Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

WELT AM SONNTAG NR. 29 21. JULI 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 11


gel“ als bloßes Netzwerk, das nur der
Partei diene. So wirkt der „Flügel“, ob-
wohl intern gut organisiert, nach au-
ßen wie eine diffuse Wolke, die sich be-
ständig ausbreitet, aber nicht packen
lässt; wozu gehört, dass Höcke wohl
nicht bereit ist, für den Bundesvor-
stand zu kandidieren. Entscheidungs-
schlachten sind zu vermeiden.
Statt Verantwortung in der Gesamt-
partei zu übernehmen, schiebt Höcke
VVVerantwortung von sich. So auch beierantwortung von sich. So auch bei
dem Schlag, der kürzlich AfD-Chef
Jörg Meuthen versetzt wurde. Der
wollte in seinem AfD-Heimatkreisver-
band in der badischen Ortenau als De-
legierter für den Bundesparteitag ge-
wählt werden – und fiel durch. Der
Chef hat also beim Parteitag kein
Stimmrecht. Dennoch will er erneut
fffür den Vorsitz der Partei kandidieren,ür den Vorsitz der Partei kandidieren,
erklärte er am Samstag. Anstelle von
Meuthen als Delegiertem wurde der
Landtagsabgeordnete Stefan Räpple
gewählt, gegen den ein Ausschlussver-
fffahren wegen des Verdachts aufahren wegen des Verdachts auf
rechtsextreme Tendenzen läuft. Räpp-
le wurde in den vergangenen Monaten
von der „Flügel“-Obfrau in Baden-
WWWürttemberg, seiner Fraktionskolle-ürttemberg, seiner Fraktionskolle-
gin Christina Baum, offen unterstützt
und deutete jene Delegiertenwahl als
„klares Zeichen“, dass sich der latent
Höcke-kritische Meuthen „innerpar-
teilich anders positionieren“ müsse.
AAAber was machen Höcke und Kal-ber was machen Höcke und Kal-
bitz? Im erwähnten Facebook-Post
kritisieren sie nicht den rechtsradika-
len Räpple, stellen sich nicht hinter
Meuthen, sondern erklären: „Der ak-
tuelle Vorgang in Baden-Württemberg
hat nichts mit dem Flügel zu tun, son-
dern ist die alleinige Angelegenheit ei-
nes Kreisverbandes mit seinem spezi-
fffischen Willensbildungsprozess.“ischen Willensbildungsprozess.“

EXTREMEN ENTGEGENSTELLEN
VVVon solcher Verantwortungsverweige-on solcher Verantwortungsverweige-
rung hat AfD-Bundesvize Kay Gott-
schalk genug: „Es ist schlicht falsch zu
behaupten, dass Leute wie Stefan
Räpple oder Christina Baum nichts
mit dem Flügel zu tun hätten“, sagt
Gottschalk. „Die ‚Flügel‘-Spitze unter-
lässt es, politische Führung zu bewei-
sen.“ Höcke und Kalbitz dürften
„nicht so tun, als hätten sie mit den
Geistern, die sie riefen, nichts zu tun“.
Vielmehr müssten sie sich den Extre-
men „entgegenstellen“.
Der Bundestagsabgeordnete Gott-
schalk ist Mitinitiator eines „Appells“,
in dem sich über hundert AfD-Funkti-
onsträger gegen Höckes Agieren aus-
sprachen. Anlass war dessen Auftritt
beim „Kyffhäusertreffen“. Seine For-

derung nach dem Umbau der Partei-
spitze sei aus Sicht der Unterzeichner
„weder notwendig noch akzeptabel“,
sagt Gottschalk. Ebenso dass der Thü-
ringer AfDler zum Wechsel in die FDP
aufforderte. „Indiskutabel“ nennt
Gottschalk, dass Höcke „unsere unab-
hängigen AfD-Schiedsgerichte unter
Druck gesetzt hat“.
Gottschalk aber geht weiter und
thematisiert die AfD-Krisen in fast al-
len westdeutschen Ländern. Neben
Baden-Württemberg ist da Schleswig-
Holstein, wo Doris von Sayn-Wittgen-
stein trotz ihrer Werbung für einen
rechtsextremen, von Holocaust-Leug-
nern mitgegründeten Verein und trotz
eines gegen sie laufenden Ausschluss-
verfahrens zur Landeschefin gewählt
wurde. Dort „hätte eine klare Distan-
zierung der ‚Flügel‘-spitze von dieser
Frau gutgetan“, sagt Gottschalk.
„Aber diese klaren Worte gab es
nicht.“
In Niedersachsen würden „jene
Kräfte, die gegen den Landesvorstand
arbeiten, aus dem ‚Flügel‘ Rückende-
ckung erhalten“. In Nordrhein-West-
fffalen und Bayern, wo Völkische füralen und Bayern, wo Völkische für
Chaos gesorgt haben, hätten Höcke
und Kalbitz diese Leute nicht zur Mä-
ßigung aufgerufen. Dabei heiße Füh-
rung, „auch die unangenehmen Dinge
zu tun“, sagt Gottschalk. Wenn aber
die „Flügel“-Chefs dazu „nicht bereit“
seien, gebe es „ein Problem“. Sein Fa-
zit: „So kommt es, dass wir in allen
WWWest-Landesverbänden, in denen derest-Landesverbänden, in denen der
‚Flügel‘ eine große Rolle gespielt hat
oder als Ordnungsmacht hätte auftre-
ten müssen, jetzt eine Schneise der
VVVerwüstung haben.“erwüstung haben.“
Die Lage im Westen lässt sich so
deuten, dass dort ein AfD-spezifisches
Bündnis zerbricht: das des Rechtsradi-
kalismus und des nationalliberalen
Konservatismus. Das aber betrifft
nicht die Ostverbände, die geschlosse-
ner und bei Wahlen stärker sind. Dort
ist ein anderes Bündnis stabil: ein re-
gionales von Rechtsradikalismus und
postsozialistischen Empörungshal-
tungen zwischen DDR- und Nachwen-
dementalitäten. Höcke sagte auf dem
„Kyffhäusertreffen“, dass Deutsch-
land für ihn nicht mehr „eine wirkli-
che Demokratie“ sei, sondern eine
„Maulkorbdemokratie“ auf dem Weg
zu einer „Wohlfühldiktatur“. Der
WWWestimport Höcke weiter: „Wir habenestimport Höcke weiter: „Wir haben
hier im Osten noch die persönlichen
Erfahrungen mit einer totalitären Ge-
sellschaft“, und die „Erfahrungen“ da-
mit stelle man „der im Westen herr-
schenden Unkultur des Verbots und
der Bevormundung entgegen“.

