Süddeutsche Zeitung - 02.03.2020

(Nora) #1
Francesco Friedrich hat den Thron im Bob-
sport erobert. Er gewann am Sonntag bei
den Weltmeisterschaften auf seiner Haus-
bahn in Altenberg das Rennen im Vierer-
bob, führte einen deutschen Dreifacher-
folg an und darf sich nun Rekordweltmeis-
ter nennen – gleichauf mit dem Italiener
Eugenio Monti, der seine neun WM-Erfol-
ge vor einem halben Jahrhundert gefeiert
hatte, zwischen 1957 und 1966. „Wir haben
das gerade so über die Klinge gebracht“,
sagte Friedrich (in der Bildmitte): „Es war
sehr schwierig bei den Bedingungen. Am
Ende stand die Eins – das zählt.“
Der Entscheidung war eines der engs-
ten Rennen der vergangenen Jahre voraus-
gegangen. Nur fünf Hundertstelsekunden
lag Friedrich nach vier Läufen vor Johan-
nes Lochner, weitere 18 Hundertstelsekun-
den dahinter kam Nico Walther auf Rang
drei. Der Bronze-Gewinner erklärte unmit-
telbar nach dem Rennen seinen Rücktritt:
Er sei nicht mehr bereit, sich nach diversen
Stürzen ständig ans Limit zu wagen.
Noch enger war es nur 2017 zugegan-
gen, als Friedrich und Lochner am Königs-
see zeitgleich Weltmeister wurden. Da-
mals sorgte Walther als Dritter für den ers-
ten Dreifacherfolg in den mehr als 90 Jah-

ren der WM-Geschichte. In Altenberg wie-
derholte das Trio nun dieses Kunststück.
Doch das wurde am Sonntag überstrahlt
vom historischen Sieg des Sachsen, mit
dem gleich mehrere Bestmarken fielen.
Mit neun Titeln im Vierer- und Zweierbob
liegt Friedrich nun gleichauf mit Monti. Zu-
dem sicherte er sich wie einst der Oberho-
fer André Lange dreimal nacheinander die
Goldmedaille im Viererbob. Den dritten
Doppeltriumph aus Zweier- plus Vierer-Ti-
tel schaffte Friedrich als Erster überhaupt.
Das alles ist bemerkenswert, aber wohl
nicht das Ende der Geschichte. Friedrich
ist 29 Jahre, für einen Bobpiloten ist das
noch kein Alter. Der Rekord, der ihm noch
fehlt, sind die vier Olympiasiege von André
Lange. Gut möglich, dass Friedrich noch
die Winterspiele in Peking 2022 und in Mai-
land 2026 bleiben, um das zu erreichen.
In Altenberg sprach allerdings lange
Zeit einiges dafür, dass die Serie endet. Zur
Wettkampf-Halbzeit lagen die ersten fünf
Piloten innerhalb von neun Hundertstelse-
kunden. Kurz vor dem Finale setzte über
dem Erzgebirge Regen ein, der wenig spä-
ter in Schnee überging. Friedrich kam den-
noch fehlerfrei durch die schwere Rinne –
und war so nicht zu schlagen. sid

Herrscher im Eiskanal:


FrancescoFriedrich ist Rekordweltmeister


von johannes knuth

Hinterstoder/München– Klack, klack,
klack, klack – Thomas Dreßen wusste so-
fort Bescheid, was Sache war. Er hatte das
ja schon vor rund eineinhalb Jahren erlebt:
Wie es sich anhört, wenn einem die Schul-
ter aus der Gelenkpfanne springt.
Damals, bei seinem verhängnisvollen
Sturz in Beaver Creek, hatte sich Dreßen
die linke Schulter ausgekugelt, zusätzlich
zu seinem schweren Kreuzbandschaden
im Knie. Diesmal, beim alpinen Ski-Welt-
cup in Hinterstoder, erwischte es den der-
zeit besten deutschen Skirennfahrer lange
nicht so schlimm, auch wenn er sich am
Wochenende gleich beide Schultern ausge-
kugelt hatte. Die Schmerzen wollten nach
dem Super-G aber einfach nicht abebben,
vor allem nicht im vorgeschädigten linken
Gelenk. Der 26-Jährige begab sich umge-
hend zu weiteren medizinischen Inspektio-
nen in die Heimat. Eine Untersuchung am
Montag in München sollte Aufschluss dar-
über geben, ob Dreßen aus diesem Winter,
der sein erster nach dem schweren Scha-
densfall in Nordamerika war, schon wieder
aussteigen muss – knapp drei Wochen vor
dem veranschlagten Saisonfinale.
Der Sturz des dreimaligen Saisonsie-
gers war am Ende der schmerzliche Tief-
punkt eines durchwachsenen Wochenen-
des für den Deutschen Skiverband (DSV).
Auch Dreßens Teamkollege Andreas San-
der rauschte am Samstag von der Strecke,
überstand den Vorfall aber wohl ohne grö-
ßere Schäden, wie erste Diagnosen erga-
ben. Josef Ferstl war als 13. der beste Deut-
sche, in der Kombination am Sonntag kam
Romed Baumann nicht über Rang 27 hin-
aus. Dreßen erachtete es für nötig, vor sei-
ner Abreise dem Ski-Weltverband Fis eine
Grußbotschaft auszurichten. „Wir fahren
alle gerne Rennen“, sagte er im österreichi-

