Süddeutsche Zeitung - 02.03.2020

(Nora) #1
von philipp schneider

Z


umindest für den Automobilweltver-
band Fia gibt es seit Freitag gute
Nachrichten. Er hat jemanden gefun-
den, der bereit ist, sich finanziell zu beteili-
gen an der mühevollen Reise der Formel 1
in ihre nach Blumenwiesen duftende, grü-
ne Zukunft. Die Rennserie hat sich be-
kanntlich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr
2030 klimaneutral zu kreisen. Und siehe
da: Die gute Fee, die die Ökowende herbei-
führen wird, kommt nicht aus dem Mär-
chenwald. Sie fliegt ein aus Maranello!
Ferrari, der ruhmreiche Hersteller von
Verbrennungsmotoren, das verkündete
die Fia am Freitag, habe sich „dazu bereit
erklärt, die Fia in der Forschung von nach-
haltigen Kraftstoffen zur Reduzierung
von CO2-Emissionen zu unterstützen“.
Nanu? Einfach so? Das ist aber nett.
Oder verbirgt sich hinter Ferraris Altruis-
mus nicht eher eine Strafe der Fia, die nur
nicht so bezeichnet werden sollte? Oder
war es vielleicht keine Strafe, aber viel-
leicht doch ein kleines Entgegenkommen
dafür, dass die Fia freundlich den Teppich
hochgehalten hatte, damit sich dort die
Motorentechnik der Scuderia aus dem
Vorjahr für alle Zeiten unterkehren ließe?


Tatsächlich warf diese Freitags-Bot-
schaft der Fia mehr Fragen auf als sie be-
antwortete. Und ganz offensichtlich war
das auch beabsichtigt. Denn verschickt
wurde sie erst am letzten Tag der zweiwö-
chigen Testfahrten in Barcelona: Bloß kei-
ne lästigen Nachfragen von Journalisten
vor dem Saisonauftakt in Melbourne in
zwei Wochen!
Ohne Nachfragen bleibt es vorerst bei
den sechs Zeilen, auf denen sich die Fia ab-
schließend zu den Schummelvorwürfen
äußerte, die Ferrari seit der zweiten Sai-
sonhälfte 2019 begleitet hatten. Sechs dür-
re Zeilen als Entschädigung für vier Mona-
te Wartezeit: Solang hatten Ferraris Kon-
kurrenten auf das Ergebnis einer Untersu-
chung gehofft, die die Fia nach dem Ren-
nen in São Paulo eingeleitet hatte, als sie
aus den roten Rennwagen Benzinsysteme
ausgebaut und zur näheren Untersu-
chung konfisziert hatte. Dass sie über-
haupt tätig wurde, lag an der Hartnäckig-
keit der anderen Teams, die den Verband
wochenlang vor sich hergetrieben hatten
mit Anfragen darüber, ob und inwiefern
Benzinsysteme modifiziert werden dürf-


