Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 21.07.2019

(Tina Meador) #1

8 meinung FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 21. JULI 2019, NR. 29


J


ohnny Clegg ist tot – in Deutsch-
land ist das keine Topnachricht. In
Südafrika aber schon. Dort wurde
das Abendprogramm im Fernsehen
unterbrochen. Clegg war weiß, und
er hat wahrscheinlich mehr als jeder an-
dere Weiße für die friedliche Überwin-
dung der Apartheid in Südafrika getan.
Die teilte die Menschen in „Rassen“ ein.
Wer nicht zur weißen Herrenschicht ge-
hörte, dem blieben das Wahlrecht und
die Freizügigkeit versagt. Besonders die
autochthone schwarze Bevölkerung wur-
de einem brutalen Regime unterworfen.
Kontakte auf Augenhöhe zwischen
Schwarz und Weiß wurden bestraft.
Vor bald dreißig Jahren, Anfang 1990,
wurde Nelson Mandela, der Führer des
Afrikanischen Nationalkongresses, nach
27 Jahren Haft freigelassen. Im Juli be-
schloss das damalige Parlament aus drei
Kammern die Abschaffung der sogenann-
ten Rassentrennung – gegen die Stim-
men der Konservativen, die darin die
Zerstörung eines „Rechts der Weißen
auf Selbstbestimmung“ sahen. Das war
der Anfang vom Ende der Apartheid.
Ein Wendepunkt in der Geschichte, am
ehesten vergleichbar mit der Unabhän-
gigkeit, die Indien 1947 unter Führung
Mahatma Gandhis erlangt hatte. Beides
hing sogar zusammen, denn Gandhi hat-
te als junger Mann in Südafrika die rassis-
tische Zurücksetzung am eigenen Leibe
erfahren. Das war sein politisches Erwe-
ckungserlebnis.
Und Johnny Clegg? Der war Sänger
und Tänzer.
Ein wundervoller Mann. Clegg ist
nicht in Südafrika geboren, er kam 1953
in Großbritannien zur Welt. Seine Mut-
ter, eine jüdische Jazz-Sängerin, zog bald
mit ihm nach Rhodesien, Israel und
schließlich Johannesburg, wo sie einen
Journalisten heiratete. So wurde aus John-
ny ein Junge, der sich seine Wurzeln
selbst suchen musste. In den erbärmli-
chen Wohnheimen der schwarzen Wan-
derarbeiter, die wenige Weiße freiwillig
betraten, freundete er sich mit gleichaltri-

gen Zulus an. Als Teenager erlernte er
deren Sprache, deren Musik und die
phantastischen Tänze, mit denen die jun-
gen Männer ihre Kraft und Schnelligkeit
feiern und die ansteckende Freude am
Rhythmus und der Bewegung ausleben.
Mit seinem Freund Sipho Mchunu grün-
dete Clegg damals ein Duo.
Er war durchdrungen von Bewunde-
rung und Begeisterung für die Zulu-Kul-
tur. Er liebte aber auch die irische und
schottische Folkmusik und komponierte
Melodien und Lieder, die beide Tradi-
tionsstränge miteinander verbanden. Das
war nun gerade das Gegenteil von Apart-
heid und Segregation, nämlich ein gegen-
seitiges Geben und Nehmen, getragen
von der Freude, die Welt zu erfahren
und zu erfassen, im Fremden das Neue
und zugleich sich selbst zu entdecken.
Bei ihren gemeinsamen Auftritten spiel-
te Clegg die Maskandi-Gitarre und trug,
halbnackt, die traditionelle Zulu-Klei-
dung mit dem Leopardenfell, mit den ge-
heimnisvoll sprechenden Accessoires aus
Fellstreifen, Perlenketten, Schnüren und
Bändern sowie rituellen Waffen.
Zu den Auftritten der beiden gehörte
der akrobatische Inhlangwini-Tanz, der
Clegg über die Jahre einen immer schö-
neren, athletischen Körper formte. Mit
diesen Tänzen rissen sie schon damals
ihr Publikum mit. Aber anfangs konnten
Clegg und Mchunu nur privat oder an
kleinen, versteckten Orten auftreten.
Ihre Lieder wurden verboten, und im-
mer wieder wurde Clegg, schon als Jun-
ge, ins Gefängnis gesteckt. Dafür genüg-
te es schon, mit schwarzen Freunden ab-
zuhängen. Freundschaft außerhalb des ei-
genen Hautfarbspektrums war nicht er-
laubt. Es durften keine Brücken über
den Graben geschlagen werden.

