Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

46 reise FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


Kein Fest kommt ohne diese Mitglieder
der Geheimgesellschaften aus, die es
überall in Sierra Leone gibt. Es ist der
Beginn der Regenzeit, und der Mythos –
oder die an diesem Nachmittag schnell
erfundene Geschichte – will es, dass Wei-
ße besonderes Glück und eine reiche
Ernte im nächsten Jahr verheißen.
Dafür werden dieselben europäischen
Besucher in Tacugama mit Steinchen und
Ästen beworfen. Bala Amarasekaran
kennt das schon und hat gewarnt. Der
Mann versteht seine Schützlinge aufs
Wort. „Hu! Hu!“ heißt einfach „Hallo“.
Wenn sie ihn mit einem lauten „ough,
ough, ough, ough“ empfangen, dann hat
er hoffentlich leckere Snacks in der Ta-
sche. Und wenn einer mit „WRAAA!“
kommt, lässt man den besser in Frieden.
Es könnte sonst Ärger geben mit einem
der 89 Schimpansen, die derzeit in dem
Rehabilitationszentrum leben.
Amarasekaran, Gründer und Direk-
tor des Zentrums, hat ihre Sprache ge-
lernt, seit er vor beinahe dreißig Jahren
aus Mitleid einen kleinen Affen auf ei-
nem Markt erstand und zwei Dinge be-
schloss: Er wollte ihn und andere als
Haustiere missbrauchte Artgenossen
wieder fit machen für das Leben in frei-
er Natur. Und er wollte die Menschen
in Sierra Leone überzeugen, dass der
Schutz der Tiere auch ihnen selbst zu-
gutekommt. „Ohne Schimpansen gäbe
es hier keinen Wald und ohne den Wald

kein Trinkwasser“, sagt der Mittfünfzi-
ger, der mehrfach in seinem Leben er-
fuhr, wie der Kampf um Vorherrschaft
und knappe Ressourcen in tödlichen
Hass mündete. In seiner Heimat Sri
Lanka, die er als Jugendlicher verließ,
und dann auch in seiner westafrikani-
schen Wahlheimat.
Deshalb ist es für ihn keine Kleinig-
keit, dass der Schimpanse vor wenigen
Wochen zum Nationaltier Sierra Leo-
nes erklärt wurde. Die berühmte Prima-
tenforscherin Jane Goodall reiste dazu
extra an. Unter dem schier undurch-
dringlichen Grün des Regenwalds, der
nur wenige Kilometer außerhalb von
Freetown beginnt und vom Gekreische
der Schimpansen erfüllt ist, waren noch
bis vor wenigen Jahren Hunderte Holz-
kohlegruben verborgen. Der billige
Brennstoff, für den gesunde Bäume zer-
hackt und unter Luftabschluss verkohlt
werden, wird noch immer in vielen

