Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 21.07.2019

(Tina Meador) #1

  1. JULI 2019 NR. 29 R D3499C 4,40 EURO


HERAUSGEGEBEN VON GERALD BRAUNBERGER, WERNER D’INKA, JÜRGEN KAUBE, BERTHOLD KOHLER


Firmen-Orchester gibt es viele. Aber nur
einKonzern leistet sich Profi-Musiker.

Eine Liebeserklärung an ein oft
belächeltes Hobby: das „Birden“.

VÖGEL IM BLICK
Die Festspiele in Bad Hersfeld haben die
Turbulenzenvon 2018 überwunden.

NACH DIETER WEDEL


Leben


DieReliquien des
Raumfahrtzeitalters.
Wissenschaft, Technik & Motor

Rhein-Main


APOLLO 11


Wirtschaft


Wiedas Haus Hohenzollern
die Republik provoziert.
Wirtschaft, Feuilleton

MUSIK IM DAX


PREUSSENSUNTERGANG


Fotos AFP, AP, Thilo Rothacker, Frank Röth, Valentine Edelmann


Die Krise am Golf eskaliert weiter. Am
Freitagabend hat Iran zwei britische
Schiffe in der Straße von Hormuz be-
schlagnahmt. Ein britischer Öltanker,
der unter liberianischer Flagge fuhr,
konnte nach wenigen Stunden die Fahrt
fortsetzen. Der unter britischer Flagge
fahrende Tanker „Stena Imperio“ wurde
dagegen festgehalten. Die iranischen Re-
volutionsgarden teilten mit, sie hätten
das Schiff samt der 23-köpfigen Besat-
zung in einen Hafen gebracht, da es ei-
nen Unfall riskiert habe. Die Reederei,
der das Schiff gehört, widersprach: Der
Tanker habe sich an alle Vorschriften ge-
halten. Der britische Außenminister Jere-
my Hunt drohte Teheran „mit ernsten
Konsequenzen“. Sein Land werde wohl-
überlegt, aber robust reagieren. „Wir zie-
hen jetzt nicht militärische Optionen in
Betracht“, versicherte Hunt im Fernse-
hen. Eine diplomatische Lösung solle ge-
funden werden. Am Samstag bestellte
London den iranischen Geschäftsträger
ein. Britische Schiffe wurden aufgefor-
dert, die Straße von Hormuz und umlie-
gende Gewässer zu meiden.
Hunt nannte das Vorgehen Irans ge-
fährlich, destabilisierend und illegal. Die
Beschlagnahme eines iranischen Schiffes
durch die britische Marine in Gibraltar
sei hingegen legal gewesen. Dort liegt
ein iranischer Tanker seit Anfang Juli an
der Kette, der nach britischer Aussage
Öl nach Syrien bringen sollte – ein Ver-
stoß gegen EU–Sanktionen. Am Freitag
ordnete ein Gericht in Gibraltar an, das
Schiff weiter festzuhalten. Washington
kündigte an, Truppen nach Saudi-Ara-
bien zu verlegen. Nach Informationen

amerikanischer Medien geht es um bis
zu 500 Soldaten. Auch Deutschland und
Frankreich zeigten sich solidarisch mit
dem Vereinigten Königreich. „Die Bun-
desregierung verurteilt die Festsetzung
von zwei Handelsschiffen im Golf auf
das schärfste“, erklärte ein Sprecher des
Außenministeriums am Samstag. Die
neue Verteidigungsministerin Annegret
Kramp–Karrenbauer sagte dieser Zei-
tung: „Die Festsetzung von Handelsschif-
fen kann nicht akzeptiert werden.“ Es
müsse jetzt alles getan werden, um die Si-
tuation zu beruhigen. Das Bundesinnen-
ministerium hatte gemeinsam mit dem
Auswärtigen Amt schon Mitte Juni die
Gefahrenstufe für Schiffe unter deut-
scher Flagge auf zwei von drei angeho-
ben. Das war kurz nachdem zwei interna-
tionale Tanker bei Hormuz angegriffen
worden waren. Das Ministerium emp-
fiehlt Reedereien, die Zugänge zu ihren
Schiffen permanent zu überwachen,
Funkkontakt mit Schiffen in der Nähe zu
halten und die Außenbordbeleuchtung
dauerhaft anzulassen.
Die Meerenge von Hormuz ist eine
der wichtigsten Wasserstraßen der Welt.
Fast ein Drittel des globalen Ölexports
wird hier verschifft. Die Vereinigten Staa-
ten beziehen zwar weniger Öl aus dem
Nahen Osten als früher, doch haben sie
in den vergangenen Jahren viel in Militär-
stützpunkte in Bahrein und Qatar inves-
tiert, die nur durch die Meerenge zu errei-
chen sind. Eine Blockade, wie von Iran
angedroht, wäre fatal. Die Straße ist an ih-
rer engsten Stelle nur 39 Kilometer breit.
Sie wurde schon oft Schauplatz militäri-
scher Auseinandersetzungen.lige. Seite 6

