Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 21.07.2019

(Tina Meador) #1

16 leben aktuell FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 21. JULI 2019, NR. 29


WAAGERECHT: 1 Und die zeichnet
aus, dass Mamas absolut herrschern,
richtern, kriegern, köpfen, mannhaft
unterdrückern? Ach nö! (12) 12 Im
christlichen wie demokratischen Miss-
trauen parteinah vereint, jeweils ... (5)
13 Füllten zu old Shakespeares Zeiten
reifste Dekolletés und waren auch wie
Streichelhaut in Erfüllung (engl.; 7)
15 Fluss der Generationen und Zei-
ten? Selber Fluss, die Göttliche! In
Overheadfolien an alle Wände werf-
bar! (4) 16 Sein Bauhausstolz währte
gerade sieben Jahr – und lebt gerade
wieder, auf und hoch nämlich ... (6)
18 Leiter wie Licht, nur ein Licht-
leiter nicht (Abk.; 2) 19 Die Zauber
der artusalten Tage waren ja, dass sie
so Sagenhafte wie ihn gebaren! (6)
20 Ohnehin viel kürzer so, sowieso
schon! (2) 21 Ist sie doch mit ihrem
Schullatein noch nicht am Ende, son-
dern erst mittendrin! (4) 22 Gut so,
Griechen, wenn’s dem Stress voran-
geht etwa ... (2) 23 Wird angelegt als
Virtuell-Elle von Psychodeutern des
Internets, zum Avatar geklont! (10)
25 Mal, was Brexitbriten als weniger
ansehen, für sich sprechen lassen (4)
27 Johannisbeerberühmt-Vin, scham-
pussiert mit Königstitel – santé! (3)
29 Haben die COZwo-Bindemittel,
die Nachttourschrecken & Leichen-

bewahrer – na, Mr. Bond i.R., alles
Roger? (5) 31 Und was müssten wir
alles bei kommender Sintfl ut noah-
ahnungsvoll ... für die vielen ...! (6)
32 In Italia, aber ohne Meeresstrand,
binnendrinner geht’s kaum! (ital.; 6)
36 Was ein Sonntagsschuss eben ist

und die Unschuldsbehauptung des
Torwarts dann ja eben nicht ... (9)
38 Mal mehrfach Paula-Anton mal
einfach gerufen – aber auf Engl.! (3)
39 Was man nicht alles in so’n Topf
voll Stobhach Gaelach werfen kann,
Hauptsache Hammel! (4) 42 Bitter

schön & schön heilsam, was wär ein
Gin Tonic ohne dies Verwaterte? (6)
43 Büroseufzer: Wovor es zwei Tage
noch gut ging, aber die nächsten zwei
kaum noch auszuhalten ist (Abk.; 2)
44 Ins ... machen und auf den Weg
brechen, das ist er, der Dorfkapellen-
abschied in Kalau (4) 45 Das wär des
Müllers Lust, so er denn Smith hieße
und den Stab als stick schwänge! (4)
46 Ungeklärteres Rätsel des Alltags:
Die letzten 10 % ihrer Erdrückung
machen 90 % der Entnahme aus? (4)
47 Angablich Jahrhunderte rundende
Vorsetzlichkeit (2) 48 Hat noch sein
bundesstaatliches Gallier-Erbe mit
Montpelier – darauf einen umgekipp-
ten Vorn-Met!? (7) 50 Wie sich nu
fehletablierte Parteien erfi nden müs-
sen, also in Kerneuropa allemal ... (3)
51 Sorgt manchmal auch fürs Flach-
legen im Abendrot im Segelboot (4)
52 Bergregional so sehr französisch
gemeindlich, erkennbar jedenfalls an
verrückten Wochenersttagen ... (8)

SENKRECHT: 1 Der als die aus dem
Eis wär rundheraus ’ne Ente aus der
Augsburger Puppenkisten-Presse-
stelle – zum Kugeln! (6) 2 Wie man
fürs Cruisen an Bord noch was dazu-
bekommt? Einfach dieses! (8) 3 Wie
... praktisch, aber ... unethisch, bei

