Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 21.07.2019

(Tina Meador) #1

18 wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 21. JULI 2019, NR. 29


Der CO 2 -Preis ist heiß


S


eitWochen überbieten sich Par-
teien und Beratergremien darin,
neue Konzepte für eine Bepreisung
des Treibhausgases Kohlendioxid
(CO2) aufzustellen, damit der Ausstoß von
CO2teurer wird und die Entscheidung
für Alternativen leichter fällt. Im Herbst
möchte Bundeskanzlerin Angela Merkel
entscheiden, welches Konzept tatsächlich
kommen soll – doch an einerCO2-Steuer
führt wohl kein Weg vorbei. Auch der
Sachverständigenrat der Wirtschaftswei-
sen hat eine Einführung befürwortet, zu-
mindest als schnelle Übergangslösung, bis
das europäische System zum Handel mit
Emissionsrechten verbessert wird.
CO2-Steuer, das heißt in der Praxis:
Die Steuern auf Benzin, auf Heizöl und
andere Energieträger werden so ange-
passt, dass sie denCO2-Ausstoß widerspie-
geln. Die Mehreinnahmen gibt der Staat
auf die eine oder andere Weise an die Bür-
ger zurück – so ist es zumindest in den
meisten Konzepten vorgesehen.
Danach könnte sich die Politik eigent-
lich zurücklehnen, so sagt es zumindest
die Theorie: Wenn derCO2-Ausstoß ei-
nen angemessenen Preis hat, kann man
es den Bürgern überlassen, ob sie die
Emissionen anfangs lieber einsparen, in-
dem sie Bahn statt Auto fahren, auf Koh-
lestrom verzichten oder ihre Häuser bes-
ser dämmen. Die Regierung muss nicht
extra den Kohleausstieg planen oder Elek-
troautos fördern, sondern nur überprü-
fen, ob der erzielteCO2-Ausstoß gering
genug ist, und im Zweifel die Steuer an-
passen. Die höheren Preise auf
CO2-Emissionen werden dann schon da-
für sorgen, dass sich die Bürger nach und
nach für klimafreundliche Alternativen
entscheiden, und zwar zuerst dort, wo es
ihnen am leichtesten fällt.
Doch so funktioniert die Politik nicht.
Umweltorganisationen listen auf, dass die
größten CO2-Emittenten Braunkohle-
kraftwerke seien, demonstrierende Schü-
ler fordern einen symbolisch wirksamen

Kohleausstieg, und Regierungen lassen
eine sehr bedeutsame Kohlekommission
tagen. Tatsächlich gibt es über die Grund-
satzfrage, ob eineCO2-Steuer ausreicht,
auch unter Ökonomen Streit. Einige lis-
ten schon Gründe dafür auf, dass ihnen
der eine CO2-Preis eben doch nicht
reicht. Am Deutschen Institut für Wirt-
schaftsforschung beispielsweise fordert
die Energieexpertin Claudia Kemfert un-
terschiedlicheCO2-Preise für die verschie-
denen Sektoren. Auf Benzin beispielswei-
se müsse derCO2-Preis höher sein, denn
die Deutschen reagierten auf höhere Ben-
zinpreise kurzfristig kaum, darum würde
im Verkehr wenigerCO2eingespart als in
anderen Sektoren.
Solchen Ideen widersprach der jüngste
Wirtschaftsnobelpreisträger, der Klima-
ökonom William Nordhaus, in seiner
Preisrede: Er befürwortet einen einheitli-
chenCO2-Preis in allen Bereichen. Dem
Klima sei es egal, welches Kohlendioxid
eingespart wird, dann kann man auch das
nehmen, auf das die Menschen leichter
verzichten können.
Nun meldet sich eine weitere Stimme
zu Wort, die sich für mehr Steuerung in
der Klimapolitik ausspricht: Joseph Sti-
glitz, der ebenfalls schon einen Nobel-
preis erhalten hat, und zwar dafür, dass er
die Grenzen von Märkten analysiert hat.
Er zeigt einige Fälle, in denen zusätzliche
Regulierungen vorteilhaft sein können.
Der erste ist die soziale Gerechtigkeit.
Falls arme Leute so billig leben müssten,
dass sie dabei vielCO2ausstießen, gäbees