Wohnen in der City ist
teuer. Lohnt es, ins Umland
zu ziehen?Geld & Mehr

Die neue Bundesverteidigungsministerin
Annegret Kramp-Karrenbauer hat der
Bundeswehr „Respekt und Unterstüt-
zung“ versprochen. Im Gespräch mit die-
ser Zeitung kündigte sie zudem an, sich
für eine dauernde Erhöhung der Verteidi-
gungsausgaben einzusetzen. „Wir haben
beim Zwei-Prozent-Ziel der Nato eine
klare Zusage gegeben“, stellte sie fest.
Diese Zusage müsse eingehalten werden.
Die neue Ministerin und CDU-Vorsit-
zende ist bemüht, gleich zu Beginn ihrer
Amtszeit das Verhältnis zwischen der
Spitze ihres Hauses und der Truppe zu
verbessern. Unter ihrer Vorgängerin hat-
te es Spannungen gegeben, nachdem Ur-
sula von der Leyen Fälle von Rechtsextre-
mismus mit der Feststellung quittiert hat-
te, die Bundeswehr habe ein „Haltungs-
problem“. Später hatte sie diesen Vor-
wurf relativiert. Kramp-Karrenbauer
schlug nun in ihrem ersten Zeitungsinter-
view als Verteidigungsministerin andere
Töne an. Auf die Äußerungen ihrer Vor-
gängerin angesprochen, sagte sie: „Es


gibt keinen Generalverdacht gegen unse-
re Soldaten.“ Die Männer und Frauen
der Bundeswehr setzten ihr Leben aufs
Spiel. Deshalb hätten sie „unser Vertrau-
en und unsere Unterstützung verdient“.
Dennoch sei es nötig, „genau hinzuschau-
en“, wenn in der Truppe etwas „kritisch
aufgearbeitet“ werden müsse.
Am Samstag nahm Kramp-Karrenbau-
er zusammen mit Bundeskanzlerin Ange-
la Merkel am Berliner Sitz des Verteidi-
gungsministeriums an einem öffentlichen
Gelöbnis von rund 400 Soldatinnen und
Soldaten teil. Anschließend beteiligten sie
sich an einer Veranstaltung zum 75. Jah-
restag des gescheiterten Attentats auf
Adolf Hitler am 20. Juli 1044. Merkel sag-
te, die Erinnerung an die Attentäter und
den Widerstand gegen Hitler zeige, dass
es Momente gebe, „in denen Ungehor-
sam eine Pflicht sein kann“. Deswegen
sei das Recht zum Widerstand auch im
Grundgesetz verankert.
Kramp-Karrenbauer sagte dieser Zei-
tung, die Verschwörung der Offiziere

vom 20. Juli sei bis heute ein Beispiel da-
für, „was Widerstand aus echter Gewis-
sensnot wirklich heißt“. Die Ministerin
griff in diesem Zusammenhang die AfD
scharf an. Deren rheinland-pfälzischer
Landesvorsitzender Uwe Junge hatte
nach ihrer Ernennung gefragt, wann
denn nun endlich der „Aufstand der Gene-
rale“ komme. Auf Twitter berief sich der
Oberstleutnant a.D. auf die Widerstand-
stradition des 20. Juli und sprach sich ge-
gen angeblichen „Kadavergehorsam“ aus.
Kramp-Karrenbauer nannte das eine „Be-
leidigung für unsere Soldaten“. Dass die
AfD sich von „Elementen“ wie Junge
nicht trenne, spreche „für sich“.
Zu ihrer Entscheidung, das Minister-
amt zu übernehmen, sagte Kramp-Kar-
renbauer, sie sei in „permanentem Aus-
tausch“ mit der Kanzlerin gewesen, seit
sich abgezeichnet habe, „dass Ursula
von der Leyen nach Brüssel gehen könn-
te“. Sie bestätigte, dass es Überlegungen
gab, Gesundheitsminister Jens Spahn
zum Verteidigungsminister zu machen.