Männlichküken jeden Aufwuchsaus-
wuchs zu zerschreddern! (8) 4 Ersann
die Gattenmordwaffe TK-Keule, die
dem Inspector auf dem heißen Teller
serviert wurde (Vorn.; 5) 5 Surfen nie
aufm Mainstream, so’ne vorab schon
voll verundergroundeten Bands! (5)
6 Seinetwegen trinken sich erschöpfte
Toskanaradler die nächste Tagestour
schön, die In-Panne ausmalend?! (7)

7 Button für Reboot, für Franzosen
ein redémarrage de l’ordinateur, Bri-
ten machen daraus neue Bäume... (5)
8 So gescheint oder berappt, das hat
zahltechnisch was Lachhaftes – auf
seiner Seite nämlich! (4) 9 Relativiert
den Dokturhut, Ehrensache!, der gar
nicht soo schwer war ... (akadem.; 2)
10 Er will nur Vinyl serviert bekom-
men, hat ja dafür den Dreh raus (6)
11 Anwesenwesentlich feines Global-
stück Protz, wann Frühlingsgefühle
in Italia enden, ecco! (6) 14 Hat uns
als Tanz ganz viel zu sagen im hawaii-
weiteren Verlauf (4) 17 Fährt ja von

selbst, selbst in all die Stau, drum! (4)
24 Immer schon voll eingebaut, etwa
in und als Mitnamen, wenn nicht im
Mietmann ... (8) 26 Wem Brad Pitts
Geburtsort gerade entfallen ist, kennt
wohl so’n Volk, nahezu untergegangen
am Tippecanoe River trotz Leaders
Tecumseh? (7) 27 Womit Sokrates es
hehrer formuliert in die Hand zu neh-
men hatte, ausphilospohiert haben zu
müssen (5) 28 Für viele ’n Alea-Aha-
Effekt, für Roms Senat anno IL die
verwässerte rote Linie, und für Caesar
ebeneinfalls (7) 30 Was der Deutsche
an sich halblebenslang so liebt, geht
liebend gern in was? (7) 31 Kommt
haufenweise aus der Erde auf der Erde
zu liegen (6) 33 Eher norddeutsche
Programmiererin, die sich da nähert
im IT-Trab ... (6) 34 Man lese laut &
fi nde: Was sind das denn mal noch für
welche Versefüße mit dem Ab und
Auf? (6) 35 In aller Gottbefohlen-
heit letztlich frömmlich zugesagt (5)
37 Taufbenamt den, der jenes höhere
Wesen, welches wir verehren, so ver-
ehrt (5) 40 Der besiegte hatte seine
cojones – die hat nun der cocinero,
buen apetito ... (span.; 4) 41 Womit
es linsengerichtig altmodischer wird,
wie in Wandervereinen! (4) 49 Kurz
Rücksprache mit, dem Rückenmark
etwa – und nach Otto? (2) up.

AUFLÖSUNG DER
LETZTEN QUADRATORTUR
WAAGERECHT: 1 gleichzeitig 13 („sich) einsauen“
14 (DDR-Volkspolizist als) „VoPo“ + (der sog. Volks-
porsche als) Vopo 15 Ketamin 16 (lat.) notio (enthal-
ten in Kon-notio-nsohnmacht) 17 Istria 19 (ein) Teil
21 MD (für Magdeburg) 22 (klatschen engl. to) clap
24 lunar 25 (anno 76 noch drei Jahre, röm. also) III
26 (sprichwörtliche) „Hoehle (des Löwen“, obwohl ja
längst obsolet) 28 (ein sog.) Ewenke 30 (Medaillen-)
Etui 31 (in) Orrefors (mit 3 x R wie Richard) + „Orre-
fors (Kosta Boda AB“) 33 (ital. vino) rosso 35 Orhan
(Pamuk, Literatur-Nobelpreis anno 2006) 37 (lat.) os
+ OS (Open Skies) 39 Inch (wie in Schwe-inch-enrosa
bzw. Spielste-inch-en) 40 (in „Vom Winde verweht“:
Figur) Scarlett (O’Hara) + (Mimin) Scarlett (Johansson)
44 Schicht 46 Elche (auch in Spi-elche-n) 47 (von
Helena:) Elena 48 Seil 50 Cer (wie in Parfor-cer-itt)
51 Leng 52 Rennboot (als Anagramm N-o-n-o-B-e-r-t)