ten in Formel 1. Sie sagten nicht: Wir glau-
ben, dass Ferrari schummelt. Sie fragten
subtil nach, ob nicht eine gewisse Schum-
melei verboten wäre, von der sie dachten,
Ferrari mache von ihr Gebrauch.
Erst in der Folge verschickte die Fia
mehrere technische Direktiven, die ver-
hindern sollten, was die Konkurrenten
Ferrari unterstellten: dass sie mehr Kraft-
stoff einspritzen, als es erlaubt ist, indem
die Italiener einen Weg gefunden hatten,
die Messungen für den Durchfluss zu ma-
nipulieren. Nach Erlass der Direktiven
wurden die Ferraris tatsächlich langsa-
mer. „Das passiert, wenn man aufhören
muss zu schummeln“, verkündete der Red-
Bull-Fahrer Max Verstappen. So ein Un-
sinn, konterte Ferraris Teamchef Mattia
Binotto: Die geringeren Höchstgeschwin-
digkeiten gingen darauf zurück, dass mit
mehr Abtrieb gefahren werde.
Vor dem Hintergrund dieser giftigen
Debatte hätte die Fia Klarheit schaffen
müssen. Oder zumindest schweigen kön-
nen. Stattdessen verschickte sie eine Bot-
schaft, die sich nur für Ferraristi nicht wie
Hohn liest. „Die Fia gibt bekannt: Nach
gründlicher technischer Untersuchung ist
die Wirkungsweisen-Analyse der An-
triebseinheit von Ferrari abgeschlossen.
Dabei ist eine private Einigung mit dem
Team geschlossen worden. Die Details die-
ses Abkommens bleiben vertraulich.“ Und
weiter: „Die Fia und die Scuderia Ferrari
haben sich auf eine Anzahl technischer
Verbindlichkeiten geeinigt, welche die
Überwachung sämtlicher in der Formel 1
verwendeten Antriebseinheiten verbes-
sern wird.“
Die Fia sagt nicht, dass Ferrari etwas
Unerlaubtes getan hat. Sie sagt aber eben-
so wenig, dass der Motor blitzsauber gewe-
sen ist. Aber wofür, wenn nicht zur künfti-
gen Verhinderung ehemaliger Grenzüber-
tretungen, sind dann technische Verbind-
lichkeiten notwendig? Vor Gericht wird
ein Angeklagter freigesprochen oder ver-
urteilt. In der Formel 1 geht offenbar bei-
des zugleich: Die Italiener sind nicht verur-
teilt worden – auf eine Weise, dass sie zu
Hauptverdächtigen werden. Und das alles
auf dem Sofa im Wohnzimmer eines Rich-
ters, dem sie offenbar versicherten, nie
wieder etwas Falsches zu tun.
Mal abgesehen davon, dass sich der in-
transparente Prozess zu einem Präzedenz-
fall in der Formel 1 entwickeln könnte, der
niemanden weiterbringt, ist nun auch ein
alter Witz wieder in Mode: Wofür steht die
Abkürzung des Weltverbandes „Fia“? Für
„Ferrari International Assistance“.

FERRARI

Freigesprochen und verdächtig


München– Eine Woche vor Prozessauf-
takt zur deutschen Affäre rund um die Fuß-
ball-WM 2006 vor dem Bundesgericht in
Bellinzona gerät die Schweizer Strafjustiz
endgültig aus den Fugen. Michael Lauber,
Chef der Bundesanwaltschaft (BA) in Bern,
soll im Zuge eines gerade abgeschlossenen
Disziplinarverfahrens mit einer Gehalts-
kürzung bestraft werden. Lauber hatte di-
verse mysteriöse Geheimtreffen mit Gian-
ni Infantino abgehalten, dem Chef des Fuß-
ball-Weltverbands Fifa. Wegen dieser min-
destens drei Stelldicheins, an deren letztes
Mitte 2017 sich absurderweise keiner von
vier Beteiligten erinnern kann, waren Lau-
ber und sein zuständiger Verfahrensleiter
im Juni 2019 vom Bundesstrafgericht für
befangen erklärt – und von den eigenen
Fußballkomplexen suspendiert worden.