Haushalten zum Kochen verwendet.
Auf dem Land, aber auch in der Stadt.
Sogar nach Europa wird er exportiert,
als Grillkohle.
Deshalb sichert er den Herstellern
ein Auskommen wie kaum ein anderes
Produkt, schädigt aber das Klima, lässt
Böden erodieren und nimmt Mensch
und Tier wertvollen Lebensraum. „Heu-
te können wir stolz behaupten, dass kei-
ne einzige Grube hier in der Gegend
mehr in Betrieb ist“, sagt Amarasekaran.
„Wenn man einen Gegenwert dafür
schafft, dass die Menschen ihre Umwelt
bewahren, dann steigen die Chancen,
dass sie das auch tun. Öko-Tourismus
gibt uns diese Möglichkeit. Die Leute
wissen, dass der Wald dafür intakt blei-
ben muss.“
Das Tacugama-Zentrum arbeitet mit
den umliegenden Gemeinden zusam-
men und hat 36 Vollzeitbeschäftigte.
Wer die Schimpansen dabei beobachten
will, wie sie Führungsrollen in der Grup-
pe vergeben, Jungtiere großziehen und
nach und nach auf ihre Auswilderung
vorbereitet werden, kann in einer der
mit Küche und Bad ausgestatteten Lod-
ges im Urwald übernachten und am an-
deren Morgen von einem „Hu! Hu!“ ge-
weckt werden. Bereits zum Jahreswech-
sel soll das Modell auf andere Regionen
und Tierbeobachtungen ausgeweitet
werden. Im Loma-Gebirgszug im Nord-
osten des Landes können die Besucher
dann den Spuren der größten wildleben-
den Schimpansenpopulation Westafri-
kas folgen. Im südlichen Moyamba Dis-
trict entsteht eine Vogelbeobachtungs-
station. Und an der Grenze zu Liberia,
am Mano-Fluss, bestehen die besten
Chancen, die scheuen Zwergnilpferde
zu sehen, die es nur in Sierra Leone,
Guinea und Liberia gibt. Dazu gehört
mindestens so viel Glück wie zum Auf-
finden eines großen Diamanten, aber
diesen Anblick kann einem niemand
mehr nehmen. Auf den versprochenen
Erlös für den Sensationsfund in der
Provinz Kono wartet die Gemeinde bis
heute.

FORTSETZUNG VON SEITE 45

Zum Teil wurden die Recherchereisen für diese Ausgabe von
Veranstaltern, Hotels, Fluglinien oder Fremdenverkehrsämtern
unterstützt. Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt der Texte.