Mchunu und Clegg erweiterten ihr
Duo zur Band Juluka. Drei Musiker wa-
ren dunkel-, drei hellhäutig. In Südafri-
ka, während der Apartheid. Heute, fast
ein halbes Jahrhundert später, kann man
kaum ermessen, was für eine Tat das
war: die Wahrheit gegen die Lügen der
Unterdrückung zu stellen. So hat Juluka
damit begonnen, die Dinge in Südafrika
zu drehen – denn Musik und Tanz und
die damit verbundene Freude gehören zu
den mächtigsten Einflüssen der Politik.
Sie können zwar auch ein Werkzeug der
Herrschaft sein. Aber besser eignen sie
sich doch zur Befreiung. Überall auf der
Welt, in Südafrika nicht anders als in
den Vereinigten Staaten, die selbst Ras-
sentrennung hatten: Dort hatte die Kata-
strophe, die über die versklavten Afro-
amerikaner verhängt worden war, im
Blues ihren musikalischen Ausdruck ge-
funden. Daraus ging der Jazz hervor, die
erste „schwarze“ Musik, die von Weißen
adaptiert wurde; zum Swing tanzten
schon alle. Und trotzdem wurde noch in
den sechziger Jahren der schon weltbe-
rühmte Harry Belafonte, weil er dunkel-
häutig war, nicht in den Konzertsaal ein-
gelassen, in dem er selbst auftreten soll-
te: Zutritt nur für Weiße. Zu dieser Zeit
gab es immer noch Lynchmorde in den
Vereinigten Staaten. Und doch: Die ame-
rikanische Bürgerrechtsbewegung der
sechziger Jahre wurde von der Macht der
Musik vielleicht mehr als von allem ande-
ren vorangetrieben. Denn Tanz und Mu-
sik schlugen Brücken über den Graben.
So war es zehn Jahre später auch in
Südafrika. Juluka wirkte ansteckend,
fand immer mehr Fans. Allerdings blieb
die Band, die 1979 ihr revolutionäres ers-
tes Album „Universal Men“ heraus-
brachte, zu Hause ausgegrenzt. Zu-
gleich dehnte sich ihr Einfluss in Euro-
pa aus, besonders in Frankreich. Dort
bürgerte sich für Clegg die Bezeich-
nung „le Zoulou blanc“ ein, der weiße
Zulu. Er mochte das nicht, weil er kein
Zulu war, keiner sein wollte und sich
selbst auch nie als einer ausgegeben hat-

te. Und weil er, was Hautfarben betraf,
entschieden farbenblind war.
Cleggs Formationen spielten auch kei-
neswegs Zulu-Musik, sondern etwas, das
er selbst „Crossover“ nannte. Als junger
Mann, so hat er vor einigen Jahren er-
zählt, habe er in den Zulu-Kriegsliedern
keltische Echos vernommen. Seine eige-
nen Kompositionen waren ein Geflecht
aus Masikande und irischem oder schotti-
schem Folk. Dabei wurden Sprachen,
Melodien und Rhythmen verwoben. So
friedlich waren die Zeiten nicht. Südafri-
ka wurde in den siebziger und achtziger
Jahren von Aufständen, Ausschreitun-
gen, politischen Morden und Polizeige-
walt erschüttert. Das hatte mit den Pro-
testen von Schülern und Studenten 1976
in Soweto begonnen. „Soweto“ steht als
Abkürzung für die etwa dreißig Town-
ships im Südwesten von Johannesburg.
Die „nie-blances“, die Nicht-Weißen,
lebten dort durch städtebauliche Puffer-
zonen von den weißen Wohngebieten ge-
trennt. Natürlich waren die Townships
keine gepflegten Vorstädte, sondern
Slums. Die Aufstände, in deren Verlauf
mindestens 500 Demonstranten, Kinder
und Jugendliche, erschossen wurden,
machten Soweto zum weltweiten Symbol
gegen die Apartheid.
Clegg litt unter dem fortschreitenden
Zerfall der südafrikanischen Gesell-
schaft. Sein Freund Mchunu hatte die
Band verlassen und war auf den heimi-
schen Bauernhof zurückgekehrt. Clegg
gründete eine neue Formation, Savuka,
die später noch erfolgreicher werden soll-
te; wieder eine Band mit schwarzen und
weißen Musikern, wieder mit verbotenen
Liedern. Aber in der Gründungsphase,
so hat Clegg später erzählt, fühlte er sich
einsam und entmutigt. Er fragte sich, ob
es überhaupt noch etwas gab, was die
Südafrikaner seiner Generation, schwarz
und weiß, miteinander verband. Die Ant-
wort darauf war eine unvergängliche, me-
lancholische Ballade: „Asimbonanga“, zu
Deutsch „Wir haben dich noch nie gese-
hen“. Nelson Mandela. Denn der war

schon so lange im Gefängnis, dass ihn
keiner der Jüngeren mehr kannte.
Es war das erste Lied in Südafrika,
das offen die Freilassung Mandelas for-
derte. Natürlich wurde es verboten,
doch in Frankreich schoss „Asimbonan-
ga“ auf den ersten Platz der Charts. Und
wurde zu einem der einflussreichsten
Lieder gegen die Apartheid. Das war