SENKRECHT: 1 Gekicher 2 (Karl Valentin und) Liesl
(Karlstadt, geb. Elisabeth Wellano) 3 enttaeuschen ...
4 Isar (in Bas-isar-beitstempo) 5 („Pferdegesicht“ Fer-
nandel in seiner Paraderolle als „Don) Camillo“ (mit
Gino Cervi als „Peppone“) 6 (in einem) Hui 7 Zentner
8 (griech. Neun-) Ennea- + Ennea(gramm) 9 (Elfen-
bein franz.) ivoire 10 („die Zeit) tot(schlagen“) 11 IPI
+ i.p.i. 12 (sog.) Goodies 18 (der) Auerochse 20 (sog.)
Linon 21 Mikro(phon) + mikro-/Mikro- 23 (das sog.)
Phishing (als IT-Kunstwort) 27 (der) O-Ton 29 „Weh!“
32 (2x) Fall 34 (der) „Oscar“ 36 (in) Raten + (ohne)
Raten 38 (sog.) Stert 39 Isel (in Re-isel-ied) 41 (2x)
rein + (die sog.) Rein 42 (in Pros-ecco-prosit:) ecco!
(ital. „schau mal!“) 43 „Theo, (wir fahr’n nach Lodz“) +
theo(logisch) 45 (Schlüssel franz.) clé 49 (2x Abk.) Lb.

■QUADRATORTUR 21.


Was der Deutsche an sich


halblebenslang so liebt,


geht liebend gern in was?


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11


12 13 14


15 16 17 18


19 20 21


22 23 24


25 26 27 28 29 30


31 32 33 34 35


36 37 38


39 40 41 42 43


44 45 46


47 48 49 50


51 52


B


eimBlick auf das Leben des Die-
ter Bohlen kam uns öfter ein
verhaltensauffälliger Kommilito-
ne aus Uni-Tagen in den Sinn. Auf sei-
ne lautstarke Hyperaktivität angespro-
chen, pflegte der zu sagen: „Meine Er-
ziehung ist schlecht, aber abgeschlos-
sen.“ Die charakterliche Reife des
Pop-Titanen schien uns ebenfalls im
Zustand des Fragmentarischen konser-
viert – doch nun zwingt uns dasNeue
Blatt, dieses Urteil zu revidieren.
Im dortigen Interview berichtet der
vermeintliche Super-Macho von einer
hochintensiven Erfahrung, die ihm sei-
ne Freundin Carina beschert hat: Neu-
lich habe sie ihm zum ersten Mal ge-
zeigt, wie man Wäsche wäscht. „Das
war echt aufregend und letztendlich
auch ein kleines Erfolgserlebnis: Die
Wäsche war sauber und hat geduftet!“
Gratulation an Carina zu dieser päd-
agogischen Glanzleistung, die es ih-
rem Liebsten ermöglichte, im zarten
Alter von 65 Jahren noch die Freuden
eigenhändiger Hausarbeit für sich zu
entdecken. Weitere Durchbrüche sind
nicht ausgeschlossen: Möglicherweise
lernt der kleine Dieter noch, sein
Schlafzimmer aufzuräumen, und hört
auf, in seinen Shows immer so gemei-
ne Sachen zu den netten, engagierten
Nachwuchskünstlern zu sagen.
Erfolgreich ist Carina mit ihren
Lektionen vermutlich, weil sie die glei-
che Regel beherzigt, die auch das
schwedische Prinzenpaar im Umgang
mit seinem Nachwuchs anwendet. Das
Goldene Blattverweist auf einen Stock-
holmer Hof-Sachverständigen, der
den „heimlichen Erziehungs-Grund-
satz“ von Carl Philip und Sofia ent-
tarnt habe: „Sie loben fast nur – und
kritisieren fast nie.“
So vernünftig das ist, es gibt doch
Fälle, in denen die Weiße Pädagogik
an Grenzen stößt. Zum Beispiel im
Drama um Prinzessin Haya und
Scheich Muhammad. Haya, Schwester
des jordanischen Königs und eine von
sechs Ehefrauen des Emirs von Dubai,
ist offenbar auf der Flucht vor ihrem
wütenden Gatten. Scheich Muham-
mad soll ihr unterstellen, eine Affäre
mit ihrem Bodyguard gehabt zu ha-
ben, und er hat seine Gedanken hierzu
in Verse gefasst, die für Haya Schlim-
mes befürchten lassen: „Du Verräte-
rin, du hast das kostbarste Vertrauen
verraten, und dein Spiel wurde ent-
hüllt“, zitiert dieBunteaus dem Rache-
poem, und dasNeue Blattentnimmt
dem Werk gar die Botschaft: „Es ist
mir egal, ob du lebst oder stirbst.“
Nun könnte man sicher versuchen,
in schwedisch-antiautoritärem Geiste
auf den erzürnten Scheich einzuwir-
ken: Lieber Muhammad, es ist ganz
toll, wie du deine Enttäuschung über
Hayas Verhalten literarisch verarbei-
test. Versuch doch jetzt bitte noch,
aus der kreativen Auseinandersetzung
mit deinem Schmerz positive Energie
für einen Neuanfang zu ziehen. –
Aber ach, wir ahnen, dass dieser the-
rapeutische Ansatz zum Scheitern ver-
urteilt ist, da wir inEcho der Fraule-
sen müssen, was eine von Muham-
mads Töchtern über ihren Vater ge-
sagt hat: „Er ist der Teufel, es gibt
nichts Gutes an ihm.“