Sierra Leone


M HINWEIS DER REDAKTION

Sierra Leones neue Regierung hat
das Potential von 400 Kilometern
Traumstränden und unberührtem
Regenwald erkannt. Der im März
vorgestellte nationale Entwicklungs-
plan nennt Tourismus als wichtigste
Wachstumsbranche neben Landwirt-
schaft und Fischerei. Lumley
Beach, der von coolen Strandbars
gesäumte Stadtstrand, soll zur An-
laufstelle Nummer eins für Touris-
ten werden und dafür regelmäßig
gereinigt werden. Müll ist ein gro-
ßes Thema in Sierra Leone. Kurz
nach seinem Amtsantritt führte der
Präsident Julius Maada Bio einen
„Cleaning Day“ ein. Einmal im Mo-
nat darf keiner das Haus verlassen
oder muss mithelfen beim Reinema-
chen. Doch der Cleaning Day wer-
de häufig missbraucht, beklagt Tom-
my Garnett, Direktor der Environ-
mental Foundation for Africa
(EFA). „Einige Anwohner, die bis-
her für die Müllabfuhr bezahlt ha-
ben, werfen ihren Müll jetzt einfach
an diesem Tag auf die Straße.“
Auch die neue Tourismusstrategie
der Regierung findet Garnett nicht
konsequent umgesetzt. Es fließe we-
nig Geld in touristische Projekte,
weiterhin werde der Sand der Vor-
zeigestrände von der Bauindustrie
abgebaut und Regenwald für illega-
le Bauten abgeholzt. „Das Tiwai-
Island-Schutzgebiet wäre längst zer-
stört, hätten wir nicht im Jahr 2000
das Abholzen der Bäume verhin-
dert“, betont der Umweltschützer.
„Wir können aus Fehlern anderer
lernen und haben die Chance auf ei-
nen gut informierten Tourismus
von Anfang an.“ Ruanda sei das bes-
te Vorbild: Nach Jahren negativster
Schlagzeilen sei das Land jetzt eins
der populärsten Ziele in Afrika.
Sierra Leone ist wie viele Länder in
Afrika ein teures Reiseland, dafür
sind aber erste Ökotourismus-Pro-
jekte entstanden: Tasso Island liegt
eine kurze Bootsfahrt von der
Hauptstadt entfernt, bietet fünf
Öko-Hütten, Vogelbeobachtungen,
Kanutouren und jede Menge
Strand. Die Einnahmen gehen di-
rekt an das von Einheimischen be-
triebene Tasso Ecotourism Project
(tassoisland.org).
Zur Flussinsel Tiwai Island braucht
man zwar sechs Stunden mit dem
Auto, dafür erwarten einen zwölf
Quadratkilometer dicht gepackter
tropischer Regenwald mit seltenen
Bewohnern: Schimpansen, Diana-
meerkatzen und Zwergflusspferde
(tiwaiisland.org). Und wenn man
schon mal da ist, sollte man die
herrlichen Ausblicke, Wasserfälle
und 77 Orchideenarten im Gola
Rainforest National Park nicht ver-
passen. Ehemalige Wilderer führen
Besucher durch das vor Bergbau
und Abholzung gerettete Schutzge-
biet (golarainforest.org).
Gute Informationen zum Thema
Nachhaltigkeit gibt es auch beim
Tacugama Chimpanzee Sanctuary
(tacugama.com) und bei VSL Tra-
vel (visitsierraleone.org).
Anreise Brussels Airlines fliegt der-
zeit viermal die Woche nach Sierra
Leone, mit Start des Winterflug-
plans (Trockenzeit in Sierra Leone)
fünfmal. Hin-und Rückflugticket
kosten ab 625 Euro. Die Flüge mit
Air France ab und bis Paris sind
knapp 200 Euro teurer.
Einreise Ein Visum ist notwendig,
das bei der Botschaft in Berlin per-
sönlich oder online beantragt wer-
den kann. Die Gebühr beträgt 100
Euro. Verhandlungen über ein Vi-
sum, das bei der Ankunft am Flug-
hafen ausgestellt wird, laufen.
Gesundheit Gelbfieberimpfung ist
verpflichtend. Für Sierra Leone ist
Malariaprophylaxe empfohlen, da
die gefährlichste Variante (Malaria
tropica) verbreitet ist. Das Robert-
Koch-Institut veröffentlicht auf sei-
ner Website eine Liste der tropen-
medizinischen Institute in Deutsch-
land (rki.de) Gegen das ebenfalls be-
stehende Risiko des Dengue-Erre-
gers ist lediglich sorgfältiger Mü-
ckenschutz mit langer Kleidung
und Sprays möglich. Stehende Ge-
wässer sollten wegen der Gefahr ei-
ner Bilharziose-Infektion nicht be-
treten werden.
Unterkunft Eine komfortable Anla-
ge besteht mit „The Place Resort“
am Tokeh Beach außerhalb von
Freetown, stayattheplace.com.
Einfachere Chalets sind am River
N ̊2 Beach zu mieten. In der Haupt-
stadt ist das „Radisson Blu Mammy
Yoko Hotel“ zu empfehlen.
In anderen internationalen Hotels
steht die Leistung oft in keinem
Verhältnis zum Preis.
Weitere Informationen unter visit-
sierraleone.org/national-tourist-
board Cornelia Varwig

