Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

52 wohnen FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


Z


wei schlanke Säulen markieren
den Eingang. Sie flankieren ei-
nen Plattenweg, gesäumt von
Rosen und Buchshecken. Wer
diesen Weg betritt, findet sich auf ein-
mal mitten in einem ummauerten Gar-
ten wieder. Feigen wachsen hier, Hanfpal-
men, ein knorriger Olivenbaum und
sehr viele Rosen. Rechterhand schim-
mert es grün hinter einem offenen Tür-
rahmen, linkerhand geht es zu einer ge-
räumigen Orangerie, die vor der Ziegel-
wand steht. Geradeaus öffnet sich der
Blick in einen Park – durch große Fens-
ter und Flügeltüren, die hölzerne Läden
aus weißen Lamellen haben.
Dies ist mehr als ein ummauerter
Garten, dies ist ein Garten in einer Rui-
ne. Ein Innenhof. Drei Wände zeugen
noch von dem Haus, das hier einst
stand. Da, wo die vierte stand, wachsen
nun schmale Eibenhecken, hier befindet
sich der Haupteingang.
Dieser Garten in Düsseldorf ent-
springt einer Vision. Als der Landschafts-
architekt Volker das Anwesen das erste
Mal sah, erkannte er schnell, was für ein
Schatz ein altes Haus auf einem Grund-
stück sein kann. Zuvor hatte er den
Nachbargarten gestaltet, dann bat ihn
die Familie, sich auch dieses Teils anzu-
nehmen. Er verbindet die Gärten des El-
ternhauses und des Neubaus der jungen
Generation. Als Püschel den Auftrag an-
nahm, stand hier noch eine rund hun-
dert Jahre alte, dreistöckige Direktoren-
villa, die zu einer Ziegelei gehört hatte.
Fünfzehn Jahre lang stand die Villa leer
und war wegen einer kaputten Wasserlei-
tung marode. „Sie sollte abgerissen wer-
den, der Auftrag war schon erteilt“, erin-
nert sich Volker Püschel. Viel zu schade,
befand der Landschaftsarchitekt. „Denn
das Haus hatte den Charme eines ver-
wunschenen Schlosses. Es war nahezu
komplett von Efeu, wildem Wein, Glyzi-
nien und Rosen überwachsen.“
Wie es hier einmal aussehen könnte,
habe für ihn von Anfang an auf der Hand
gelegen, erzählt er. So überzeugte der Pla-
ner die Bauherren, den schönsten Teil
des Gebäudes stehen zu lassen: die Südfas-
sade, auf deren Terrasse eine ganz beson-
dere Atmosphäre herrscht. Von einer
Kletterhortensie überwachsen, trennt sie
heute einen Gemüsegarten und Kinder-
spielplatz vom Innenhof ab. Doch aus sta-
tischen Gründen konnte die Fassade
nicht ohne seitliche Mauern stehen. So
entschieden die Projektpartner, die drei
Außenwände bis auf eine Höhe von 3,50
Metern stehen zu lassen. Zwar musste
das Gestein behandelt werden, um der
Witterung standzuhalten. Doch wurde
behutsam und mit viel Feingefühl vorge-
gangen. Es finden sich hier noch die ur-
sprünglichen Fensterbänke, Details wie
Lichtschalter blieben erhalten, und an

der alten Eingangstür sind sogar noch
uralte Klingelschilder vorhanden.
Ruinen haben eine jahrhundertealte
Tradition in der Gartengestaltung. Als in
der Renaissance das Interesse an der Anti-
ke erwachte, wurden auch bauliche Über-
reste vergangener Zeiten populär. Auf
der Grand Tour reisten junge, wohlha-
bende Männer nach Rom und Griechen-
land, besuchten historische Stätten und
lernten die romantisch wirkenden Relik-
te antiker Gebäude kennen. Zurück
brachten sie nicht nur Bilder dieser
Orte, sondern auch eine Sehnsucht:
nach Atmosphäre, nach Tiefe, nach Ver-
gänglichkeit.