aus seiner Sicht Handlungsbedarf. So ein
Fall träte zum Beispiel ein, wenn arme
Leute oft in ungedämmten Wohnungen
lebten und alte Autos mit hohem Sprit-
verbrauch führen. Dann müssten vor al-
lem sie die Last des Klimaschutzes tra-
gen. Daher schlägt Stiglitz vor, scharfe
CO2-Regeln für die Lieblingsprodukte
der Reichen einzuführen, um die
CO2-Preise für andere Produkte niedri-
ger halten zu können. Tatsächlich aber
hat der deutsche Sachverständigenrat
festgestellt, dass dieser Fall in Deutsch-
land selten ist. Denn es sind die reichen
Haushalte, die mit ihrem aufwendigen
Lebensstil viel mehr Treibhausgase aus-
stoßen als die armen Haushalte.
Ein anderes Beispiel dreht sich um ge-
sellschaftliche Vorlieben. Wenn die
CO2-Steuer ähnlich den Ablassbriefen im
Mittelalter dazu beiträgt, dass die Men-
schen umso ungenierter Treibhausgase
ausstoßen, muss sie immer weiter steigen,
um ihren Effekt zu erfüllen. Es kann aber
auch anders laufen: So wie das Rauchen
aus der Mode kam, schon bevor es verbo-
ten wurde, so könnte – mit den richtigen
politischen Impulsen – auch klimaschädli-
ches Verhalten aus der Mode kommen, ar-
gumentiert Stiglitz. In so einem Fall könn-
te der Klimaschutz sogar mit einem gerin-
gerenCO2-Preis sichergestellt werden.
Tatsächlich versuchen Umweltorganisa-
tionen schon heute, in Europa die „Flug-
scham“ zu etablieren: Wer sich noch ins
Flugzeug setzt, soll sich wenigstens dafür
schämen. Das allerdings hat bisher nicht
viel bewirkt. Solche Ansätze können dazu
führen, dass die Gesellschaft von den ein-
zelnen Menschen in immer mehr Situatio-
nen besonders tugendhaftes Verhalten
einfordert, es entsteht ein Klima der sozia-
len Kontrolle. In solchen Situationen gilt
auch: Wer sich besonders vorbildlich ver-
hält, hat den Nachteil, und den Vorteil
hat, wem die Appelle zum Klimaschutz
egal sind. Das werden viele Leute unge-
recht finden, und so könnte der Ruf nach
Verboten noch lauter werden.

Ein drittes Beispiel sind Innovationen.
Das Beispiel hängt damit zusammen,
dass dieCO2-Steuer anfangs niedrig be-
ginnt und mit den Jahren steigen soll. Sti-
glitz betont, dass der Anreiz zur Entwick-
lung klimafreundlicher Produkte in die-
sem Fall kleiner ist, als wenn die
CO2-Steuer von Anfang an hoch ist.
Dann könnte sie später sogar sinken. Sti-
glitz räumt ein, dass so einCO2-Steuer-
schock die Bevölkerung überfordern wür-
de. Stattdessen empfiehlt er, einige klima-
schädliche Produkte zu verbieten, um
die Forschung an Ersatzprodukten zu be-
schleunigen. Doch wer bei so einem Vor-
haben das falsche Produkt erwischt, ver-
kompliziert das Leben und spart dabei
trotzdem nur wenig Treibhausgase.
Was Stiglitz kaum diskutiert, sind
Nachteile der Zusatzregulierungen: Je
mehr Regeln eingeführt werden, umso
leichter finden Lobbyisten Ansatzpunkte,
um ihre Spezialinteressen durchzudrü-
cken. Technische Überraschungen, die
den Klimaschutz erleichtern könnten, ha-
ben es schwerer, wenn sie eben nicht zu-
fällig in die vielen Einzelregeln passen.
Und je mehr Regeln eingeführt werden,
umso eher widersprechen sie sich gegen-
seitig oder arbeiten gegeneinander. Der
Streit darüber wird weitergehen.
Stiglitz’ Arbeit zeigt, dass weitere Kli-
maschutzregeln eine sorgfältige Begrün-
dung brauchen. Für die Forderung von
Kemfert, dass auf Benzin höhere Steuern
anfallen sollen als auf andere Produkte,
liefert auch Stiglitz keine Begründung.
William Nordhaus: Climate Change: The Ultimate
Challenge for Economics. American Economic Review,
April 2019, S. 1991-2014.
Joseph Stiglitz: Addressing Climate Change Through
Price and Non-Price Interventions. NBER Working Paper
25939, Juni 2019
Sachverständigenrat: Aufbruch zu einer neuen
Klimapolitik. Sondergutachten, Juli 2019.
Linus Mattauc, Cameron Hepburn, und Nicholas Stern:
Pigou Pushes Preferences: Decarbonisation and Endoge-
nous Values, CESifo Working Paper 7404, Dezember 2018

Aktivisten haben allerlei
Ideen, um das Klima zu
schützen. Die meisten
sind überflüssig.

