Die Zeit - 25.07.2019

(WallPaper) #1

  1. Juli 2019 DIE ZEIT No 31


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D


as Buch versprach ein großer
Erfolg für den Verlag Simon
& Schuster zu werden. Sein
Autor war höchst umstritten,
Twitter hatte ihn für rassisti-
sche Äußerungen von seiner
Plattform verbannt, seine
Online-Fangemeinde war dadurch nur gewachsen.
Jeden Tag sprach er vor einem anderen begeisterten
Publikum junger Rechter irgendwo in Amerika.
Dangerous sollte das Buch von Milo Yiannopoulos
heißen, dem rechten schwulen Provokateur,
255.000 Dollar waren dafür als Honorar verein-
bart, im Juli 2017 sollte es erscheinen.
Dann wurde zwei Monate nach unterzeich-
nung des Buchvertrages der Videomitschnitt
eines alten Podcasts bekannt, auf dem Yianno-
poulos dem Anschein nach Pädophilie vertei-
digt. Die rechte und linke Öffentlichkeit war
geschockt, Yiannopoulos’ Arbeitgeber, die rech-
te Nachrichtenseite Breitbart, distanzierte sich
von ihm, eine der größten konservativen Kon-
ferenzen lud ihn als Hauptredner aus. Darauf
stoppte auch Threshold Editions, der konserva-
tive Verlagsableger von Simon & Schuster, bei
dem das Buch erscheinen sollte, das Projekt.
Yiannopoulos verklagte den Verlag wegen Ver-
tragsbruch auf zehn Millionen Dollar.
Die Klage zog er später zwar zurück, den-
noch wappnet sich Simon & Schuster seither,
wie alle großen Verlage in New York, mit einer
sogenannten Moralklausel in den Verträgen. in
dem Standardvertrag von Simon & Schuster
heißt es nun, dass der Verlag die Möglichkeit
habe, einen Vertrag zu beenden, wenn das Ver-
halten des Autors »den Autor oder den Verleger
in der Öffentlichkeit der lächerlichkeit, Ver-
achtung, dem Hohn, Hass oder der Zensur aus-
setzt oder den Verkauf des Werkes materiell ver-
mindert«. Teure Klagen oder Strafzahlungen
wegen Vertragsbruch musste der Verlag nun
nicht mehr fürchten. Der Verlag Penguin Ran-
dom House hatte 2016 eine ähnliche Klausel
eingeführt, HarperCollins sogar schon 2010.
Ein großer Teil der linken Öffentlichkeit in den
uSA begrüßt diese Klauseln, denn er sieht darin
eine Art Mitbestimmungsrecht über die Frage, wer
als Autor Erfolg verdient hat und wer nicht. Die
#MeToo-Bewegung im Speziellen hofft, dass die
Klausel ein Vehikel sein könnte, um auch in der
literaturwelt eine höhere Sensibilität für sexuelles
Fehlverhalten zu erzeugen. Der TV-Kommentator
und Bestsellerautor Mark Halperin verlor in der
Hochphase der #MeToo-Enthüllungen seinen
Buchvertrag bei Penguin Random House, nach-
dem ihm ehemalige junge Kolleginnen massive

sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten. Halperin
entschuldigte sich und versprach Besserung. Nach
einem Online-Post der Jugendbuchautorin Anne
ursu, die Kolleginnen gebeten hatte, Personen in
ihrer Branche zu nennen, die sich sexuellen Fehl-
verhaltens schuldig gemacht haben, verloren einige
namhafte Autoren der Branche ihre Verträge.
Der Fall des Pulitzerpreisträgers
Junot Díaz, dem im letzten Jahr
von drei Frauen sexuelles Fehl-
verhalten vorgeworfen wurde, macht
jedoch ein Grundproblem dieser
Dynamik deutlich. Nach den Vor-
würfen gegen Díaz reagierte die
Branche gewohnt schnell. Penguin
Random House beendete die Ver-
marktung seines gerade erschiene-
nen Kinderbuchs. Buchhandlun-
gen bestellten seine Bücher nicht
nach, er trat vom Vorsitz des Pulit-
zerpreis-Komitees zurück. Dann
wurde plötzlich eine Gegenöffent-
lichkeit aus mehreren universitäts-
professoren laut, die den in der
Dominikanischen Republik ge-
borenen Díaz verteidigten. und es
tauchte ein Audiomitschnitt der
Diskussion auf, in der Díaz eine der
Frauen aggressiv sexistisch angegan-
gen haben soll. Auf dem Mitschnitt
des Autoren-Workshops, den Díaz
geleitet hatte, ist zu hören, dass
Díaz und die Frau unterschiedliche
Meinungen vertreten, aggressiv
klingt der Autor nicht. Was war
wirklich dran an den Vorwürfen?
»Für uns ist es nicht wichtig, ob
ein Vorwurf stimmt oder nicht«,
sagt ein Vertreter des Verlags Pen-
guin Random House der ZEIT.
»Wir sind keine Moralpolizei. uns
interessiert allein die Wirkung der
Vorwürfe. Also, welche finanziellen
Auswirkungen haben sie für den
Verlag? Können wir den Autor noch vermarkten?«
Ende des Jahres wurde Díaz wieder in die Jury des
Pulitzerpreises aufgenommen, die Boston Review
Books und das Massachusetts institute of Technology,
wo er als Professor unterrichtet, setzten ihre Zusam-
menarbeit mit ihm ebenfalls fort. Worauf auch
Penguin Random House seinen Vertrag mit ihm
erneuerte. Hätte es diese institutionelle Rücken-
deckung für Díaz nicht in diesem Maße gegeben,
wäre die Sache anders ausgegangen.
Die Moralklauseln werden oft als Verhaltensregeln
kritisiert, mit denen Verlage ihre Autoren kontrollie-