  1. Im selben Jahr nannte Margaret
    Thatcher, die britische Premierministe-
    rin, Mandela noch einen Terroristen,
    und im Jahr darauf setzte der amerikani-
    sche Präsident Ronald Reagan den bei-
    nah siebzigjährigen, seit einem Viertel-
    jahrhundert eingesperrten Mann als Ter-
    roristen auf eine Watchlist. Kein Ruh-
    mesblatt für die Politiker des Westens.
    Zugleich aber wurden schon seit Jahren
    zu Ehren Mandelas immer neue Lieder
    geschrieben. 1984 bereits hatte Jerry
    Dammers mit der Hymne „(Free) Nel-
    son Mandela“ einen Hit gelandet, der
    den zeitweise fast vergessenen Freiheits-
    kämpfer weltweit bekannt machte.
    1988 initiierte Dammers zu Mandelas
    siebzigsten Geburtstag ein Solidaritäts-
    konzert im Londoner Wembley-Stadi-
    on, das in sechzig Länder ausgestrahlt
    wurde. Viele Musiker von Rang und Na-
    men traten dort auf, die Stars dieser Zeit
    wie Sting, Joan Armatrading, Phil Col-
    lins, Miriam Makeba, Stevie Wonder –
    um nur einige zu nennen. Clegg und
    Savuka durften nicht teilnehmen: weil es
    sich um eine südafrikanische Band mit
    weißen Musikern handelte. Angeblich
    wäre das ein Verstoß gegen den seit 1980
    bestehenden Boykott der Vereinten Na-
    tionen gegen Südafrika gewesen. Aber es
    war eine Band mit weißenundschwar-
    zen Musikern. Das passte nicht ins Bild.
    Es hätte die Glaubwürdigkeit der Ankla-
    ge gegen Südafrika untergraben. So wur-
    den Clegg und Savuka mit dem Regime,
    das sie mutig bekämpften, in einen Topf
    geworfen, und einer der wichtigsten Vor-
    kämpfer gegen die Apartheid wurde auf
    diese groteske Weise abermals ihr Op-
    fer. Obendrein bedeutete diese Geschich-


te für die Band, dass ihr der Zugang
zum britischen und amerikanischen
Markt verwehrt blieb. In Europa und
Asien jedoch blieb Clegg erfolgreich.
Und natürlich in Südafrika selbst. Er
war in den neunziger Jahren der berühm-
teste Vertreter der „World Music“.
Die Apartheid war abgeschafft. Nel-
son Mandela hatte den Weg für einen
friedlichen Übergang geebnet. 1993 er-
hielt er dafür den Friedensnobelpreis.
1994 war er der erste Staatspräsident des
freien Südafrika geworden und blieb es
bis 1999. In jenem Jahr gab Johnny
Clegg in Frankfurt ein Konzert, und wie
bei jedem Auftritt stimmte er auch
„Asimbonanga“ an, das schönste, sehn-
süchtigste und tiefste Lied gegen den
Rassenhass, tiefer als der tiefste Graben.
Trotzdem wunderte sich Clegg darüber,
wie das Publikum ausflippte. Und freute
sich, dass die Deutschen sein Lied kann-
ten und dermaßen drauf abfuhren. Er
hatte ja keine Augen im Rücken und
konnte nicht sehen, dass Nelson Mande-
la auf die Bühne gekommen war. Ein
hochgewachsener, weißhaariger, fun-
kelnd gütiger Mann, der nun schon die
Achtzig hinter sich hatte. Mandela hielt
die Hand der Sängerin Mandisa Dlanga,
die Cleggs Stimme mit ihrem wie aus
weiter Ferne jubelnden Diskant umrank-
te. Dann wandte sich Clegg ihr zu und
erblickte Mandela.
Er hat das später pure Magie genannt,
den dichtesten Moment seines Lebens.
Auf der Bühne fragte er Nelson Mande-
la, ob er etwas sagen wolle. Mandela
sann kurz nach und antwortete dann be-
dächtig: „Well, it is music and dancing
that makes me at peace with the world.“
Musik und Tanz bringen mich in Frie-
den mit der Welt. Da brandete Jubel auf,
vielen im Saal kamen die Tränen. Als
Mandela wieder zu Wort kam, setzte er
hinzu: „And at peace with myself.“ Und
in Frieden mit mir selbst. Dann sagte er:
„Aber ich sehe euch gar nicht tanzen!
Lasst es uns noch mal versuchen.“ Und
er bat Clegg, weiterzuspielen. Clegg
spielte, und Mandela tanzte.