schen Fernsehen, „aber wenn es von der Si-
cherheit her grenzwertig ist und es dich
schmeißt“, sagte er, weil man auf der aufge-
weichten Piste knapp neben die Spur kom-
me – „das kann es wirklich nicht sein!“ Wo-
bei Dreßens Cheftrainer Christian Schwai-
ger im Nachgang einen Fahrfehler als Un-
fallursache ausgemacht hatte.
So oder so prangte nicht nur hinter Dre-
ßens Saison zu Wochenbeginn ein dickes
Fragezeichen. Es war sogar fraglich, ob die
alpine Saison nach dem Riesenslalom der
Männer in Hinterstoder, den die Organisa-
toren wegen Orkanböen auf diesen Mon-
tag verlegt hatten, überhaupt fortgesetzt

wird – wegen des omnipräsenten Coronavi-
rus’. Markus Waldner, der Fis-Renndirek-
tor der Männer, sagte in Hinterstoder vor
Reportern: „Um das Risiko zu minimieren,
muss man die Maschine stoppen, so wie es
viele Verbände machen. Nur hat keiner die
Courage, das zu entscheiden.“ Am ehesten
sehe er das Council der Fis in der Pflicht, ei-
nen Rat aus 18 Vertretern nationaler Ver-
bände, dem auch Alfons Hörmann ange-
hört, der Präsident des Deutschen Olympi-
schen Sportbundes. „Da kommt nichts zur-
zeit“, sagte Waldner. Und solange niemand
interveniere, fahre man halt weiter.
Wolfgang Maier, der Alpindirektor im
DSV, hob die Debatte am Wochenende auf
eine noch höhere Ebene. „In Zeiten wie die-
sen will niemand die Verantwortung für ir-
gendetwas übernehmen“, sagte er. Er ver-
stehe aber, dass dem Weltverband eine Ent-
scheidung schwerfalle, angesichts der ver-
worrenen Gesamtlage. In La Thuile, rund
drei Autostunden entfernt vom Zentrum
vieler Corona-Infektionen in Italien, stri-
chen die Organisatoren des Frauen-Welt-
cups am Wochenende das Rahmenpro-
gramm und verfügten einen Sicherheitsab-
stand bei allen Interviews. In Hinterstoder
galten zunächst gar keine Restriktionen.
Bei den Männern stehen demnächst Welt-
cups in Kvitfjell/Norwegen und Kranjska
Gora/Slowakei an, bei den Frauen ein Tech-
nik-Wochenende in Are, nachdem die Ren-
nen in Ofterschwang komplett gestrichen
worden sind, mangels eines Ersatzortes.
Und dann ist da noch das Saisonfinale in
Cortina d’Ampezzo, im ebenfalls vom Coro-
navirus betroffenen Venetien, wo Männer
und Frauen fast alle Disziplinen fahren sol-
len – und wo die Lage noch konfuser ist,
wie Waldner in Hinterstoder berichtete: Ur-
sprünglich habe man den Weltcup ohne Zu-
schauer ausrichten wollen, mittlerweile
hätten auch einige TV-Sender ihren Mitar-

beitern die Anreise untersagt. „Ohne Fern-
sehen geht es nicht“, sagte Waldner. Am
Montag wisse man wohl mehr.
Eine vorzeitige Stornierung des Winters
würde auch in einen spannenden Wett-
streit in der Gesamtwertung platzen: Bei
den Männern führt der Norweger Aleksan-
der Aamodt Kilde nur noch mit 34 Zählern
vor Alexis Pinturault aus Frankreich, der
die Kombination am Sonntag und damit
auch die entsprechende Weltcupwertung
gewann. Bei den Frauen ist die Italienerin
Federica Brignone in die beste Position ge-
rutscht, nach Platz zwei im Super-G von La

