Süddeutsche Zeitung - 02.03.2020

(Nora) #1

In der Küche sind beschichtete Pfannen
eine saubere Sache: Beim Braten brennt
nichts an und die Reinigung ist ein Klacks,
denn an der mit dem Fluorkunststoff
Polytetrafluorethylen beschichteten Ober-
fläche perlt einfach alles ab. An ihren
Produktionsstätten hingegen können die
Bratpfannen durchaus üble Spuren hinter-
lassen – wenn nämlich bei der Herstellung
der Beschichtungen langlebige, potenziell
gesundheitsschädliche Chemikalien über
Abwasser und Fabrikschlote in die Umwelt
entweichen. Das können zum Beispiel soge-
nannte per- und polyfluorierte Alkylsubs-
tanzen (PFAS) sein, die mitunter etwas irre-
führend auch „PFC“ genannt werden.
„PFAS sind das gravierendste globale
Chemikalienproblem, das es zurzeit gibt“,
sagt Martin Scheringer von der Eidgenössi-
schen Technischen Hochschule Zürich.
Dabei sei die Pfannenproduktion nur eine
von vielen möglichen Quellen. PFAS kön-
nen auch in Teppichböden, Sofastoffen
und Wetterjacken stecken, in Schuh-
sprays, Ski- und Autowachsen, in Kos-
metika, Backpapier und Popcorntüten. In
manchen Gebäudefarben, Pestiziden,
Feuerlöschschäumen, Dichtungen und
Membranen sind sie ebenfalls enthalten.
Über Abwässer, Abgase, Klärschlämme
oder direkt beim Gebrauch entsprechen-
der Produkte gelangen sie in die Umwelt
und reichern sich dort an.


Scheringer hält PFAS vor allem deshalb
für ein Riesenproblem, weil sie kaum wie-
der verschwinden, wenn sie einmal in die
Umwelt gelangt sind. Die kettenförmigen
Moleküle enthalten Kohlenstoff-Fluor-
Bindungen, die zu den stabilsten chemi-
schen Bindungen überhaupt zählen.
Sonnenlicht, Sommerhitze, Wasser oder
Mikroben können ihnen nichts anhaben.
So überdauern sie Jahrzehnte oder Jahr-
hunderte. Mit Wind und Wasser verteilen
sie sich auf der ganzen Welt. Sie wurden
bereits in Flüssen und Böden nachge-
wiesen, im Grund- und im Trinkwasser, in
Pflanzen, Lebensmitteln, Muttermilch
und selbst im Blut von Eisbären. Beson-
ders hohe Werte finden Behörden oft an In-
dustrie- und Militärstandorten oder dort,
wo PFAS-haltige Klärschlämme auf die Fel-
der gebracht wurden. Allein in Bayern sind
25 belastete Gebiete bekannt.
Wie gesundheitsschädlich PFAS sind,
lässt sich pauschal nicht sagen. Immerhin
umfasst die Substanzklasse, zu denen die
Fluoridsalze in der Zahnpasta übrigens
nicht zählen, mittlerweile mehr als 4700
verschiedene Verbindungen. „Im Tierver-
such wirken einige von ihnen leberschädi-
gend, reproduktionstoxisch und vermut-
lich krebserzeugend“, heißt es aus dem
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
Der US-amerikanischen Umweltbehörde
EPA zufolge deuten epidemiologische Stu-
dien auch auf negative Folgen für das Ge-
burtsgewicht und das Immunsystem hin.
„Die Wirkung aller PFAS einzeln zu
untersuchen, würde ewig dauern“, sagt
Scheringer. Das Ziel müsse deshalb sein,