DIE MACHT DER MUSIK


Qualität ist zeitlos.


Jetzt die F.A.Z. 4 Wochen zum Jubiläumspreis von 19,90 € lesen.


+


Jubiläums-Geschenk


Limitierter F.A.Z. Parker-Füller für Sie GRATIS


Der schicke Klassiker der Marke Parker in modernem Design und weltweit
bekannter Qualität ist ein toller Begleiter für Ihren Alltag.

70 %


sparen

Bis
zu

Apple, the Apple Logo, iPad are Trademarks of the Apple Inc. reg. in U.S. and other countries. App Store is a Service mark of Apple Inc.
Jetzt bestellen: e (069) 75 91-33 59 z faz.net/70-jahre

PR19033 F4W


A


merikas Koordinatenverschiebung
verläuft nach einem bekannten
Muster. Die Folie für den Tabu-
bruch, den Donald Trumps Go-home-
Parole darstellt, heißt Charlottesville.
Es ist der Ort des Zusammenstoßes von
Neonazis mit Gegendemonstranten im
Sommer 2017, über den der amerikani-
sche Präsident sagte, es habe gute Leu-
te auf beiden Seiten gegeben. Nach ei-
nem Proteststurm (auch aus der eige-
nen Familie) korrigierte Trump seine
Tonlage zunächst und sagte, er habe ja
nicht die rechtsradikalen Gewalttäter,
sondern nur die Verteidiger des Erbes
der Südstaaten gemeint. Kurze Zeit spä-
ter beharrte er darauf, nichts falsch ge-
macht zu haben.
Den Schickt-sie-zurück-Schlachtruf,
zu dem Trump seine Anhänger mit sei-
ner Hetze über Ilhan Omar, die amerika-
nische Abgeordnete mit somalischen
Wurzeln, auf der Kundgebung in North
Carolina geradezu angestachelt hatte,
will er nun auch bedauern: Er sei „un-
glücklich“ darüber. Tatsächlich hat ihn,
wie nach Charlottesville, Tochter Ivanka

gedrängt, sich zu distanzieren. Aber wie
distanziert man sich von sich selbst?
Trump schlüpft nicht in die Rolle des
Demagogen. Er ist ein Demagoge.
Dass die Republikaner sich so schwer
damit tun, Trump zurechtzuweisen, ist
beschämend. Sie lassen es zu, dass wie
zu Zeiten McCarthys Bürger wieder we-
gen vermeintlich unamerikanischen Ver-
haltens an den Pranger gestellt werden.
Diesmal wird Vertretern ethnischer
Minderheiten zu verstehen gegeben, sie
seien keine echten Amerikaner – alle
vier von Trump ins Visier genommenen
Abgeordneten sind dunkelhäutig.
Auch machtpolitisch ergibt es keinen
Sinn, anderthalb Jahre vor der Wahl
die eigene weiße Basis aufzupeitschen.
Die allein kann ihm seine Wiederwahl
nicht sichern. Und moderate Republika-
ner und Unabhängige treibt Trump ins
andere Lager. Dabei wollte er doch ei-
gentlich den Richtungsstreit bei den
Demokraten anheizen. Zynisch betrach-
tet, hätte der Präsident deren Parteifüh-
rung keinen größeren Gefallen tun kön-
nen. Nancy Pelosi war es ein halbes

Jahr lang gelungen, die jungen Wilden
um Alexandria Ocasio-Cortez einiger-
maßen im Zaum zu halten. Die Migrati-
onskrise ließ den internen Streit zuletzt
aber offen ausbrechen. Man konnte den
Eindruck gewinnen, Teile des linken
Flügels glaubten nicht mehr daran,
Trump im Herbst nächsten Jahres schla-
gen zu können. Wichtiger schien es ih-
nen folglich, an ihrer eigenen Macht-
übernahme in der Demokratischen Par-
tei zu arbeiten.
Trumps Hetze hat diesen Konflikt
in den Hintergrund gerückt. Gelöst ist
er freilich nicht. Der Flügelstreit bei
den Demokraten kann jederzeit wieder
ausbrechen. Und das Feld der potentiel-
len Trump-Herausforderer wird unter
Druck gesetzt, um des vermeintlichen
Parteifriedens willen, immer weiter
nach links zu rücken. Im Falle Joe Bi-
dens hieße das, sich einen Klotz ans
Bein zu binden. Bestimmen die Linken
die Tonlage, mit denen die Demokra-
ten in den Wahlkampf ziehen, wird die
schrumpfende Mitte Amerikas poli-
tisch heimatlos.