Thuile, den die Österreicherin Nina Ortlieb
gewann. Auch Brignone hat die Kombi-
Wertung bereits sicher: Der letzte alpine
Zweikampf am Sonntag fiel aus – zu viel
Neuschnee. In der Gesamtwertung liegt
Brignone bereits 153 Punkte vor Mikaela
Shiffrin, die nach dem Tod ihres Vaters ur-
sprünglich am kommenden Wochenende
in Ofterschwang wieder in den Weltcup ein-
steigen wollte, wie einige Medien berichtet
hatten. Ob die Amerikanerin nach der er-
satzlosen Absage nun überhaupt in diesem
Winter zurückkehrt, ist wieder fraglich –
wie so vieles derzeit im alpinen Weltcup.

Die Corona-Epidemie wirbelt den inter-
nationalen Sportkalender immer stär-
ker durcheinander. In der italieni-
schen Fußball-Liga wurden am Sams-
tag fünf Begegnungen abgesagt, um zu
vermeiden, dass sich das Virus weiter
ausbreitet. Zu den gestrichenen Par-
tien zählte auch das Topspiel zwischen
Meister Juventus Turin und Inter Mai-
land, auch die Spiele AC Mailand gegen
CFC Genua, FC Parma gegen SPAL Fer-
rara, US Sassuolo gegen Brescia Calcio
und Udinese Calcio gegen AC Florenz
fielen aus. Die Partien hatten ursprüng-
lich unter Ausschluss der Öffentlich-
keit stattfinden sollen. In Frankreich
wurde derweil der Halbmarathon in Pa-
ris abgesagt, auch der für die kommen-
de Woche vorgesehene Auftakt zur
WM-Serie der Triathleten in Abu Dha-
bi wurde gestrichen. sid, dpa

Hamar/München –Kurz vor dem Saison-
ende hat Joel Dufter seine Höchstgeschwin-
digkeit erreicht. In Hamar, in einer der
größten Eisschnelllaufhallen der Welt,
flitzte er bei der WM der Sprinter auf Platz
acht im Schlussklassement: Im ersten
1000-Meter-Rennen am Freitag war der In-
zeller geradezu über Eis geflogen und als
Zweitschnellster in 1:08,65 Minuten erst-
mals bei einem Einzelstart vor internatio-
nalem Publikum aufs Siegertreppchen ge-
beten worden. Er sei zufrieden mit „den
vier harten Rennen an zwei Tagen“, sagte
Dufter, 24, zumal sich sein Kollege Nico Ih-
le als Zehnter ebenfalls in den Top Ten wie-
derfand. Aus sportlicher Sicht hatte sich
die Reise nach Norwegen also gelohnt.
Ohnehin liest sich die Bilanz der Kufen-
läufer in diesem Winter nach der WM-
Bronzemedaille des Langstrecklers Pa-
trick Beckert über 10 000 Meter vor zwei
Wochen in Salt Lake City besser, als zu-
nächst befürchtet worden war. Denn wei-
terhin gilt das Verdikt von Bundestrainer
Erik Bouwman, der Deutschland im Eis-
schnelllauf im Range eines „Entwicklungs-
landes“ sieht. Jahrelang sei die Nachwuchs-
förderung vernachlässigt worden, hat der
niederländische Coach Ende voriger Wo-
che in einem Statement wiederholt, das die
Bild-Zeitung veröffentlichte. Zu lange,
heißt es da, hätten die Verantwortlichen
der Deutschen Eisschnelllauf Gemein-
schaft (DESG) auf „die alte Garde gesetzt“,
weil diese noch Medaillen gewann.
Bouwmans Analyse wäre vermutlich
auf noch breitere öffentliche Zustimmung
gestoßen, hätte er sie nicht mit einer per-
sönlichen Abrechnung mit Claudia Pech-
stein, 48, verknüpft. Die fünfmalige Olym-
piasiegerin, schreibt Bouwman, versuche