Dass dies im Westen verfängt, ist
auszuschließen. Kalbitz sagte dieser
Zeitung: „Wir müssen regional diffe-
renzieren.“ Die AfD müsse in den
kommenden Jahren „Landtagswahlen
in Westdeutschland und die nächste
Bundestagswahl bestehen“, und es
müsse „klar sein, dass im Westen eine
andere Zielgruppenansprache nötig
ist als in Brandenburg oder Thürin-
gen“. Das bedeute „umgekehrt auch,
dass ich mir von anderen, die im Wes-
ten mit Mühe acht Prozent einfahren,
nicht vorschreiben lasse, wie ich mei-
nen Job als Spitzenkandidat in Bran-
denburg machen soll“.

KEINE HILFE VON HÖCKEAllerdings
hat der „Flügel“ in Ostdeutschland
nach dem Höcke-Kalbitz-Muster kei-
neswegs flächendeckend die Macht.
Fest eingeschworen auf die Strategie
der beiden sind nur Brandenburg und
Thüringen. In Sachsen gibt man sich
neuerdings gemäßigter, in Sachsen-
Anhalt besteht eine gewisse Balance
zwischen ostdeutschen Mentalitäts-
spezialisten und Rechtsradikalen. Und
in Mecklenburg-Vorpommern bekla-
gen intern sogar „Flügel“-Anhänger,
dass ihnen Höcke und Kalbitz nicht
dabei halfen, den dramatisch radika-
len Co-Landeschef Dennis Augustin
loszuwerden, der nun wegen 30 Jahre
alter Verbindungen zur NPD ge-
schasst werden soll. Gottschalk sagt,
dass ihm „viele hochrangige Vertreter
auch und gerade in Ostdeutschland“
zustimmen würden. Er meint, die Ver-
werfungen ließen sich „heilen, wenn
die vielen konstruktiven Leute, die es
im Flügel gibt, endlich in die Lage ver-
setzt werden, verlässlich mit den an-
deren Strömungen zusammenzuarbei-
ten“. Das sei möglich, „weil die inhalt-
lichen Unterschiede zwischen solchen
‚Flügel‘-Leuten und den anderen gar
nicht so groß sind“. Nötig aber sei,
dass der „Flügel“ nicht mehr „als
Machtmaschine zur Durchsetzung
einzelner Leute“ gesehen werde.

FEHLENDE WERTSCHÄTZUNGWWWasas
also in der AfD läuft, ist kein Grund-
satzstreit über „Flügel“-Positionen.
Es könnte höchstens dazu führen, dass
Höcke und Kalbitz in Turbulenzen ge-
raten. Kalbitz weiß, dass sich manche
an ihm stören. Er werde nicht für den
Bundesvorsitz kandidieren, „weil ich
derzeit als nicht so ausgleichend
wahrgenommen werde, wie es beim
derzeitigen Zustand der Partei wohl
nötig wäre, um die Integrationsrolle
eines Bundessprechers optimal zu er-
fffüllen“.üllen“.

Die Flügel-Spitze


unterlässt es,


politische Führung


zu beweisen. Sie


(Höcke und Kalbitz)


dürfen nicht so tun,


als hätten sie mit


den Geistern, die sie


riefen, nichts zu tun


KAY GOTTSCHALK,
stellvertretender Bundessprecher der AfD

,,

WWWie mächtig ist derie mächtig ist der
Thüringer Landes-
vorsitzende wirklich?
BBBjörn Höcke Mitte Julijörn Höcke Mitte Juli
in Brandenburg

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