Süddeutsche Zeitung - 02.03.2020

(Nora) #1

Paris – Frankreichs Premierminister
Édouard Philippe hat die seit zwei Wochen
laufende Debatte um die Rentenreform in
der Nationalversammlung beendet. Am
frühen Samstagabend griff Philippe auf ei-
ne Sonderklausel der Verfassung zurück,
den Artikel 49.3. Damit wird ein Gesetzes-
entwurf ohne Abstimmung von der
Nationalversammlung angenommen und
an den Senat weitergegeben. Er wolle eine
„Episode des Nicht-Diskutierens“ been-
den, so der Premier. Die Opposition hatte
mehr als 40 000 Änderungsanträge zu
dem Gesetz eingereicht. Linke Politiker
hatten erklärt, ihr Ziel sei nicht die Ände-
rung des Gesetzestextes, sondern die Rück-
nahme des gesamten Reformvorhabens.


Noch am Samstag stellte die Opposition
in der Nationalversammlung zwei Miss-
trauensanträge gegen die Regierung. So-
wohl die linken Abgeordneten von France
Insoumise, Sozialisten und Kommunisten
als auch die konservativen Republikaner
stellen die Vertrauensfrage. Da die Regie-
rungspartei La République en Marche
(LREM) in der Nationalversammlung die
Mehrheit stellt, 299 der 577 Abgeordneten
gehören zur LREM-Fraktion, haben die
Anträge wenig Aussicht auf Erfolg.
Kritik am Vorgehen des Premierminis-
ters kam nicht nur von der Opposition.
Auch LREM-Abgeordnete zeigten sich em-
pört. „Das ist ein politischer Fehler“, sagt
Matthieu Orphelin, der zur Regierungs-
fraktion gehört. Laut Orphelin lief die
Debatte im Parlament zwar „chaotisch“,
man sei aber „vorangekommen“.
Gilles Le Gendre, Vorsitzender der
LREM-Fraktion, verteidigte den Premier-


minister und sprach von „parlamentari-
scher Sabotage“ durch die Linken. In so ei-
nem Fall sei es „normal“, dass der Premier-
minister auf den Artikel 49.3 zurückgreift.
Seit 1958 bedienten sich verschiedene Re-
gierungen, sowohl der Linken als auch der
Rechten, des Artikels 49.3. Zuletzt hatte
ihn der sozialistische Präsident François
Hollande 2016 genutzt, um eine Liberalisie-
rung des Arbeitsrechts durchzusetzen.
Der aktuelle Präsident, Emmanuel Ma-
cron, war 2017 mit dem Versprechen ange-
treten, das Rentensystem zu reformieren.
Im Dezember stellte die Regierung ihre Plä-
ne vor. Es soll ein Universalsystem einge-
führt werden, in dem in der Theorie weder
zwischen Angestellten und Beamten, noch
zwischen verschiedenen Berufsgruppen
unterschieden werden soll. Zudem soll das
Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre
angehoben werden. Eine Maßnahme, die
Macron 2017 noch ausgeschlossen hatte.
Regierung und Gewerkschaften hatten
eineinhalb Jahre über die Reform verhan-
delt. Die linke Gewerkschaft CGT war An-
führerin eines Streiks, der von Dezember
2019 bis in den Januar 2020 den öffentli-
chen Nahverkehr in Paris lahmlegte. Auch
Anwälte, Lehrer, Tänzer der Pariser Oper
und Bibliothekare legten die Arbeit nieder.
Die Regierungsentscheidung, die Re-
form so schnell wie möglich durchzuset-
zen, dürfte zu erneuten Protesten führen.
Bereits am Samstag versammelten sich in
Paris Hunderte, die eine Rücknahme der
Reform fordern. Das Demonstrationsrecht
ist jedoch durch das Coronavirus ein-
geschränkt. Versammlungen, bei denen
mehr als 5000 Menschen zusammenkom-
men, wurden verboten. Laurent Berger,
Vorsitzender der Gewerkschaft CFDT, sag-
te demParisien: „Es ist desaströs für die
Demokratie, dass man über so ein grundle-
gendes Thema die Debatte nicht zu Ende
führen konnte.“ nadia pantel