D


eutschland wird voller. Im ver-
gangenen Jahr sind etwa
400 000 Menschen mehr hier-
hergekommen, als von hier fortzogen.
Die meisten Zuzügler, fast 290 000, ka-
men aus Mitgliedsländern der Europäi-
schen Union oder anderen Staaten des
Kontinents. Führend in der Statistik ist
Südosteuropa. Die rumänische Diaspo-
ra in Deutschland vergrößerte sich um
68 000 Menschen. Auch Kroaten
(29 000) und Bulgaren (27 000) zieht es
nach Deutschland. Im Schnitt kehrten
täglich 74 Bulgaren, 79 Kroaten und 185
Rumänen ihrer Heimat den Rücken.
Tag für Tag geht ein kleines Dorf.
Rumänien, Kroatien und Bulgarien
sind Mitgliedsländer der EU. Albanien,
Bosnien, Mazedonien, Montenegro, Ser-
bien und das Kosovo sind es nicht, doch
auch von dort kommen viele nach
Deutschland. Im vergangenen Jahr gab
es aus diesen Ländern insgesamt fast
50 000 mehr Zuzüge als Fortzüge.
Der zentrale Anreiz für den Zustrom
aus Südosteuropa ist Arbeit. Rumänen,

Kroaten und Bulgaren können relativ
leicht kommen, denn in der EU gilt Nie-
derlassungsfreiheit. Die Zuwanderung
aus den übrigen Staaten der Region
funktioniert anders. Von dort kommen
manche auf eigene Faust oder über infor-
melle Netzwerke nach Deutschland. An-
dere werden systematisch angeworben.
Schon seit sechs Jahren gibt es zum Bei-
spiel „Triple Win“, ein gemeinsames
Programm der Bundesagentur für Ar-
beit und der Deutschen Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit, kurz
GIZ genannt. „Triple Win“, also dreifa-
cher Sieg oder Gewinn, heißt das Pro-
gramm auch deshalb, weil es angeblich
allen Beteiligten Nutzen bringt. Die
GIZ wirbt für ihr Vorhaben, deutschen
Arbeitgebern qualifiziertes Pflegeperso-
nal vor allem aus Serbien, Bosnien, Tu-
nesien und von den Philippinen zu ver-
mitteln: „Während in Deutschland Pfle-
gepersonal fehlt, finden qualifizierte
Fachkräfte im Ausland oft keine Arbeit.
Dabei können Unternehmen in
Deutschland, die Pflegekräfte selbst
und ihre Herkunftsländer von einer Ko-

operation gleichermaßen profitieren.“
Klingt einleuchtend. Die Fachkräfte fin-
den einen Job in Deutschland und sen-
ken zugleich die Arbeitslosenrate ihrer
Herkunftsländer, die zudem durch Rück-
überweisungen der Migranten in die
Heimat profitieren.
Doch so eindeutig ist es nicht. Die
GIZ versichert, sie kooperiere nur mit
Ländern, in denen ein „Überschuss“ an
gut ausgebildeten Pflegekräften herr-
sche. Doch in Südosteuropa ist das
längst nicht mehr überall der Fall, im
Gegenteil. Vielerorts mangelt es an Ärz-
ten und Pflegepersonal. Die Lage wird
von Jahr zu Jahr schwieriger. Das liegt
auch daran, dass die Geburtenrate in
diesen Ländern mit wenigen Ausnah-
men nicht höher oder sogar noch nied-
riger ist als in Deutschland. Zugleich
wandern junge Menschen in Scharen
nach Nordwesteuropa ab, während die
Löhne auf dem Balkan meist nicht
hoch genug sind, um Arbeitsmigranten
aus Drittstaaten anzulocken. In Südost-
europa tickt eine demographische Zeit-
bombe.

Zum Tode von


Johnny Clegg.


Von Volker Zastrow


Trumps Hetze


Von Majid Sattar


Südosteuropa blutet aus


Von Michael Martens

Free download pdf