Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30 reise 47


36 Grad: Fram-Museum Oslo


Die Ankunft in Oslo beginnt mit einem
kleinen Schock: Es ist wüstenhaft heiß.
Spaziert man auf dem schneeweißen
Dach der Oper, läuft man Gefahr, vom
gleißenden Sonnenlicht erschlagen zu
werden. Sonnenbrille auf und nix wie
raus nach Hovedøya, eine der vorgelager-
ten Inseln im Oslofjord. Das Badetuch
landet wie ein Flughörnchen auf dem
letzten schattigen Platz, aus den Tuben
werden zweistellige Lichtschutzfaktoren
gequetscht. Es herrscht eine große Er-
schlaffung auf dem 60. Breitengrad, die
auch die tutenden Kreuzfahrtschiffe und
Fähren nicht stören können.
So haben wir uns das nicht vorgestellt.
Doch zum Glück gibt es das Fram-Muse-
um, das den norwegischen Polarfor-
schern Fridtjof Nansen und Roald
Amundsen gewidmet ist. Amundsen er-
reichte 1911 als Erster den Südpol. Nan-
sen brach 1893 zum Nordpol auf. Hierfür
ließ er die „Fram“ drei Jahre lang vom
Packeis einschließen, in der Hoffnung,
dass ihn die Eisdrift zum Ziel führt. Die
„Fram“ ist heute eines der beliebtesten
Besucherziele des Landes. Abkühlung je-
doch findet man in dem Museum nicht,


da nutzen auch ein arktischer Expediti-
onssimulator und an die Decke projizier-
te Polarlichter wenig. Es ist einfach zu
voll und zu eng in dem 1936 errichteten
Gebäude, weit über 30 Grad. Nach einer
guten Stunde verlassen wir die polare
Sauna. Draußen machen wir ein hüb-
sches Erinnerungsfoto von fünf bronze-
nen Polarforschern im Anorak.


25 Grad: Sognefjord


„Fjorde sind ertrunkene Täler“, schrieb
der große Humorist und Zeichner
F. K. Waechter in den 1980er Jahren in
sein Reisetagebuch. Das Bonmot hat
nichts von seiner Gültigkeit verloren,
wie die Fahrt durch den Sognefjord, Nor-
wegens tiefsten Meereseinschnitt ins
Land, beweist. Auf Atlantikniveau gleitet
die Fähre vorbei an schroffen Felsen und
vereinzelten, dem Pegel angepassten Bau-
ernhöfen. Zweieinhalb Stunden dauert
die Passage durch dieses Bilderbuch-Nor-
wegen, für die man keine Kreuzfahrt bu-
chen muss. Die Fähre von Gudvangen
nach Sogndal verkehrt mehrmals täglich
im Bilderbuch-Dienst.


Während die Autos in Schlittenhund-
formation im Unterdeck auf Entlassung
warten, kann es für uns gar nicht lang-
sam genug gehen. Der Fjord ist von gera-
dezu schnapshafter Klarheit, die Sonne
scheint, ein laues Lüftchen weht: 25
Grad. Wohlfühlwetter, Fleecejackenaus-
ziehwetter, Beinausstreckwetter. 25 Grad
ist auch die weltweit anerkannte Norm-
temperatur in Chemielaboren. 25 Celsi-
us, wohlgemerkt. Das sind 77 Grad Fah-
renheit oder 298,15 Grad Kelvin. Ob es
Zufall ist, dass alle drei Wissenschaftler
aus dem Norden kommen? Fahrenheit
wurde in Danzig geboren, Celsius im
schwedischen Uppsala, der spätere Lord
Kelvin in Belfast. Vielleicht träumten
alle drei von eben jener Temperatur, die
das Leben leicht macht, bei der man sich
gern im Freien aufhält, bei der man we-
der schwitzt noch friert. Bei 25 Grad
stimmt einfach die Chemie.

-18 Grad: Tiefkühlpizza
Am späten Nachmittag, wenn sich der
Campingplatz Jostedalen wieder füllt mit
müden, sich glücklich gelaufenen Wande-
rern und Gletschergängern, schlägt die
Stunde der Tiefkühlpizza. Der schockge-
frorene Rundfladen macht nicht nur satt,
er ist auch vergleichsweise günstig. Eine
„Pizza Grandiosa“ kostet im Supermarkt
49,80 Norwegische Kronen, umgerech-
net gut fünf Euro. In den meisten Restau-
rants müsste man dafür glatt das Fünffa-
che zahlen.
Norwegen ist ein teures Land; die
H-Milch und Nudelvorräte, welche die
Wohnmobile aus Mitteleuropa mitge-
bracht haben, sind schnell aufgebraucht.
Und so macht sich der halbe Camping-
platz gegen 17 Uhr ein letztes Mal auf
zum Supermarkt, legt das versteinerte Sa-
lamirund in die Öfen der Gemeinschafts-
küche und wartet, bis der zerlaufene
Käse ein schmackhaftes Endprodukt an-
zeigt. Minus 18 Grad: Kälter wird es im
Sommer in ganz Norwegen nicht. Das
Eis der Marke Eskimo wird natürlich
auch in der vorgeschriebenen Mindest-
temperatur gelagert. Und schmilzt in
glücklichen Kinderhänden.

