Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1
FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG

Leben (^) 28. JULI 2019 NR. 30 SEITE 9
VON HAUCK & BAUER
AM RANDE DER
GESELLSCHAFT

E
s riecht nach Chlor und Frit-
tierfett. Buchsbaumhecken
umgrenzen das Becken, und
am Schwimmbadkiosk „bei
Moppel’s“ gibt es Bratwurst,
Weingummi und Eis am Stiel. Neben
der Wasserrutsche türmen sich Felsen
aus Waschbeton. Ein Ort wie ein Kli-
schee – und ein Ort der Gewalt. Wie in
einer ganzen Reihe deutscher Freibäder
in den vergangenen Wochen kam es
auch hier, im Freibad Griesheim bei
Darmstadt, zu Übergriffen auf Gäste,
Personal und Polizisten.
Als die Temperaturen Ende Juni, wie
gerade erst in dieser Woche, in die Höhe
schnellten, riefen die Griesheimer Bade-
meister gleich zweimal die Polizei: An ei-
nem Freitag beschwerten sich mehrere
Frauen, weil junge Männer sie belästig-
ten; als herbeigeeilte Beamte deren Perso-
nalien feststellen wollten, verletzte einer
der Männer einen städtischen Mitarbei-
ter. Am Sonntag darauf drängten sich
4000 Gäste in dem beschaulichen Bad;
etwa hundert weitere kamen nach einem
Einlassstopp nicht mehr hinein und rea-
gierten so aggressiv, dass das Schwimm-
bad sich abermals an die Polizei wandte.
Was in Griesheim geschah, ist im Ver-
gleich zu anderen Schwimmbädern harm-
los: In Essen attackierten Jugendliche,
nachdem sie wegen Wasserspritzen er-
mahnt worden waren, zwei Bademeister
und schlugen einer unbeteiligten Zwölf-
jährigen in die Magengrube. In Gelsen-
kirchen musste ein 23-Jähriger not-
operiert werden, nachdem ihn ein ande-
rer Freibadgast, mit dem er wohl schon
länger zerstritten war, mit einem Messer
verletzt hatte. In Düsseldorf sprangen Ju-
gendliche über ausgebreitete Decken und
über Gäste; als ein Familienvater sie zu-
rechtwies, solidarisierten sich Hunderte
junge Männer – mit den Unruhestiftern.
In Stuttgart berichteten Frauen, sie seien
im Schwimmbecken begrapscht wurden.
Glaubt man „Emma“, dann sind deut-
sche Freibäder mittlerweile zu No-Go-
Areas verkommen. Frauen, so hieß es
jüngst in einem Artikel der Frauenzeit-
schrift, „werden in Freibädern zu Frei-
wild“. Und die Schuldigen sind auch
schon ausgemacht: Die Täter seien in
großer Mehrheit junge, männliche Mi-
granten. Kann man das so stehen und
sich die Lust aufs Freibad damit neh-
men lassen? Was ist los auf deutschen
Liegewiesen? Wir sind einfach mal hin-
gegangen, nicht nur nach Griesheim,
sondern auch nach Frankfurt und Nord-
rhein-Westfalen.
Bei der Ankunft im Frankfurter Frei-
bad zeigt das Thermometer 27,5 Grad.
Am Himmel sind ein paar Wolken zu se-
hen, in der Sonne ist es richtig warm,
trotzdem ist der Parkplatz des Schwimm-
bads nicht sonderlich voll. Auf der Wiese
ist leicht ein Platz fürs Handtuch zu fin-
den. Kaum hat man es sich darauf gemüt-
lich gemacht, umhüllt einen diese Ge-
räuschkulisse, die es nur in Freibädern
gibt, eine Mischung aus Wasserplät-
schern und Stimmengewirr. Eltern ste-
hen am Beckenrand und schauen ihren
Kindern zu, im großen Becken ziehen
Hobbysportler ambitioniert ihre Bahnen,
abwechselnd ist das Ein- oder Dreimeter-
brett geöffnet. Familien mischen sich zwi-
schen nach Ruhe suchende Rentner, die
ihren eigenen Liegestuhl mitgebracht ha-
ben, und Kinder toben abwechselnd auf
der Wiese und im Wasser. Keine Range-
lei, keine Beschimpfungen, keine blöden
Anmachsprüche. Alles wie immer.
Dabei erfüllt das Frankfurter Bad, das
wir für unseren Besuch ausgesucht ha-
ben, alles, was es, glaubt man der bisheri-
gen Berichterstattung, braucht, damit die
Stimmung kippt. In den angrenzenden
Stadtteilen ist der Ausländeranteil hoch,
und die Einkommen sind niedrig. Gegen-
über des Schwimmbades liegt eine große
Moschee, hinter dem Schwimmbad wur-
den Sozialwohnungen gebaut. Und ab die-
sem Sommer dürfen Kinder und Jugendli-
che bis 14 Jahren kostenfrei in Frankfurts