Welche gravierenden Konsequenzen
Laubers unangebrachte Treffs mit dem
umwitterten Fifa-Boss haben, tat jetzt die
Neue Zürcher Zeitungkund: Wegen der Be-
fangenheit des Bundesanwalts löst sich ein
Strafverfahren wegen Geschäftsuntreue
gegen zwei langjährige Fifa-Topfunktionä-
re, den früheren Generalsekretär Jérôme
Valcke und den Ex-Finanzchef Markus
Kattner, in Luft auf. Das Duo hatte im Vor-
jahr Beschwerde gegen Laubers Amtsfüh-
rung eingereicht. Zuvor war durch Medi-
en- und Justiz-Recherchen aufgeflogen,
dass sich der Chefankläger persönlich im-
mer wieder mit Infantino getroffen hatte;
er ließ diese Treffen auch nie protokollie-
ren. Und eines will er sogar vollständig ver-
gessen haben: ein zweistündiges Meeting
in direkter räumlicher Nähe zur Botschaft
des Emirats Katar, das seinerseits tief in
den Ermittlungskomplexen der BA zum
Weltfußball steckt. Welchen Sinn wohl Ge-
heimtreffen auf oberster Ebene ergeben,
die erst nicht protokolliert und dann auch
noch komplett vergessen werden?
Diese Treffs hatten jedenfalls zum Diszi-
plinarverfahren der Aufsichtsbehörde (AB-
BA) über die Bundesanwaltschaft im Vor-
jahr geführt. Die vorgesehene Strafe, Lohn-


kürzung für ein Jahr um acht Prozent, zu
der Lauber noch Position beziehen konnte,
sollte in den nächsten Tagen verkündet
werden. Aber am Wochenende sickerte sie
an den ZürcherTages-Anzeigerdurch und
wurde publik. Zugleich teilte Laubers BA
dem Blatt ihr „Befremden“ darüber mit,
„dass Informationen zum Entwurf des Ent-
scheids der Aufsichtsbehörde an die Öf-
fentlichkeit gelangt“ seien. Auch müsse ei-
ne Verfügung der AB-BA noch „einer ge-
richtlichen Überprüfung standhalten“.
Demnach will der in der helvetischen Po-
litik eng vernetzte Lauber, der auch besten
Zugang zum Geheimdienst hat, gegen das
Verdikt vorgehen. Eine Lohnkürzung von
acht Prozent für Amtspflichtverletzungen
wäre happig, sie bliebe nur knapp unter
der Obergrenze von zehn Prozent. Lauber
selbst hatte bei seiner gleichfalls knappen,
sehr skurrilen Wiederwahl im Herbst er-
klärt, er trete zurück, wenn ihm Fehlverhal-
ten nachgewiesen werde. Aber danach
sieht es nicht aus. Im Gegenteil. Wie die SZ
aus eingeweihten Kreisen erfuhr, soll
Lauber das Verfahren seiner Aufseher
stark behindert haben. Aussagen eigener
Mitarbeiter seien verweigert worden, eben-
so die Herausgabe von Dokumenten. Der
anstehende Bericht soll nun eine ziemlich
selbstherrliche Amtsführung skizzieren.

Nach außen herrscht dieser Eindruck
längst vor. Ein Verfahren nach dem ande-
ren fliegt Laubers Behörde um die Ohren,
der Fall Valcke/Kattner fügt sich da ins trü-
be Gesamtbild. Erst vor Tagen klagte die
BA Valcke in einem anderen Verfahren we-
gen Korruption an, ebenso Nasser al-Khe-
laifi, den Chef des katarischen TV-Senders
BeInund des französischen Klubs Paris
Saint-Germain. Tage vor Abschluss dieser
Ermittlungen musste die Behörde dann
den einzig wirklich heiklen Vorwurf gegen
Khelaifi fallenlassen: Infantinos Fifa zog ih-
re Anzeige urplötzlich zurück und einigte
sich „gütlich“ mit dem Beschuldigten.
In dieses Bild passt auch das anstehen-
de Strafverfahren zum Sommermärchen.
Ab dem 9. März stehen vier Beschuldigte
vor Gericht. Ob die früheren DFB-Funktio-
näre Theo Zwanziger, Horst R. Schmidt
und Wolfgang Niersbach sowie der Schwei-
zer Ex-Fifa-General Urs Linsi aber wirk-
lich erscheinen werden, ist höchst fraglich.
Auch in diesem Prozess ist der Fall des
Hauptbeschuldigten, Franz Beckenbauer,
aus Gesundheitsgründen abgetrennt wor-
den – und weil die Causa am 27. April ver-
jährt, wird er definitiv straffrei ausgehen.
Und das beschuldigte Quartett? Sehr wahr-
scheinlich auch. Experten in Deutschland
und der Schweiz, die das Anklagepapier
der BA kennen, beschreiben es als reichlich
stümperhaft. thomas kistner

