Die Welt - 02.03.2020

(Brent) #1

W


er seine Schüler das
ABC gelehrt, hat ei-
ne größere Tat voll-
bracht als der Feld-
herr, der eine
Schlacht geschlagen hat“, meinte Gott-
fffried Wilhelm Leibniz. Allerdings hat erried Wilhelm Leibniz. Allerdings hat er
dabei übersehen, dass auch auf diesem
„Felde der Ehre“ allenthalben Opfer zu
beklagen sind. Nicht, weil sie als Anal-
phabeten das Lesen und Schreiben nicht
beherrschen. Sondern weil den Buchsta-
ben, die sie gelernt haben, eines Tages
ihre Existenzberechtigung abgespro-
chen wird.

VON PETER DITTMAR

Das erfährt gegenwärtig, wer in Ka-
sachstan lebt. Denn Nursultan Nasar-
barjew, jahrzehntelang selbstherrlicher
Präsident und noch immer der eigentli-
che Herrscher der Republik, hat ange-
ordnet, dass spätestens 2025 jeglicher
Schriftverkehr mit lateinischen Buch-
staben zu erfolgen habe. Bislang schrieb
man in Kasachstan kyrillisch. Allerdings
auch erst seit 1941. Denn Kasachstan ge-
hörte zu den mittelasiatischen Sowjet-
republiken, die in den vergangenen 100
Jahren mehrmals ihre Schrift wechseln
mussten. Ursprünglich wurde Kasa-
chisch arabisch geschrieben.
Doch nach dem Turkologischen Kon-
gress 1926 in Baku beschlossen die
Turkvölker, auf ihre traditionellen
Schriften – unter anderem Uigurisch,
Mongolisch, Arabisch – zu verzichten
und das lateinische Alphabet einzufüh-
ren. Dazu gehörten neben den Kasa-
chen die Kirgisen, Usbeken, Aserbai-
dschaner, Tadschiken, Turkmenen,
Burjaten, Kalmücken. Aber von Dauer
war das nicht. 1937 dekretierte Stalin, in
der gesamten Sowjetunion sei Kyril-

lisch die einzige Schrift. Lediglich Ge-
orgien und Armenien wurden ihre tra-
ditionellen Schreibweisen zugebilligt.
Und - nachdem sie im Zweiten Welt-
krieg aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes
annektiert worden waren – auch Est-
land, Lettland und Litauen.
Marxisten ist das Diktum Treitschkes
„Männer machen Geschichte“ zwar ein
Gräuel. Aber wenn es um Buchstaben –
und keineswegs etwa um die Auslegung
der „Buchstaben des Gesetzes“ – geht,
haben berühmte wie berüchtigte Män-
ner immer wieder das letzte Wort ge-
habt. Im Guten wie im Schlechten. Das
reicht von Qin Shihuangdi, dem ersten
Kaiser Chinas, Zar Peter und König Se-
jong von Korea, die beide „der Große“
genannt werden, über Kemal Atatürk,
Stalin, Hitler, Mao bis zu Nasarbajew
und Erdogan. Ihr Argument war stets,
man wähle die anderen, einfacheren
Buchstaben, um die Rate der Analphabe-
ten zu mindern. Aber hauptsächlich ging
es um Politik. Kaum anders als beim
„Neusprech“ in Orwells „1984“, um die
Trennung vom alten Glauben und um
die Umdeutung der Geschichte.
AAAls Kemal Atatürk 1928 mit einerls Kemal Atatürk 1928 mit einer
Übergangszeit von wenigen Monaten
die „Buchstabenrevolution“ anordnete,
den Wechsel von der arabischen zur la-
teinischen Schrift – „ich möchte, dass
ihr diese Schrift innerhalb von fünf bis
zehn Tagen lesen könnt“, verkündete er
üüüberraschend bei einem Festessen imberraschend bei einem Festessen im
Sultanspalast –, war mit dem Schlagwort
„Modernisierung“ zugleich die Säkulari-
sierung, die Trennung vom Islam, ge-
meint. Denn wer die arabische Schrift
nicht mehr lesen konnte, dem blieb der
Koran ein Buch mit sieben Siegeln. Zu-
gleich wurden die Buchstaben Q, X und
WWW, die allein das Kurdische benutzte,, die allein das Kurdische benutzte,
aus dem Alphabet verbannt. Das galt bis

