Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

42 STIL WELT AM SONNTAG NR.29 21.JULI2019


Gemüse geheilt werden kann. Aber erst Anfang des



  1. Jahrhunderts fand man heraus, dass bestimmte
    Krankheiten auf einen Mangel an organischen Ver-
    bindungen zurückzuführen sind, die der Organis-
    mus nicht selbst herstellen kann, sondern über die
    Nahrung aufnehmen muss. Zwischen 1913 und 1941
    entdeckte die Wissenschaft nach und nach 13 lebens-
    wichtige Vitamine – und die Industrie begann damit,
    sie synthetisch herzustellen.
    Schon seit Jahrzehnten werdenNahrungsmittel
    vom Fruchtsaft bis zum Gummibärchen mit Vitami-
    nen und Mineralstoffen angereichert. Das Problem
    ist nur: Es handelt sich größtenteils um Nonsens,
    und manchmal kann der sogar gefährlich sein. Den
    großen Vitamin-C-Schwindel, der bis heute seine
    Wirkung tut, lancierte die Schweizer Pharmafirma
    Hoffmann-La Roche in den 30er-Jahren. Weil der
    Konzern Patente für die Synthese von Vitamin C er-
    worben hatte, den Forschern aber längst klar war,
    dass man in der Regel genug davon über die Nah-
    rung aufnimmt, schürte man mit einer groß angeleg-
    ten Marketingaktion die Angst vor Mangelerschei-
    nungen, der C-Hypovitaminose. Besonders in
    Deutschland fanden sich daraufhin viele willige Ab-
    nehmer für Vitamin-C-Pillen.
    Die Nationalsozialisten waren zudem überzeugt
    davon, dass der Erste Weltkrieg auch deshalb verlo-
    ren wurde, weil die Bevölkerung durch Mangeler-
    nährung geschwächt war. Vitamin C sollte „den
    Volkskörper von innen stärken“ und wurde an Be-
    völkerungsgruppen vom Säugling bis zum Soldaten
    ausgegeben. Das Märchen von der Unterversorgung
    hält sich bis heute. Dabei produziert man bei einer
    Überversorgungnicht einfach nur teuren Urin. Zu
    viele Vitamine belasten den Körper und können so-
    gar das Krebsrisiko erhöhen. Anhand von Stichpro-
    ben fand die Stiftung Warentest 2017 heraus, dass
    bei handelsüblichen Vitaminpräparaten die vom
    Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfoh-
    lenen Höchstmengen oft überschritten werden, in
    zehn von 35 getesteten Fällen sogar drastisch. Es
    mehren sich die Anzeichen, dass möglicherweise
    nur Vitamine aus gewachsenen Lebensmitteln eine
    positive Wirkung auf die Gesundheit haben, weil sie
    nur dort mit anderen, teilweise noch unerforschten
    Inhaltsstoffen zusammenwirken.


MEHR SO EIN GEFÜHL„Bei einer ausgewogenen
Ernährung sind alle benötigten Nährstoffe in der
Nahrung enthalten“, sagt Helmut Heseker vom In-
stitut für Ernährung, Konsum und Gesundheit an
der Universität Paderborn. „Die Ausnahme sind Fol-
säure bei Schwangeren, Vitamin B12 bei Veganern
und Vitamin D bei älteren Menschen, die ans Haus
gebunden sind.“ Eisenmangel liegt laut Heseker bei
nur etwa einem Prozent der Bevölkerung vor. „Wird
der Körper mit Eisen überladen, kann sich eine so-
genannte Hämochromatose einstellen, die Gewebe-
schäden verursachen kann. Deswegen sollte man
nur dann Eisen zu sich nehmen, wenn ein Mangel
nachgewiesen ist, also eine Anämie.“ Dasselbe gelte
für Zink, das bei Überdosierung allerdings keine Ne-
benwirkungen verursache. Was Pilze und Kräuter
wie Schisandra, Kurkuma und Reishi angehe, gebe es
keine kontrollierten Langzeitstudien, die irgendei-
nen Nutzen belegten. „Gerade die sogenannten
Herbsweisen ein allergenes Potenzial und manch-
mal sogar Schadstoffe auf“, so Heseker. Die von der
Vitaminindustrie versprochenen Wirkungen nennt
er „Lyrik, hinter der keine Prosa steht“ – blumige
Worte also, die jeglicher Substanz entbehren.
Made For weist darauf hin, dass keines seiner
Präparate die empfohlene Höchstmenge über-
schreite. „Es geht nicht um die Nahrungsergän-
zungsmittel selbst“, sagt eine Sprecherin der Firma.
Es gehe vielmehr darum, dass die Kunden sich bes-
ser fühlten: „Das ist etwas, das du für dich tust.“ Ge-
nau das ist der Punkt: Verkauft wird die Suggestion,
dass man sich um das eigene Wohlergehen geküm-
mert hat. Die Tütchenvitamine versprechen, das
letzte Puzzleteil zu sein, das zum vollkommenen
Lebensglück fehlt. Dabei könnte man das Geld für
ein Vitaminabo sinnvoller in der Obst- und Gemü-
seabteilung des Supermarkts oder auf dem Wochen-
markt ausgeben.


