Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

STIL & REISEN


ie sind fast zu hübsch, um sie einfach so runterzu-
schlucken: das sanft schimmernde Omega-3, das wein-
rote Astaxanthin, das orange leuchtende Kurkuma.
Das kleine Tütchen, aus dem die Pillen herauskullern,
trägt den Namen der Kundin. Wie extra für sie herge-
stellt. Wie hübsch. Klick – schnell ein Foto und auf
Instagram damit.

VON ANNE WAAK

Vitamine, Mineralien und Spurenelemente kaufte
man bislang meist im Vorbeigehen im Drogeriemarkt
oderim Reformhaus. Laut Verbraucherzentrale neh-
men etwa 30 Prozent der deutschen Bevölkerung Vita-
minpräparate oder andere Nahrungsergänzungsmittel
zu sich, der Jahresumsatz der Branche beträgt mehr
als 1,44 Milliarden Euro.
Nun schicken sich Nahrungsergänzungsmittel an,
von einer eher beiläufigen Vorsorgemaßnahme zu et-
was Coolem zu werden, das perfekt in die vielfältigen
Routinen der ständigen Selbstverbesserungsanstren-
gungen passt. Junge Firmen bieten personalisierte Vi-
tamin-Abos an, monatliche Lieferungen mit einzeln
verpackten Rationen, die bequem in der Handtasche
verstaut werden können. Made For, ein Vitaminpillen-
Start-up mit Niederlassungen in Berlin und New York,
wirbt mit Influencern, der Social-Media-Auftritt ist in
Babyrosa, Pfirsich und Altrosa gehalten, überaus an-
sprechend und sehr zeitgemäß. Auch auf dem rasend
erfolgreichen Beautyportal „Into The Gloss“ diskutie-
ren Leserinnen regelmäßig, welche und wie viele Vita-
mine sie zu sich nehmen. So lässt sich die tägliche Pil-
lendosis, genau wie die notorische Foodbowl oder die
Yogaklasse, neuerdings sehr ansehnlich als Teil eines
bewussten Lebenswandels inszenieren.

WAS DER VERBRAUCHER LIEBTDie neuen Vita-
minpräparate vereinen alles, was aufgeschlossene
Großstädter lieben: Made For stellt seine Produkte in
Deutschland her, frei von Gentechnik und Schadstof-
fen, ganz ohne Zusätze und Füllstoffe und noch dazu
vegan. Man verkaufe „keine Industrieware, sondern
handgefertigte Individualpräparate“, heißt es auf der
Website.Der vermeintliche Bedarf wird anhand eines
Fragenkatalogs zum eigenen Lebenswandel festge-
stellt. Gibt man an, häufig erkältet zu sein, bekommt
man Zink als „Immun-Booster“. Hält man sich viel im
Freien auf, empfiehlt der Test Astaxanthin, ein aus Al-
gen gewonnenes Carotinoid mit leichtem Licht-
schutzfaktor. Sieht man dagegen zu wenig Sonne, er-
hält man Vitamin D3.
Nach diesem Fragebogen soll die Autorin (Pesceta-
rierin, trinkt manchmal Alkohol, treibt regelmäßig
Ausdauersport an der frischen Luft, ist in der Erkäl-

tungszeit oft erkältet) Zink, Vitamin B12, Astaxanthin
und Maca zu sich nehmen, „die Powerwurzel der In-
ka“. Macht 27 Euro im Monat. Die Mindestlaufzeit des
Abos beträgt drei Monate, so lange sollte man seine
Pillen laut Hersteller mindestens nehmen, um eine
Wirkung sicherzustellen. Dafür bekommt man jeden
Tag ein Tütchen – und nach Verpackungsmüll-Be-
schwerden aus der Community auch Glasbehälter –
mit dem eigenen Namen drauf.
Made For wurde im Januar 2018 von Dario Galbiati
Alborghetti aus der Taufe gehoben. Das Wirtschafts-
magazin „Forbes“ setzte den Italiener 2016 auf seine
Liste der 30 wichtigsten Investoren in Europa. Albo-
ghetti gründete erst eine Firma für Fleischsnacks, da-
nach war er Managing Director von Atlantic Food
Labs, einem Inkubator für Start-ups im Lebensmittel-
bereich.