Der englische Fußballmeister Manches-
ter Cityhat sich die erste Trophäe dieser
Saison gesichert und bereits zum dritten Mal in Serie den englischen Ligapokal gewon-
nen. Die Mannschaft von Trainer Pep Guardiola setzte sich im Endspiel am Sonntag 2:1
gegen Aston Villa durch. Sergio Agüero (20. Minute) und Rodrigo (30.) trafen im Londo-
ner Wembley-Stadion für Manchester, den aktuellen Zweiten in der Premier League.
Den Anschlusstreffer für den Tabellenvorletzten Aston Villa erzielte Mbwana Samatta

(41.). Kurz vor Schluss köpfelte Villa-Profi Björn Engels den Ball an den Querbalken. Da-
nach konnten Manchesters Profis Fernandinho und John Stones feiern, während As-
ton Villas Jack Grealish (im Bild von links) enttäuscht zu Boden sank. Der Ligapokal gilt
im Gegensatz zum FA Cup als zweitrangig. Manchester City überholte mit dem insge-
samt siebten Erfolg den Lokalrivalen Manchester United, der sechsmal erfolgreich
war. Rekordhalter ist der FC Liverpool, der achtmal triumphierte und in dieser Saison
mit einer Nachwuchself an Aston Villa gescheitert war. dpa FOTO: MICHAEL REGAN / GETTY

Hamburg– Amkommenden Samstag ist
der SSV Jahn Regensburg zu Gast im Ham-
burger Volksparkstadion. Das ist jenes
Team, das dem HSV im Vorjahr mit einem
0:5 die höchste Heimniederlage in dessen
kurzen Zweitliga-Geschichte beigebracht
hatte. Der Zeitpunkt passt zur derzeitigen
Lage des sechsmaligen deutschen Meis-
ters, denn es droht sich zu wiederholen,
was im vorigen Frühjahr zum „überflüs-
sigsten Nichtaufstieg der Fußball-Ge-
schichte“ geführt hatte. So nannte es der
Vorsitzende des Hamburger SV, Bernd
Hoffmann. Der HSV hatte als vierten Rang
die Rückkehr in die Bundesliga verspielt,
weil er aus den letzten elf Spielen nur noch
zwölf Punkte sammelte.
Nun absolvierte der HSV beim 0:3 in
Aue die wohl schlechteste Partie der Saison
2019/20, und das als Nachklapp zur
0:2-Derbyniederlage gegen den FC St. Pau-
li. „Wir befinden uns in einer sportlichen
Krise“, sagte Hoffmann am Sonntag nach
den „zwei grottenschlechten Spielen“.

Ein bisschen Glück haben die Hambur-
ger aber selbst im Misserfolg noch gehabt:
Der Tabellenzweite VfB Stuttgart verpass-
te es, mit einem Sieg in Fürth den Vor-
sprung auf die Norddeutschen auf sechs
Punkte zu vergrößern; der VfB unterlag
selbst (0:2). Auch der 1. FC Heidenheim, der
mit einem Erfolg in Darmstadt zum Tabel-
lendritten HSV hätte aufschließen können,
verlor 0:2. Nur Arminia Bielefeld hat sich
am Sonntag abgesetzt von der Konkur-
renz. Der Vorsprung vor dem HSV beträgt
nach dem 1:0 (Torschütze mal wieder Fabi-
an Klos) gegen den SV Wehen nun schon
neun Punkte. Das macht eine Rückkehr