mit der „Maske einer boshaften doppelten
Agenda“ eigene Interessen zu sichern, na-
mentlich die Kandidatur ihres Lebensge-
fährten Matthias Große für das vakante
Präsidentenamt in der DESG zu befördern.
Ein „Witz“, wie Bouwman findet.
Von einer öffentlichen Kommentierung
dieses Brandbriefes sahen die Verantwort-
lichen des Verbandes am Wochenende aus-
drücklich ab. „Herr Bouwman hat in Ha-
mar aktuell Athleten zu betreuen“, erklärte
Vizepräsident Uwe Rietzke, eines der bei-
den verbliebenen DESG-Präsidiumsmit-
glieder. Mit den beiden Parteien werde

man sich deshalb nach der WM bespre-
chen. Auch Pechstein hatte im November
bereits einen scharfen verbalen Rundum-
schlag auf Facebook veröffentlicht und ex-
plizit den Sportdirektor der „vorsätzlichen
Schädigung“ ihres „sportlichen Weges“ be-
zichtigt. Das Aufflammen des Streits fin-
det Rietzke bedauerlich, er hofft, dass sich
die Lage bei der Außerordentliche Ver-
bandsversammlung beruhigt, zu der die
DESG am 28. März in Erfurt geladen hat.
Dort steht die kommissarische Nachwahl
der vakanten Präsidiumsämter an, ehe im
Herbst Neuwahlen folgen.
Nicht nur Rietzke sorgt sich um den Ruf
eines Verbandes, der laut Bundestrainer
Bouwman einer „Schlangengrube“ ähnelt,
wie er der ZeitungDe Telegraafsagte. Das
Zukunftsforum „DESG gemeinsam ret-
ten“, auf Initiative des Athletensprechers
Moritz Geisreiter gegründet, ist ebenfalls
bemüht, der „wachsenden Polarisierung
der Beteiligten innerhalb der DESG“ entge-
genzuwirken. Das Gremium, dem auch die
finanzielle Sicherheit des Verbandes ein
Anliegen ist, hatte Politiker, das Bundesin-
nenministerium und den Deutschen Olym-
pischen Sportbund zum Krisengespräch
geladen. Auf Erneuerung aus eigener Kraft
allein wollte es nicht vertrauen. „Die Reak-
tionen aus der Politik waren sehr gut, die
Reaktionen aus dem Ministerium hilf-
reich“, sagte Rainer Erdmann, Sprecher
des Forums: „Und für das Gespräch mit
dem DOSB gibt es nun auch einen Termin.“
Die Weichen für die Zukunft werden al-
so erst nach der Saison gestellt. Claudia
Pechstein ist von der Allround-WM aus Ha-
mar nach Platz 19 abgereist. Das Finale
über ihre Spezialstrecke 5000 Meter hatte
sie verpasst. barbara klimke

Lahti– Im 1000. Einzelweltcup der Ski-
sprung-Geschichte hat der Oberstdorfer
Karl Geiger souverän seinen sechsten Kar-
rieresieg gefeiert. Der 27-Jährige setzte
sich beim Jubiläums-Springen in Lahti/
Finnland mit Bestweiten in beiden Durch-
gängen vor dem Österreicher Stefan Kraft
durch und verkürzte den Rückstand im
Kampf um den Gesamtweltcup auf den Ri-
valen Kraft auf 118 Punkte. „Ich habe Voll-
gas gegeben und den Tisch richtig gut er-
wischt, das war der Hammer“, sagte Geiger
in der ARD. Vor dem Saisonfinale im Welt-
cup, in dem ab Freitag in Norwegen an
zehn Tagen in Serie gesprungen und geflo-
gen wird, resümierte er: „Ich bin in einer
sehr guten Form, das freut mich riesig.“


Geiger hatte am Samstag bereits das
deutsche Team zum Sieg geführt. Am Sonn-
tag flog er dann auf 122,5 und 130,0 Meter
und feierte mit 266,4 Punkten seinen vier-
ten Saisonsieg vor Kraft (260,5) und des-
sen Landsmann Michael Hayböck (259,1).
Als Vierter verpasste Constantin Schmid
(Oberaudorf/254,5) sein zweites Karriere-
Podest knapp, Stephan Leyhe (Willingen/
254,3) vollendete als Fünfter ein starkes
deutsches Mannschafts-Ergebnis.
Der dreifache Weltmeister Markus Ei-
senbichler (Siegsdorf), der nicht für das
Teamspringen am Samstag nominiert wor-
den war, blieb mit Rang 17 bei vor allem im
zweiten Durchgang ungünstigen Windver-
hältnissen erneut im Rahmen seiner Mög-
lichkeiten. Pius Paschke, der an Eisenbich-
lers Stelle sein Teamdebüt im Weltcup ge-
feiert hatte, belegte Platz 19. Der frühere
Weltmeister Severin Freund (Rastbüchl)
verpasste als 45. wie schon am Freitag den
zweiten Durchgang und blieb im vierten
Wettkampf nach seinem Comeback zum
dritten Mal ohne Weltcuppunkte. sid