prophylaktisch zu handeln und die ganze
Substanzgruppe schrittweise aus dem Ver-
kehr zu ziehen. Zunächst sollten dabei jene
weichen, die verzichtbar sind, und solche,
die leicht durch weniger problematische
Substanzen ersetzt werden können. „Und
das trifft auf die allermeisten zu“, betont
der Umweltforscher. In Lebensmittelverpa-
ckungen oder Wetterjacken beispielsweise
könnten auch fluorfreie Kunststoffe Fett
und Wasser abweisen. Und die Antihaft-
Pfanne zählt ebenfalls zu jenen Dingen, die
zwar praktisch, aber nicht überlebenswich-
tig sind.
Für manche Medizinprodukte, Lösch-
schäume und Industriemembranen hinge-
gen müssten geeignete Alternativen erst
noch entwickelt werden, räumt Scheringer
ein. Oft sei zudem unklar, in welchen Din-
gen überhaupt PFAS steckten und welchen
Zweck sie darin erfüllten. Um das heraus-
zufinden, durchforstet sein Team gerade
Hunderte Patente und Datenblätter zu
unterschiedlichen Produkten, von der
Hautcreme bis zum Dichtungsring.
Eine Regulierung der PFAS wäre auch
wirtschaftlich sinnvoll, denn die Stoffe kön-
nen erhebliche Kosten für die Gesundheits-
systeme verursachen. Im europäischen
Wirtschaftsraum liegen sie Schätzungen
des Nordischen Rats zufolge zwischen 52
und 84 Milliarden Euro pro Jahr. Außer-
dem müssen Gewässer und Böden regel-
mäßig überwacht und Kläranlagen ge-
gebenenfalls mit geeigneter Filtertechnik
aufgerüstet werden.
Bisher sind nur wenige PFAS-Vertreter
von Auflagen betroffen, etwa die Perfluo-
roctansäure (PFOA) und die Perfluoroctan-
sulfonsäure (PFOS), deren gesundheits-
schädlichen Wirkungen bereits belegt
sind. Sie dürfen weltweit nur noch in
Ausnahmefällen hergestellt und in Umlauf
gebracht werden. Möglichst alle PFAS aus
dem Verkehr zu ziehen und Umweltkonta-
minationen zu beseitigen, ist ein Ziel, das
Delegationen aus Dänemark, Luxemburg,
den Niederlanden und Schweden, vor
Kurzem im Umweltrat der EU vorbrach-
ten. Ein entsprechender Vorschlag soll nun
erarbeitet werden.
Auch der Entwurf einer neuen Trink-
wasserrichtlinie aus dem Dezember sieht
Regulierungen für PFAS vor. Danach muss
die EU-Kommission in drei Jahren Leit-
linien zu Untersuchungsmethoden und
-häufigkeiten für PFAS festlegen. Die Mit-
gliedstaaten können anschließend über
einen Grenzwert bestimmen. „Zukünftig
muss das Trinkwasser flächendeckend
und systematisch auf PFAS zu unter-
suchen sein. Auch für das Grundwasser
wird das kommen“, sagt Wiebke Drost vom
Umweltbundesamt.
Die geplante Regelung würde auch das
Aus für die sogenannten kürzerkettigen
PFAS bedeuten. Sie werden von der Fluor-
technikbranche zwar als gesundheitlich
unbedenkliche Variante beworben. Dem
BfR zufolge scheinen allerdings auch die
kurzkettigen Varianten in Tierversuchen
toxisch zu wirken, wenngleich erst in
höheren Dosen. Umweltforscher monieren
außerdem, dass die kürzeren Moleküle
besser wasserlöslich sind, sich deshalb
schneller in der Umwelt verteilen und noch
schwerer wieder zu entfernen sind.
Bis Auflagen und Verbote greifen, wird
es wohl noch Jahre dauern. Wer bis dahin
freiwillig „PFAS-fasten“ möchte, hat es
nicht leicht. Zwar haben einige Kosmetik-
hersteller und Unternehmen für Outdoor-
Bekleidung die Fluorverbindungen schon
aus ihren Produkten verbannt. Doch ob et-
wa Backpapier, Teppiche oder Autowachs
in der Waschanlage die langlebigen Fluor-
chemikalien enthalten, ist in der Regel
nicht zu erkennen. Auch bei Bratpfannen
ist Skepsis angebracht. „Manche Pfannen
werden zwar mit ‚PFOA-frei‘ beworben.
Das heißt aber nichts, denn andere fluorier-
te Substanzen könnten durchaus enthal-
ten sein“, sagt Drost. Eine Kennzeichnungs-
pflicht für PFAS-haltige Produkte gibt es
bisher nicht. andrea hoferichter

