Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

DEUTSCHLAND & DIE WELT


Peter Altmaier hat gerade einen acht-
stündigen Flug hinter sich und nicht
einmal ein ganzes Wochenende Ruhe
gehabt. Doch den Jetlag und die An-
strengungen merkt man ihm nicht an.
Frisch und konzentriert trifft er sich
zum Frühstück in seinen Amtsräumen
mit den Redakteuren dieser Zeitung.


VON JAN DAMS UND JACQUES SCHUSTER

WELT AM SONNTAG:Herr Altmaier,
Sie sind Mitglied im Bundesvorstand
Ihrer Partei. Wann haben Sie von der
Nominierung Annegret Kramp-Kar-
renbauers zur Verteidigungsministe-
rin erfahren? Waren Sie überrascht?
PETER ALTMAIER: Im Verlauf des
Abends, wie die meisten im Vorstand.
Ich habe mich gefreut, dass die Bundes-
wehr eine Ministerin bekommen hat,
die über viel politische Erfahrung und
Durchsetzungsfähigkeit verfügt.


Inwiefern ist Kramp-Karrenbauers
Eintritt ins Kabinett ein weiterer
Schritt in Richtung Kanzleramt?
Wer Kanzlerkandidatin oder Kanzler-
kandidat wird, legen wir rechtzeitig zur
Bundestagswahl fest. CDU und CSU
verfügen über mehrere geeignete Per-
sönlichkeiten, darunter ganz sicher
auch Annegret Kramp-Karrenbauer.


Was befähigt die CDU-Chefin für das
Amt der Verteidigungsministerin?
Als Politikerin steht Annegret Kramp-
Karrenbauer seit vielen Jahren und mit
großer Glaubwürdigkeit fest an der Sei-
te der Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr. Sie steht zur Nato und zur
Verteidigung unserer Freiheit. Ebenso
für die Freundschaft mit Frankreich
und den USA.


Sie kommen eben von einer Amerika-
Reise zurück. Ab wann wird es dort
Zölle auf deutsche Autos geben?
Ich werde sie nicht mutwillig herbeire-
den. Präsident Donald Trump hat die
Entscheidung bis November verscho-
ben. Aufgabe der Europäer ist es, die
Zölle zu verhindern. Ich habe in allen
meinen Gesprächen deutlich gemacht,
wie wichtig konfliktfreie gute Wirt-
schaftsbeziehungen für beide Seiten
sind.


Trump fordert von Europa, den
Markt für die US-Landwirtschaft zu
öffnen.
Beides hat nichts miteinander zu tun.
Wir als Europäer bieten den USA an, die
Zölle auf Industrieprodukte abzuschaf-


fen und amerikanischen Waren den Zu-
gang nach Europa zu erleichtern. Das
bietet Milliarden-Vorteile auf beiden
Seiten.

Aber eben darum wird es dann doch
zu Autozöllen kommen, oder?
Ich bin vom Gegenteil überzeugt, denn
einen Handelskrieg mit härteren Zöllen
auf beiden Seiten würde auch die US-
Wirtschaft schwer treffen.

In Auseinandersetzung mit anderen
Handelspartnern lässt sich Trump
kaum auf Kompromisse ein.
Trump meint, dass sich neue Arbeits-
plätze am besten durch besondere Han-
delsmaßnahmen schaffen lassen. Diese
Auffassung teilen wir Europäer nicht.
Die deutsche Autoindustrie hat enorm
in den amerikanischen Markt investiert.
Die meisten Autos, die von den USA ex-
portiert werden, sind von deutschen
Herstellern gebaut. Ich habe mir ein Au-
towerk von Mercedes in Alabama ange-
schaut. Es ist einer der modernsten Ar-
beitgeber der Region, 3800 Menschen
arbeiten dort. Das alles ist erreicht wor-
den, weil wir in den vergangenen 20
Jahren eben keinen Handelskonflikt
hatten.