Nur wenige Brennkammern über
dem diabolischen Emir wird dereinst
Meghan von Sussex in der Hölle
schmoren. Keinen anderen Schluss las-
sen die jüngsten Berichte über den
schockierend rohen Umgang der Her-
zogin mit ihrem Söhnchen Archie zu.
Wie Fotos in derBuntenzeigen, um-
klammerte die junge Mutter auf ei-
nem Poloturnier das Baby derart unge-
schickt, dass ein Internetnutzer kom-
mentierte: „Meghan sieht so aus, als
würde sie ihn gleich fallen lassen.“ Un-
vorstellbar, was geschehen wäre, hätte
Ihre Hoheit das Kind versehentlich
mit den Füßen voran gen Wiese glei-
ten lassen: Zum Entsetzen der einhei-
mischen Erziehungs-Fachpresse trug
der Kleine nicht einmal Söckchen.
Wie Hohn mutet da die zur Schau
gestellte Windsor-Harmonie auf dem
offiziellen Foto von Archies Taufe an –
von der sich freilich die erfahrenen
Herzblatt-Analytiker keine Sekunde
täuschen lassen. DasNeue Blattver-
weist auf die berühmte Körperspra-
che-Expertin Judi James, die feststellt,
Herzogin Kate sehe auf dem Bild aus,

als wolle sie „gleich fliehen“, während
Gatte William mit seiner verkniffe-
nen, ernsten Haltung wirke „wie ein
Türsteher“. Verständlich: Wer fühlt
sich schon wohl in der Gesellschaft ei-
ner Babysöckchenvergesserin?
Verglichen mit Meghan, ist Sylvie
Meis wirklich nur ein klein wenig un-
gezogen.Inzeigt die Multifunktions-
Werbeträgerin ausgestreckt am Pool,
den weitgehend nackten Körper mit ei-
ner krümelig braunen Substanz verun-
reinigt. Ihr Instagram-Kommentar zu
dem Bild: „Ich liebe es, wenn es ein
bisschen schmutzig wird.“ Was offen-
bar wirklich nicht metaphorisch ge-
meint, sondern mit Blick auf das von
Frau Meis bei dieser Gelegenheit emp-
fohlene Peeling-Produkt wörtlich zu
nehmen ist.
Blitzsauber wird es dagegen auf der
bevorstehenden Hochzeit von Heidi
Klum und Tom Kaulitz zugehen, die
Galamit einem Reim ankündigt, den
wir hiermit als gelungensten Text-Ein-
stieg der Woche prämieren: „Heidi,
Heido, Heida – bald sagen sie ,Ja‘.“
Das gefällt uns viel besser als die sata-
nischen Verse des verlassenen Emirs,
und inspiriert von so viel Kreativität
schließen wir mit den Worten: Heidi,
Heido, Heidei, die Herzblattgeschich-
ten sind nun vorbei.