Barockmaler wie Nicolas Poussin und
Claude Lorrain griffen antike Themen
in ihren Bildern auf und erschufen mit
dem Pinsel idealisierte Landschaften.
Tempelruinen, Mauerreste, zerborstene
Säulen fügten sich in diesen Bildern in
die Landschaft ein, bildeten Fixpunkte
und klare Kontraste zu den natürlichen
Formen der Vegetation. Die Gemälde
wiederum dienten als Inspiration für die
Landschaftsgärten. Der Brite Capability
Brown etwa schuf Gärten und Parks, in
denen Tempel oder andere architektoni-
sche Elemente den Blick leiteten, Ach-
sen bestimmten und Aussichtspunkte bo-
ten. Künstlich erschaffene Ruinen fin-
den sich auch an Schloss Sanssouci in
Potsdam oder in Schwetzingen, wo vor
rund 230 Jahren der Merkurturm erbaut
wurde. Künstliche Ruinen, im Engli-
schen „Follies“ genannt, Torheiten oder
Narreteien, waren lange den wohlhaben-
den Grundstücksbesitzern vorbehalten.
Irgendwann gerieten diese „Verrückthei-
ten“ als unzeitgemäß aus der Mode.
Mittlerweile ist die Ruine wiederent-
deckt als eine Möglichkeit, eine romanti-
sche Atmosphäre zu erzeugen: Efeu, das
sich an Mauern hochzieht, und Kletter-
rosen, die durch Fenster wachsen, Laven-

del, der vor Backstein wogt. Eidechsen,
die vielleicht Unterschlupf finden oder
sogar Fledermäuse. Und wer keine alten
Steine auf seinem Anwesen hat, die er in
Szene setzen kann, der greift zum Bau-
satz. Den gibt es mit allem Drum und
Dran – für Torbögen, Mauerstücke mit
gotischen Fenstern bis hin zu mittelalter-
lichen Kapellen.
Damit eine Ruine authentisch wirkt,
braucht es entweder altes Material, ge-
brauchte Steine, oder Zeit. Dann ka-
schiert eine Patina aus Moos und Algen
neue Ziegel und Fensterstürze. Gelingt
das nicht, bleibt sie immer ein Fremdkör-
per im Garten und wirkt häufig einfach
kitschig. Eine echte Ruine ist dagegen et-
was ganz anderes. Ein Glücksfall, wie er
nur äußerst selten vorkommt. Hier
braucht es keine Patina, hier ist die Ver-
gangenheit allgegenwärtig.
So auch in dem Garten in Düsseldorf.
Die Säulen etwa, die den Eingang flan-
kieren, stammen aus der Villa, hatten
einst Decken abgestützt und sollten ent-
sorgt werden. „Sie lagen schon auf dem
Abrisswagen“, erinnert sich Volker Pü-
schel. Ein ehemaliges Toilettenhäuschen,
noch mit den originalen Fliesen geka-
chelt, beherbergt heute den Kühlschrank

mit Getränken. Auch die Pflanzen wur-
den soweit irgend möglich erhalten. Zu
ihnen gehört auch die Kletterhortensie,
die die Südfassade im Sommer mit ihren
weißen Blüten überzieht, die gewaltige
Glyzinie, die sich von der Westfassade in
eine Birke hochzieht und im Frühling in
eine blaue Wolke verwandelt. Die vor-
handenen Gehölze spielen eine Rolle für
die Gestaltung. Eine uralte Kastanie,
dem Ruinengarten vorgelagert, steht in
der Achse des Fensters, das den Blick in
den Gemüsegarten und einen am Ende
stehenden Duftflieder erlaubt.
Achsen und Ausblicke bestimmen
auch die Innenhofgestaltung. Ihn durch-
ziehen Wege, die kleine Räume und Aus-
blicke erschließen. Die Bepflanzung aller-
dings stammt von Helgard Püschel. Seit
1972 arbeitet das Ehepaar im Team, sie
haben rund 900 Gärten und Anlagen ge-
staltet – viele Golfplätze, aber auch 500
Privatgärten.
„Hier herrscht ein geschütztes Klein-
klima“, erläutert Helgard Püschel das
Ruinen-Projekt. Daher konnte sie wär-
meliebende Pflanzen auswählen wie Fei-
gen, Hanfpalmen, Sternjasmin und eine
immergrüne Magnolie – der Grundstock
für eine mediterrane Anmutung. Hinzu

