Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

12 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.29 21.JULI


ine halbe Stunde im Gespräch ist vergan-
gen, da beginnt Laiba vom Besuch ihres Va-
ters zu erzählen. Wie er zurückgekommen
ist nach Pakistan, das für sie die Hölle war,
eine Hölle, in der sie ihre Eltern Jahre zuvor
zurückgelassen hatten. Das Mädchen dachte, der Vater
könne sie retten. Sie flehte ihn an, wieder mit ihm
nach Deutschland gehen zu dürfen. Der Vater aber,
sagt Laiba heute, war verwandelt, „wie ein Fremder“.
Er schlug sie, verbot ihr den Kontakt zu ihrer Mutter.
„Ich kann dich mitnehmen,“ sagte er, „aber dann
müsste ich dich umbringen.“ Er reiste ab – und Laiba
blieb zurück.

VON MARC PFITZENMAIER

Bevor sie weitererzählt, bevor ihr die Tränen kom-
men, legt Laiba ihre perfekt manikürten Hände inei-
nander, die Nägel sind rot lackiert. Heute erinnert
nichts an ihrem Äußeren daran, was ihr zugestoßen
ist. Sie sieht aus wie viele Mädchen in einer deutschen
Großstadt. Doch Laiba wurde mit 15 Jahren zwangs-
verheiratet.
So geht es Hunderten junger Mädchen aus Einwan-
dererfamilien in Deutschland, Jahr für Jahr: Sie wer-
den von ihren Eltern in deren Heimatländer gebracht,
alles soll nach einem Urlaub aussehen und beginnt
meist auch so. Dann folgt der Albtraum einer erzwun-
genen Ehe. Viele Beratungsstellen stellen sich in deut-

schen Städten dagegen, sie helfen den Opfern dieses
archaischen Phänomens. Und die Zahlen lassen auf-
schrecken: Allein die Anlaufstellen in Berlin verzeich-
neten zum Beispiel im Jahr 2017 insgesamt 570 Bera-
tungsanfragen, Tendenz steigend. Jetzt, während der
Sommerferien, laufen besonders viele Hilferufe ein.
So sei es jedes Jahr, heißt es übereinstimmend in vie-
len Kriseneinrichtungen für Frauen. Dort sagt man
auch: Durch mehr Angebote könnten deutlich mehr
Zwangsheiraten verhindert werden als derzeit – doch
die deutsche Politik zeigt kaum Interesse.
Das Treffen mit Laiba, mittlerweile 18 Jahre alt,
muss in einem schmucklosen Redaktionsraum statt-
finden. In einem Café könnte jemand mithören, fürch-
tet sie, die aktuell in der Wohnung einer Krisenein-
richtung an einem geheimen Ort lebt. Ihr echter Name
darf nicht genannt werden. Mit zwei Betreuerinnen
sitzt sie im Gespräch, sie wirkt nicht angstvoll, aber
schüchtern. Ihr Blick geht oft in die Ferne oder sucht
den ihrer Begleiterinnen, die nah bei ihr sitzen und
auch im Alltag meist auf sie aufpassen. Laiba erzählt,
wie ihre Geschichte begann. Sie ist 13 Jahre alt, als sie
an einem Freitag von der Schule kommt und sich wun-
dert über die gepackten Koffer am Treppenabsatz. Es
soll für zwei Wochen zu den Verwandten nach Pakis-
tan gehen, sagt die Mutter. Laiba möchte nicht, es sind
keine Ferien, sie geht in die sechste Klasse – und das
Land ihrer Eltern scheint unheimlich weit weg. Doch
Laibas Vater hat viel Geld für das Ticket bezahlt. In

Freiwillig sieht


anders aus


„Nur eine Reise zu


Verwandten“:


Hunderte Mädchen aus


Deutschland werden in


der Heimat ihrer Eltern


zwangsverheiratet.


Die Politik lässt die


Beratungsstellen im


Stich. Ein Treffen mit


Laiba, die entkam


Arrangierte Hochzeit
Hier heiraten Teenager im Irak.
Laiba, das Mädchen aus der
Geschichte, muss um ihr Leben
fffürchten – und möchte deshalbürchten – und möchte deshalb
nicht fotografiert werden
REUTERS

/ STRINGER IRAQ

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