zum September 2013. Da hob Erdogan,
dem der Sinn für Effekte nicht abzu-
sprechen ist, das Verbot dieser drei
Buchstaben auf. Das heißt jedoch nicht,
dass Kurdisch künftig an staatlichen
Schulen zugelassen, die nationalen Be-
sonderheiten der Kurden fortan respek-
tiert würden.
Mit der „Cyrillisation“ der Turkvöl-
ker, dem Zwang zur kyrillischen Schrift,
wollte Stalin die Grundlage für einen
„Sowjetpatriotismus“ schaffen, der –
trotz der Vorherrschaft der Russen und
des Russischen – alle seine Untertanen
verband. Denn er fürchtete, die lateini-
sche Schrift könnte den „Panturkismus“
fffördern, ein Moskaus Macht beeinträch-ördern, ein Moskaus Macht beeinträch-
tigendes Zusammengehörigkeitsgefühl
aller Turksprachigen in und außerhalb
der sowjetischen Grenzen. Der De-
monstration einer solchen Zusammen-
gehörigkeit sollte nach Gründung der
VVVolksrepublik China dienen, dass in derolksrepublik China dienen, dass in der
Inneren Mongolei, wo die lateinische
Schrift die alte mongolische abgelöst
hatte, fortan wie in der sowjetisch orien-
tierten Äußeren Mongolei kyrillisch ge-

atte, fortan wie in der sowjetisch orien-
ierten Äußeren Mongolei kyrillisch ge-

atte, fortan wie in der sowjetisch orien-

schrieben würde.
AAAls sich jedoch nach 1960 das sowje-ls sich jedoch nach 1960 das sowje-
tisch-chinesische Schisma nicht mehr
kaschieren ließ, war die Kyrillica plötz-
lich obsolet. Angeblich um die „Achtung
der nationalen Minderheit“ zu unter-
streichen, wurde nun eine modifizierte
mongolische Schrift verbindlich – neben
dem vorherrschenden Chinesisch. Das
war jedoch nur ein Ereignis am Rande.
Denn bereits 1956 und 1958 hatte Peking
einerseits die 2500 vereinfachten Kurz-
zeichen und für die Transkription in
westliche Sprachen das latinisierte Piny-
in eingeführt. Bis dahin musste, wer eine
Zeitung lesen wollte, etwa 4000, wer als
gebildet galt, etwa 8000 der traditionel-
len Ideogramme – von mehr als 50.000

Zeichen in dem 1716 gedruckten Kangxi-
WWWörterbuch – kennen.örterbuch – kennen.
Sie hatten sich in den 2000 Jahren
kaum verändert, seit unter Kaiser Qin
Shihuangdi (247–210 v. Chr.) die „kleine
Siegelschrift“ für „alles unter dem Him-
mel“, also das chinesische Reich, dekre-
tiert worden war. Damals galt und gilt
cum grano salis noch immer: „Die
Macht des chinesischen Kaisers reicht
so weit, so weit man die chinesische
Schrift lesen kann.“ Die vereinfachten
KKKurzzeichen erleichterten nun zwar dasurzzeichen erleichterten nun zwar das
Schreiben- und Lesenlernen. Aber sie
verhinderten zugleich die Lektüre der
alten chinesischen Literatur und vor al-
lem der konfuzianischen Klassiker. Des-
halb beharrt Taiwan auf der Schrifttradi-
tion als Demonstration, das eigentliche
China zu verkörpern. Und deshalb wird
auch in der Volksrepublik inzwischen
der Rigorismus Maos möglichst unauf-
fffällig revidiert.ällig revidiert.
Stalin erwies sich seinerzeit als Schü-
ler Peters des Großen. Der hatte mit
„„„Vedomosti“ 1702 die erste russischeVedomosti“ 1702 die erste russische
Zeitung gegründet, zuerst noch Kir-
chenslawisch gedruckt. Doch 1710 wurde
auf seine Veranlassung eine vereinfachte
Schrift, die Graschdanski-Schrift, einge-
ffführt und für alle weltlichen Drucke ver-ührt und für alle weltlichen Drucke ver-
bindlich – mit „Vedomosti“ als tonange-
bendem Organ. Diese „bürgerliche
Schrift“ war, weil sie auf die Verzierun-
gen, Akzente und geistlichen Sonderzei-
chen des Kirchenslawischen verzichtete,
leichter zu lesen und, ganz im Sinne des
Zaren, kirchenfern.
Peters Nachfolger erachteten aller-
dings Verbote als praktikableres Mittel,
um unliebsame politische Entwicklun-
gen zu unterdrücken. 1863 erließ der In-
nenminister einen Ukas, wonach – mit
AAAusnahme der „belles lettres“ – nichtsusnahme der „belles lettres“ – nichts
in Ukrainisch gedruckt werden durfte.