inen Wein zu komponieren ist ein bisschen
wie Musikmachen. Der Weg führt vom Un-
gefähren ins Konkrete, am Anfang scheint
noch alles möglich, das leere Glas gleicht ei-
ner unbeschriebenen Tonspur, die mit
Klangfolgen und Harmonien gefüllt werden kann, bis
ein stimmiges Gesamtbild entsteht. So ähnlich war es
auch, als Fritz Kalkbrenner und Nico Espenschied in
einem Keller in der rheinland-pfälzischen Provinz ih-
ren ersten gemeinsamen Wein abmischten.

VON HEIKO ZWIRNER

„Vor uns stand eine ganze Armee von Flaschen mit
Fassauszügen der unterschiedlichen Lagen, Sorten
und Stile“, sagt Kalkbrenner bei einem Treffen mit
den beiden auf einer Berliner Dachterrasse. „Wir ha-
ben sie alle durchprobiert.“ Die Richtung sei irgend-
wann klar gewesen, es sollte eine Cuvée aus Sauvignon
Blanc und Riesling werden. „Doch dann es ging es an
die Feinheiten.“ Erst in großen und dann in immer
kleineren Schritten bewegten sich die beiden Tester
auf eine Mischung zu, die ihnen gleichermaßen zusag-
te. „Das war schon krass“, sagt Espenschied. „Ohne
Übung kann man die einzelnen Abstufungen kaum

auseinanderhalten. Aber wenn man da mittendrin ist,
schmeckt man auch die feinsten Unterschiede.“
Für Fritz Kalkbrenner war die mehrtägige Session
der erste Ausflug in die Welt der Weinherstellung.
Normalerweise ist der Musikproduzent und DJ aus
Berlin damit beschäftigt, die mitreißende Kraft des
Techno mit der Gefühligkeit des Soul in Einklang zu
bringen – und dazu auch noch zu singen. Das macht er
mit einigem Erfolg: Wenn er bei einem Festival auf-
tritt, steht sein Name in der Regel ganz oben auf dem
Plakat. Nico Espenschied ist Winzer in achter Genera-
tion und außerdem ein großer Musikliebhaber. Vor ein
paar Jahren hat er das Weingut seiner Familie im
rheinhessischen Flonheim übernommen und sucht
seither nach Möglichkeiten, eine neue Generation von
Weintrinkern anzusprechen. „Ich hatte schon lange
die Idee, Musik und Wein zu verbinden“, sagt er.
Die Musik von Fritz Kalkbrenner mag er besonders,
zudem hatte er gehört, dass sich der Berliner für Wein
interessiere. Espenschied besorgte sich die Telefon-
nummer bei einem gemeinsamen Bekannten – einem
Weinhändler – und bot ihm ein Joint Venture an.
Schon zuvor hatte Kalkbrenner immer mal wieder Of-
ferten erhalten, Produkte unter seinem Namen auf
dem Markt zu bringen: Turnschuhe, Rasiergeräte, Sex-

Was kommt


dabei heraus, wenn


sich ein Berliner


Musikproduzent


und ein Weinbauer


aus Rheinhessen


zusammentun?


Ein Weißwein mit


Noten von


Stachelbeere


und Pfirsich


sein Winzer


Der DJ und


E


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