„Ihr seid viel stärker, als ihr denkt!“

(mfitzner) #1

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Drückt sich im Stottern ein seelischer Prozess aus? Die meisten Stotterthera-
peuten meinen: Nein! Und belegen das mit genetischen und neurologischen
Befunden. Es gibt aber auch andere Denkansätze. Und es gibt Stotternde, die
ihr eigenes Stottern als Spiegel ihrer Seele erleben und beschreiben. Für die sei
die Frage aufgeworfen: Hatte das Stottern die Macht sich den Anforderungen
und Überforderungen von Seiten der Eltern zu entziehen? Konnte sich im
Stottern die Missachtung des elterlichen Wertesystems ausdrücken?


Und war das Stottern für den einen oder anderen jungen Mann nicht nur ein
willkommener Grund zur Ausmusterung, sondern womöglich selbst ein subli-
mierter Ausdruck der Wehrdienstverweigerung? Ja, ich weiß, mancher stottern-
de Junge hat darunter gelitten, dass er aufgrund seines Stotterns vom Wehr-
dienst ausgeschlossen wurde. Aber es gibt eben viele verschiedene Biographien.
Und sicher auch viele Ursachen und Ursachenbündel für die Dynamik des Stot-
terns.


Das vermutlich Positivste am Stottern besteht jedoch in den Chancen, die es
uns bietet. Es verschafft uns die Gelegenheit, ja vielmehr sogar die Notwendig-
keit, mit ihm umzugehen, an ihm zu arbeiten, es in unser Leben zu integrieren
und es zu bewältigen. Wenn ich meine stotternden Patienten frage, welche po-
sitiven Aspekte das Stottern für sie hat, bekomme ich u.a. folgende Antworten:


Durch das Stottern bin ich gezwungen an mir zu arbeiten.
Dadurch mache ich die Erfahrung, dass ich etwas an mir verän-
dern kann und übertrage das auch auf andere Bereiche.
Ich kann die Fähigkeit zu kommunizieren, die ich mir mühsam
erarbeitet habe, viel besser wertschätzen als Menschen, die schon
immer ohne Mühe kommunizieren konnten.
Man wird allgemein belastbarer, weil man die Belastung des
Stotterns ausgehalten hat.
Man nimmt nicht mehr den Weg des geringsten Widerstandes.
Situationen, die einem schwerfallen, werden immer leichter.
Man wird empathischer für andere und deren Probleme oder
Einschränkungen.
Ich kann stolz auf mich sein.
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