Die Zeit - 25.07.2019

(WallPaper) #1

6


Harald Martenstein


Über die Berliner Spätis und die Freiheit


Illustration Martin Fengel
Zu hören unter http://www.zeit.de/audio

Harald Martenstein


ist Redakteur des »Tagesspiegels«


Eine Berliner Spezialität sind die vielen Spätis, offiziell heißen sie


»Spätverkaufsstellen«. Spätis haben gefühlt immer offen. Der Sonn-
tag, sagen Betreiber, sei der Tag mit dem größten Umsatz. Es sind


kleine Läden, die anbieten, was man mal eben so brauchen könnte,
von Kaffee und Bier über Mehl und Zucker bis zum Dosengemüse.


Auch eine Kaffeemaschine ist oft vorhanden. Betrieben werden Spä-
tis in der Regel von Familien mit Mi gra tions hin ter grund. Der Späti


erinnert mich an die Tante-Emma-Läden, die es gab, bevor Super-
marktketten den Markt in ihrem Sinne bereinigt haben. Auf den


Tante-Emma-Laden wurden herzzerreißende Nachrufe geschrieben,
auch von mir, obwohl ich dort selten eingekauft habe.


Um auf dem Markt zu überleben, musst du etwas Besonderes zu bie-
ten haben. Hier sind es die Öffnungszeiten und die Nähe. Der Späti


versorgt die Nachbarschaft, er ist eine Begegnungsstätte der sozialen
Schichten und der Nationalitäten. Die Rentnerin trinkt zum ersten


Mal ein Bier mit einem Mann aus Mali, und der zahnlose Parkbank-
bewohner gibt frühmorgens einer Start-up-Unternehmerin Feuer,


die auf dem Heimweg vom Club einen Cappuccino zu sich nimmt.
So lindert der Späti, auf bescheidene Art, diverse gesellschaftliche


Probleme, er hilft bei der In te gra tion von Einwanderern oder gegen
Vereinsamung. Die Betreiber arbeiten hart und bringen es nicht sel-


ten zu bescheidenem Wohlstand. Auf dem Arbeitsmarkt hätten viele
von ihnen geringe Chancen, weil sie nicht gut ausgebildet sind.


Der Sonntagsverkauf hat immer in einer rechtlichen Grauzone
stattgefunden. Am Sonntag ist nur der Verkauf von »Touristen-


bedarf« erlaubt. Das Wort »Touristenbedarf« kann man natürlich
eng oder weit auslegen. Das Berliner Verwaltungsgericht hat in ei-


nem Urteil dazu aufgerufen, das Wort in Zukunft eng auszulegen.


Seitdem wird härter kontrolliert. Ohne den Sonntag aber kommen
viele Spätis nicht über die Runden. Wenn sie nach und nach ver-
schwinden, kann man natürlich sonntags am Bahnhof oder an der
Tankstelle einkaufen, dazu werden viele ins Auto steigen. Ich werde
dann ganz und gar Konsument sein, das isolierte, ortlose, von allen
Bindungen befreite Individuum, auf das es im Kapitalismus laut
Karl Marx ja hinausläuft.
Im Grundgesetz ist der Sonntag geschützt, als »Tag der Arbeits-
ruhe und der seelischen Erhebung«. Dieser Schutz hat mit religiö-
sen Traditionen zu tun. Wie sonderbar es doch ist, was am Ende
vom christlichen Erbe übrig bleibt, der Kampf gegen die Spätis
etwa. Wieso der Einkauf an der Tanke seelisch erhebend ist und
der Cappuccino im Späti nicht, muss ich bei nächster Gelegenheit
den Bischof fragen.
Gegen die kleinen Spätis kämpft eine Einheitsfront aus Kirchen, Ge-
werkschaften und Konzernen. Der Sonntag ist auch bei Amazon ein
wichtiger Geschäftstag, was eingehende Bestellungen betrifft. Die
Linke, die in Berlin mitregiert, ist unter den Parteien der härteste
Gegner der Spätis. Sie ist gegen »Selbstausbeutung«. Die Leute sol-
len für Mindestlohn abhängig arbeiten, diese Ausbeutung ist okay.
Wenn sie arbeitslos werden, sollen sie Staat und Partei dankbar sein
für deren Unterstützung. Der hart arbeitende Einwanderer, der sein
eigener Chef sein will, scheint eine Art Feindbild zu sein. Wie son-
derbar es auch ist, dass die Partei der Arbeiterklasse den Arbeitenden
nur so lange mag, wie er ein Knecht bleibt. Am sonderbarsten aber
wirkt auf mich die Erkenntnis, dass von all den heiligen Werten die
Freiheit bei uns meistens nach hinten sortiert wird. Freiheit finde
ich als Althippie nämlich verdammt wichtig, ja, durchaus.
Free download pdf