Und 13 Jahre später wurde dieses Verbot
auf jegliche Literatur, die Theater und
den Import von ukrainischen Büchern
aus den Habsburger Landen, vor allem
aus Galizien, ausgedehnt.
Zuvor bereits, 1865, war auch der
Druck von Büchern in lateinischer
Schrift in Litauen verboten worden. Da
Litauen katholisch war, wurde dieses
VVVerbot jedoch immer wieder von denerbot jedoch immer wieder von den
„knygnesiai“, den Bücherschmugglern,
umgangen, die Bücher und Zeitschriften
aus Ostpreußen mithilfe der Kirchenge-
meinden unters Volk brachten. Das galt
bis 1905. Inzwischen erinnert in Kaunas
ein Denkmal an den „unbekannten Bü-
cherschmuggler“. Wie das Alphabet
auch andernorts der Politik dienstbar
gemacht wurde, verrät einerseits Hitlers
Anweisung vom Januar 1941, Fraktur-
schriftendurch Antiqua zu ersetzen,
weil im Ausland die „deutschen Schrif-
ten“ unbekannt und damit für die Pro-
paganda unbrauchbar seien.
Andererseits diente 1443 die Erfin-
dung einer Schrift, des Hangul, durch
Gelehrte im Auftrag von König Sejong,
als demonstrativer Schritt, um die Un-
aaabhängigkeit Koreas von chinesischenbhängigkeit Koreas von chinesischen
Einflüssen zu unterstreichen. Mit dem
„Hunmin chongum“, der „Richtigen
Lautschrift zur Belehrung des Volkes“,
die leichter als die vielen Hundert chine-
sischen Schriftzeichen zu lernen war,
bereitete die Schriftreform den Weg für
eine eigenständige koreanische Litera-
tur. Als 1905 die Japaner nach dem Rus-
sisch-Japanischen Krieg Korea besetzten
und 1910 die Halbinsel als Kolonie an-
nektierten, wurde der Druck von Bü-
chern und Zeitungen in Hangul verbo-
ten und Japanisch zur Unterrichts- und
VVVerwaltungssprache erklärt. Das endeteerwaltungssprache erklärt. Das endete
erst mit Japans Kapitulation im Zweiten
WWWeltkrieg.eltkrieg.
Dass König Njoyas, der von 1889 bis
1 930 Bamum, den westlichen Distrikt
von Kamerun regierte, dieses Beispiel
kannte, ist zweifelhaft. Aber auch er
ffführte mit Shü-Mom eine Silbenschriftührte mit Shü-Mom eine Silbenschrift
ein, um Distanz zur Kolonialmacht zu
schaffen. Zuerst waren das die Deut-
schen, wobei ihn Missionare unterstütz-
ten. Nach dem Ersten Weltkrieg dann
die Franzosen, die jedoch nichts von
dieser Idee hielten, weil sie den Ver-
dacht hegten, mithilfe dieser Schrift
wwwürde die Kolonialherrschaft untermi-ürde die Kolonialherrschaft untermi-
niert. Also verbot man sie. Und so blieb
Shü-Mom, obwohl einzelne es noch
pflegen, ein Kuriosum.
Jugoslawien, das Königreich der Ser-
ben, Kroaten und Slowenen, das 1920
dank des Vertrages von Trianon die
Staatenwelt erweiterte, litt von Anfang
an unter der Vielsprachigkeit des Bal-
kans. Und damit verbunden unter den
verschiedenen Schriftsystemen. Die
Kroaten sprechen den ijekavischen Dia-
lekt und schreiben lateinisch. Die Ser-
ben sprechen ekavisch und schreiben
kkkyrillisch. Außerdem wurde oder wirdyrillisch. Außerdem wurde oder wird
Bosnisch, Montenegrinisch, Slowenisch,
Mazedonisch, Jiddisch, Ladino, Unga-
risch gesprochen. Um diesem Babel ab-
zuhelfen, gab es noch vor der Geburt des
Staates die unterschiedlichsten – alle-
samt unrealistischen – Vorschläge, wie
sich die heterogenen Landesteile auf ei-
nen Dialekt und eine Schrift einigen
könnten. Dabei wurde das Kyrillische oft
favorisiert, was Österreich-Ungarn als

