. Die lärmende Lüftungs-
anlage des Hostels und seine
nachtaktiven Gäste bringen die
Nachbarschaft schon seit langem
um den Schlaf. Viele möchten
wegziehen, finden in ihrem Kiez
jedoch keine Wohnung mehr, die
sie sich leisten können.
Berlin ist halt beliebt. 2018 be-
suchten 13,5 Millionen Touristen
die Stadt. Nach Recherchen der
„Berliner Zeitung“ hat die Tou-
rismus-Intensität in den Bezir-
ken Mitte, Charlottenburg-Wil-
mersdorf und Friedrichshain-
Kreuzberg mit 35 Übernachtun-
gen pro Einwohner die von Vene-
dig übertroffen. In genau diesen
Bezirken sind weitere 31 Hotels
mit 5500 Betten in Planung. Ist
das nachhaltig, wenn die alle
ihre Zimmer nicht aufräumen
lassen? Natürlich nicht.
Nachhaltigkeit bedeutet nicht,
dass Everyone traveln soll, son-
dern dass Everyone vielleicht
auch mal zu Hause bleibt, die
Oma besucht oder den Nach-
barn. Dass die Hotellerie auf stei-
gende Nachfrage nicht mit „Im-
mer mehr“ und „Immer billiger“
reagiert. Und vor allem bedeutet
Nachhaltigkeit, ans Danach und
ans Drumherum zu denken. Es
bedeutet, dass eine Stadt ihre
Baugebiete nicht an Investoren
verschleudert, die mit einem
noch nie dagewesenen ästheti-
schen Offenbarungseid genau
das zerstören, was einmal schön
war an Berlin: Berlin. Früher
galt die Hauptstadt als besonders
sozial. Inzwischen ist allseits be-
kannt, dass Niedriglöhne im
Gastgewerbe den Boom in der
Hotellerie mitfinanzieren. Die
Zimmermädchen in Berlin gehö-
ren zu den schlechtbezahltesten
Arbeitskräften, müssen bis zu 25
Zimmer pro Schicht schaffen.
Wenn die nun noch verdreckter
sind, weil sie aus Nachhaltigkeits-
gründen nicht gesäubert wur-
den, dauert es noch länger. Dass
die Damen dafür besser entlohnt
werden, steht natürlich nicht in
der Pressemitteilung, obwohl
das der einzige Grund wäre, eine
zum Thema Nachhaltigkeit raus-
zuschicken.

PHÄNOMENOLOGIE


DIE REINIGUNG
DER ZIMMER
VON AREZU WEITHOLZ

W


enn ich einen Diamanten
von fünf Karat finden wür-
de, wäre ich Millionär.“ Mo-
hamed Touré steht zwischen
mehreren Tümpeln mit schlammigem
Wasser. Mit Spitzhacken und Schaufeln
traktieren Arbeiter die rote Erde, suchen
unter sengender Sonne nach den Edel-
steinen, die Sierra Leone schon so viel
Leid brachten und doch nichts von ihrer
Faszination verloren haben.
Touré, einem mageren, hoch aufge-
schossenen Mann, gehört das Land, auf
dem die Tagelöhner schuften. Knapp ein
halber Hektar bei Kenema im Südosten
des Landes. Er und seine sechs Geschwis-
ter haben es vom Vater geerbt. Hoffnung
auf ein Vermögen inklusive. Die Tagelöh-
ner arbeiten für Unterkunft und Essen,
Lohn erhalten sie nur im Erfolgsfall. Alle
fiebern einem Fund entgegen, wie er 2017
nördlich von hier gemacht wurde, auch
auf einem Privatgrundstück, wo jeder Be-
sitzer nach seinem Glück graben darf, so-
lange er keine technischen Hilfsmittel ge-
braucht. 709 Karat hatte der faustgroße
Stein. Es war einer der größten, die je-
mals gefunden wurden. 6,5 Millionen
Dollar hat ein britischer Juwelier dafür
bezahlt. Aber in dem weißen Tuch, das
Mohamed vorsichtig in seiner Hand öff-
net, liegt nur ein winzig kleines Exem-
plar. Wenig mehr als ein Krümel. „15 Pro-
zent von einem Karat“, sagt er traurig.
„Das ist nichts.“ Und der Fund auch
schon Wochen her. Trotzdem bringt der
lokale Tourismusbeauftragte die Besu-
cher zu ihm.
Sierra Leone ohne Diamantenmine,
das wäre wie Südafrikas Kruger-Park
ohne die Big Five. Sierra Leone, das Lö-
wengebirge, hat keine Löwen mehr. Wer
den Namen hört, denkt an Blutdiaman-
ten, Bürgerkrieg, Kindersoldaten, abge-
hackte Hände. Fast zwanzig Jahre ist das
fürchterliche Gemetzel her, für das sich
das Land so sehr schämt, dass es seine
Verstümmelten versteckt. Der Reichtum
tief in der Erde aber hat bis heute den
Blick verstellt für den anderen an seiner
Oberfläche. Die Regenwälder, die sanf-
ten Flussläufe zwischen Mangroven und
die kilometerlangen, weißen Sandsträn-
de an der Küste um die Hauptstadt Free-
town.
Francis Kappia und die anderen aus
dem Dorf haben die Generatoren für die
Stromversorgung damals vergraben und
sich selbst im Dschungel versteckt, als
die Rebellen in Freetown einfielen. Jetzt
sitzt der 52-Jährige vor einer Hütte am
RiverN ̊2 Beach außerhalb der Haupt-
stadt und versucht, verlorene Zeit aufzu-
holen. Kappia ist zuständig für die Ver-
mietung der Chalets am Strand. Siebzig
Dollar pro Nacht inklusive Frühstück,
„das ist ein guter Preis, schreiben Sie
das. Wir bieten dafür ein Paradies.“ An

