Die Zeit - 25.07.2019

(WallPaper) #1

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ZEIT GESCHICHTE beschreibt den Aufstieg des deutschen


Kolonialimperiums, das um 1900 das drittgrößte der Welt war,


und seine Folgen. Denn das Erbe des Kolonialismus lastet noch


immer auf den ehemaligen Kolonien – und es beschäftigt uns


bis heute.


DER KOLONIALISMUS UND SEINE NACHWIRKUNGEN


DIE DEUTSCHEN


KOLONIEN


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48 25. Juli 2019 DIE ZEIT No 31
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In einer sonnendurchfluteten Wohnung
im Frankfurter Nordend wohnen
Benedikt und Dorothee. Er ist 65,
sie 45. Sie ist im Vorstand eines
mittelständischen IT-Unternehmens,
er freiberuflicher Ausstellungskurator.
Nach einer vier Jahre dauernden
Affäre sind die beiden seit sieben
Jahren offiziell ein Paar, wohnen
zusammen und haben eine fast
siebenjährige Tochter.


Wer hat zuletzt das Pausenbrot
Ihrer Tochter geschmiert?
Sie: ich kann mich nicht erinnern, wann
ich zuletzt ein Pausenbrot geschmiert
habe. Würde ich auch nie tun, sondern
eins beim Bäcker kaufen. ich koche auch
nie, höchstens Fischstäbchen.
Er: Heute Morgen wollte ich Joghurt
mit Himbeeren machen. Die waren
schimmlig, also hat Dorothee Erdbee-
ren geschnitten. Diesen Pausensnack
haben wir also zufällig gemeinsam zu-
bereitet. Sonst mache ich es. Dorothee
hasst Brotschneiden.


Wer kauft öfter ein?
Sie: Er. ich kaufe nur, wozu ich lust
habe. Das regt ihn auf, es soll nur ge-
kauft werden, was gegessen wird.
Er: ich.


Wie viel Prozent der Aufgaben im
Haushalt übernehmen Sie, wie viel
Ihr Partner?
Sie: ich würde halbe-halbe sagen. Ein-
kaufen und Kochen ist sein Job. Alles
andere macht die Putzfrau. Meine Auf-
gabe ist die Wäsche. und wenn ich am
Wochenende nach Hause komme, räu-
me ich erst mal drei Stunden auf.
Er: Fifty-fifty. Dorothee räumt mehr
auf. Das ist geradezu ihr Hobby.


Wie kam es zu dieser Aufgabenver-
teilung?
Sie: ich bin mehr als die Hälfte des
Monats beruflich unterwegs, habe auch
noch eine zweite Wohnung, in Kiel. Es
schmerzt meine Tochter, wenn ich weg
bin, aber für mich ist es auch gut, dass
ich zwei getrennte leben habe: Arbeits-
leben und hier.
Er: Nachdem ich unsere Tochter in die
Schule gebracht habe, gehe ich ins
Café, trinke einen Cappuccino und lese
Zeitung. Erst dann arbeite ich, von 10
bis 16 uhr, also quasi halbtags, und
hole danach unsere Tochter ab.


Wollten Sie Ihre Rollenverteilung
jemals ändern?
Sie: ich glaube nicht. ich bin gern
Workaholic, Benedikt nicht. Er kann
sich gut beschäftigen. Wenn er einen
alten Mercedes auf der Straße sieht,
recherchiert er, wie viele es davon noch
gibt. Warum die Spendenaktion der
Schule für den Tschad ist und nicht für
ein anderes land. in Sachen Aufgaben-
teilung, Geld, Eman zi pa tion haben wir
fast keine Konflikte – wenn ich Bene-
dikt nicht hätte, könnte ich diesen Job


nicht machen. Dazu kommt, dass mein
Ex-Freund mein bester Freund ist und
der Patenonkel unserer Tochter. Er
fährt mit uns in den urlaub. Benedikt
fährt auch mit seiner ersten Frau in den
urlaub. in der Theorie passen wir wun-
derbar zusammen, es ist alles super.
Aber im Alltag schreien wir uns an.
Er: Dorothee meinte mal, ich solle auf-
hören zu arbeiten. Dabei würde ich
sogar arbeiten, wenn ich kein Geld
dafür bekäme.