der Ostwestfalen in die erste Liga nach elf
Jahren immer wahrscheinlicher.
Die seit Jahren leidgeplagten HSV-Fans
sind in Aue zum Teil ausgeflippt. Ein paar
der 1800 Fans kletterten nach dem Abpfiff
über die Balustrade und beschimpften die
Profis, die zuvor schon von den Sachsen
verhöhnt worden waren: „Zweite Liga,
Hamburg ist dabei“, sangen diese. Oder:
„Ihr seid nur ein Punktelieferant.“ Auch
der Stadionsprecher hatte das Duell zwi-
schen „Arm gegen Reich“, zwischen „David
und Goliath“ angeheizt. HSV-Trainer Die-
ter Hecking sagte später: „Es ist schwer,
das Gesehene in Worte zu fassen.“
Wie kommt es, dass sich das neben dem

VfB Stuttgart teuerste Team der Liga
schon wieder gegen eine reine Kampf-
mannschaft blamiert hat und dabei Fehler
machte, die einem Favoriten nicht passie-
ren dürften? So wie die Abwehrspieler Jor-
dan Beyer und Timo Letschert, die kurz vor
der Pause nicht aufrückten, so dass Pascal
Testroet nicht im Abseits stand und von
niemanden behindert zum 1:0 einschießen
konnte. Oder wie Gideon Jung, der in der


  1. Minute eine Schwalbe im gegnerischen
    Strafraum probierte und als schon ver-
    warnter Spieler die gelb-rote Karte sah? Da-
    nach ging auf Hamburger Seite noch weni-
    ger, so dass Jan Hochscheidt noch zwei wei-
    tere Treffer hinzufügen konnte.


Dass auch der erfahrene Coach Dieter
Hecking als Nachfolger des weniger routi-
nierten Hannes Wolf das Team bislang
nicht stabilisiert hat, könnte damit zusam-
menhängen, dass auch er noch keine funk-
tionierende Achse aufbauen konnte. Schon
gegen St. Pauli hatte er nach dem 0:1 „kei-
ne Leader mehr gesehen“. Noch schlimmer
war es in Aue: Man hatte den Eindruck, als
sei der Druck für fast alle HSV-Profis zu
groß, obwohl die Hälfte des Teams gegen-
über dem Vorjahr ausgetauscht wurde.

In der Abwehr sind die Innenverteidiger
Rick van Drongelen, Letschert und der in
Aue nach 22 Minuten wieder verletzt ausge-
schiedene Ewerton keine idealen Männer
für den Spielaufbau. Im Mittelfeld hat Ka-
pitän Aaron Hunt mit seinem meist nicht
fitten Körper zu tun. Und der in der Winter-
pause aus Köln geholte Louis Schaub wur-
de zwar zu Recht als guter Fußballer ge-
lobt, versteckt sich aber zunehmend. Der
aus Kiel gekommene David Kinsombi, der
ebenfalls eine zentrale Rolle spielen sollte,
konnte keinen Stammplatz erkämpfen.
Und während Jung nicht nur an seine fuß-
ballerischen Grenzen stößt, hat das große
Talent Adrian Fein, 20, noch mit seiner
Konstanz zu kämpfen; zuletzt fiel er mit ei-
nem Jochbeinbruch aus.
Im Angriff macht zwar Bakery Jatta
Tempo und der in Aue auf der Bank sitzen-
de Sonny Kittel oft Tore, doch die Mittel-
stürmer Lukas Hinterseer und Joel Pohjan-
palo tauchen häufig ab. Und der von Wer-
der Bremen ausgeliehene Martin Harnick
hat sogar Probleme, auf Zweitliga-Niveau
mitzuhalten. Das sind keine guten Aussich-
ten für den Endspurt. jörg marwedel