den Wochenenden ist der Strand gut be-
sucht. Einheimische, Mitarbeiter auslän-
discher NGOs, die dem Land wieder auf
die Beine helfen sollen, vereinzelt auch
Chinesen, die den Bau der neuen Über-
landstraßen überwachen, lassen sich die
Sonne auf den Bauch scheinen bei einem
kühlen Bier oder einer Shisha-Pfeife.
Sierra Leone ist mehrheitlich musli-
misch, aber Religion hat hier nichts Tren-
nendes. In der Küche nebenan hat
Francis Sandy alle Hände voll zu tun, die
Bestellungen für Hummer, Krebse und
Barrakuda-Spieße abzuarbeiten. „Alles
frisch von da draußen“, sagt er stolz und
weist mit dem Kopf auf den Atlantik, des-
sen Ufer hier ganz sacht abfällt und so
warm ist wie das Mittelmeer.
Nur die Urlauber lassen noch auf sich
warten. Mit einem Darlehen der ameri-
kanischen Botschaft hatten sie am River
N ̊2 bereits Ende der achtziger Jahre ers-
te Gehversuche im Tourismus gestartet.
Aber dann kam der zwölf Jahre währen-
de Bürgerkrieg, dann lange Zeit nichts,
und als sie den Neustart angingen, fuhr
2014 die Ebola-Epidemie dazwischen.
Aber jetzt steht der Rohbau für das neue
Strandrestaurant, mit einem guten Dut-
zend aus der griechischen und römi-
schen Antike abgeguckten Säulen. Die
sind gerade der letzte Schrei in der Archi-
tektur Sierra Leones. Zu Beginn der Tro-
ckenzeit im November soll alles fertig
sein, auch mit Unterstützung der deut-
schen Welthungerhilfe.
„Wir machen das bisher alles ehren-
amtlich, zahlen uns keinen Lohn aus und
verdienen unseren Lebensunterhalt mit
einem anderen Job. Sämtliche Einnah-
men werden investiert“, sagt Kappia. In-
ternationale Investoren seien nur auf Pro-
fit aus. „Uns aber geht es um unser
Dorf, um die Zukunft unserer Kinder.“
Er selbst hat zwei, Koch Sandy vier. Das
jüngste ist 21, und der 58-Jährige sieht,
mit welcher Sehnsucht die jungen Leute
auch hier nach Europa blicken. „Ich fin-
de das ja auch gut, rauszukommen und
Erfahrungen zu sammeln. Aber illegal,
nein, das ist viel zu gefährlich.“ Er schüt-
telt energisch den Kopf. „Wir wollen
hier etwas aufbauen und unseren Kin-
dern eine Chance geben.“ 44 Prozent
der Bewohner Sierra Leones sind heute
jünger als 15 Jahre. Am River N ̊2 Beach
sind die Jugendlichen dafür zuständig,
den Strand sauber zu halten. Wenn die
Arbeit erledigt ist, ziehen sie sich bei
Ebbe an das entfernte Ende des Strandes
zurück und spielen Fußball.
Tourismus als tragende Säule des Lan-
des im 21. Jahrhundert, das sähe auch die
Regierung des seit einem Jahr amtieren-
den Präsidenten Julius Maada Bio gern.
Warum in die Karibik reisen, wenn doch
Sierra Leone so viel näher liegt? So lautet
die ganz ernst gemeinte Frage an europäi-