Schwimmbäder – was diese voller und zu
beliebten Treffpunkten macht.
Heute aber, an einem etwas wolkigen
Ferientag, ist für alle genügend Platz.
Man kann entspannt seine Bahnen zie-
hen. Jugendliche, die versuchen, das
Schwimmbecken quer zu durchkreuzen,
werden von den Bademeistern sofort er-
mahnt – und fügen sich klaglos. Gerade-
zu vorbildlich wird hier Konfliktpräven-
tion gelebt. Entspannung pur, zumindest
an kühleren Tagen.
Eine Woche später ist die Hitzewelle
auch über Frankfurt eingebrochen. Wir
sind wieder im Bad. Das Thermometer
zeigt 38,3 Grad. Schon an der Kasse wird
man heute von einem Mann im blauen
T-Shirt mit der Aufschrift „Aufsicht“ be-
grüßt. Warum? „Die Sonne knallt vom
Himmel“, erklärt der Sicherheitsmann.
„Wenn es dann an der Kasse zu lange
dauert, der Preis zu hoch erscheint oder
die Kassiererin irgendeine Ermäßigung
nicht sofort akzeptiert, kommt es schnell
zu Auseinandersetzungen. Da sind wir
mal lieber da.“
Er ist nicht der Einzige im blauen
T-Shirt; auch auf der Liegewiese dreht
Sicherheitspersonal seine Runden. Bei
Temperaturen über 30 Grad holt sich das
Bad Unterstützung in Sachen Sicherheit.
Keine schlechte Idee, so scheint es, denn
tatsächlich belegen eine Reihe von Studi-
en, dass Hitze und Gewaltbereitschaft zu-
sammenhängen: „Wenn es heißer ist,
sind wir aggressionsgeneigter“, sagt der
Psychologe Thomas Bliesener, Direktor
des Kriminologischen Forschungsinstitu-
tes Niedersachsen. Die Blutgefäße wei-
ten sich, man fühlt sich unwohl und ge-
stresst, ist reizbarer, die Toleranzschwelle
sinkt. Und je wärmer es ist, desto mehr
Leute drängen sich am Becken. Bliese-
ner stellt fest: Wenn Menschen zur Mas-
se werden, sei es auf Konzerten, Demons-
trationen oder eben im Freibad, steige
die Gefahr von aggressivem Verhalten.
Das können wir auf der Liegewiese
trotz der Hitze nicht entdecken. Einen
ruhigen Platz im Schatten zu finden
wird trotzdem schwierig. Auf einigen
Handtüchern liegen junge Männer mit
lauter Musik. Auf anderen junge Mäd-
chen in knappen Bikinis, teilweise ganz
ohne Oberteil. Vorbeigehende Männer
schauen aus dem Augenwinkel da genau-
er hin. Am Babybecken und am Nicht-
schwimmerbecken stehen Frauen in
Abayas oder langen Kleidern. Ihre Köp-
fe sind mit Tüchern bedeckt. Teilweise
halten sie die nackten Füße ins Wasser
und schauen ihren Kindern zu. Freizü-
gigkeit trifft auf Verhüllung.
Ein Frankfurter Bademeister wird spä-
ter erzählen, dass genau das immer wie-
der zu Konflikten zwischen den Besu-
chern führt. Ins Wasser darf man nach
der Badeordnung der Frankfurter Bäder
nämlich nur mit „üblicher Badebeklei-
dung“. Dazu zählen selbstverständlich
auch Burkinis, die im Becken einige jün-
gere Mädchen auch tragen. Mit Alltags-
kleidung ins Wasser zu gehen, selbst
wenn man nur kurz sein Kind holen will,
sei aus hygienischen Gründen strengs-
tens untersagt, erklärt der Bademeister.
Wer gegen die Kleiderordnung verstößt,
wird ermahnt, was laut dem Bademeister
durchaus auch zu unfreundlichen verba-
len Reaktionen führt.
Die Hitze macht sich weiter im Frank-
furter Bad breit, und in der Luft liegt
eine merkwürdige Anspannung, die wir
gar nicht so richtig greifen können. Die
Dichte der Bademeister am Beckenrand
hat deutlich zugenommen im Vergleich
zu unseren Besuchen bei unter 35 Grad.
Zum Teil bewachen sie die Becken zu
viert. Anders als noch bei kühleren Tem-
peraturen sitzen sie nicht mehr auf Plas-
tikstühlen. Hochstühle müssen her, um
überhaupt irgendwie den Überblick be-
halten zu können. Im Nichtschwimmer-
becken drängen sich so viele Menschen,
dass man darin eigentlich nur noch ste-
hen kann. Dass es da zu Gerangel
kommt, darf wirklich niemanden überra-
schen. Mehrmals ist zu beobachten, wie
Jungs, alle schätzungsweise um die zehn
Jahre alt, aneinandergeraten. Erst verbal,
dann wird geschubst.
Doch wieder schalten sich Bademeis-
ter und Aufsicht sofort ein. Direkte De-
