Die Welt am Sonntag Kompakt - 21.07.2019

(Wang) #1

8 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR. 29 21. JULI 2019


Sprachlosigkeit der CDU überwinden.
Im März gab es das erste Treffen zum
Thema Migration. Für den 3. September
ist das zweite in konkreter Vorbereitung:
zur Klimapolitik. Kramp-Karrenbauers
Vision ist eine CDU, die weder der AfD
noch den Grünen hinterherläuft, son-
dern beiden bei ihren jeweiligen Kern-
themen selbstbewusst Paroli bietet. Erst
wenn die CDU mit einem neuem Grund-
satzprogramm und neuem Selbstbe-
wusstsein gerüstet ist, wollte Kramp-
Karrenbauer zur Kanzlerschaft greifen.
Aber die CDU tat sich schwer mit
dem Diskurs. Kramp-Karrenbauer hatte
von einem großen Wirtschaftsflügel
und einem ebenso selbstbewussten So-
zialflügel geträumt, die wieder ins Ge-
spräch kommen und sogar profilierte
Köpfe wie vormals Norbert Blüm und
Joachim Stoltenberg hervorbringen
würden. Stattdessen tanzten ihr bald
Klein- und Kleinstgruppen auf der Na-
se: Die als konservative Graswurzelbe-
wegung gestartete „Werte Union“ nahm
den unter verschärfter Medienbeobach-
tung stehenden ehemaligen Verfas-
sungsschutzchef Hans-Georg Maaßen
auf, der sich in den sozialen Netzwer-
ken immer weiter nach rechts verliert.
Auf der anderen Seite spielt Ruprecht
Polenz für die noch kleinere „Union der
Mitte“ die gleiche Rolle: Der ehemalige
Generalsekretär, der sich im Netz
rühmt, die WELT nicht zu lesen, die
„FAZ“ abbestellt zu haben und die
„NZZ“ zu kritisieren, avancierte auf sei-
ne alten Tage zum Stichwortgeber der
linken Warner vor einem vermeintli-
chen Rechtsruck der CDU.
Die ruhigen Regionalzeitungen aus
dem Saarland gewohnt, fremdelte
Kramp-Karrenbauer bald mit der nervö-
sen Presse der Berliner Republik, die
sich immer öfter von Netzaktivisten
treiben lässt. Als man Kramp-Karren-

bauer Tage nach einer Karnevalsrede
daraus plötzlich einen politisch-korrek-
ten Strick drehen wollte, hielt sie noch
mutig dagegen und verweigerte die ge-
forderte Unterwerfung in Form einer
Entschuldigung. Dann aber verließ sie
das Vertrauen ins eigene Urteil. Als der
YouTuber Rezo vor der Europawahl im
Internet zur „Zerstörung“ der CDU auf-
rief, ließ sie mit dem CDU-Jungstar Phi-

lipp Amthor ein ebenso freches Ant-
wortvideo aufnehmen. Aber nachdem
Bedenkenträger aus der Partei sie mit
Einwänden bombardiert hatten, gab sie
das fertige Produkt nicht frei, ließ statt-
dessen ein dröges Papier versenden. Im
Juni wich Kramp-Karrenbauer ein zwei-
tes Mal zurück. Ihr Vertrauter Nico
Lange sollte neuer Bundesgeschäftsfüh-
rer der CDU werden. Der „Spiegel“ hat-

te es sogar schon als Fakt vermeldet.
Nachdem es Unmut in der Partei gab
und ein mächtiger Landesfürst Ein-
spruch erhob, wich sie zwei Tage vor
der Bestallung des wichtigsten Ange-
stellten der Partei von ihrem Entschluss
zurück. So gesehen steht die späte Kor-
rektur ihrer Entscheidung, nicht ins Ka-
binett einzutreten, in einer Reihe von
Kehrtwenden.
Dem parteipolitischen Klein-Klein,
das sie sich doch eigentlich als Aufgabe
gestellt hatte, entflieht sie nun auf die
große Bühne. Die wird ihr im Verteidi-
gungsministerium zweifellos geboten,
nicht nur bei feierlichen Gelöbnissen.
Bald dürfte die neue Verteidigungsmi-
nisterin auf eine kleine Tournee der
Truppenbesuche gehen – nach Afgha-
nistan, Mali und Nato-Gipfeltreffen.
Kramp-Karrenbauer wechselt die Liga:
Cyber-Krieger statt YouTuber, Trump
und Putin statt Maaßen und Polenz, Ta-
liban statt Sachsen-CDU.
Das Verteidigungsministerium soll
der CDU-Vorsitzenden aus der Krise
helfen. Aber umgekehrt gilt das Gleiche:
Als Tochter eines im Weltkrieg verletz-
ten Soldaten und Mutter eines Polizei-
beamten kann sie vielleicht die vielen
Menschen in den Sicherheitsapparaten
emotional wieder erreichen, die sich zu-
letzt frustriert von der CDU Merkels
und von der Leyens abgewendet haben.
Kramp-Karrenbauer hat sich dem mit
den Nato-Partnern vereinbarten Auf-
wuchs der Verteidigungsausgaben auf
zwei Prozent des Bruttoinlandsproduk-
tes persönlich wie kaum ein anderer
deutscher Politiker verschrieben. In der
mittelfristigen Finanzplanung der Bun-
desregierung sinkt dieser Wert sogar.
Die Sanierung der Bundeswehr wäre
ein Gesellenstück, das wahrlich zur
Kanzlerschaft qualifizieren würde. Viel-
leicht hat Annegret Kramp-Karrenbauer
damit ja mehr Erfolg als zuletzt bei der
Sanierung der CDU.