sche Urlauber. Es sei endlich Zeit für ein
energisches Rebranding des Landes, fin-
det Tourismusministerin Memunatu
B. Pratt. Das Modell des chinesischen
Hochgeschwindigkeitszugs CRH380A in
ihrem Büro in Freetown wirkt aber wie
ein Beweis für völlig überzogene Vorstel-
lungen. Die letzte öffentliche Bahnverbin-
dung wurde 1974 stillgelegt. Ein paar der
alten Dampflokomotiven und Waggons
kann man noch im kleinen Eisenbahnmu-
seum der Hauptstadt besichtigen.
Pläne der Vorgängerregierung für ei-
nen 400 Millionen US-Dollar teuren und
durch chinesische Kredite finanzierten
neuen Flughafen stampfte Präsident Bio
nach seiner Wahl wieder ein. Die Welt-
bank hatte das Vorhaben als unwirtschaft-
lich kritisiert. Der bestehende Flughafen
in Lungi liegt zwar eine unpraktische
halbstündige Fahrt mit der Fähre von
Freetown entfernt. Er war aber unlängst
für 200 Millionen Dollar modernisiert
worden und ist längst nicht ausgelastet.
Wegen des geringen Passagieraufkom-
mens stellte die niederländische Flugge-
sellschaft KLM die Verbindung nach
Amsterdam voriges Jahr ein. Jetzt bedie-
nen nur noch die Schwester Air France so-
wie Brussels Airlines Strecken nach Euro-
pa. Delta in den Vereinigten Staaten und
auch die Lufthansa hätten Machbarkeits-
studien eingeleitet, kündigt Ministerin
Pratt an. „Nein, Lufthansa plant und un-
tersucht dazu nichts“, widerspricht die
LH-Pressestelle in Frankfurt auf Anfrage.
Nur für wenige internationale Unter-
nehmen ist Sierra Leone ein attraktiver
Investitionsstandort und dann auch nur
in hochprofitablen Sektoren wie Mobil-
funk oder auch dem Bergbau, der selbst
beim Diamantenabbau mit irrwitzig nied-
rigen Ausfuhrsteuern Standortnachteile
wie Armut, Korruption, fehlende Stra-
ßen, Bildungseinrichtungen und Kran-
kenhäuser sowie eine aktuell nur mittel-
mäßige Konjunktur wettmacht. Und
dem Land meist nichts zurückgibt. Der
Tourismus zählt nicht dazu.
„Baika, baika.“ In Kalia Village be-
dankt sich Dorf-Chief Jusufu J. Gbaya-
koh in der Sprache des Mende-Stammes
überschwänglich für den Besuch. Die klei-
ne Gemeinde abseits der Hauptverkehrs-
straße von Kenema nach Bo hatte 2014
traurige Schlagzeilen gemacht. 37 Men-
schen waren dort an Ebola gestorben,
nachdem ausgerechnet der angesehene
Dorfheiler sich angesteckt hatte und viele
Nachbarn ihn im Unklaren über die tödli-
che Gefahr umsorgt hatten.
Jetzt ziehen tanzende Teufel mit furcht-
erregenden Masken und wilden Gesten
um die Häuser, wollen mit Geldscheinen
besänftigt werden, die man ihnen zu-
wirft.

Fortsetzung auf Seite 46

Die Sonne geht auch wieder auf


Sierra Leone hat schwere Zeiten


hinter sich. Endlose Strände, grüne


Hügel und die Hoffnung sind schon da.


Jetzt fehlen nur noch die Touristen.


Eine Reise durch ein Land im Rohbau


Von Karin Finkenzeller


Wer an den Stränden Sierra Leones anfängt zu joggen, darf nicht vergessen, wieder umzudrehen, denn sie scheinen nicht enden zu wollen. Unsere Autorin wurde dabei das gute Gefühlnie los, in Sicherheit zu sein. Foto Cornelia Varwig

Fast die Hälfte der Einwohner Sierra Leones ist heute jünger als 15 Jahre. Vielleicht finden sie
auch eine Zukunft im Tourismus, der Diamantabbau ernährt die Menschen nicht. Fotos kafi.

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