Was kann Europa den USA bieten?
Wir haben uns bereit erklärt, die Zölle
bei den wichtigen Industrieprodukten
auf null zu senken. Damit wäre auch der
Vorwurf ausgeräumt, dass amerikani-
sche Autozölle niedriger als europäi-
sche seien. Zudem sind wir bereit, es
amerikanischen Exporteuren leichter
zu machen, hier erfolgreich zu sein: Sie
müssten ihre Erzeugnisse in vielen Fäl-
len nicht mehr nach europäischem
Recht zertifizieren.

Sind wir also bereit, die Zölle für Au-
tos aus den USA zu senken?
Ja – und zwar auf null. Im Rahmen eines
Industriezollabkommens.

Ist ein Welthandelssystem ohne USA
vorstellbar?
Ich möchte das verhindern, weil die
USA unser Freund und Partner sind.
Wir müssen uns aber vorbereiten, falls
die USA sich verweigern sollten. Auch
deshalb haben wir Europäer Freihan-
delsabkommen mit Japan, Vietnam und
mit Singapur abgeschlossen und eine
politische Verständigung mit den Mer-
cosur-Staaten getroffen. Gegenwärtig
verhandeln wir unter anderem mit
Australien und Neuseeland. All das
zeigt: Vieles ist im Gange, weil die WTO
wegen ihrer Lähmung nicht voran-
kommt. Umso dringlicher ist es, sie zu
reformieren.

Im März 2018 haben Sie beim Amts-
antritt als Wirtschaftsminister der
deutschen Wirtschaft für die kom-
menden vier Jahre ein Wachstum von
zwei bis zweieinhalb Prozent voraus-
gesagt. Angesichts der aktuellen Ent-
wicklung waren Sie zu euphorisch.
Damals waren die Auswirkungen der
Handelskonflikte und die Verwerfungen
beim Brexit noch nicht in gleicher Wei-
se absehbar. Hintergrund für meine

Prognose war die Beobachtung, dass die
alten Zyklen in der Wirtschaftspolitik
an Bedeutung verloren haben. Wir ha-
ben beispielsweise trotz einer sehr ex-
pansiven Geldpolitik der EZB in den
letzten Jahren keine inflationären Ten-
denzen.

Wie kommen Sie darauf? Schauen Sie
sich etwa Immobilien an.
Das ist doch kein Argument. Die Preis-
steigerungsrate in Deutschland liegt
seit Jahren unter zwei Prozent, und
zwar unter Einschluss der Mietentwick-
lung. In den USA oder in London gibt es
bei Immobilien Preissteigerungen, die
viel höher sind als in Deutschland. Den-
noch müssen wir viel mehr Wohnungen
bauen als bisher, damit Mieten bezahl-
bar bleiben. Seit der Einführung des Eu-
ro haben wir weniger Geldentwertung
als zu D-Mark-Zeiten. Und wir befinden
uns weiterhin, im zehnten Jahr in Folge,
in einem Aufschwung. Wenn Sie das
Wachstum in den USA und Deutschland
vergleichen, dann stellen Sie fest, dass
der Aufschwung in etwa gleich lange an-
hält, dass die Wirtschaft in Amerika seit
Jahren aber kräftiger wächst.

Wie erklären Sie das?
Der Grund ist die Unternehmenssteuer-
reform in den USA. Sie hat die Wirt-
schaft deutlich entlastet und Anreize
geschaffen, Gewinne wieder in die USA
zurückzuverlagern. Diese Reform hat es
in Deutschland in den letzten Jahren
nicht gegeben. Deshalb fordere ich als
Wirtschaftsminister auch weiter mit
Nachdruck, dass wir die Leistungsträ-
ger unserer Gesellschaft, insbesondere
mittelständische Unternehmen und
Personengesellschaften, stärker entlas-
ten. Dann gäbe es mehr Anreize für In-
vestitionen.

Welche Steuern würden Sie senken?
Wir haben die steuerliche Forschungs-
förderung im Kabinett verabschiedet,
das war aber nur ein erster Schritt. Ich
setze mich dafür ein, dass wir die steu-
erliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung zügig beschließen
und im Parlament verabschieden. Ich
fordere den Finanzminister auf, hier
seinen Widerstand aufzugeben. Die
steuerliche Förderung der energeti-
schen Gebäudesanierung hilft dem Kli-
ma mehr als mancherlei Verbot und
sorgt für Investitionen im Handwerk
und in den Betrieben vor Ort. Zudem

müssen wir im Hinblick auf eine solide
Körperschafts- und Unternehmensbe-
steuerung ein klares Signal geben. Und
auch der Soli gehört abgeschafft.