Auch aus Niedersachsen waren Forde-
rungen laut geworden, der Landesver-
band müsse im Kabinett angemessen ver-
treten sein, wenn von der Leyen nach
Brüssel wechsele. Wie diese Zeitung er-
fuhr, war die Entscheidung Kramp-Kar-
renbauers, das Amt selbst zu überneh-
men, auch von der Absicht geleitet gewe-
sen, innerparteilichen Streit über die
Nachbesetzung abzuwenden.
Als Verteidigungsministerin wird
Kramp-Karrenbauer wichtige und kom-
plexe Entscheidungen treffen müssen.
Viele Fragen sind nach dem Abschied
von der Leyens ungelöst, unter anderem
die Anschaffung eines neuen Luftabwehr-
systems, eines der teuersten Projekte in
der Geschichte der Bundeswehr. Hinzu
kommen Pläne für neue und größere Fre-
gatten sowie einen deutsch-französi-
schen Panzer und ein Kampfflugzeug
der Zukunft. Auch die Entscheidung
über die Beschaffung eines neuen Sturm-
gewehrs als Ersatz für das bewährte G
steht noch aus.pca./ul. Seite 2

Die Zeiten, in denen der Besitz des ers-
ten eigenen Autos für die Jugend unbe-
grenzte Freiheit bedeutete, sind vorbei.
Fernreisen sind für die jungen Leute
wichtiger. Das macht sich in den Fahr-
schulen bemerkbar. Immer weniger jun-
ge Leute machen ihren Führerschein
zum Beginn ihrer Volljährigkeit. Anfang
des Jahrzehnts besaßen noch 86 Prozent
der 18- bis 24-Jährigen den Führerschein.
Heute sind es nur noch 79 Prozent. Das

hat das Kraftfahrt-Bundesamt berechnet.
Auch das Alter der Autokäufer steigt im-
mer weiter an, auf zuletzt 53 Jahre bei
Neuwagen und 45 Jahre bei Gebrauchtwa-
gen. 1995 lag das Durchschnittsalter noch
etwa acht Jahre niedriger. Die Autoindus-
trie befürchtet den Verlust ihrer jüngsten
Kundengruppe. Nichtsdestotrotz sind
auf Deutschlands Straßen immer mehr
Autos unterwegs. Zuletzt waren es mehr
als 47 Millionen.anst. Seite 17

Die frühere Chefin der Treuhandanstalt,
Birgit Breuel, hat Verständnis für die
Nöte der Ostdeutschen bei der Transfor-
mation von der Planwirtschaft zur Markt-
wirtschaft geäußert. „In Westdeutschland
wäre es nicht möglich gewesen, den Leu-
ten eine Veränderung dieses Ausmaßes
zuzumuten. Sie hätten das nicht durchge-
halten“, sagte sie in einem Gespräch mit
dieser Zeitung. In Westdeutschland seien
Demokratie und Marktwirtschaft mit
dem Wirtschaftswunder einhergegangen,
in Ostdeutschland mit einem brachialen
Strukturwandel. Das erkläre einen Teil
der Enttäuschungen: „Ich glaube, die Ost-
deutschen haben sich damals die Freiheit
einfacher vorgestellt, nicht so kompli-
ziert, nicht so hart im Wettbewerb.“
Die frühere CDU-Politikerin Breuel
stand von 1991 bis 1995 als Nachfolgerin
des ermordeten Detlev Karsten Rohwed-
der an der Spitze der Treuhandanstalt,
die für die Privatisierung, Sanierung und