München/Kabul– FürGhizal Haseeb war
es ein aufregender Tag. Sie habe gebannt
im Fernsehen verfolgt, wie knapp 4000 Ki-
lometer von ihrer Heimat entfernt dieser
Vertrag unterschrieben worden sei, sagt
sie. „Das sind nicht einfach nur ein paar
Blätter Papier, das ist eine Vereinbarung,
die das Schicksal der afghanischen Bevöl-
kerung beeinflusst“, ist sich die 23 Jahre al-
te Frau sicher.
In Doha haben sich der amerikanische
Diplomat Zalmay Khalilzad und der Tali-
ban-Verhandlungsführer Mullah Abdul
Ghani Baradar am Wochenende in einem
Hotel die Hand geschüttelt. Auch US-Au-
ßenminister Mike Pompeo war anwesend,
als sie die Vereinbarung unterzeichneten:
Nach mehr als 18 Jahren Krieg in Afghanis-
tan soll die Gewalt enden. Die USA und in
ihrem Gefolge alle westlichen Soldaten ver-
pflichten sich unter Bedingungen bis Ende
April 2021 das Land zu verlassen. Die Tali-
ban versichern im Gegenzug, ihren Teil da-
zu beizutragen, dass Afghanistan für Terro-
risten kein sicherer Rückzugsort mehr
wird.
Für Ghizal Haseeb bietet dieser Tag eine
neue Perspektive: auf ein Leben, das nicht
mehr von Unsicherheit geprägt ist. Doha
„könnte alles verändern“, sagt sie. „Ich hof-
fe, dass dieser Deal uns einen umfassen-
den Frieden bringt und wir nicht mehr die
Geräusche von abgefeuerten Kugeln hö-
ren, keine Selbstmordanschläge mehr erle-
ben müssen. Ich will, dass jeder Mensch in
Afghanistan ohne Angst zur Arbeit oder in
die Schule gehen kann.“ Dass sich ihre
Wünsche erfüllen, ist alles andere als ge-
wiss. Denn in Doha haben in den vergange-
nen eineinhalb Jahren nur die USA und die
Islamisten verhandelt. Die afghanische Re-
gierung blieb dabei außen vor.
Dieser für Afghanistan entscheidende
nächste Schritt – er soll erst jetzt beginnen.
Zwar betonen die Amerikaner, sie würden
ihren Abzug daran koppeln, ob sich die Tali-
ban an die Vereinbarungen hielten – so sol-
len eigentlich innerhalb von zehn Tagen
die Gespräche zwischen der Regierung von
Präsident Aschraf Ghani und den Taliban
beginnen. Dennoch kann niemand seriös
vorhersagen, ob eine Aussöhnung zwi-
schen den Taliban und Kabul gelingen
wird. So will Ghanis Sprecher auch noch
nicht von einem historischen Tag in Doha
sprechen. Er nennt ihn lieber „einen wichti-
gen Schritt in Richtung unseres Friedens-
prozesses“.
Schließlich gibt es in Afghanistan auch
noch keinen Konsens zwischen den politi-
schen Fraktionen. Seit der Wiederwahl
von Präsident Ghani ist sein bisheriger Re-

gierungspartner Abdullah Abdullah davon
überzeugt, bei der Abstimmung betrogen
worden zu sein. Abdullah will nun eine Par-
allel-Regierung auf die Beine stellen: Das
sind ungünstige Vorzeichen für einen ge-
schlossenen politischen Block, der sich
den Taliban in Verhandlungen entgegen-
stellt.
Doch vom politischen Chaos will sich
Ghizal Haseeb gerade nicht die Laune ver-
derben lassen. Die Studentin ist zu Zeiten
des Taliban-Regimes geboren worden,
und sie war noch ein kleines Kind, als Osa-
ma bin Laden von Afghanistan aus die An-
schläge auf die USA am 11. September 2001
orchestrierte. Bald darauf kamen die ame-
rikanischen Soldaten in ihr Land, um im
Auftrag der Regierung von George W. Bush
Rache zu üben und die Jagd auf Bin Laden
zu beginnen. Die Taliban hatten die hoch-
gerüsteten westlichen Truppen bald aus
Kabul vertrieben. Doch was lang fehlte,
war ein Plan für den Aufbau einer geschun-
denen Nation.