önnten. Dabei wurde das Kyrillische oft
avorisiert, was Österreich-Ungarn als

önnten. Dabei wurde das Kyrillische oft
ffavorisiert, was Österreich-Ungarn als
einen „Akt der Feindschaft“ betrachtete,
weil es die slawische Idee verkörpere
und damit die Autarkiebestrebungen
der Serben (und Kroaten) munitioniere.
Dem Bemühen, mit dem Serbokroati-
schen eine verbindende, wenngleich nir-
gends verwurzelte gemeinsame Sprache
zu schaffen, standen von Anfang an die
getrennten Schriftsysteme entgegen.
Die jugoslawischen Kommunisten
versuchten diese Rivalität zu entschär-
fffen, indem „Borba“, ihre Parteizeitung,en, indem „Borba“, ihre Parteizeitung,
in beiden Schreibweisen, oft wechselsei-
tig in derselben Ausgabe, erschien. Das
half jedoch wenig. Und die lateinischen
und kyrillischen Buchstaben stehen als
sichtbare Trennungszeichen zwischen
den Nachfolgestaaten. Lediglich Bos-
nien und Herzegowina hat mit dem Sys-
tem der „Zwei Schulen unter einem
Dach“ einen Kompromiss gefunden, in-
dem, wenngleich mit getrennten Ein-
gängen und Räumen, jede Sprach-/
Schreibgruppe sich entfalten kann. Zwar
legten im April 2017 Intellektuelle aus
Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mon-
tenegro und Serbien eine „Deklaration
üüüber die gemeinsame Sprache“ vor. Aberber die gemeinsame Sprache“ vor. Aber
nur verwegene Optimisten glauben,
dass sie eine Chance der Realisierung
haben könnte.
Denn der Streit über die richtige
Schreibweise ist – wie der Streit über die
jeder Nation gemäße Sprache – das typi-
sche Phänomen einer Zeit, in der unter
dem Stichwort „Identität“ eher das
Trennende als das Verbindende auf die
Fahnen geschrieben wird. Deshalb ist
die Schrift – so Jan Assmann – nicht nur
„die Bedingung der Möglichkeit von Ge-
schichtsschreibung“, sondern zugleich
Medium der Geschichtsklitterung und
der Geschichtsfälschung.

WWWie Diktatoren mit demie Diktatoren mit dem


ABC Politik machten


Die Idee, dass man mit der Sprache das Denken steuern kann, ist seit Orwells „1984“


Gemeingut. Aber auch Veränderungen des Alphabets können unerwünschte Gedanken


unterdrücken. Ein Blick in die Geschichte despotischer Schreibreformen


Der Präsident als Lehrer: Kemal Atatürk propagiert bei einem Besuch in der Provinz 1929 die lateinische Schrift

PICTURE-ALLIANCE / AKG-IMAGES

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02.03.20 Montag,2.März2020DWBE-HP


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22 FEUILLETON DIE WELT MONTAG,2.MÄRZ2020


E


lefantentreffen im Namen Of-
fenbachs in Dresden. An der
Staatsoperette wurden „Die Ban-
diten“ auf die Bühne gehoben, am
Abend darauf folgte an der Semperoper
„Die Großherzogin von Gerolstein“.
Beides auf Deutsch. Beides mit Öster-
reichern am Regiepult. Die Räuberpis-
tole inszenierte mit dekonstruktivisti-
schem Knalleffekt der junge Valentin
Schwarz. Die Verpflichtung ihres ehe-
maligen Assistenten war für die neue
Staatsoperetten-Intendantin Kathrin
Kondaurow ein Schuss ins Schwarze –
er wurde als Regisseur für den neuen
Bayreuther „Ring“ in diesem Sommer
präsentiert. Von Offenbach zu Wagner,
von der Staatsoperette auf den Grünen
Hügel, das ist als Musikwahl wie Karrie-
resprung unorthodox.

