Süddeutsche Zeitung - 02.03.2020

(Nora) #1
von katharina federl

W


as kommt einem als erstes in den
Sinn, wenn man an München
denkt? Der BMW-Vierzylinder
im Olympiapark, ein Weißwurstfrühstück
auf dem Viktualienmarkt? Die Wiesn, der
FC Bayern oder Eliteuniversitäten – für all
das ist München bekannt. Was man nicht
sofort mit der Stadt verbindet, das ist die
Kunst im öffentlichen Raum. Genau die
stellt der Autor und Maler Martin Arz bei
seiner „Streetart-Safari“ in den Mittel-
punkt. Denn tatsächlich findet die deut-
sche Streetart-Geschichte nicht etwa in
Berlin oder Hamburg ihren Ursprung – son-
dern in München.
Was auf den ersten Blick nach einem
normalen öffentlichen Parkplatz aussieht,
ist, wie Arz erklärt, die größte Freiluft-
galerie Deutschlands. Hier, unterhalb der
Donnersbergerbrücke (S-Bahn-Ausgang
Richelstraße), startet seine etwa zweiein-
halbstündige Tour durch die Streetart-Sze-
ne Münchens. „Abseits der üblichen Tram-
pelpfade“ will der 56-Jährige bei seinen
Führungen gehen, die er bereits seit 2010
anbietet. Lange Zeit war damit die Route
vom Friedensengel entlang der Isar bis zur
Brudermühlbrücke, dann durchs Schlacht-
hofviertel zur Tumblingerstraße gemeint.
Doch im vergangenen Jahr hat Arz seine
Route geändert, für die jetzige braucht
man kein Fahrrad mehr, außerdem sei sie
„witterungsbeständiger“.
Unter dem Schutz der Donnersberger-
brücke, zwischen parkenden Autos und
einem Dönerimbiss, befindet sich das, was
Martin Arz als „echte Kunst“ bezeichnet.
Münchner Graffitikünstler wie Sat One,
Loomit, WON ABC, Blauer Vogel und Beas-
tistyles haben hier ihre Spuren hinterlas-
sen. Arz, der seit 1983 in München lebt,
kennt jeden der Namen. „Wenn man sich
ein bisschen mit der Szene auseinander-
setzt, erkennt man sofort, welches Kunst-
werk von wem ist“, sagt er. Nicht nur an-
hand der verschiedenen Techniken – da
gibt es das „Style Writing“, die Schablonen-
technik oder den Comicstil –, sondern
auch anhand der aufgegriffenen Themen.
Neben einem Pfeife rauchenden Gnom mit
Ziegenbart und einem vieläugigen Mons-
ter mit Kettensäge üben einige Kunstwer-
ke Kritik an der Gesellschaft. So werden
die Folgen der Digitalisierung thematisiert
und auch das Münchner Kindl wird immer
wieder in ironischer Weise abgebildet.

Längst nicht alle Werke sehen noch so
aus, wie sie von den Künstlern ursprüng-
lich hinterlassen wurden. „Streetart hat im-
mer etwas Vergängliches“, sagt Arz, „als
Straßenkünstler musst du dich sofort von
deinem Motiv verabschieden.“ Der Aus-
druck „Crossing“ beispielsweise bezeich-
net das Zerstören eines fremden Graffitis
durch Übermalen.
Bilder an fremde Wände zu sprühen ist
grundsätzlich illegal. Nur an sogenannten
„Wall of Fames“ dürfen sich Graffiti-Künst-
ler legal verwirklichen. Münchens einzige
legale Graffiti-Wand befindet sich an der
Tumblingerstraße. Und das, obwohl in den
Achtzigerjahren Deutschlands erste „Wall

of Fame“ die Flohmarkthallen an der Da-
chauer Straße zierte. Bis zu ihrem Abbruch
1989 war sie sogar Europas größte und ist
bis heute einer der Gründe dafür, warum
München als Ursprungsort der deutschen
Streetart-Geschichte gilt.
Deren Höhepunkt war 1985, Arz nennt
ihn den „großen Knall“: In der Nacht zum


  1. März besprühten sieben Jugendliche ei-
    ne Geltendorfer S-Bahn auf ganzer Länge
    mit bunten Buchstaben und Figuren im Co-
    micstil. Ihr Kunstwerk, das schnell als „der
    erste Wholetrain Deutschlands“ bekannt
    wurde, war zwar längst nicht das erste Graf-
    fiti in der Bundesrepublik, doch bleibt es
    bis heute wohl eines der bedeutendsten.