Von Patrick Bernau


D


ie Hohenzollern sind
nicht allein. Landauf,
landab haben die einst re-
gierenden Adelsfamilien
in den zurückliegenden Jahren mit
der öffentlichen Hand um Eigen-
tumsansprüche gestritten, ob es
nun die sächsischen Wettiner wa-
ren oder die badischen Markgra-
fen, die Reußen aus Gera und
Greiz oder die einstigen Großher-
zöge von Sachsen-Weimar, die ih-
ren Anteil an der deutschen Klas-
sik auf einmal auch in einem ganz
materiellen Sinn einforderten.
Kommende Woche treffen sich
wieder die Nachfahren von Kaiser
Wilhelm II. (Foto) mit Vertretern
des Bundes, um über den Wunsch
nach einem Wohnrecht im Potsda-
mer Schloss Cecilienhof und auf
Herausgabe mobiler Kunstschätze
zu beraten(siehe Feuilleton). Ihr Vor-
gehen gilt als besondere Provoka-
tion. Nicht nur, weil sie zuletzt eine
Liste mit Maximal-
forderungen vorleg-
ten und den An-
spruch erhoben, bei
der Gestaltung ei-
nes staatlich finan-
zierten Museums
mitreden zu dürfen.
Sondern auch we-
gen der Rolle, die
führende Vertreter
der Familie bei der
Entstehung des Ers-
ten Weltkriegs und
später für den Auf-
stieg des National-
sozialismus spielten.
Letzteres ist für die Ansprüche auch
juristisch von Belang: Wer „dem na-
tionalsozialistischen System erheb-
lich Vorschub geleistet hat“, geht
bei der Entschädigung leer aus, was
die Enteignungen in der Sowjeti-
schen Besatzungszone betrifft.
Als unpopulär erweisen sich in
der Regel allerdings auch die Forde-
rungen von Fürstenhäusern, die
am Versagen der deutschen Eliten
im 20. Jahrhundert weniger unmit-
telbar beteiligt waren. Das verbrei-
tete Unbehagen hat damit zu tun,
dass die Ansprüche der Fürstenfa-
milien auf den ersten Blick allen
Prinzipien der bürgerlichen Leis-
tungsgesellschaft widersprechen.
Verfechter einer kompromisslosen
Meritokratie bemängeln das an

Erbschaften generell, weil sie dem
Erben zu leistungslosem Profit ver-
helfen. Aus der Perspektive des Erb-
lassers stellt sich die Sache anders
dar: Er kann argumentieren, dass
er sein Vermögen selbst erarbeitet
hat und deshalb frei bestimmen
könne, wem er es nach seinem Tod
vermacht. Dieses Argument gilt für
Adelsfamilien indes nicht, sofern
der Grundstock ihres Vermögens
auch von den Vorfahren lediglich
durch standesgemäße Geburt und
nicht durch eigenes Wirtschaften
erworben wurde. Im Einzelfall lässt
sich das freilich nicht immer exakt
auseinanderhalten, zumal viele Ade-
lige ihre Latifundien in Wirtschafts-
betriebe umformten oder umge-
kehrt erfolgreiche bürgerliche Fa-
milie wie etwa die Fugger später
Landgüter erwarben und einen feu-
dalen Lebensstil pflegten.
In Deutschland mit seinen föde-
ralen Einzelstaaten kommt ein spe-
zielles Problem hin-
zu: Besonders pre-
kär erscheinen die
Ansprüche der einst-
mals regierenden
Häuser, jener Famili-
en also, die bis 1918
in den zuletzt 25
Bundesstaaten des
Kaiserreichs die
Monarchen stellten.
Schließlich übten
sie bis zur Abschaf-
fung der Monarchie
eine staatliche Funk-
tion aus, so dass sich
privates und öffentli-
ches Vermögen in ihrem Fall nicht
trennscharf unterscheiden lassen.
Das gilt auch für Preußen, obgleich
die Monarchen dort seit dem frü-
hen 19. Jahrhundert eine offizielle
Zahlung aus dem Staatshaushalt er-
hielten, die „Zivilliste“. Am Ende
stand 1926 ein ziemlich komplizier-
ter Kompromiss.
Dauerhaft befriedet war der Kon-
flikt durch diese Einigung in der
Weimarer Republik jedoch nicht.
Die Wiedervereinigung hat das
Thema wiederaufleben lassen. Und
die Hohenzollern haben jetzt den
Fehler gemacht, mit einem ziemlich
forschen Verhandlungsstil all jene
Fragen wieder herauszufordern, die
ihr Status in einer Leistungsgesell-
schaft aufwirft.