Was ist wichtiger: das Erreichen der
Klimaziele oder Wirtschaftswachs-
tum?
Man kann das eine nicht gegen das an-
dere ausspielen. Auch als Wirtschafts-
minister halte ich es für wichtig, dass
wir unsere Klimaziele für 2030 und
2050 erreichen. Aber auch Umwelt-
schützer müssen erkennen, dass
Deutschland im Klimaschutz nur dann
ein Vorbild sein kann, wenn wir wettbe-
werbsfähig bleiben, die Wirtschaft stark
ist. In der vergangenen Woche wurden
mehrere Gutachten veröffentlicht, die
sich damit beschäftigen, wie man durch
ein möglichst marktwirtschaftliches
System die Einhaltung der CO 2 -Ziele er-
reichen kann. Interessant ist: Dabei
geht es weniger um die Stromerzeu-
gung, denn dort werden die Ziele für
2030 eingehalten. Für die Industrie gilt
das Gleiche, soweit man das absehen
kann. Es geht vor allen Dingen um die
Bereiche Verkehr und Gebäude. Hierfür
gibt es Vorschläge, die wir prüfen und
im Kabinett diskutieren.

Was sind Ihre Vorstellungen?
Für mich als Wirtschaftsminister gibt
es eine klare Richtschnur mit folgenden
Punkten. Erstens: So viel Marktwirt-
schaft und so wenig staatliche Gänge-
lung wie möglich. Zweitens: Keine über-
proportionale Belastung der ländlichen
Räume. Drittens: Unter dem Strich kei-
ne Erhöhung der Steuerbelastung. Vier-
tens: Reduzierung der Stromkosten.
Denn in Deutschland haben wir in ganz
Europa für Privathaushalte die höchs-
ten, für Industrie und Handel die zweit-
höchsten.

Hand aufs Herz: Die CO 2 -Emissionen
der privaten Haushalte und des priva-
ten Verkehrs lassen sich nur dann re-
duzieren, wenn die Verursacher – also
Mieter und Autofahrer – zusätzlich
belastet werden.
Jedes Modell einer CO 2 -Bepreisung
geht davon aus, dass es einen finanziel-
len Anreiz gibt, Treibhausgas zu ver-
meiden. Wenn jemand in der Stadt mit
dem Auto zur Arbeit fährt und nun der
Benzinpreis steigt, dann steigt auch
der Anreiz, mit öffentlichen Verkehrs-
mitteln oder dem Fahrrad zur Arbeit zu
fahren – und damit CO 2 zu vermeiden.
Weil das auf dem Land nur sehr viel
schwieriger möglich ist, darf es nicht
zu einer Benachteiligung der ländli-
chen Räume kommen. Auch darf es un-
ter dem Strich nicht zu einer Mehrbe-
lastung für den Einzelnen kommen.
Das kann man vermeiden, indem man
die Umlage für erneuerbare Energien
senkt oder die Stromsteuer oder bei-
des. Unterm Strich entstünden dann
keine höheren Belastungen und trotz-
dem gäbe es eine Lenkungswirkung.
Klimaschutz belegt für die Bürger in
der Rangordnung der öffentlichen
Prioritäten einen ganz vorderen Platz –
und zwar quer über alle Parteipräfe-
renzen hinweg.

Der Jurist, der 1 958 im Saarland
geboren wurde, gehört zum en-
geren Vertrautenkreis der Bun-
deskanzlerin. 2005 wurde er
Parlamentarischer Staats-
sekretärim Innenministerium,
2 012 Umweltminister, 2013 Chef
des Kanzleramts.Seit 2017 führt
er das Wirtschaftsministerium.

Peter Altmaier
Wirtschaftsminister

P

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