Königssee– Julia Taubitz aus Oberwiesen-
thal hat die seit 22 Jahren andauernde Sie-
gesserie der deutschen Rennrodlerinnen
fortgesetzt und erstmals in ihrer jungen
Karriere den Gesamtweltcup gewonnen.
Dabei reichte der 23-Jährigen beim Welt-
cup-Finale am Königssee der zweite Platz
hinter der überraschenden Siegerin Anna
Berreiter aus Berchtesgaden. Die bis dahin
im Weltcup führende Russin Tatjana Iwa-
nowa kam nur auf Rang sechs und musste
mit 957 Punkten Taubitz (965) noch vorbei-
ziehen lassen. Bei den Doppelsitzern gab
es den erwarteten deutschen Erfolg: Toni
Eggert/Sascha Benecken (Ilsenburg/Suhl)
gewannen nach dem WM-Titel in Sotschi
auch das Gesamtklassement im Weltcup
vor ihren Teamkollegen aus Berchtesga-
den Tobias Wendl/Tobias Arlt. dpa

Altenberg/München – Als alles vorbei
war, wäre Christoph Grotheer fast noch ein
Malheur passiert. Nach dem bislang größ-
ten Erfolg seiner Karriere stand Grotheer
bei der Siegerehrung ganz oben und hielt
seinen Pokal in die Luft, als plötzlich der
Deckel des Kelches, den ein Skeleton-Welt-
meister erhält, zu wackeln begann und
vom Sockel fiel. Doch auch dieses Missge-
schick löste der 27-Jährige souverän: Er
fing den Deckel seelenruhig auf, hob ihn
mit dem Pokal wieder in die Luft und lä-
chelte in Richtung der Zuschauer.
Grotheer brachte bei der Skeleton-WM

nichts aus der Ruhe. In den ersten beiden
Läufen fuhr er allen davon. Am zweiten
Tag entwickelte sich dann ein Hundertstel-
sekundenkrimi zwischen Grotheer und sei-
nen deutschen Kollegen Alex Jungk und
Alexander Gassner – beide kämpften sich
im letzten Lauf noch einmal heran. Dank ei-
nes starken Schlussabschnitts hatte der
Überraschungssieger aus Wernigerode
nach vier Läufen das bessere Ende für sich.
„Ich kann es noch gar nicht fassen“, sag-
te Grotheer am Tag danach ins Telefon:
„Niemand hat an mich geglaubt, nicht mal
ich selbst so richtig.“ Die bisherige Saison
über hatte er ja nicht einmal zum deut-
schen Weltcupteam gehört, sondern war
im zweitklassigen Interkontinentalcup ge-
startet: „Nach sechs Jahren im Weltcup
war es schwer, diese Situation zu akzeptie-
ren“, sagte Grotheer: „Aber ich wusste:
Wenn ich nur fünf Prozent nachlasse, wer-
de ich es nicht mehr zurückschaffen.“
Seine guten Leistungen in der zweiten
Liga brachten ihn zurück in den deutschen
Kader – vor allem aber der Erfolg eines jun-
gen Mannschaftskollegen. Erst durch den
Sieg von Felix Keisinger bei der Junioren-
WM, durch den dieser eine Wildcard für
die WM erhielt, wurde im deutschen Team
ein Startplatz frei. Den erkämpfte Grot-
heer sich in einem Ausscheidungsduell vor
drei Wochen. Von da an ging es erstaunlich
weiter: Grotheer nahm sich die Zeit, um in
Ruhe zu trainieren und zog ohne Erwartun-
gen in die WM. „Irgendwas ist in den letz-
ten drei Wochen passiert“, sagte Grotheer.
Was genau, konnte er sich selbst nicht ganz
erklären, allerdings: „Ich wusste, dass ich
in Altenberg schnell sein kann.“
Die WM-Bahn ist tückisch und rasant,
hinzu kam in diesem Jahr das wechselnde