D


r. Lee hatte eine geniale Idee.
Der südkoreanische Mediziner
war vor gut fünfzig Jahren als
Kinderarzt an einer Klinik in Mainz tätig.
Aber es fehlten Säuglingsschwestern. Lee
schaltete Anzeigen in Zeitungen seines
Heimatlandes, und bald kamen die ersten
Koreanerinnen nach Deutschland, wo sie
für 600 DM netto im Monat in Dr. Lees
Klinik arbeiteten. Korea war in den sech-
ziger Jahren noch ein sehr armes Land.
Rund zehntausend junge Frauen aus
Korea entschieden sich bis in die mittle-
ren siebziger Jahre, in deutschen Klini-
ken als Schwestern zu arbeiten. Einfach
waren die Bedingungen nicht. Ein Drit-
tel der Koreanerinnen ist für immer hier
geblieben, viele sind inzwischen wieder
in ihre Heimat zurückgekehrt. Meine
Kollegin Lena Schipper, die jetzt als Kor-
respondentin des britischen „Econo-
mist“ in Seoul arbeitet, hat kürzlich eini-
ge dieser Re-Migrantinnen besucht. Vie-
le leben in Seoul. Andere haben sich auf
dem Land ein „deutsches Dorf“ gebaut,
wo es im Biergarten Wurst und Schnit-
zel und im Herbst ein Oktoberfest gibt.
Dr. Lees Migrations-Experiment war
ganz offensichtlich eine Win-win-Situa-
tion für alle Beteiligten. Der Arzt ist
mir in den Sinn gekommen, als in der
vergangenen Woche unser Gesund-
heits- und Beinahe-Verteidigungsminis-
ter Jens Spahn (CDU) nach Kosovo
fuhr, um dort Pflegekräfte anzuwerben.
In Deutschland gibt es immer mehr älte-
re Menschen, die auf Pflege angewiesen
sind, aber viel zu wenig Altenpfleger. In
Kosovo, einem jungen Land, gibt es viel
zu viele arbeitslose Jugendliche ohne Zu-

kunftsaussichten. Sie investieren eigenes
Geld in eine Pflegeausbildung in ihrer
Heimat, lernen Deutsch und hoffen dar-
auf, in Deutschland eine Arbeit zu be-
kommen. Bis zu tausend ausgebildete
Pflegekräfte im Jahr sollen künftig nach
Deutschland kommen, sofern es gelingt,
die bürokratischen Hürden bei der Aner-
kennung der Abschlüsse abzubauen.
Man kann auch das als eine Win-win-Si-
tuation beschreiben.
Tatsächlich ist im lauten Getöse der
Jahre nach dem Flüchtlingsschock 2015
in Vergessenheit geraten, dass Deutsch-
land auf Zuwanderung dringend angewie-
sen ist, wird doch die einheimische Bevöl-
kerung binnen fünfzehn Jahren um sechs
Millionen Bürger schrumpfen. Vieles
spricht dafür, dass es in unserem Land
weiterhin gute Arbeit geben wird, allen

Ängsten vor der Automatisierung durch
Roboter und Algorithmen zum Trotz,
und dass die Alten nicht nur auf junge
Pfleger angewiesen sind, sondern auch
auf junge Menschen, die ihre Rente fi-
nanzieren.
Offene Grenzen sind, davon abgese-
hen, ein hohes Freiheitsgut. Entschei-
dend ist freilich, dass die Richtigen kom-
men. Nach den Erfahrungen der vergan-
genen Jahre wäre es naiv, zu glauben, alle
Einwanderer seien vom Typus der südko-
reanischen Krankenschwestern und der
Altenpfleger aus Kosovo, bei denen die
Bilanz von Kosten und Nutzen für Her-
kunfts- und Zielland zu stimmen
scheint. Es gibt daneben auch Zehntau-
sende Armutsmigranten aus Bulgarien
und Rumänien ohne Schulabschluss und
Deutschkenntnisse, die von kriminellen

Schlepperbanden hierhergebracht wer-
den, wo sie Kindergeld und Hartz IV kas-
sieren – um am Ende häufig selbst in der
Kriminalität zu landen.
Mit seinen Sozialleistungen ist
Deutschland attraktiv für Migranten mit
geringer Qualifikation, die aus ärmeren
Ländern kommen. Verführerisch sind
vor allem das Arbeitslosen-, Gesund-
heits- und Bildungssystem, weniger dage-
gen ein ausgebauter Arbeitnehmerschutz
und ein hohes Rentenniveau. Denn Ar-
beitslosen-, Gesundheits- und Bildungs-
leistungen (auch für die nachziehende Fa-
milie) sind sofort wirkende Wohltaten,
während Arbeitnehmerrechte meist die
im Land lebenden Insider vor Newco-
mern schützen und Renten erst einmal
von den Migranten selbst finanziert wer-
den müssen.