DER WEG NACH
SIERRA LEONE
Für den Tisch Keine andere Maßnahme
wirke so effektiv gegen die Erderwär-
mung wie das Pflanzen von Bäumen, ver-
kündeten unlängst die Forscher der Eid-
genössischen Technischen Hochschule
(ETH) Zürich. Was für den Planeten
gut ist, gilt erst recht für das Wohnklima
in unseren Städten. Eine ausgewachsene
Linde oder Eiche absorbiert an einer
Straße nicht nur Kohlendioxid, sondern
produziert pro Jahr auch mehr als hun-
dert Kilogramm Sauerstoff. Letzten
Sommer war es so heiß, dass Gemeinden
ihre Bürger aufforderten, die Stadtbäu-
me zu gießen. Ohne sie gäbe es in Bal-
lungszentren zudem bald nur noch Tau-
ben und sonst keine anderen Tiere mehr.
Einige Bäume vertragen jedoch die
Schadstoffwerte nicht mehr, die mexika-
nische Esche in Mexiko-Stadt hingegen
schon, aber vor allem besitzt die Londo-
ner Platane unter den Laubbäumen die
höchste Resistenz gegen Luftverschmut-
zung und macht deswegen fast fünfzig
Prozent des Baumbestandes in London
aus.
In dem von Kelly Louise Judd illus-
trierten Buch „Arboretum“ führt uns der
BBC-Reporter Michael Jordan mit bota-
nischem Sachverstand Baum um Baum
durch die Metropolen der Welt.
So wächst auf der Akropolis in Athen
etwa ein Exemplar eines Echten Öl-
baums, angeblich Nachkomme eines um
525 v. Chr. in einem heiligen Hain ge-
pflanzten Exemplars. Einer der größten
Bäume in Paris ist eine Rosskastanie an
einem See nahe der Avenue Gustave Eif-
fel, und den Götterbaum im Kurpark in
Wiesbaden wollten einige Botaniker
schon Höllenbaum nennen, weil er das
Wachstum anderer Pflanzen unter-
drückt. Apropos wachsen: Die Ginkgo-
bäume in Tokio heißen in Japan auch
Sakaso Icho: Baum, der auf dem Kopf
steht, denn ihre Äste wachsen an beson-
ders alten Bäumen nach unten und wer-
den zu Luftwurzeln. Einer, der es auf
dreitausendsiebenhundertzweiundsieb-
zig Luftwurzeln bringt, ist die Banyan-
Feige im indischen Haora.
Man erfährt auch, dass Hongkong,
das eigentlich duftender Hafen heißt, sei-
nen Namen dem inzwischen geschützten
Adlerholzbaum verdankt, aus dem früher
massenhaft Weihrauch hergestellt wur-
de. Dass mit dem Harz des Aleppo-Bau-
mes, der in Jerusalem wächst, früher die
Pharaonen einbalsamiert wurden, heute
nimmt man es zum Verschneiden von
Retsina-Wein. Und unter einem Kapok-
baum auf der Insel eines Kreisverkehrs
in Freetown (oberes Bild) senden die
Menschen in Sierra Leone Botschaften
an ihre Vorfahren. Auch die Sandbirke
(unteres Bild), Nationalbaum der Fin-
nen, hat eine spirituelle Vergangenheit:
Um Heiden davon abzuhalten, bei ihren
Ritualen Bäume zu opfern, ließen Chris-
ten kurzerhand alle stattlichen Birken fäl-
len. Inzwischen hat sich der Bestand er-
holt. In Helsinki tragen die Birken am Si-
beliusweg Plaketten. Wer mit dem
Handy den QR-Code scannt, kann von
der Birke inspirierte Musik hören.
Bäume können sich aber auch wehren.
Die Zweihäusige Kermesbeere in Bue-
nos Aires etwa, die aufgrund ihres Gewe-
bes resistent gegen Feuer ist, produziert
einen Milchsaft, der Tiere fernhält. Zum
Schutz der Winterlinden, die dem Berli-
ner Boulevard Unter den Linden ihren
Namen gaben, erließ Kurfürst Friedrich
Wilhelm 1647 eine Anordnung, dass je-
der, der bewusst einen Baum beschädigt,
eine Hand verlieren soll. weit
Michael Jordan: „Arboretum. 70 Bäume – 70 Städte“.
Prestel, 22 Euro

NEUES REISEBUCH


Oben, ein Bild des Kapokbaums (Ceiba pentandra), unten die Weißbirke (Betula pendula)
Illustrationen Kelly Louise Judd / Prestel-Verlag

Land im Aufbruch: Yoga-Wochenende im Tacugama Chimpanzee Sanctuary Fotos Varwig

Schützling in Tacugama Foto Imago

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Fluss Nummer 2 ist ein beliebter Erholungsort vor den Toren der Hauptstadt.

SIERRA LEONE

GUINEA

LIBERIA

Bo
Kalia Village

Tacugama-
Zentrum

River No 7
Beach

Freetown

Kenema

F.A.Z.- Karte lev.

100 km

Atlantik

LOM
A-G
EB
IR
GE

Ma

no

Niger

AFRIKA
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