von sven haist

London– Zur Feier des Tages ließ Gary
Neville den Korken knallen. Genüsslich ver-
öffentlichte der frühere Rechtsverteidiger
von Manchester United, der heute einer
der führenden Fußballexperten auf der In-
sel ist, am Samstagabend ein selbst aufge-
zeichnetes Video, das ihn im Hotelzimmer
beim Öffnen einer Champagnerpulle zeigt.
Neville stieß an auf die erste Saisonnieder-
lage des Erzrivalen FC Liverpool in der Pre-
mier League – und er tat das nicht allein.
Schon am Morgen danach hatten sich
mehr als drei Millionen Menschen diesen
Clip angesehen und offenbar Gefallen dar-
an gefunden; ebenso wie an Nevilles trium-
phierender Botschaft, dass Liverpool die
Nerven verloren habe. Cheers!

Nach sagenhaften 44 Spielen und 422
Tagen ohne Niederlage erlebte Liverpool
am Samstag erstmals wieder, wie es sich
anfühlt, in einer Ligapartie als Verlierer
vom Platz zu gehen. Für weite Teile von
Fußball-England, die seit jeher mit den
Reds fremdeln, kam diese Nachricht einer
Erlösung gleich. Die zwischenzeitliche Ver-
zweiflung angesichts der Dominanz des Ta-
bellenführers der Liga ging so weit, dass
kürzlich ein junger Fan in einem persönli-
chen Brief an Liverpool-Trainer Jürgen

Klopp die Bitte äußerte, sein Team solle
endlich aufhören, immer zu gewinnen.
Und in der Tat: Durch das 0:3 nach fahriger
Leistung beim Abstiegskandidaten FC Wat-
ford, für den zweimal Ismaïla Sarr (54. und


  1. Minute) und Troy Deeney (72.) die Tore
    erzielten, vergab Liverpool nun die Chance
    auf eine komplette Saison ohne Niederlage



  • das ist bisher in England nur den „Invinci-
    bles“, den Unbesiegbaren des FC Arsenal,
    in der Saison 2003/04 gelungen.
    „Wenn wir in 500 Jahren zurückschau-
    en, werden wir sagen, dass es Liverpool
    fast geschafft hätte – aber das ist nicht mei-
    ne Sorge“, sagte Klopp nach dem Dämpfer.
    Er sehe die Niederlage sogar als positiv an,
    weil seine Mannschaft nun wieder befreit
    aufspielen könne, ohne Rekorde aufstellen
    oder verteidigen zu müssen, argumentier-
    te der deutsche Coach. Das öffentliche
    Spötteln traf übrigens nicht nur Liverpool,
    sondern auch Arsenal: Die englische Stür-
    merlegende Gary Lineker bezeichnete das
    überraschende 0:3 der Reds in gewohnt
    spitzer Art als Arsenals „bestes Resultat
    der Saison“; erst zwei Tage zuvor waren die
    Gunners nach einer bisher ernüchternden
    Saison auch in der Europa League schmäh-
    lich an Olympiakos Piräus gescheitert.
    Für Liverpool endete mit dem Ausrut-
    scher auch die Hoffnung, Arsenals ewige
    Bestmarke von 49 ungeschlagenen Spie-
    len in der Premier League sowie die 18Spie-
    le lange Rekordsiegesserie von Manches-
    ter City vor zwei Jahren überbieten zu kön-
    nen. „Meine Spieler halten so viele Rekor-
    de, warum würden sie noch mehr haben


wollen?“, fragte Klopp, um selbst zu ant-
worten: „Wir wollen nicht gierig sein.“
In der Stunde der Niederlage erwies sich
Klopp diesmal als fairer Verlierer, im Ge-
gensatz zu so manchen Pleiten in der Ver-
gangenheit, die er dem Schiedsrichter
oder schlechten Wetterbedingungen ange-
lastet hatte. Als Geste der Anerkennung
reichte Klopp jedem Spieler von Watford

auf dem Platz die Hand – und wiederholte
seine Würdigung in der Pressekonferenz:
„Glückwunsch an Watford, wohlverdient.
Das sollte die Schlagzeile sein.“ Die Genero-
sität ging ihm natürlich leicht von den Lip-
pen, weil er weiß, dass Liverpool im Titel-
rennen letztlich sowieso gewinnen wird.
In der Tabelle liegt der Champions-