von katrin blawat

V


ollkommen besiegt sind die Feuer in
Australien nicht. Auch ein halbes
Jahr nach Beginn der in vieler Hin-
sicht ungewöhnlichen jüngsten Brand-
saison lodert es noch in einigen Regionen.
Andere Teile des Landes werden bereits
von heftigen Niederschlägen überflutet.
Mit dem Regen setzt zum Ende des australi-
schen Sommers auch die Phase der wissen-
schaftlichen Aufarbeitung der Brände ein,
wie eine Sammlung von Diskussionsbei-
trägen im FachmagazinNature Climate
Changezeigt.
Die jüngste Brandsaison war, so lautet
das verbindende Fazit der diversen Veröf-
fentlichungen, „extrem“. Selbst für einen
Kontinent, zu dem das Feuer gehört wie
Koalas und Kängurus, stellte sich über den
Jahreswechsel 2019/20 eine ungewöhn-
liche Kombination von brandbeschleu-
nigenden Faktoren ein – und die führten
zu außergewöhnlich schlimmen Folgen
für die menschlichen und alle anderen
Bewohner.
Nicht nur begann die Brandsaison be-
reits im September und damit recht früh.
Auch dass sich das Feuer weitflächig in den
gemäßigten Laub- und Mischwäldern in
den Bundesstaaten New South Wales und
Victoria ausgebreitet hat, gilt nicht als
normal. Üblicherweise brennen in diesen
Wäldern, die eigentlich zu feucht für aus-
gedehnte Feuer sind, nur kleine Gebiete,
schreiben Matthias Boer von der Western
Sydney University sowie Victor Resco de
Dios und Ross Bradstock von der spani-
schen Universität Lleida. Bis Anfang Janu-
ar dieses Jahres waren dagegen mehr als
20 Prozent derartiger Waldfläche betrof-
fen. Insgesamt vernichteten die Flammen

mehr als zwölf Millionen Hektar Land, das
entspricht etwa einem Drittel der Fläche
Deutschlands.
Mehr als 30 Menschen sind in den
Flammen umgekommen. Wie viele Tiere
starben, lässt sich nur schätzen. Der Öko-
loge Chris Dickmann von der University of
Sydney spricht von mehr als einer Milliar-
de tierischer Opfer, da seien die Insekten
noch nicht einmal einbezogen. Allein im
stark betroffenen Bundesstaat New South
Wales seien möglicherweise bis zu 85 Pro-
zent aller Koalas verendet, vermutet ein
australischer Vertreter der Naturschutz-
organisation WWF. Nicht eingerechnet in
diese Zahlen sind die zu erwartenden späte-
ren Opfer. Die überlebenden Tiere finden
zum Teil nur schwer Futter, Wasser und
Lebensraum.

Ungewöhnlich sind auch die Hilfsmaß-
nahmen, um die eine Gruppe von Tierschüt-
zern in den sozialen Medien gebeten hat-
ten. Wer mit Stricknadeln und Nähmaschi-
ne umgehen könne oder mit sonstiger
Handarbeit vertraut sei, solle doch bitte
Beutel für verwaiste Kängurujungtiere
oder Schutzhandschuhe für verbrannte
Koalapfoten schicken. Der Aufruf hatte Er-
folg: Spenden seien zahlreich und unter an-
derem sogar aus Hongkong, den USA, Groß-
britannien, Frankreich und Deutschland
gekommen, zitiert die Nachrichtenagentur
Reuters eine Initiatorin des Projekts.
Henriette Jager und Charles Coutant
vom Oak Ridge National Laboratory in
Tennessee beurteilen Aktionen wie diese in

