Die Zeit - 25.07.2019

(WallPaper) #1
Meine nächtlichen Träume sind so intensiv und realistisch, dass ich mich nach dem Aufwachen oft in einer Art Schock





zustand befinde; egal ob es sich um angenehme oder un





angenehme Träume gehandelt hat. Als Kind in Russland habe ich häufig von einem besseren Leben geträumt, von einem großen Haus und Barbie-Puppen, aber auch davon, auf einer Bühne im Scheinwerferlicht zu stehen. Wenn ich dann aufgewacht bin, habe ich durch das Fenster auf die Müllkippe vor unserem Haus gesehen – ein niederschmet





ternder

Moment. Ich bin in einem winzigen Ort in Sibirien

aufgewachsen, hatte keine Vorstellung von Berlin, London oder New York, nicht mal von Moskau. Seit ich mich erinnern kann, taucht in meinen Träumen der Teufel auf. Ich höre seine furchterregende Stimme, die sagt: »Du kannst mir nicht entkommen.« Dann wache ich auf, mit rasendem Herzen, die Stimme noch im Ohr, und habe Angst, wieder einzuschlafen. Der Teufel ist wohl die Ver





körperung meiner Ängste. Ich bin ohne Vater aufgewachsen, mit meiner Mutter und meiner Oma, die beiden haben mich sehr geliebt. Später hatte ich einen tollen Stiefvater. Aber als kleines Mädchen zu erfahren, dass du dem Mann, für den du das Wichtigste auf der Welt sein solltest, scheißegal bist, hat eine tiefe Verunsicherung in mir ausgelöst. Ich hatte eine

schöne Kindheit, habe aber den Druck gespürt, besser zu sein, damit ich es wert war, geliebt zu werden. Das hat dazu geführt, dass ich Bestätigung lange in Beziehungen gesucht habe. Die Partner, die ich mir ausgesucht habe, waren aber meist wie mein Vater und haben mich abgewertet. Außer-dem hat die Verunsicherung dazu geführt, dass ich zu Be-ginn meiner

Model-Karriere regelrecht besessen davon war,

nicht dünn genug zu sein. Meine erste Bookerin hat mir das eingetrichtert, eine regelrechte Gehirnwäsche. Ich war ein leichtes Opfer. Glücklicherweise hat sich das geändert. Ich weiß, dass mich niemand anderes retten kann, und ich mag mich, wie ich bin; zumindest meistens. In den vergangenen Jahren haben sich viele meiner Träume er-füllt. Aber wenn ich zu sehr meinen Tagträumen nachhänge, geht es mir schlecht, weil ich immer auf den nächsten Schritt warte; darauf, dass alles immer besser wird. Der Moment, in dem man das, was man sich erträumt hat, erreicht, ist kurz und schnell vorüber, dann kommt der nächste Traum. Es ist wichtig für mich, zu lernen, auch den Weg dahin zu genießen.Heute träume ich davon, mir einen großen Namen zu ma-chen, auch als Schauspielerin. Wenn man Geld hat und einen Namen, hat man mehr Möglichkeiten, etwas zu verändern. Ich möchte zum Beispiel meinem kleinen Bruder ein besseres

Leben ermöglichen, als ich es hatte. Am liebsten würde ich vieles in meiner Heimat Russland ändern, die Intoleranz ge-genüber Randgruppen zum Beispiel ist dort sehr hoch, aber mein Eindruck ist, dass man in dem politischen System in meiner Heimat nur etwas erreichen kann, wenn man gut ver-netzt oder reich ist. Da sehe ich keine

Chance für mich.

»Ich weiß, dass mich niemand anderes retten kann, und ich mag mich, wie ich bin«


Lera Abova, 26, geboren und aufgewachsen in Slawgorod, Sibirien, zog im Alter von 13 Jahren mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach Deutschland. Sie wurde mit 17 als Model entdeckt, ihren Durch-bruch hatte sie als Muse des Fotografen Aufgezeichnet von Jörg BöckemZu hören unter http://www.zeit.de/audio

David Sims.

Sie lebt in Berlin und London und ist gerade in ihrer ersten Filmrolle in »Anna« von Luc Besson zu sehenFoto Linda Brownlee
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