Wie haben Sie sich ineinander
verliebt?
Sie: An der Roastbeef-Station eines
Happenings. Über längere Zeit hatten
wir eine Affäre. Diese Zeit war für uns
so dramatisch, so intensiv. Vielleicht
fehlt uns heute die intensität, und wir
schreien uns deswegen an.
Er: Wir haben uns bei einem Mit-
machtheater kennengelernt. Wir sind
mit unseren damaligen Partnern hin
und haben an der Roastbeef-Station
ein Gespräch angefangen. ich war
noch nie so verliebt.

In welchem Moment wurde aus
Ihrer Affäre eine Beziehung?
Sie: ich wollte ein Kind von ihm. Aber
ich habe immer klargemacht, ich
würde es auch allein bekommen.
irgend wann hat er es seiner Frau gesagt
und ist bei mir eingezogen. Als
Schwangere ist man zwar superdick,
aber fühlt sich supergut. ich war sehr
glücklich in der Zeit.
Er: Einmal haben wir heimlich gemein-
sam Ferien gemacht. ich habe erkannt,
dass es so nicht weitergehen kann. ich
sagte: Wir sollten ein richtiges Paar wer-
den und ein Kind haben.

Was ist die größte Herausforderung
in Ihrem Alltag?
Sie: Zeit zusammen haben zu wollen.
ich bin oft kaputt. ich möchte eigent-
lich immer nur essen und schlafen. in
den ersten Jahren war es umgekehrt:
leidenschaft, Sex, große liebe – also,
vermeintlich große liebe. Was man
halt hat, wenn man verliebt ist. Heute
habe ich einen Fulltime-Job mit Kind.
ich habe oft keinen Nerv, würde am
liebsten allein sein. Nicht weil ich die
beiden nicht lieb habe, aber es wird mir
alles zu viel. ich bin kein einfacher
Mensch. Wir sind beide impulsiv.
Er: Nicht zu streiten.

Worüber streiten Sie?
Sie: Über den umgang miteinander.
Seit dieser Beziehung mit Benedikt
glaube ich nicht mehr, dass es die große
liebe gibt. Man ist einfach eine Zeit
lang hormonell gesteuert, der andere ist
nur Projektionsfläche. Wir sind wahn-
sinnig enttäuscht darüber. Vor zwei
Jahren hatten wir eine Krise. ich wollte
endlich wieder verliebt sein. um aus
dem, was wir haben, eine andere liebe
werden zu lassen, müssten wir wert-
schätzend, dankbar, empathisch mit-

ein ander umgehen. Stattdessen sind wir
egoistische Großstädter, die genervt
und doof zu ein an der sind.
Er: unsere Persönlichkeiten sind
inkompatibel. Vor zwei Jahren haben
wir so viel gestritten, dass Dorothee
sich trennen wollte. ich habe sie über-
zeugt, das nicht zu tun: »Das wird für
unsere Tochter auch nicht besser.«

Welcher Satz Ihres Partners treibt
Sie zur Weißglut?
Sie: »Mach dich mal locker.« ich bin
nicht locker.
Er: »XY ist nicht gemacht.« Der Müll
nicht runtergetragen, die Wäsche nicht
abgehängt. Der Subtext ist: Warum
hast du’s nicht gemacht?

Beenden Sie den Satz: Der Alters-
unterschied zwischen uns ...
Sie: ... macht mir nichts aus, obwohl
es das sollte. Statistisch stirbt er vor
mir, ich schiebe ihn im Rollstuhl
durch die Gegend, ihm läuft der Sab-
ber aus dem Mund. Aber ich habe ihn
mir ausgesucht.
Er: ... spielt aus meiner Sicht praktisch
keine Rolle. Frauen in meinem Alter
finden das beknackt, das merkt man
daran, wie sie auf Dorothee schauen. Es
ist der Klassiker: Alter Mann verlässt
seine Familie für eine junge Frau.

Warum sind Sie nicht miteinander
verheiratet?
Sie: ich bin bereits geschieden, ich
möchte nicht noch einmal heiraten.
und ich glaube, Benedikts Frau findet
mich eh schon schrecklich. Das ist
okay. Sie hat unsere Tochter akzeptiert.
Wenn ich sterben würde, würde Bene-
dikt wahrscheinlich wieder zu ihr zie-
hen, mit unserer Tochter. Das wäre gut
für sie: schönes Haus, liebe Menschen.
Eigentlich passt seine Frau besser zu
ihm als ich. ich habe oft ein schlechtes
Gewissen, dass heute alles nicht so toll
zwischen uns ist und er dafür alles auf-
gegeben hat.
Er: ich bin verheiratet, mit der Frau
meiner großen Kinder. Meine Frau und
ich haben ein freundschaftliches Ver-
hältnis, das möchte ich nicht zerstören.
ich vermute, die beiden Frauen werden
sich erst an meinem Grab kennenler-
nen. Finanziell habe ich alles geregelt,
mein Testament ist geschrieben, alles
sauber getrennt zwischen Familie eins
und Familie zwei.