Zwist: Prinzessin Haya und Scheich Mu-
hammad (2013 in Ascot). Foto Picture Alliance

HERZBLATT-GESCHICHTEN VON SASCHA ZOSKE


Söckchenvergesser


holt der Teufel


Herr Viertlböck, wie sind Sie auf die
Idee für die Serie „Strukturen der
Vernichtung“ gekommen?
Am Beginn der Überlegungen standen
nur die großen Lager. Ich habe im Jahr
2012 Auschwitz als Teil einer anderen Ar-
beit fotografiert und drei Jahre später
ein Buch über München gemacht, in
dem auch Dachau berücksichtigt wird.
Ein Jahr später hatte ich in Flossenbürg
und Theresienstadt fotografiert. Und
als ich die Bilder, die aus einer erhöhten
Perspektive entstanden sind, nebeneinan-
der sah, erkannte ich, dass man so erst
die Dimension der Lager erkennt. Über-
dies war der Holocaust schon immer
ein großes Thema für mich.

Wie kommt das? Aus der Geschichte
Ihrer Familie?
Als ich ungefähr acht, neun Jahre alt
war, lag bei uns zu Hause Gerhard
Schoenberners Buch „Der gelbe Stern“.
Darin finden sich die uns allen bekann-
ten und wahnsinnig erschreckenden Fo-
tos aus Dachau und Auschwitz. Dieses
Buch hat mich nicht losgelassen. So zog
sich ein großes Interesse für das „Dritte
Reich“ und dessen Vernichtungsapparat
durch mein ganzes Leben.
Welche Lager haben Sie bereits foto-
grafiert?
Ich habe alles fotografiert, was man
landläufig kennt, also die etwa 30 gro-

ßen Lager, wobei sich darunter auch
Komplexe befinden, etwa die Emsland-
lager, die für sich schon aus 15 Einhei-
ten bestehen. An einem bestimmten
Punkt der Arbeit, als ich die ersten Rei-
sen hinter mir hatte, trat das Netz der
Außenlager für mich überhaupt erst
sichtbar in Erscheinung. Von da an ent-
wickelte sich das Vorhaben tatsächlich
zu einem Mammutprojekt.
Was genau ist ein Außenlager?
Jedes Stammlager hatte zwischen 40
und 160 Außenlager. Die Häftlinge wur-
den von 1943 an immer häufiger in der
Rüstungsproduktion eingespannt und
von den Stammlagern gleichsam admi-
nistrativ verschoben. Die kamen zur Fir-
ma XY, arbeiteten dort bis zur völligen
Entkräftung, gingen zurück ins Stamm-
lager und wurden durch neue Häftlinge
ersetzt. Die Firmen zahlten dafür Geld
an die SS, die wiederum die Bewachung
übernahm.

Wie viele Außenlager befanden sich
in Europa?
Etwa 1600, von denen man zwischen
1000 und 1200 noch verorten kann. Bei
einigen lässt sich heute nicht mehr be-
stimmen, wo sie waren. Der zentrale
Punkt meiner Arbeit ist es, die großen
Lager als Spinnen im Netz zu verstehen
und dieses Netz, welches geographisch,
aber auch soziologisch in den letzten
Winkel der Gesellschaft hineinreichte,
zu zeigen. So wird auch der ganze Ver-
nichtungsapparat der Nazis erst sicht-
bar. Von all diesen Lagern habe ich,
Stand heute, gut 350 fotografiert.
Seit wann?
Ich habe als Pilotprojekt schon 2016
eine Reihe von Außenlagern abgelichtet,
ohne dass mir die Bedeutung damals
klar war. In einer ersten Serie habe ich
die Orte fotografiert, an denen sich da-

mals die Kauferinger Lager befanden,
weil ich sehen wollte, wie diese Bilder
wirken. Denn dort ist heute fast nichts
mehr vom Lager, aber dafür Brachland
zu sehen. Das war eine Art Testballon:
Kann man Strukturen zeigen, die gar
nicht mehr da sind?