Stilllegung der früheren DDR-Betriebe
zuständig war. Dafür wurde sie in der Öf-
fentlichkeit stark angefeindet. Zu der ak-
tuellen Debatte um die Geschichte der
Treuhand äußert sie sich in dem Inter-
view zum ersten Mal. „Natürlich haben
wir Fehler gemacht. Das war sehr bit-
ter“, sagte sie. „Wir mussten den Men-
schen sehr viel zumuten.“
Die Grundlinien der Treuhand-Poli-
tik verteidigte Breuel in dem Interview je-
doch: „Ich fand den Weg, für den sich
ganz Deutschland damals entschieden
hat, grundsätzlich richtig. Das denke ich
auch heute noch.“ Nur auf dem Weg
über die Privatisierung seien Innovatio-
nen und das nötige Kapital in die ostdeut-
schen Betriebe gekommen. „Im Osten
sind wirtschaftlich sehr erfolgreiche Re-
gionen entstanden“, betonte Breuel. „Ich
würde behaupten, unsere Politik von da-
mals hat an den Erfolgen durchaus einen
Anteil.“ink./boll. Seiten 20/

Lotto:5, 9, 24, 29, 35, 36 - 2*
Spiel77:3 4 6 8 6 3 2
Super 6:0 6 3 9 5 4
Alle Zahlen ohne Gewähr. *Superzahl
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Abo-Bestellung:(0 69) 75 91- 33 59
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STADT ODER LAND?


Die neue Regierung in Athen hat sich zu
den Haushaltszielenbekannt, die mit ih-
ren Gläubigern vereinbart worden sind.
Sie würden auch im kommenden Jahr
nicht in Frage gestellt, sagte der grie-
chische Ministerpräsident Kyriakos Mit-
sotakis am Samstagabend in seiner ersten
Regierungserklärung. Die Wirtschaft sei-
nes Landes will er durch Steuersenkun-
gen ankurbeln: So sollen die Unterneh-
menssteuern deutlich sinken, die Abga-
ben auf Dividenden sogar halbiert wer-
den. Mitsotakis kündigte an, es gebe „ei-
nen breiten Plan mit mutigen Verände-
rungen auf jeder Ebene der Wirtschaft“.
Die jüngste Geschichte habe falsche My-
then entlarvt und gezeigt, dass die Rheto-
rik gegen die Sanierungspläne auf fal-
schen Grundlagen beruhe. Mitsotakis
warb daher für einen neuen Realitäts-
sinn, „im Gleichschritt mit dem entwi-
ckelten Europa“. Am Montag soll das
Parlament Mitsotakis’ Kabinett das Ver-
trauen aussprechen. tp.

Penélope Cruz strahlt


in „Leid und Herrlichkeit“.


Feuilleton


Brüssel, Burgdorf,


Berlin– und wieder


zurück.Politik


Mit dem Tourette-Syndrom wird häufig
verbunden, dass Betroffene unkontrol-
liert Schimpfwörter von sich geben und
mit anzüglichen Gesten auf Mitmen-
schen zugehen. Dieses Bild wird unter-
stützt durch eine vermehrte Präsenz des
Krankheitsbildes in den sozialen Me-
dien, in journalistischer Berichterstat-
tung oder auf Theaterbühnen. Doch der
Neurologe Professor Alexander Mün-
chau warnt: „Viele von denen, die sich
im Moment mit der Diagnose eines Tou-
rette-Syndroms im öffentlichen Raum
bewegen, haben kein klassisches Touret-
te-Syndrom. Sie wollen vor allem Auf-
merksamkeit, und zwar mit der obszö-
nen Seite des Syndroms.“ In Wahrheit
beträfen diese Symptome nur eine Min-
derheit der Patienten, so Münchau. Viel
häufiger äußere sich die Störung ganz
schlicht. „Meist zeigen Betroffene nicht
mehr als Hüsteln, Augenrollen oder Na-
ckenbewegungen.“luci. Seite 15


„Kein Generalverdacht“


Kramp-Karrenbauer stellt sich vor die Truppe und sagt: Die AfD hat Soldaten beleidigt


Breuel lobt Ostdeutsche


Treuhand-Chefin räumt Fehler bei der Privatisierung ein


Eskalation am Golf


London droht mit „ernsten Konsequenzen“


ALMODÓVARS BEICHTE


Fotos privat, Intertopics, Roba, Picture Alliance, ddp Images, Imago, dpa, AFP


Leyens


Weg


Das Auto ist out


Junge Erwachsene machen immer seltener Führerschein


Mitsotakis für


Haushaltsziele


Tourette oft


nur vorgespielt


Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowakei 4,90 € N
Frankreich, Griechenland, Italien, Malta, Niederlande,
Portugal (Cont.), Spanien, Kanaren, Zypern 5,20 €N
Großbritannien 4,70 £NSchweiz 5,80 sfrsNUngarn 1360 Ft

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