eskalation, bloß nichts anbrennen lassen,
so lautet wohl die Devise. Der Bademeis-
ter erzählt, das sei am Nichtschwimmer-
becken besonders wichtig, denn zu ag-
gressivem Verhalten und abnehmendem
Respekt vor anderen komme es schon
bei immer jüngeren Kindern. Der Bade-
meister ist nicht nur einmal zu der Er-
mahnung gezwungen: „So redet man
nicht miteinander“ – nicht nur den Kin-
dern, sondern auch sich ankeifenden El-
tern gegenüber.
Erste Zwischenbilanz: Ein Schwimm-
badbesuch bei Hitze ist hier nicht ganz
so entspannt wie die Tage zuvor. Zu auf-
sehenerregenden Szenen kommt es
trotzdem nicht. Aber vielleicht ja in Es-
sen, da, wo während der Hitzewelle
Ende Juni Jugendliche die Bademeister
attackierten.
Bei 38 Grad im Essener Oststadtbad
lassen sich Sport- und Nichtschwimmer-
becken schon lange nicht mehr auseinan-
derhalten. In beiden hat der Bewegungs-
radius ein Minimum erreicht. Schwimm-
reifen in Einhornform verknappen den
Platz zusätzlich. „Enge begünstigt Ag-
gression, doch sie allein ist nicht das Pro-
blem“, betont Gewaltexperte Bliesener.
Schließlich verhielten wir uns im Fahr-
stuhl weitgehend friedlich. „Wir müssen
sehen, wo es zu Konflikten kommt“, sagt
er. Und gibt selbst die Antwort: „im öf-
fentlichen Raum“.
Ins Freibad gehen ist wie U-Bahn fah-
ren. Zwar riecht es besser als in überfüll-
ten Waggons, und der Unterhaltungs-
wert ist höher. Doch an beiden Orten
treffen Menschen aufeinander, die sich
sonst erfolgreich aus dem Weg gehen: Ju-
gendliche und Rentner, Sportschwim-
mer und Spaßvögel, Alteingesessene und
Neuankömmlinge, Familien und Einzel-
gänger. Die volle Breite der Gesellschaft
auf wenigen Quadratmetern Schatten
komprimiert. Hier verdichten sich gesell-
schaftliche Probleme, wie der Streit um
Zuwanderung oder das Verhältnis von
Alt und Jung, zwischen Mann und Frau.
Der heiße Tag im Essener Freibad
wird begleitet vom schrillen Sound der
Trillerpfeifen der Bademeister. Sie kom-
men ständig zum Einsatz: wenn im Was-
ser Hahnenkämpfe ausgetragen werden,
muslimische Frauen in Straßenkleidung
ins Wasser waten oder Jungs am Becken-
rand entlangrennen. Beobachtet man die-
se Szenen vom Badetuch aus, fällt auf,
was sich auch im Frankfurter Bad gezeigt
hat: Die Bademeister sind dazu angehal-
ten, sehr früh Situationen zu deeskalie-
ren und zu ermahnen, wenn noch gar
nicht viel passiert ist. Das Personal zeigt
Präsenz. Auch durch seine schiere Zahl.
Allein für den Sprungturm gibt es im
Schwimmzentrum Oststadt einen eige-
nen Bademeister. Zusätzlich drehen auch
hier externe Sicherheitskräfte ihre Run-
den und haben sich an über die Wiese
verteilten Stehtischen postiert. Ihre An-
zahl wurde nach den Angriffen auf die
Bademeister auf sechs verdoppelt.
Bereits seit 1993 setzt die Stadt in ih-
ren Freibädern Sicherheitsleute ein. Ur-
sprünglich sollten sie die Badegäste vor
Diebstählen und Übergriffen schützen
oder bei Streitereien schlichten. „Inzwi-
schen dient der Einsatz aber auch dem
Schutz des Badpersonals und der Unter-
stützung bei renitenten Badegästen“,
sagt eine Sprecherin der Stadt. Muskelbe-
packte Sicherheitsmänner, von denen vie-
le neben Deutsch auch Arabisch und
Türkisch sprechen und die den Bade-
meistern den Rücken freihalten – das
Konzept ist zum regionalen Exportschla-
ger geworden. Unter anderem im nahe
gelegenen Düsseldorfer Rheinbad, das
die Polizei im Juni mehrfach räumen
musste, werden die Sicherheitsmänner
nun eingesetzt.
Fortsetzung auf der folgenden Seite


Vorsicht am Beckenrand

Menschen, die sich sonst erfolgreich aus dem Weg gehen, auf wenigen Quadratmetern zusammengedrängt: Freibad im Grugapark, Essen (Drohnenfoto). Foto Imago

Gewalt in Freibädern macht in diesem Sommer Schlagzeilen. Warum eskalieren Konflikte am Pool?


Und sind Frauen dort noch sicher? Paula Lochte und Lucia Schmidt haben sich umgesehen.

Free download pdf