ren und zensieren wollen. Eine Art Sittenkontrolle.
Doch das führt in die irre. Deutlich wird das an der
Tatsache, dass jedes große Verlagshaus einen Ableger
besitzt, mit dem es den lukrativen Markt der jungen
Rechten bedient. leser, die Fans von Autoren wie
Milo Yiannopoulos sind, deren Markenzeichen es ist,
gegen die geltenden Sitten und moralischen Normen
zu verstoßen. Simon & Schuster
hat Thresh old Editions, Penguin
Random House Crown Forum und
Sentinel. Auf literaturfestivals sieht
man diese Bücher nicht, dafür
findet man sie in den Regalen von
Walmart und Target im konser-
vativen Amerika. Das Skandalöse
an den Klauseln ist nicht morali-
scher, sondern ökonomischer Na-
tur. Denn die Klauseln sind eine
ziemlich krasse Art der Risikoabsi-
cherung. Mit ihr schützen sich die
Verlage gegen den scharfen Wind
der öffentlichen Meinung, der
durch einen von den sozialen Me-
dien befeuerten moralischen Popu-
lismus gekennzeichnet ist. Das
Risiko trägt der Autor ganz allein.
Von den Vorteilen hingegen
profitieren die Verlage nur allzu
gern. Der kostenlosen Publicity bei-
spielsweise, die sich ein Autor über
die sozialen Medien erarbeitet hat.
Autoren für Jugendbücher werden
gern auch mal auf YouTube ent-
deckt, in der Hoffnung, dass man
ihr Publikum als leser gewinnen
kann. Die Moralklauseln sind daher
nichts anderes als eine neue Form
unternehmerischer Gier. Den Vor-
teil für mich, den Nachteil für dich.
Dies belegt zum Beispiel der Fall
Natasha Tynes. Die Veröffent-
lichung ihres ersten Buches, an dem
sie vier Jahre lang gearbeitet hatte,
stand kurz bevor, als sie an einem
Morgen im Mai das Foto einer uniformierten,
schwarzen u-Bahn-Angestellten twitterte, einer Frau,
die ein Sandwich in der Washingtoner u-Bahn aß.
Das verstößt gegen die Beförderungsregeln, und
Tynes, eine aus Jordanien stammende Amerikanerin,
machte das in dem Tweet mehr als deutlich. Darauf
brach ein Twitter-Sturm über sie herein, Tynes wur-
de als Rassistin beschimpft. ihr Verleger kündigte ihr
daraufhin die Zusammenarbeit auf und stoppte die
Auslieferung ihres Buches.
Die sozialen Medien machen es sehr einfach,
sich zu empören. Man sieht etwas, regt sich auf,