Einer der sieben Sprayer war Mathias
Köhler, besser bekannt als Loomit. Heute
zählt er zu Deutschlands renommiertesten
Graffitikünstlern. Doch nicht nur wegen
seines Bekanntheitsgrads spielt er in Arzs
alternativer Stadttour eine zentrale Rolle.
Ende der Neunziger besaß er, der selbst
Künstler ist, ein Atelier im Kunstpark Ost –
dort, wo sich heute das neu entstehende
Werksviertel befindet. Sein Arbeitsplatz
grenzte direkt an das Atelier von Loomit.
Er selbst, sagt Arz, sei damals nie wirklich
mit Graffiti in Berührung gekommen, mal-
te schon immer auf Leinwände. Loomit ha-
be zwar einmal vorgeschlagen, ihm das
Sprayen beizubringen, er habe jedoch abge-
lehnt. „Tja, ich hätte vom Besten lernen
können“, sagt Arz, „aber ich dachte ein-
fach, dass Graffiti nicht so mein Ding ist.“
Erst etwa zehn Jahre später begann er,
Interesse für diese Kunstform zu entwi-
ckeln, die nicht in Museen, sondern unter
Brücken, auf öffentlichen Straßen und Ge-
bäuden zu sehen ist. Bei einem Aufenthalt
in Paris fotografierte er verschiedene Moti-
ve, zurück in München beschäftigte er sich
dann intensiv mit der Graffiti-Szene in sei-
ner Wahlheimat und stellte den Kontakt zu
Loomit wieder her. „Heute sehe ich Sa-
chen, die mir vor 15 Jahren nie aufgefallen
wären“, erzählt Arz, der 2018 bereits sein
zweites Buch zur Münchner Streetart-Sze-
ne veröffentlicht hat.
Am Candidplatz endet seine Tour, für
die er pro Teilnehmer 14 Euro verlangt.
Dort befindet sich die „Brücken-Galerie“,
die von international bekannten Künstlern
gestaltet wurde, darunter viele Münchner.
Obwohl sich die Streetart aus der illegalen
Szene heraus entwickelt habe und bis heu-
te mit dieser in Verbindung gebracht wer-
de, wünscht Arz sich mehr von den großen,
legalen Arbeiten, wie sie am Candidplatz
zu sehen sind. Schade sei es, dass städti-
sche Immobilien in München nicht stärker
mit der Streetart-Szene verknüpft werden.
„Man stolpert halt nicht so drüber, wie in
Amsterdam, Berlin oder Madrid“, sagt Arz.
Damit die Künstler die Wertschätzung be-
kämen, die sie verdienten, sei es in den
nächsten Jahren nötig, „immer mehr am
München-Klischee zu kratzen“.

Die nächsten Termine für die Streetart-Safari sind
am 5. April, 1. Mai und 21. Juni (der Termin im März
ist bereits ausgebucht). Anmeldung unter
http://www.muenchen-safari.de

Wundervolle Wände


Münchens Graffiti-Szene ist viel aufregender als ihr Ruf.


Bei einer speziellen Stadtführung kann man der – meist illegalen – Kunstform


nachspüren und Geschichten über die Sprayer erfahren


Das Portrait von Won ABC
(Fotooben, hinter den geparkten Autos)
soll an eine verstorbene Freundin
erinnern. Bei seiner „Streetart-Safari“
legt Martin Arz (Bild unten) auch dort
einen kurzen Stopp ein und erklärt die
Hintergründe zu den Werken.

„Man stolpert halt nicht
so drüber, wie in Amsterdam,
Berlin oder Madrid.“

Unter der Donnersbergerbrücke
sind viele Kunstwerke zu entdecken. So wie das
Münchner Kindl, das der Sprayer Flin als
„Münchner Schwindl“ bezeichnet,
daneben steht ein Zitat des Kabarettisten
Gerhard Polt: „Wir brauchen keine
Opposition, wir sind bereits Demokraten.“
Der riesige Bolzenschneider ziert die Wand über
einem Fahrradstellplatz und soll
eine Anspielung sein auf die Fahrraddiebe in
München, erklärt Martin Arz.
Die rauchenden Ratten stammen vom Künstler
Mr. Woodland.FOTOS: ROBERT HAAS

Streetart ist vergänglich.
Als Straßenkünstler muss
man sich daran gewöhnen

R2 (^) MÜNCHEN Montag, 2. März 2020, Nr. 51 DEFGH

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