Zu welchem Ergebnis sind Sie ge-
langt?
Ich war fasziniert von den entstandenen
Bildern. Dass in einer harmlosen bayeri-
schen Landschaft damals Tausende Häft-
linge gearbeitet und gelitten haben, än-
dert den Blick darauf vollkommen.

Gibt es Strukturen oder wiederkeh-
rende Muster, die Sie immer wieder
in den Außenlagern gefunden haben?
Nein, die gibt es nicht, da die Nachnut-
zung ganz unterschiedlich ist: Brach-
land, Ruinen, Siedlungen, Neubauten,
Industriebetriebe. Heute existiert dort,
wo einst die Lager standen, ein Panopti-
kum zeitgemäßer Architektur. Es gibt
auch noch sehr gruselige topographi-
sche Spuren der Nutzung, etwa alte
KZ-Zäune, die inzwischen zu einem
Bauernhof gehören, oder ein Schreber-
gartenareal, dessen Begrenzungen die
Fundamente ehemaliger Häftlingsbarra-
cken sind. Diese noch vorhandenen und
dennoch nicht wirklich wahrnehmbaren
Spuren faszinieren mich enorm.

Was war der ergreifendste Eindruck?
Ganz maßgeblich berührt haben mich
die Gedenkstätten der Vernichtungsla-
ger in Polen. In Auschwitz war ich ver-
sucht, die Reaktionen der Besucher auf
Fotos festzuhalten. Da wird viel gepost,
da werden Selfies gemacht und so wei-
ter. Dann habe ich in der ehemaligen
Gaskammer des Stammlagers meine Ka-
mera aufgebaut. Anschließend kam eine
chinesische Besuchergruppe hinein, die
alle eifrig mit den Handys fotografier-

ten – wie geschaffen für einen zyni-
schen Blick auf KZ-Touristen. Und
dann fiel eine der Besucherinnen auf
die Knie und hat gebetet. Alle anderen
erstarrten in einer tiefen Andacht und
schwiegen. Das war für mich der Punkt,
an dem es zum Tabu wurde, Menschen
dort zu fotografieren, weil ich erkannte,
dass man tatsächlich nicht ermessen
kann, was diese Stätten mit den Besu-
chern machen.

Gab es weitere Tabus bei ihrer Ar-
beit, etwa Romantisierungen?
Der Gefahr der Romantisierung unter-
liegt man zwangsläufig bei einem sol-
chen Sujet. Eine Vermeidungsstrategie:
nicht auf das richtige Wetter warten.
Ich habe also weder Wolken noch Ne-
bel oder bestimmte Abendstimmungen
gesucht. Ich habe das Wetter für sich
sprechen lassen.

Welche Position soll das Projekt im
Erinnerungsdiskurs einnehmen?
Im Moment findet eine Zeitenwende
statt, weil die letzten Zeitzeugen alters-
bedingt versterben. Ich könnte mir vor-
stellen, dass eine andere Form der Erin-
nerung an die Stelle der Erzählungen
aus erster Hand tritt. Dazu könnten die-
se Bilder einen Beitrag liefern. Außer-
dem könnten sie eine Art Markierung
darstellen, die verdeutlicht, dass das Ver-
gessen durchbrochen ist. Mir persönlich
ist die gesellschaftliche Verwobenheit
erst durch die Arbeit mit den Außenla-
gern deutlich geworden. Mein Blick auf
den Nationalsozialismus und auf die
Struktur seines Vernichtungs- und Ver-
wertungssystems ist nun differenzierter.
Die Fragen stellte Kai Spanke.
Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg präsentiert Viertlböcks
Fotos der Außenlager des ehemaligen KZs Flossenbürg
sowie ausgewählte weitere Motive der Serie vom 23. Juli
bis 6. Oktober im Rahmen der Ausstellung „Strukturen
der Vernichtung“. Weitere Stationen sind angedacht.

Ein Münchner Fotograf
hat sich vorgenommen,
alle KZs der Nazis in

Europa zu fotografieren.
Gut 350 hat er bereits.
Bei der Arbeit kennt er nur
ein Tabu.

„Eine andere Form der Erinnerung“


Einelange Reise zu Orten deutscher Geschichte: Rainer Viertlböck am Dienstag in den Ausstellungsräumen der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Foto Robert Gommlich

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