Vier Grad: Gletscher
Jostedalsbreen
Es tropft, es gurgelt, es rauscht: Auch
der Jostedalsbreen, Europas größter Fest-
landgletscher, schmilzt. Jetzt im Som-
mer darf er das natürlich. Doch dass
sich mittlerweile ein mehrere hundert
Meter langes Geröllfeld vor ihm ausbrei-

tet, deutet stark darauf hin, dass der Kli-
mawandel auch diesen Giganten nicht
verschont. Die glaziäre Kühlkette ist un-
terbrochen.
Wenigstens wir bilden eine Kette, ge-
nauer gesagt, eine Seilschaft, die mit
Steigeisen, Stöcken und Fotoapparaten
die Gletscherzunge hochkraxelt. Bloß
nicht reinfallen, denkt man beim Blick
hinunter in die frostschutzmittelblauen
Ritzen, aus denen es so geheimnisvoll
gurgelt. Doch dann zieht die Führerin
die zwanzigköpfige Gruppe schon weiter
bis zum nächsten Spalt. Eine Stunde dau-
ert die kindgerechte Begehung der zer-
klüfteten Eiswelt, bei der manch Erwach-
sener Blut und Wasser schwitzt.

13,6 Grad: Insel Sotra
Baden auf der Insel Sotra? Keine gute
Idee, sollte man meinen. Die Nordsee
misst exakt 13,6 Grad, wie eine Kreideta-
fel aufmerksam vermerkt. Taucht man
aber seine Hand hinein, glaubt man, dass
sie sich unverzüglich in eine Tiefkühlpiz-
za verwandelt. Und dann diese Algen:
Blau, braun und rötlich schimmern sie
auf dem Grund des Meeres, eine extrater-
restrische Farbenpracht. „Plong“ macht
plötzlich das Sprungbrett, dann noch
mal „plong“: Zwei Jugendliche sind ein-
fach hineingesprungen in die eisige Flut,
prusten, planschen, tauchen.
Weitaus unverfrorener waren die Na-
zis, die das nahegelegene Fischerdorf Te-
lavåg Ende April 1942 dem Erdboden
gleichmachten. Die 600 Einwohner hat-
ten es gewagt, dem bewaffneten Wider-
stand gegen die deutsche Besatzung Un-
terschlupf zu gewähren. Unterstützung
bekam dieser von den schottischen Shet-
land-Inseln. Jahrelang verkehrten Boote
über die rauhe Nordsee, weshalb man
die Verbindung auch „Shetland Bus“
nannte. Im April 1942 flog die Sache auf.
Es kam zu einem Schusswechsel, zwei
Nazis starben. Aus Rache ließ der deut-
sche Reichskommissar Terboven vier
Tage darauf ganz Telavåg sprengen. Die
Männer wurden nach Sachsenhausen de-
portiert, Frauen und Kinder auf dem
Festland eingesperrt. Das beeindrucken-
de North Sea Traffic Museum auf Sotra
erzählt die ganze Geschichte.

Acht Grad: Gaustabanen
Norwegens Tunnel sind ein Ereignis.
Das Land verfügt nicht nur über die mut-
maßlich größte Tunneldichte der Welt, es
hat sogar Kreisverkehre in die Berge ge-

trieben. In ihnen leuchtet und blinkt es
wie auf einem Jahrmarkt, damit man in
der Dunkelheit richtig abbiegt. Der merk-
würdigste Tunnel von allen befindet sich
in der Stadt Rjukan. Es ist die Röhre der
Gaustabanen. Das klingt nach Geister-
bahn, ist aber nur insofern gruselig, als
dass man 1400 Höhenmeter durch das In-
nere des Gaustatoppen fährt, erst als Stra-

ßenbahn, dann, nach Umsteigen mitten
im Berg, als Standseilbahn. Fleecejacken
an! Es ist kalt und feucht – und äußerst
merkwürdig.
Merkwürdig ist auch die Stadt Rju-
kan, die von Oktober bis März komplett
im Schatten des Gaustatoppen liegt.
Um den Bewohnern wenigstens ein biss-
chen Sonne zu gönnen, wurde 1928 eine

Seilbahn zur Hochebene Hardanger-
vidda gebaut. Seit 2013 bescheint zusätz-
lich ein riesiger Spiegel den Marktplatz.
Er reflektiert rund 80 Prozent des Son-
nenlichts und wird auch im Sommer
nicht abgebaut. Wärmer macht er das
finstere Tal nicht, muss er heute aber
auch nicht. Es ist 25 Grad: Wohlfühlwet-
ter! CHRISTOPH MOESKES

Eine Gradwanderung


Land der Stunde: In Norwegen kann man den Sommer bei 36, aber auch bei minus 18 Grad verbringen


Eisim Sonnenschein: Der Jostedalsbreen, Europas größter Festlandgletscher, schmilzt. Beim Blick in das Blau der tiefen Spalten wird manchem Besucher ganz blümerant. Fotos cms


Sommer und Winter liegen in Norwegen
nahbeieinander.


Hinab geht es in den Gaustatoppen.

Hovedøya

Gudvangen

Sogndal

Gletscher
Jostedalsbreen

Sotra

Rjukan

Gaustabanen

Telavåg

Oslo-
fjord

Oslo

Bergen

Stavanger

F.A.Z.-Karte lev. 100 km

Sognefjord

NORWEGEN

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