Wetter. Grotheer half die Routine, vor drei
Jahren hatte er in Altenberg schon einmal
einen Weltcup gewonnen. Nun ist er der
erste deutsche Skeleton-Weltmeister seit
20 Jahren, und weil auch seine Teamkolle-
gen ihren Heimvorteil ausspielten, wurde
es sogar ein Dreifacherfolg: Alex Jungk,
für gewöhnlich die klare Nummer eins im
deutschen Team, wurde Zweiter (0,02 Se-
kunden zurück), Alexander Gassner (0,05)
Dritter – einen derartigen Hattrick hatten
die deutschen Männer noch nie geschafft.
„Zwei Hundertstel tun weh“, sagte Jungk
zwar wehmütig, „grundsätzlich weiß ich
aber, dass ich heute der Zweitbeste der
Welt war, und das ist eine geile Sache.“

Bei den Frauen kam der Erfolg von Tina
Hermann (Königssee) nicht ganz so überra-
schend und am Ende dann doch: Die
27-Jährige gewann bereits ihr drittes WM-
Gold und bescherte den erfolgsverwöhn-
ten deutschen Frauen den vierten Titel in
Serie. Die Titelverteidigerin musste im
vierten und letzten Lauf aber erst einmal
scheinbar aussichtslose 0,66 Sekunden
Rückstand auf die Schweizerin Marina Gi-
lardoni aufholen, ehe sie ihre Freude her-
ausschreien durfte. Am Sonntag gewan-
nen die Deutschen dann auch noch den
erstmals ausgetragenen Teamevent – aller-
dings mit Jacqueline Lölling, die im Einzel
Vierte geworden war, und mit Gassner. Her-
mann und Grotheer wurden diesmal Fünf-
te – was beide aber wohl verschmerzen
konnten. felix haselsteiner

Edmonton– Derdeutsche Eishockey-Nati-
onalspieler Leon Draisaitl hat erneut die
Marke von 100 Scorerpunkten in der nord-
amerikanischen Profiliga NHL übertrof-
fen. Beim 3:2 der Edmonton Oilers gegen
die Winnipeg Jets erzielte der Kölner die
ersten beiden Treffer für sein Team und
legte das Siegtor von Ryan Nugent-Hop-
kins auf. Der 24-Jährige hat somit 102
Punkte auf dem Konto. „Das ist ein beson-
derer Meilenstein für mich“, sagte Drai-
saitl, „aber das ist jetzt geschafft, nun geht
es darum, die Playoffs zu erreichen.“ Ed-
monton liegt als Zweiter der Pacific Divisi-
on mit 76 Punkten hinter den Vegas Gol-
den Knights (80) auf Kurs Richtung End-
runde. Draisaitl, der die Scorerwertung der
NHL weiter anführt, hatte in der vorigen
Saison bereits 105 Punkte erzielt. Ihm blei-
ben noch 17 Hauptrundenspiele, um sei-
nen persönlichen Rekord zu überbieten
und sich als erster Deutscher die Trophäe
Weitere Absagen für den besten Scorer zu sichern. sid

wegenCoronavirus


Verband auf Schlingerkurs


Eisschnellläufer vertagen die Beilegung des scharfen Streits auf das Saisonende


Geigers Triumph
Skispringer gewinnt den 1000. Weltcup

Constantin Schmid verpasst


seinen zweiten Podestplatz


nur knapp: Er wird Vierter.


Premiere für Taubitz
Gesamtweltcupsieg am Königssee

Krönung des Ersatzmanns


WeltmeisterChristoph Grotheer ragt aus starkem deutschen Skeleton-Team heraus


Die Maschine stottert


Nicht nur hinter der Saison von Thomas Dreßen steht nach dessen Sturz im Super-G von Hinterstoder ein großes Fragezeichen.
Auch der alpine Ski-Weltcup könnte ein vorzeitiges Ende nehmen – wegen der wachsenden Sorge über das Coronavirus

„Meilenstein“
Draisaitl knackt die 100-Punkte-Marke

Dreimal Gold: Neben Grotheer
und Tina Hermann siegt auch
das Team bei der Premiere

28 HF3 (^) SPORT Montag,2. März 2020, Nr. 51 DEFGH
FOTO: SEBASTIAN KAHNERT / DPA
Schwerer Sturz in Hinterstoder: Thomas
Dreßen. FOTO: HARALD STEINER / IMAGO
Im Focus: Claudia Pechstein, 48, beendet
die 24. Mehrkampf-WM ihrer Karriere in
Hamar auf Platz 19. FOTO: IMAGO
Stiller Genuss: Christoph Grotheer zele-
briertinAltenberg seinen unerwarteten
WM-Erfolg. FOTO: MARTIN ROSE / GETTY

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