EINKAUFMit dem G36 verfügt die
Bundeswehr über eine international
anerkannte und geschätzte Stan-
dardwaffe. Weil das Gewehr bei La-
borversuchen unter extremen Tem-
peraturen Präzisionsmängel zeigte –
für ein leichtes, kostengünstiges
Sturmgewehr nicht überraschend –,
wurde es von Ursula von der Leyen
aussortiert. Der Vergabeprozess für
ein Nachfolgemodell ist geprägt von
Pleiten und Pannen, einige Anbieter
stiegen aus. Der Bundesrechnungs-
hof kritisierte „weitreichende und
schwerwiegende“ Mängel der Aus-
schreibung; weil Ministerium und Be-
schaffungsamt den Einkauf nicht
hinbekommen, begleiten nun die
Rechnungsprüfer die Vergabe. Die
Kritik am G36 räumte ein Gericht
ab: Die Armee habe exakt die Waffe
erhalten, die sie bestellt hatte.


Erstes Problem:


Ohne Gewehr


NICHT EINSATZREIF Der Schüt-
zenpanzer „Puma“ soll einmal der
beste Schützenpanzer der Welt sein.
Bislang ist er der teuerste: Wie das
Verteidigungsministerium dem Bun-
destag eröffnete, haben sich die
Kosten für die 350 bestellten „Puma“
auf sechs Milliarden Euro verdoppelt.
Ex-Ministerin von der Leyen war
stolz, dass in diesem Jahr weitere 67
„Puma“ ausgeliefert werden sollen.
Nur: Was bei der Bundeswehr an-
kommt, ist ein „nicht einsatzreifes
System“, heißt es in vertraulichen
Papieren. Der „Puma“ könne selbst in
der Ausbildung nur „eingeschränkt“
genutzt werden, in Übungen und
Einsätzen gar nicht. Es fehlen Er-
satzteile, Werkzeuge. Panzergrena-
diere berichten von Problemen. Im
Februar waren von 244 „Puma“ nur
6 0 zu gebrauchen – „eingeschränkt“.


Zweites Problem:


Pannenpanzer


FINANZLOCHBei den vier Werften,
die sich um den Bau des Mehrzweck-
kampfschiffs MKS-180 beworben
haben, geht die Angst um. Am Don-
nerstag hatten sie nach jahrelan-
gem Verfahren Angebote abgege-
ben, 2019 sollte die Auftragsvergabe
über fünf Milliarden Euro erfolgen.
Weil für alle von der Bundeswehr als
notwendig erachteten Projekte Geld
im Bundeshaushalt fehlt – nach in-
ternen Berechnungen 30 Milliarden
Euro für vier Jahre – wird Kramp-
Karrenbauer Vorhaben verschieben
oder streichen müssen. Die Marine-
Führung hat in einem internen Pa-
pier gerade gewarnt, dass die in
weltweiten Missionen eingesetzten
Schiffe bis zu vier Jahre auf dem
Trockenen liegen müssten: War-
tungsarbeiten verzögern sich wegen
Personalmangels.


Drittes Problem:


Geisterschiffe


Einsatz in Afghanistan Wartung eines Tornados. Das Foto wurde 2010 aufgenommen– die Tornados sind noch immer im Einsatz

PICTURE ALLIANCE / JOKER

/TIMO VOG/EST&OST

FORTSETZUNG VON SEITE 7

Man darf um nichts


in der Welt den


Eindruck erwecken,


man nütze ein


solches Amt nur,


weil man den


nächsten Sprung ins


nächste Staatsamt


machen will


ANNEGRET KRAMP-KARRENBAUER
vor einem Jahr

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