League-Sieger zehn Spieltage vor Schluss
noch immer satte 22 Punkte vor Titelvertei-
diger Manchester City. Es ist zwar jetzt un-
wahrscheinlich, die erste Meisterschaft
seit 30 Jahren bereits am 16. März im Stadt-
derby beim FC Everton fixieren zu können,
aber bis Mitte April sollte Liverpool rechne-
risch am Ziel sein – dann würden die Reds
just Manchester United als frühesten Meis-
ter der englischen Fußballgeschichte ablö-
sen. Dieser sehnlichst erwartete Titel wäre
der vorläufige Höhepunkt von Liverpools
Erfolgszyklus in der Liga, der im Oktober
2017 nach einem 1:4 in Tottenham startete.
Seither verlor der aktuelle Welt- und Euro-
pameister des Klubfußballs gerade mal
fünf Ligaspiele in zweieinhalb Jahren.
Die Niederlage in Watford dient zudem
als Warnung, jetzt wieder Fahrt aufzuneh-
men für die finale Phase der Saison. Nach
dem kurzen Winterurlaub für Mannschaft
und Trainer vor ein paar Wochen mühten
sich die Reds bereits bei den Siegen über
Norwich und West Ham, im Achtelfinal-
Hinspiel der Champions League gab es ein
0:1 bei Atlético Madrid. Diese Bilanz weist
Ähnlichkeiten auf mit der Vorsaison, als Li-
verpool nach einem Trainingslager im spa-
nischen Marbella im Februar ebenfalls
schwer wieder in die Gänge kam und da-
mals entscheidende Punkte im Meisterdu-
ell mit Manchester City liegen ließ.
Am Dienstag geht es für Liverpool im
Achtelfinale des FA-Cups zum FC Chelsea,
acht Tage danach wartet Atlético zum
Rückspiel. Dann möchte der FC Liverpool
wieder selbst die Korken knallen lassen.

Aues Fans verhöhnen den HSV:
„Ihr seid nur ein Punktelieferant!“

Kapitän Aaron Hunt kämpft mit
seiner körperlichen Fitness

Ein Verfahren nach dem anderen
fliegt Laubers Behörde
derzeit um die Ohren

Verstecken und abtauchen


„Wir befinden uns in einer Krise“: Der Hamburger SV blamiert sich in Aue erneut gegen eine reine Kampfmannschaft


Acht Prozent weniger Lohn


Konsequenzen für Chef-Ermittler Lauber in Justizaffäre


Die Unbesiegbaren verlieren


Aufatmen in England: Nach 44 Spielen und 422 Tagen ohne Liganiederlage patzt der haushohe Tabellenführer
FC Liverpool beim Abstiegskandidaten Watford – Trainer Jürgen Klopp ist erleichtert über das Ende der Rekordjagd

Ligapokal für Man City


Die Schummelvorwürfe gegen den


Rennstall bleiben unaufgeklärt


Bestmarken von Arsenal und City
kann man nicht mehr überbieten,
aber der Titel sollte sicher sein

DEFGH Nr. 51, Montag, 2. März 2020 (^) SPORT HF3 27
Wohin des Weges? Die HSV-Profis Rick van Drongelen, Timo Letschert und Lukas
Hinterseer (von links) wirken gerade etwas orientierungslos. FOTO: ALEX GRIMM / GETTY
Auffällige Erinnerungslücken: Bundes-
anwalt Michael Lauber.STEFAN WERMUTH / AFP
Schrei vor Glück: Watfords zweifacher
Torschütze Ismaila Sarr FOTO: KLEIN / REUTERS

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