VON MANUEL BRUG

Mehr auf Nummer sicher ging hinge-
gen die Semperoper. Dort durfte sich
Operettenroutinier Josef E. Köpplinger
vom Münchner Gärtnerplatztheater in
Offenbachs bramarbasierende Militär-
groteske verbeißen – heraus kam zahn-
lose Harmlosunterhaltung mit einer so
erotikfreien wie überforderten Haupt-
darstellerin (Anne Schwanewilms) und
Soldaten im Tütü.
„Die Banditen“ – 1869 kurz vor dem
Deutsch-Französischen Krieg uraufge-
führt, weswegen dem Stück kein langes
Bühnenleben beschieden war – wurden
nie wirklich bekannt. Obwohl der Of-
fenbach-Advokat Karl Kraus es geliebt
hat, es übersetzt wie rezitiert wurde
und mit viel wertvoll espritfunkelnder
Musik aufwarten kann. Valentin
Schwarz verwandelt die Operettenmär
vom guten Räuber und den bösen Po-
tentaten ideologiefrei in fröhlichen
Trash: Hier sind alle supermariodoof.
Er lädt statt an die absurde italienisch-
spanische Grenze an einen rachitischen
Karl-May-Palisadenzaun samt verdorr-
tem Grünzeug.
Albernes Personal wie Hauptmann
Falsacappa (plärrig: Hauke Möller),
Tochter Fiorella (frech: Annika Ger-
hards) und ihre Verlobte Fragoletto
(kerlig: Laila Salome Fischer) fackeln
da eine „megageile Banditenshow“ à la
Buffalo Bill in einem kreisch-künstli-
chen Westen ab, der von Otto Krauses
campigen Kostümen knallig behübscht
wird.
„Exzess und Trauma“ will die Regie,
durchaus auch als „Schlag ins Gesicht
der Erwartungshaltung“ im shawschen
wie brechtschen Sinne. Anderseits ist
alles Spaß und Spiel, nichts ernst zu
nehmen. Valentin Schwarz braucht vor
lauter lastenden Theaterthesen die ers-
te Dreiviertelstunde, bis das Tritt fasst.
Es wuselt konfus, das Mastermind will
viel und alles gleichzeitig. Da verliert
der Gaunerchef die Stimme und
schnarrt von der Platte, Damen werden
skalpiert, Tote stehen wieder auf. Dau-
ernd werden Perspektiven gewechselt,
ein Assistent hat viel Aufräumarbeit zu
leisten. Es wird zur Berliner Volksbühne
geschielt, aber so virtuos hat es die Re-
gie noch nicht drauf, auch wenn das Rie-
senensemble mit viel Spaß bei der Sa-
che ist.
Zum Höhepunkt kommt es, als die
Diva des Hauses, Ingeborg Schöpf, mit
Elisabeth-Schwarzkopf-Perücke im
Rollstuhl als geriatrische Prinzessin von
Granada einfährt und nicht nur ihren
grandios senilen Pagen (Dietrich Seyd-
litz), sondern auf rotem Kissen im
Schoß auch einen goldenen Dildo prä-
sentiert. Das ist platt und zotig, zugege-
ben, Valentin Schwarz will einfach nur
spielen, den losgelassenen Operetten-
kollektiven postdramatischen Operet-
tenzucker geben. Er vergaloppiert sich,
schießt mit bisweilen zu viel Theorie-
überfrachtung und einer religiösen
Choralapotheose in der Sauna zum Fi-
nale über das Klassenziel hinaus, ist
aber originell und lebendig. Und führt
das agile Ensemble lustvoll aus seiner
Komfortzone heraus.
Das gefällt nicht jedem, es gibt Zwi-
schenrufe, auch einige Buher am Ende.
Aber weil zudem das kraftvoll zupa-
ckende Orchester unter Andreas Schül-
ler einen robust-spritzigen Offenbach
aus dem Goldenen Osten spielt, macht
der freche Abend Spaß. Und ist ein
wichtiger Schritt auf dem Weg zur Mo-
dernisierung des Hauses. Früher Dres-
dens Beinchenschmeiß- und Schunkel-
schwofbude, wird da Frohsinnsgewerbe
wieder aggressiv und modern ernst ge-
nommen. In Bayreuth können sich die
Wagnerianer schon mal wappnen...

Der Grüne Hügel


ist gewarnt


Bayreuths neuer
„Ring“-Regisseur Valentin
Schwarz macht Operette

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