Wie nutzen Sie Zeit zu zweit?
Sie: Wenn wir Zeit zusammen haben,
merke ich immer: ich finde ihn echt
noch cool. Wir fahren dann meist nach
Frankreich und gehen gut essen.
Er: Wir nutzen sie zum Einkaufen.
Dorothee sagte mal, sie habe einen an-
strengenden Job, ein kleines Kind –
für eine Beziehung habe sie eigentlich
gar keine Zeit. ich habe Verständnis
dafür. Aber ich würde mir wünschen,
dass sie es anders sieht. Mir fehlt die
Nähe zu ihr.

Gibt es Dinge, die Sie miteinander
nicht tun können?
Sie: im Alltag entspannt sein. Wir leben
in einem dauerhaften Krisenzustand.
Wir haben einen minimalen gemeinsa-
men Nenner: unser Kind. Das ist hart.
Er: Über Geld reden. Dorothee redet nicht
gern über Geld, es ist ihr unangenehm.

Gibt es etwas, das Sie ohne Ihren
Partner nicht tun könnten?
Sie: Mein leben wäre arm. Er hat ver-
rückte ideen: Wir haben mal zusam-
men in Verdun gepicknickt, morgens
um sechs bei Eiseskälte. Ohne ihn
wäre ich vielleicht mit einem
Consulting- Typen zusammen und
würde mich zu Tode langweilen. Wenn
ich zu Benedikt sagen würde, ich ziehe
wegen des Jobs nach Peine, würde er
sagen: »Okay, ziehen wir nach Peine.«
ich weiß nicht, ob ich das für ihn ma-
chen würde. Das ist komisch: Er
macht so viel für mich, aber im Alltag
ist er ein so nervtötender Typ.
Er: Vor Dorothee saß ich in einem Vor-
ort, schaute meinen Kindern beim
Spielen zu und sagte mir: ich bin jetzt
55, mein leben neigt sich dem Ende
zu. Dieses Gefühl habe ich nicht mehr.

Wer zahlt mehr im Alltag?
Sie: ich würde sagen, ich. ich zahle die
Miete, er die Einkäufe, sein Auto und
die Freizeitaktivitäten unserer Tochter.
Er: Dorothee, weitaus mehr. Sie ver-
dient doppelt so viel wie ich.

Haben Sie ein gemeinsames Konto?
Sie: Nein.
Er: Absurder Gedanke.

Wer trifft mehr finanzielle Ent-
scheidungen?
Sie: Die gibt es nicht. ich habe keine
Kohle, die man anlegen könnte, ich
lebe von der Hand in den Mund. ich
habe hohe Fixkosten im Monat, schon
allein für beide Wohnungen.
Er: Jeder trifft Entscheidungen für sich
und sein Geld.

Mit welchem Gefühl blicken Sie in
die Zukunft?
Sie: ich bin ein ängstlicher Mensch. ich
mache mir ständig Gedanken, dass wir
so viel streiten, dass unser Kind deswe-
gen unglücklich wird. Sollte man uns
beschreiben, müsste man sich uns im
Flugzeug vorstellen. ich: »Es wackelt,
wir stürzen ab.« und Benedikt: »Wa-
rum sollten gerade wir abstürzen?«
Er: ich bin grenzenloser Optimist. ich
wache morgens auf, schaue sie an und
weiß: Das ist die Frau, die ich liebe,
und von heute an könnte es ganz anders
werden. So wie früher.

Aufgezeichnet von Sarah Levy

unsere Gesprächspartner waren bereit,
offen und ehrlich über ihre Beziehung zu
sprechen – allerdings nur, wenn wir ihre
Nachnamen nicht nennen

GETRENNT BEFRAGT (7)

Wie gleichberechtigt ist ihre Beziehung?


Hier erzählen Paare, wie sie versuchen, das leben


gemeinsam auf die Reihe zu kriegen


Er sagt


Sie sagt


Foto: Evelyn Dragan für DIE ZEIT
Dorothee, 45, und Benedikt, 65, sind seit sieben Jahren ein Paar
und haben eine gemeinsame Tochter

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