tippt einen Tweet, schickt ihn ab. und Tynes’
empörter Tweet war alles andere als sympa-
thisch. Genauso unverhältnismäßig war jedoch
die Reaktion in den sozialen Medien darauf.
Aus einem dummen Tweet wurde plötzlich eine
Quasi-Straftat. Eine lobby, wie sie der Schrift-
steller Junot Díaz hatte, besaß Natasha Tynes
nicht. ihr kleiner Verlag hat die Schwerpunkt-
themen Gender, Drogen, Musik und Sexarbeit.
Er bedient also genau das Publikum, das Tynes
gegen sich aufgebracht hatte. Tynes als Autorin
zu behalten wäre für den Verlag ökonomisch
riskant gewesen.
Denn längst geht es nicht mehr um den
Misserfolg eines einzelnen Buches. Zum einen
könnte das ein Verlag verkraften, zum anderen
bleiben die Fans ihren Autoren meistens treu.
Yiannopoulos’ Buch schaffte es auch im Selbst-
verlag auf Platz eins der Bestsellerliste der New
York Times. Doch zunehmend werden Verlagen
regelrechte Boykotte angedroht, sollten sie sich
nicht von einem öffentlich in ungnade gefalle-
nen Autor trennen. So war es auch im Fall von
Yiannopoulos. Die Feministin und Bestseller-
autorin Roxane Gay kündigte ihren Buchvertrag
mit Simon & Schuster, nachdem dieser Yianno-
poulos unter Vertrag genommen hatte. ihr Buch
wird jetzt bei Harper erscheinen. Eine weitere
Autorin drohte ebenfalls damit, zu einem ande-
ren Verlag zu wechseln, sollte der Yiannopoulos-
Vertrag nicht gelöst werden, die Chicago Review
of Books verkündete auf ihrer Titelseite, kein
einziges Buch von Simon & Schuster mehr zu
besprechen. (Wobei darunter die Autoren er-
heblich mehr leiden als der Verlag.) 160 Men-
schen aus der Buchbranche schrieben an Caro-
lyn Reidy, die Chefin von Simon & Schuster,
und forderten sie auf, den Buchvertrag zu kün-
digen. Hollywood zeigte sich angeekelt. Dem
Verlag drohte ein kostspieliger imageschaden.
Die Geschichte der Klauseln beginnt in Holly-
wood, und man kann sie als die Geschichte einer
zunehmenden Ausweitung der Kampfzone begrei-
fen. 1920 war der Stummfilmstar Roscoe »Fatty«
Arbuckle nach einer Party der Vergewaltigung
einer jungen Schauspielerin beschuldigt worden,
die kurz darauf starb. Zeichen eines Missbrauchs
wurden nicht gefunden, und Arbuckle wurde frei-
gesprochen. Doch für die Medien blieb er nach
dem aufsehenerregenden Prozess schuldig. Ein
Jahr lang durften seine Filme nicht gezeigt wer-
den, das Studio machte hohe Verluste. Es war der
Moment, in dem die Hollywoodstudios in alle
existierenden und zukünftigen Verträge eine

FEUILLETON


Die Verschwörer


und die Moral


War das Stauffenberg-Attentat
bloß ein »Militärputsch«, wie jetzt
in der »FAZ« behauptet wurde?