kommen Lavendel, eine Olive und ein
ungewöhnlicher Weinstock, der wie ein
Baum gezogen ist. In Kübeln wachsen Zi-
tronenbäumchen, Mandarinen, Kum-
quats und blaue Schmucklilien. Sie verlei-
hen dem Hofgarten inmitten des alten
Gemäuers einen besonderen Charme,
sind hier vor Kälte geschützt, bekommen
aber genügend Luft und Raum, sich zu
entfalten. Farbe bringen auch die Rosen
hinein, in Pink – die Strauchrose’Mo-
zart‘– , Rosa und Weiß. Gräser wie das
feine Chinaschilf’Gracillimus‘oder Lam-
penputzergräser steuern feine Struktu-
ren bei, hinzu kommen duftender Salbei,
kleine Glockenblumen und verschiedene
Storchschnabelsorten.
Rund 1400 Quadratmeter ist der Rui-
nengarten groß und Teil eines parkähnli-
chen Grundstücks, auf dem sich außer
Gemüsegarten, Spielplatz und Boule-
bahn ein großer Teich finden. Er gehört
zu den ungewöhnlichsten Projekten der
Püschels. Für die Eigentümer ist die Rui-
ne ein Gewinn. Kein Folly, sondern au-
thentisch, lässt sie die Vergangenheit, die
Vergänglichkeit spürbar werden – auf an-
genehmste Weise. Entstanden ist ein
Treffpunkt der Familie, an dem die Er-
wachsenen zum Aperitif zusammenkom-
men, während die Kinder herumtoben.

Bauen in Zeiten von Hitzerekorden,
Tropennächten und steigenden
Durchschnittstemperaturen – müss-
ten nicht Klimaanlagen im Neubau
Standard werden?
In absehbarer Zeit ganz bestimmt nicht.

Wieso?
Weil das eine äußerst teure Investition
ist. Nicht nur, was die Anschaffung an-
geht. Es sind vor allem Betrieb und
Wartung, die Klimaanlagen teuer ma-
chen – nicht nur für die Eigentümer
der Wohnungen, sondern auch für die
Mieter. Sie kennen ja die gegenwärtige
Diskussion um hohe Baukosten und
hohe Mieten. Was das angeht, wäre der
Einbau von Klimaanlagen keine Lö-
sung.

Was genau macht die Anlagen, abgese-
hen von der Wartung, im laufenden
Betrieb teuer?
Klimaanlagen sind Stromfresser. Man
muss mit einem Verbrauch von 400 bis
600 Kilowattstunden rechnen – im Jahr
und pro Wohnung.

In Misskredit bringt die Klimaanla-
gen auch, dass sie, um zu kühlen,

Wärme erzeugen, die sie an die Au-
ßenluft abgeben und damit das Stadt-
klima weiter aufheizen.
Tatsache ist, dass diese Technik bisher
eine sehr, sehr schlechte CO 2 -Bilanz
hat. Wenn wir an den Punkt kommen,
an dem wir ausreichend erneuerbare
Energien für die komplette Haustechnik
einsetzen können, haben wir viel gewon-
nen. Das wäre ein echter Durchbruch,
aber so weit sind wir noch nicht.
In anderen Ländern laufen
Klimaanlagen an heißen Tagen
derweil aber auf vollen Touren.
Warum geht das bei uns nicht?
Das hat traditionelle Gründe.
Deutschland ist bis auf die aktuellen Hit-
zeperioden kein heißes Land, wie zum
Beispiel die Mittelmeerländer.
Das mittlere Temperaturmaximum liegt
im Juli und August in Berlin und
übrigens auch in Freiburg bei 23 Grad
Celsius. Dennoch, angesichts der
klimatischen Veränderungen müssen wir
uns im Wohnungsneubau auch dem
Thema sommerlicher Wärmeschutz
stärker stellen.
Das heißt neue Lösungen suchen?