Migranten belasten den Staat und sei-
ne Steuerbürger, wenn sie Sozialleistun-
gen und Infrastruktur in Anspruch neh-
men. Sie entlasten ihn, wenn sie selbst
Steuern und Abgaben zahlen. Alles
hängt davon ab, dass die „Fiskalbilanz“
am Ende positiv wird. Denn dann profi-
tieren nicht nur die Migranten, sondern
auch die ansässige Bevölkerung. Das
trägt zugleich zur Akzeptanz der Migran-
ten bei und verdirbt mittelfristig sowohl
den Populisten wie den kriminellen
Schleusern ihr schmutziges Geschäft.
Vor zwei Wochen hatte ich an dieser
Stelle versprochen, Ideen vorzustellen,
wie das Dilemma von offenen Grenzen
im üppigen Sozialstaat gelöst werden
kann. Im Kern laufen alle Vorschläge
darauf hinaus, dem Markt das richtige
„Matching“ zu überlassen, will sagen,
Zuwanderung über Preise zu regeln und
Übereinkünfte zu treffen, wer zahlen
muss. Es zeigt sich, dass der Markt das
gerechtere und humanere Arrangement
bietet als Bürokraten oder korrupte
Schlepperbanden.
Generell (und analog zu den Beispie-
len aus Korea und Kosovo) sollte jeder
Ausländer eine befristete Arbeits- und
Aufenthaltsgenehmigung bei uns bekom-
men, der von einem deutschen Unter-
nehmen verbindlich einen Arbeitsplatz
angeboten bekommt. Das Gehalt muss
dabei eine festgelegte Mindestgrenze er-
reichen, die hoch genug ist, um ihn zu
einem Nettozahler zu machen, was Steu-
ern und Sozialbeiträge betrifft. Alle bü-
rokratischen Prüfungen und absurden
Nachweise, dass sich kein heimischer Ar-
beitnehmer für diese Arbeit findet, kann
man sich dann sparen. Panu Poutvaara,

der Leiter des Ifo-Zentrums für Migrati-
onsforschung, nimmt an, dass derzeit
eine Bruttolohn-Schwelle von 34 000
Euro Jahresgehalt nötig ist, um sicherzu-
stellen, dass alle von der Immigration
profitieren.
Sinnvoll wäre es, dass auch Migranten
ohne feste Jobzusage befristet eine Ar-
beits- und Aufenthaltsgenehmigung er-
halten. Allerdings sollten sie dann nicht
sofort alle Sozialleistungen bekommen,
um nicht wie die verschleppten bulgari-
schen Armutsflüchtlinge dauerhaft zu
Hartz-IV-Fällen mit allen negativen öko-
nomischen und sozialen Folgen zu wer-
den. Hans-Werner Sinn, der ehemalige
Ifo-Chef, unterscheidet zwischen ererb-
ten und erarbeiteten Ansprüchen. Erar-
beitete Ansprüche sind solche, die man
selbst durch Steuern und Abgaben finan-
ziert hat, also Leistungen aus der Ren-
ten-, Unfall-, Arbeitslosen- oder Kran-
kenversicherung. Ererbte Ansprüche
stammen aus der Grundsicherung, die je-
der genießen darf, wenn er nicht oder
noch nicht arbeiten kann. Dazu zählen
Sozialhilfe, Kindergeld, Hartz-IV-Leis-
tungen und wohl auch Bildung.
Der Clou an der Unterscheidung: Er-
arbeitete Leistungen können sofort vom
Gastland gewährt werden, für ererbte An-
sprüche muss das Heimatland aufkom-
men. Der Vorschlag hat einen doppelten
Vorteil: Die Freizügigkeit, auswandern
zu dürfen, wird nicht eingeschränkt; ob
innerhalb der EU oder von außen, spielt
dabei eine nebensächliche Rolle. Aber
auch der Sozialstaat wird durch Migra-
tion, wenn sie derart geregelt ist, nicht
gesprengt. Warum bloß machen sich die
demokratischen Parteien diesen Vor-
schlag nicht zu eigen?

DER SONNTAGSÖKONOM


HANKS WELT


Warum uns


der Adel


provoziert


Von Ralph Bollmann


Kommen wirklich


die Richtigen?


Einige Ideen zu Einwanderung und Sozialstaat.


Von Rainer Hank


Foto dpa

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