Nature Climate Changezwiegespalten. Ei-
nerseits zeige es die weltweite Anteilnahme
und den Drang vieler Menschen, konkret
zu helfen. Andererseits nützten selbst-
gestrickte Fäustlinge für Koalas wenig,
wenn es von den Eukalyptuswäldern, die
die Tiere zum Überleben noch viel dringen-
der brauchen, nur noch wenige gibt. Nötig
seien daher größer angelegte Maßnahmen:
vielleicht die Aufforstung der Wälder, in-
dem man Samen aus der Luft abwirft. Ganz
sicher aber brauche es einen Wechsel in der
Politik – weg von einer auf Kohle basieren-
den Wirtschaft und hin zu mehr Klima-
freundlichkeit, fordern die Autoren.
Dass der Klimawandel zu den unge-
wöhnlich starken Bränden beigetragen
hat, gilt als sicher. Unklar ist nur noch, wie
beides im Detail zusammenhängt und
welchen Anteil genau die gestiegenen
Temperaturen und längeren Trocken-
zeiten an der Ausweitung der Flammen
hatten. Nähere Erkenntnisse dazu erhof-
fen sich Forscher unter anderem von einer
sogenannten Attributionsstudie, deren
Ergebnisse bald vorliegen sollen.
Ein besonderes Augenmerk müsse auf
die ungewöhnlich hohen Temperaturen
sowie die sehr geringe Regenmenge gerich-
tet werden, argumentiert ein Team um
Andrew King von der University of Mel-
bourne inNature Climate Change.Dreime-
teorologische Phänomene trafen in dieser
Saison zusammen, von denen schon jedes
einzelne die Niederschläge über Australien
reduziert. Zwei dieser Ereignisse, El Niño
und der Indische Dipol, beschreiben stark
variierende Wassertemperaturen der Oze-
anoberfläche. Das beeinflusst die Regen-
mengen auf vielfältige Weise: Während es
zum Beispiel in Ostafrika ungewöhnlich
feucht war – weshalb sich die Heuschre-

cken dort äußerst gut vermehren konnten
und schließlich zur Plage wurden – trock-
nete Australien aus. Hinzu kam eine beson-
dere Windlage über der Antarktis, was
über Umwege ebenfalls die Dürre in Aus-
tralien verstärkte.
„Der Zusammenhang zwischen Feuer
und Klima ist ausgesprochen komplex,
schreiben Benjamin Sanderson von der
Universität Toulouse und die Atmosphä-
renforscherin Rosie Fisher aus Boulder in
Colorado. Neben meteorologischen Gege-
benheiten spielt auch ein notorisch schwer
zu berechnender Faktor eine wichtige
Rolle in der Frage, wie schnell und weit
sich Buschbrände ausbreiten: der Mensch
und wie er auf die Flammen reagiert.

Im Detail seien aussagekräftige Prog-
nosen für künftige Buschbrände bisher
kaum möglich, meinen Sanderson und
Fisher. Dennoch wagen sie einen Ausblick,
der alles andere als beruhigend klingt:
Wenn die Emissionen weiter steigen,
werde ein australischer Sommer wie der
vergangene „um 2040 herum durch-
schnittlich sein und ausgesprochen kühl
um 2060 herum“.
Mit einem solchen Szenario aber solle
sich die Menschheit nicht abfinden, warnt
Lesley Head von der University of Mel-
bourne in einem weiteren Beitrag. Nieman-
dem sei geholfen, wenn Buschbrände wie
die der vergangenen Monate künftig als
normal gelten würden. Denn diese Norma-
lität würde gefährlich werden für Men-
schen, Tiere und Pflanzen.

Solche heftigen Brände
könntenkünftig
zur Normalität werden

Die kettenförmigen Moleküle


zählen zu den stabilsten


chemischen Verbindungen


Bratpfanne – ohne Haftung und umwelt-
schädlich. FOTO: JAN WOITAS / DPA


Glatt und


gefährlich


Experten fordern, Fluorchemikalien zu ersetzen


Bilanz der Flammen


Die Waldbrände in Australien waren extrem, das zeigen erste Untersuchungen.


Zugleich wird der Zusammenhang zum Klimawandel immer deutlicher


Selbstgestrickte Fäustlinge
für Koalas nützen wenig,
wenn den Tieren Nahrung fehlt

14 HF2 (^) WISSEN Montag,2. März 2020, Nr. 51 DEFGH
Buschfeuer in der Nähe von Canberra, Anfang Februar. Wenn der Treibhausgasausstoß weiter steigt, wird ein australischer Sommer wie der vergangene um das
Jahr 2040 herum normal sein. FOTO: PETER PARKS / AFP
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