Der Jahrestag des 20. Juli 1944 bietet regel-
mäßig Anlass zu lebhaften Debatten. Dieses
Jahr äußerte Thomas Karlauf bei einer Ge-
denkveranstaltung in der Frankfurter Pauls-
kirche seine Sicht auf die Verschwörung in
einer Rede, die am selben Tag auch in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien.
Karlauf, Verfasser einer neuen Stauffenberg-
Biografie, mahnte an, der 20. Juli sei nur ein
eng begrenzter Militärputsch gewesen, den
man demzufolge nicht als »Aufstand des Ge-
wissens« bezeichnen und feiern dürfe. Die Ver-
schwörer seien zwar tatsächlich über Hitlers
Verbrechen im Osten entsetzt gewesen, doch
nicht die moralische Abscheu habe sie zum
Handeln veranlasst. Sie hätten versucht, Hitler
im Juli 1944 zu töten, weil sie Deutschland vor
der totalen Zerstörung bewahren wollten. Des-
halb seien ihre Motive politischer und nicht
moralischer Natur gewesen.
ich bin mir nicht sicher, auf welche Ar-
chivquellen sich Karlauf stützt, doch ist seine
Ar gu men ta tion mit den historischen Zeug-
nissen nicht in Einklang zu bringen. Erstens
war der Staatsstreich nicht das Ziel, sondern
lediglich ein militärisches Mittel, um weitrei-
chendere politische Absichten zu verfolgen.
Selbst ein kurzer Blick auf die »Regierungs-
erklärung« der Verschwörer und ihre Verhör-
protokolle genügt, um zu sehen, dass ihr
Programm die Errichtung einer neuen politi-
schen Ordnung auf der Basis von Rechts-
staatlichkeit und Grundrechten umfasste.
Darüber hinaus zeigt
eine neue Studie von
linda von Keyser-
lingk-Rehbein, wie
groß und verschachtelt
die Netzwerke der Ver-
schwörer waren, weit
über die Grenzen des
Komplotts hinaus. in
ihrem Mittelpunkt
stand Stauffenberg,
der auch mit dem
sozial demo kra ti schen
Widerstand enge Verbindungen pflegte.
Zudem »entsetzten« die nationalsozialisti-
schen Gräueltaten die Verschwörer nicht nur:
Sie veranlassten sie zum Handeln, neben ihren
weitreichenderen politischen Zielen. Dafür
finden sich zahlreiche Belege in Tagebüchern,
Briefen, Erinnerungen, Gestapo-Verhörproto-
kollen und anderen Dokumenten aus dem
Krieg. im Sommer 1942 nannte Stauffenberg
die »Behandlung der Juden« als einen Grund,
sich dem Krieg und dem Re gime zu widerset-
zen. in Erklärungen, die Stauffenberg 1944 mit
verfasste, geißelten die Verschwörer die NS-
Massenmorde und befahlen den Bezirkskom-
mandanten, die Kon zen tra tions lager zu be-
freien. Einige von ihnen, so etwa Hans von
Dohnanyi, Hans Oster und Wilhelm Canaris,
riskierten in wagemutigen Versuchen, Juden
zu retten, sogar ihr leben.
Am wichtigsten aber: Viele Verschwörer
waren lange vor 1944 schon im Bilde. Selbst
als ihnen klar wurde, dass die Alliierten
Deutschland nach einem Staatsstreich keine
Konzessionen machen würden, beschlossen sie
dennoch, mit der Ausführung ihres Vorhabens
zu beginnen. Von Generalmajor Henning von
Tresckow, Stauffenbergs engem Verbündeten,
stammen die bekannten Worte: »Das Attentat
muß erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht
gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt
werden. Denn es kommt nicht mehr auf den
praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die
deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt
und vor der Geschichte unter Einsatz des le-
bens den entscheidenden Wurf gewagt hat.
Alles andere ist daneben gleichgültig.« Der An-
führer der Bewegung, Generaloberst ludwig
Beck, und sein engster Mitstreiter, Carl Fried-
rich Goer de ler, argumentierten ähnlich. Goer-
de ler schrieb, dass die Ermordung von Polen,
Russen und Juden sowie die verbrecherische
Natur des Krieges das Komplott zur Ermor-
dung Hitlers rechtfertigten.
letztlich geht es völlig an der Sache vorbei,
wenn Karlauf einen anachronistischen Gegen-
satz zwischen moralischen und patriotischen
Motiven konstruiert. Das moralische Bewusst-
sein der führenden Verschwörer bewegte sich
in einem patriotischen Rahmen, und ihr Pa-
triotismus schloss eine starke ethische Kom-
ponente ein. Das ist der Schlüssel, um die
Mentalität vieler deutscher Widerstandskämp-
fer aus der Bewegung des 20. Juli und darüber
hinaus zu verstehen. DANNY ORBACH

Danny Orbach ist Militärhistoriker an der
Hebräischen universität von Jerusalem.
Zuletzt erschien von ihm das englischsprachige
Buch »The Plots Against Hitler«

Aus dem Englischen von Michael Adrian

Vo n w e g e n


Tugendterror!


Damit ihre Verlage sicher sind vor Shitstorms, müssen amerikanische Autoren in ihren Verträgen Wohlverhalten garantieren und


strikte Moralklauseln unterschreiben. Mit Moral haben die indes wenig zu tun VON KERSTIN KOHLENBERG


Wie Evangelikale die


unfrommste Gegend


der uSA missionieren:


Das Silicon Valley


Seite 44

Der Attentäter
Claus Schenk Graf
von Stauffenberg

Milo


Yiannopoulos


Er gehört zu den
Provokateuren, die gegen
die politische
Korrektheit stänkern.
Er ist schwul. und er
schrieb für das
rechts populistische
Portal »Breitbart«. Als
herauskam, dass er
Pädophilie verharmlost
haben soll, ließ ihn sein
Verlag fallen. Mit der
Moralklausel stellen
Verlage sicher, dass ein
Autor seinen Vorschuss
zurückzahlt, falls er in
der Öffentlichkeit
Schiffbruch erleidet.

Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT; Fotos: Geoff Caddick/AFP/Getty Images; Universal History Archive/Getty Images (r.) Fortsetzung auf S. 34

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