Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

14 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR. 29 21. JULI 2019


on Greta Thunberg hat Häuptling Mario
Cardoso noch nie etwas gehört. Die Ju-
gendbewegung „Fridays for Future“?
„Kenn ich nicht“, sagt der Umweltschüt-
zer Walter Oliveira. Dabei wissen beide
doch sonst alles über CO 2 -Ausstoß und Erderwär-
mung. Auch hier, im Nordosten Brasiliens, geht es um
das Thema, das die Demonstranten in Europa jeden
Freitag auf die Straße treibt: den Klimawandel.

VON TOBIAS KÄUFER

Cardoso und Oliveira sitzen auf Holzbänken auf ei-
ner Ökofarm im Amazonasgebiet, ein paar Bootsstun-
den von der Stadt Santarém entfernt. Hohe Bäume
spenden ihnen Schatten. Hier, mitten im brasiliani-
schen Regenwald, dem größten tropischen Wald welt-
weit, bereiten sich rund 100 Umweltschützer, Häupt-
linge indigener Gemeinden und Menschenrechtsakti-
visten auf den großen Kampf um ihren Wald vor. Für
Cardosa geht es um sein Zuhause und um die Zukunft
seines Stammes. Doch für die Umweltschützer hier ist
klar, dass sie in diesem Wald einen Kampf für die ge-
samte Menschheit vorbereiten: Wenn der Regenwald
verloren gehen sollte, lasse sich der globale Klimawan-
del nicht mehr aufhalten.
Es geht gelassen zu auf der Farm. Dutzende Hunde
dösen in der Sonne, Küken laufen herum. Unter einigen
Bäumen stehen weiße Holzkisten: Darin sind Waben
zur Aufzucht der stachellosen Amazonaswildbiene. Ei-
nen Konferenzsaal gibt es nicht, dafür eine offene Hal-
le, gebaut aus schnell nachwachsendem Bambusholz.
Der Wind weht angenehm kühl durch die Ritzen.
Dass sie sich hier treffen, hat vor allem einen
Grund: Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair
Bolsonaro hat frei heraus angekündigt, dass er den in-
digenen Völkern im Regenwald „nicht einen Zentime-

ter Land“ überlassen wolle. Seine Vorgänger haben
auch abholzen lassen, aber so offen wie er hat es kei-
ner gesagt. Zudem hat Bolsonaro das Budget der Um-
weltbehörde um ein Viertel und die Gelder für Maß-
nahmen gegen den Klimawandel gar um 95 Prozent
gekürzt. Der Streit um die Zukunft des Amazonasre-
genwaldes hat eine klare Frontlinie: Auf der einen Sei-
te steht Brasiliens Regierung, die Wirtschaftswachs-
tum und dazu auch Chinas gigantischen Bedarf an
landwirtschaftlichen Produkten im Amazonasgebiet
decken will. Auf der anderen Seite stehen die Umwelt-
schützer, die den Regenwald erhalten wollen. Sie ar-
gumentieren nicht nur mit Artenvielfalt, sondern
eben auch mit dem Weltklima.

KONTROLLEURE KOMMEN NICHT MEHR MITFür
Cardosa kommen die Holzfäller, Goldsucher und
Großgrundbesitzer im Regenwald schon jetzt bedroh-
lich nahe an sein Zuhause, das Dorf Amonia am Ta-
pajós-Zufluss Arapiuns. „Manchmal färbt sich der
Fluss blutrot von den Umweltgiften“, sagt er. Die Che-
mikalien stammen wahrscheinlich von illegalen Mi-
nen, in denen das hochgiftige Quecksilber eingesetzt
wird.Die Kontrolleure der Umweltbehörde kommen
da nicht mehr nach. Cardosa vertritt auf der Konfe-
renz sein ganzes Dorf, rund 400 Menschen, die im Re-
servat Tapajós-Arapiuns leben. „Unsere Kinder ster-
ben an Durchfall, die Eltern sind verzweifelt“, sagt er
mit leiser, aber bestimmter Stimme. Und dann sind da
noch die Holzfäller, meist von der Agrarindustrie be-
auftragt. Ihre Methoden seien ebenso brutal: „Stam-
mesführer werden vor die Wahl gestellt, entweder
mitkassieren oder umgebracht werden“, sagt Cardo-
so. „Zuerst kommen sie in die Dörfer, um die Anführer
zum Schweigen zu bringen. Sie versprechen Arbeit
und Entwicklung für die Familien. Aber das passiert
nicht. Stattdessen kommen in den nächsten Tagen die

Die Frontlinie


des Klimakriegs


Für die Demonstranten von „Fridays for Future“ entscheidet sich in


Brasiliens Regenwald der Kampf um das Weltklima. Dort weiß


man von den Protesten nichts. Auf einer Ökofarm am Amazonas


organisieren Häuptlinge und Umweltaktivisten ihren eigenen


Widerstand


V


FFFürchtet um das Überleben seines Stammsürchtet um das Überleben seines StammsHäuptling
Mario Cardoso Ferreira. Er will ihm helfen: Der Umwelt-
aktivist Walter Oliveira da Silva (u., M.) und Mitstreiter
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