KAUM KONTROLLIERTE PRODUKTEMade For ist
allerdings kein Lebensmittelhersteller im engeren
Sinne. Nahrungsergänzungsmittel bewegen sich ir-
gendwo zwischen Lebens- und Arzneimitteln, der
Handel mit ihnen ist allerdings viel weniger reguliert.
Anders als bei Medikamenten beruht die Zulassung
neuer Produkte nicht auf klinischen Studien, geprüft
wird nur stichprobenartig. Made For hatErnährungs-
wissenschaftler engagiert, die bei Bedarf auch im Chat
zur Verfügung stehen und die man über Änderungen
im Lebenswandel informieren soll, damit sie die Zu-
sammensetzung des Vitaminabos gegebenenfalls an-
passen können.
Das Angebot unterscheidet sich kaum von dem der
Firma Care/of, das bislang ausschließlich auf den US-
Markt zielt. Deren Empfehlung für die Autorin würde
umgerechnet fast 57 Euro im Monat kosten. Der Kon-
kurrent Ritual dagegen bietet „ein überarbeitetes Mul-
tivitamin“ für Frauen, das für mehr als 315 Euro im
Jahr die Lücken stopfen soll, die die Ernährung angeb-
lich hinterlässt. Klar, dass auch Gwyneth Paltrows
Lifestyle-Portal „Goop“ längst Vitaminabos im Ange-
bot hat. Selbst Nestlé hat entdeckt, dass sich mit per-
sonalisierten Vitaminpaketen Geld verdienen lässt. In
Japan hat der Konzern ein Programm namens „Well-
ness Ambassador“ gestartet. Schon 100.000 Teilneh-
mer schicken Bilder ihrer Mahlzeiten, Blutproben und
Ergebnisse von DNA-Tests an das Unternehmen. Da-
für erhalten sie individuelle Gesundheitstipps und
maßgeschneiderte Lieferungen mit angereicherten
Tees, Smoothies und Snacks.
Die Bedeutung von Vitaminen für die Gesundheit
ist unbestritten. Bereits im 16. Jahrhundert wusste
man, dass Skorbut durch den Verzehr von Obst und

Vitamin


COOL


Eine Reihe von Firmen bietet personalisierte Pillen-Abos an, die perfekt zur Inszenierung


eines bewussten Lebenswandels passen. Der gesundheitliche Nutzen? Nebensache


S


FORTSETZUNG AUF SEITE 42

Die Deutschen stehen dem Verzehr von
Nahrungsmitteln, die mit Vitaminen und
anderen Zusatzstoffenangereichert
wurden, relativ aufgeschlossen gegen-
über. Der Industrie ist es deshalb immer
wieder gelungen, veritable Zuckerbom-
benals sinnvolle Ergänzungzu vermark-
ten. Zum Beispiel die Firma August
Storck, die „Nimm 2“-Bonbons bis 1989
mit dem Slogan „Gesunde Vitamine na-
schen“ anpries. Auch wenn eine schärfere
Regulierung inzwischen dafür sorgt, dass
die Hersteller sich mit solchen Behauptun-
gen zurückhalten, werden noch immer
Produkte mit zusätzlichen Vitaminen
beworben. Die Palette reicht von Frucht-
gummisüber Hustenbonbonsbis hin zu
Energy Drinks.Eine Studie der Verbrau-
cherschutzorganisation Foodwatch hat
bereits 2016 gezeigt, dass 90 Prozent
dieser Produkte ungesund sind. HZ


Bonbons, total gesund

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