Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1
orzwei Jahren bekam die Sportanlage des
Vereins SKG Botnang in Stuttgart einen
neuen Kunstrasen. Fast jeden Tag wird
hier gespielt, vor allem die Jugendmann-
schaften nutzen den Platz. Denn das
Gummigranulat, das zwischen den Plastikhalmen auf
dem Platz liegt, macht ihn besonders robust. Seitdem
der Verein den Kunstrasen ausgelegt hat, kann hier
durchgängig gespielt werden. „Ein Riesenvorteil ge-
genüber Rasenplätzen“, sagt Marten Jennerjahn, der
die Fußballabteilung des Vereins leitet.

VON MARC PFITZENMAIER

Doch eben jenes widerstandsfähige Granulat könn-
te dem Verein bald zum Verhängnis werden: Die EU
wird den Stoff wahrschein-
lich ab 2022 verbieten. Denn
das Granulat ist eine der
größten Quellen für Mikro-
plastik. Wind und Regen tra-
gen es von den Fußballplät-
zen in Flüsse und Bäche, von
dort aus fließt es in die Welt-
meere – und gelangt in den
Wasser- und Nahrungsmit-
telkreislauf; etwa 11.000 Ton-
nen winziger Plastikpartikel
pro Jahr, ermittelten Wissen-
schaftler des Fraunhofer In-
stituts kürzlich. Das ist etwa
siebenmal so viel Mikroplas-
tik, wie Kosmetikprodukte
verursachen. Die EU-Kom-
mission will nun auf Vor-
schlag der Europäischen
Chemikalienagentur (ECHA)
Mikroplastik verbieten.
Das Verbot trifft insbeson-
dere den Amateurfußball.
Denn in Deutschland spielen
vor allem Hobbykicker auf
den pflegeleichten Plätzen.
Der Deutsche Fußball-Bund
(DFB) schätzt, dass es bun-
desweit rund 5000 Kunstra-
senplätze gibt. Bei diesen
müsste das Mikrogranulat
ausgebürstet und durch ein
anderes Füllmaterial ersetzt
werden. Der DFB und viele
Vereine sehen durch die Neu-
regelung insbesondere den Jugendfußball bedroht.
Dabei hatte noch im Februar der damalige DFB-Präsi-
dent Reinhard Grindel gefordert, der Jugendfußball
müsse stärker gefördert werden – gerade vor der EM
2024 in Deutschland. Dafür brauche es „vor allem
Kunstrasenplätze“.

2 50.000 EURO FÜR DIE PLATZSANIERUNGIn eini-
gen Bundesländern hat das drohende Verbot schon
Konsequenzen. In Baden-Württemberg etwa, wo der
kleine Verein SKG Botnang um seinen Jugendfußball
fürchtet, hat die schwarz-grüne Koalition vor Kurzem
reagiert – und die finanzielle Förderung neuer Kunst-
rasenplätze mit Gummigranulat eingestellt. Im Ländle
gibt es rund 600 solcher Plätze, und damit deutlich
mehr als in den meisten anderen Bundesländern. Der
Leiter des Stuttgarter Sportamts, Günther Kuhnigk,
sagt: Die Plätze zu sanieren, werde zum „riesigen Pro-
blem für die Vereine und Kommunen“. Die Städte und
Gemeinden betrifft dies, weil sie den Bau der Fußball-
plätze oft mitfinanzieren. Kuhnigk schätzt, die Sanie-
rung eines Kunstrasenplatzes koste rund 250.000 Eu-

ro. Andere Städte schätzten die Kosten auf bis zu einer
halben Million Euro.
Auf den Sanierungskosten könnten schlimmsten-
falls Kommunen und Vereine sitzen bleiben. Kuhnigk
fordert deshalb: Für bereits vorhandene Plätze müs-
se es Bestandschutz bis zum Ende ihrer Nutzungs-
dauer geben – die Plätze halten in der Regel bis zu 15
Jahre. „Wir können die Plätze nicht Knall auf Fall
schließen. Damit bricht der Spielbetrieb zusammen“,
sagt der Sportamtsleiter. Von DFB und Deutschem
Olympischem Sportbund (DOSB) kommt ein Kom-
promissvorschlag: Den Verbänden und Vereinen solle
eine Übergangsfrist von mindestens sechs Jahren ge-
währt werden, bevor das Kunststoffgranulat verbo-
ten wird. In der Zwischenzeit könne nach alternati-
ven Füllmaterialien gesucht werden. Eine Beschrän-
kung ohne entsprechende
Frist „würde das Breiten-
sportangebot in Deutsch-
land sehr negativ beeinflus-
sen“, erklärten DFB und
DOSB im Mai gemeinsam.
Die Frage, was ein Kunst-
rasenverbot für den Breiten-
sport bedeuten würde, hat
jetzt auch die Bundesebene
erreicht. Bundesinnenminis-
ter Horst Seehofer (CSU)
machte das Thema zur Chef-
sache – und verfasste vergan-
gene Woche ein Schreiben an
seine Amtskollegin, Umwelt-
ministerin Svenja Schulze
(SPD). Seehofer setzte sich in
dem Schreiben, das WELT
AM SONNTAG vorliegt,
ebenfalls für eine Übergangs-
frist von sechs Jahren ein. Er
betonte darin die Bedeutung
des Sportangebots für „ein
funktionierendes Gemeinwe-
sen“ und die Gesundheit.

DIE POLITIK IST RATLOS
Für den sportpolitischen
Sprecher der Linke-Bundes-
tagsfraktion, André Hahn,
kommt diese Auseinander-
setzung mit dem Thema zu
spät. Die Bundesregierung
habe bisher nichts getan, um
den drohenden „massiven
Einbruch im Breiten- und Leistungssport zu verhin-
dern“. Hahn hatte die Bundesregierung per schriftli-
cher Anfrage um Auskunft gebeten, was sie plane, um
Vereine im Falle eines Verbots zu unterstützen. Aus
der Antwort des Innenministeriums diese Woche
geht hervor, dass die Regierung bisher keine Lösun-
gen anbietet. Dort heißt es, man warte weitere Prüf-
ergebnisse von wissenschaftlichen EU-Gremien ab.
„Die Bundesregierung hätte selbst schon längst prü-
fen können, welche gesundheitlichen Risiken von
Kunstrasenplätzen ausgehen“, beklagt Hahn. Auch
die Sportexpertin der FDP, Britta Dassler, fordert
mehr Engagement von der Regierung. „Wir müssen
dringend eine Gesetzesebene für den Umgang mit
Kunstrasenplätzen finden und die Vereine unterstüt-
zen“, sagt sie. Nach der Sommerpause müsse das
Thema auch im Sportausschuss des Bundestags ange-
gangen werden. Marten Jennerjahn vom Sportverein
in Stuttgart hofft, dass es in der Diskussion um die
Kunstrasenplätze bald Klarheit gibt. „Die Hauptsa-
che ist, dass unsere Jugendmannschaften weiter auf
dem Platz spielen können.“

Kleines großes ProblemDas Granulat auf den
FFFußballplätzen ist eine der größten Quellen fürußballplätzen ist eine der größten Quellen für
Mikroplastik, das über Wind und Regen, Flüsse
und Bäche am Ende in den Weltmeeren landet

BONGARTS/GETTY IMAGES

/DENNIS GROMBKOWSKI

Kunstfffehlerehler


Die EU will das Granulat in


Kunstrasen untersagen.


Das bedroht rund 5000


Plätze in Deutschland –


und betrifft vor allem den


Breitensport im Fußball


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16 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.29 21.JULI

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