Ja, wir müssen Alternativen dazu entwi-
ckeln, mit hohem energetischen Auf-
wand kalte Luft in Gebäude zu blasen.
Zum Beispiel durch einen anderen Fas-
sadenaufbau. Eine Methode, die heute
schon funktioniert, ist, im Sommer kal-
tes Wasser durch die Fußbodenheizung

laufen zu lassen. Das hat natürlich
nicht so einen starken Effekt wie eine
Klimaanlage, hilft aber durchaus. Und
natürlich muss man konsequent auf
gute Verschattungssysteme setzen. In
der Rollladen- und Jalousienindustrie
hat sich viel getan. Mit diesen eigent-

lich klassischen Methoden kann man
viel auffangen.
Inwiefern kann Architektur das Raum-
klima an heißen Tagen erträglicher
machen?
Ein Beitrag der Architektur ist in be-
grenztem Maß möglich. Momentan
sieht es so aus, dass Gebäude möglichst
energieeffizient sein sollen, um Wärme-
verluste zu vermeiden. Das heißt, neue
Häuser haben eine sehr dichte Gebäude-
hülle, werden nach Norden hin mit ver-
gleichsweise wenigen und kleineren Fens-
terflächen geplant und nach Süden mit
großen Fensterfronten. Diese sollten ar-
chitektonisch durch Dachüberstände, dar-
überliegende Balkone oder eine andere
architektonische Gestaltung baulich ver-
schattet werden. Das hat zudem den Vor-
teil, dass die tiefstehende Sonne im Win-
ter in die Zimmer scheint.
Kann man daraus den Schluss ziehen,
dass die energieeffiziente Bauweise
in heißen Sommern zum Problem
wird?
Grundsätzlich berücksichtigt die Energie-
einsparverordnung auch den sommerli-
chen Wärmeschutz durch angemessene

Verschattung mit. Und eine gut gedämm-
te Wand schirmt den Wohnraum auch
gegen Hitze von außen ab. Für kurze
Hitzephasen ist das also ein Vorteil.
Für lange Phasen aber nicht?
Ist es mehrere Tage in Folge heiß, dann
heizt sich auch ein gut gedämmter Bau
auf. Und hat man die Wärme erst mal
im Haus, weicht sie aus einem solchen
Gebäude auch nicht so schnell. Dann
kommt es darauf an, ob und wie eine in-
tensive Nachtlüftung stattfinden kann.
Den sommerlichen Wärmeschutz müs-
sen wir daher künftig mehr pushen.
Welche Maßnahmen sind aus Ihrer
Sicht sinnvoll?
Die äußere Verschattung der Fenster ist
das Wichtigste.

Das Gespräch führte Birgit Ochs.

Ingeborg Esser ist Haupt-
geschäftsführerin des
GdW Bundesverbands
deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen.

Foto GdW, Urban Ruths
Höchste Zeit, neue Ideen zu ventilieren, damit die Hitze draußen bleibt Foto Imago

Alte Steine lassen


sich bestens in Szene


setzen. Das zeigt


ein ungewöhnlicher


Garten in


Düsseldorf.


Von Ina Sperl


„Klimaanlagen sind keine Lösung“


Wohnungswirtschaftsexpertin Ingeborg Esser über die Krux dichter Fassaden und wie die Fußbodenheizung bei Wärme helfen kann


Wo ruinöse Zustände von Vorteil sind


Herzstück des 1400 Quadratme-
ter großen Gartens, den sich
mehrere Generationen teilen,
sind die Mauerreste einer Villa.
Ursprünglich zum Abriss
bestimmt, prägen sie heute
den Charakter der sensibel
gestalteten Anlage.Sibylle Pietrek
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