Die Taliban konnten sich von Pakistan
aus neu gruppieren. Sie waren zwar nie so
stark, Kabul wieder komplett einzuneh-
men. Aber die bis zu 150 000 ausländischen
Soldaten, die zeitweilig am Hindukusch sta-
tioniert waren, konnten die Islamisten
auch nicht bezwingen. So war dieser Krieg


  • der längste Einsatz der US-Geschichte –
    seit Jahren in einer Pattsituation. Donald
    Trump betont nun voller Stolz, er sei es, der
    die Afghanistan-Mission beende und die
    Soldaten endlich nach Hause hole. Die Tali-
    ban ihrerseits inszenieren sich als Gruppie-
    rung, die der Supermacht die Stirn geboten
    und die ausländischen Besatzer zum Abzug
    bewogen habe.
    Beide Versionen sind nicht falsch, aber
    entscheidender für Afghaninnen wie Ghi-
    zal Hasseeb ist die Frage, wie es nun mit ih-
    rem Land weitergeht. Dass die junge Frau
    in Kabul Betriebswirtschaftslehre studie-
    ren kann, wäre zu Zeiten des Taliban-Re-
    gimes undenkbar gewesen. Frauen durf-
    ten nicht am öffentlichen Leben teilhaben.
    „Werden die Taliban die Frauen so wie frü-
    her behandeln? Oder werden sie die Errun-
    genschaften respektieren, die wir erreicht
    haben? Können wir weiter ohne Einschrän-
    kungen arbeiten und studieren?“, fragt sie.
    Eine Antwort darauf hat im Moment noch
    niemand für sie parat.
    tobias matern und aimal yaqubi


Tel Aviv– Zwischen den beiden Kontrahen-
tenliegen nur wenige Kilometer: Benny
Gantz hat den Hangar 11 im Hafen von Tel
Aviv für die Abschlusskundgebung seines
blau-weißen Bündnisses gewählt, Benja-
min Netanjahu spricht am Samstagabend
bei der Veranstaltung seiner rechtsnationa-
len Likud-Partei in der Nachbarstadt Ra-
mat Gan. Während Gantz beim Einzug in
den Saal Hände schüttelt, verzichtet sein
von Anhängern „Bibi“ genannter Rivale
auf direkten Kontakt – das Coronavirus!
Als die Menge „Bibi! König von Israel“ zu
singen anfängt, wehrt Netanjahu ab. Er sei
kein König, sondern müsse gewählt wer-
den und brauche jede Stimme.
Der 70-Jährige, der insgesamt zwölf Jah-
re lang die Regierungsgeschäfte im Land
führt, gibt sich betont locker, als er mit
dem Mikrofon in der Hand auf der Bühne
auf und ab geht. Sein zehn Jahre jüngerer
Herausforderer versucht sich staatsmän-
nisch zu präsentieren und hält seine Rede
vom Pult. Beide müssen ihre Anhänger mo-
bilisieren, denn die Israelis sind an diesem
Montag zum dritten Mal binnen eines Jah-
res zur Parlamentswahl gerufen. Nach den
Wahlen im April und September konnte we-
der der von Netanjahu geführte Block aus
rechten und religiösen Parteien eine Regie-
rung bilden noch das Mitte-links-Lager,
das von Gantz geführt wird. So weiß das Pu-
blikum, was erwartet wird, wenn Netanja-
hu die Frage in den Saal wirft: „Wollt ihr Ti-
bi oder...“ – „Bibi“, schallt es zurück. Nach
dieser Anspielung auf Ahmad Tibi – einen
der Anführer der aus arabischen Parteien
bestehenden Gemeinsamen Liste – ver-
weist er darauf, dass Gantz nur mit Hilfe
der Araber, die rund ein Fünftel der Bevöl-
kerung ausmachen, eine Regierung bilden
könnte. Gantz schließt diese Option aller-
dings aus.
Auch er versucht das Publikum einzube-
ziehen: „Was hättet ihr vor ein paar Jahren

gesagt, wenn ich euch erklärt hätte, dass es
einen Ministerpräsidenten gibt, der mit
drei Anklagen wegen Bestechlichkeit, Be-
trugs und Untreue konfrontiert ist und des-
halb den Staat in drei Wahlen zerrt, um ei-
nem Prozess zu entgehen? Hättet ihr das
geglaubt?“ – „Nein“, ruft die Menge. „Die is-
raelische Führung wird angeführt von ei-
nem Mann, der wie eine Mafioso agiert“,
sagt Gantz und prophezeit, dass Netanjahu
nach der Wahl alles tun werde, um sich Im-
munität zu verschaffen und den Prozess,
der am 17. März starten soll, zu verhindern.
Netanjahu beschreibt den früheren Armee-
chef so: „Er ist nett und manche sagen,
süß. Aber er ist kein Anführer.“
In den Tagen vor der Wahl wurde die
Kampagne schmutziger: Dass Gantz „eine
Gefahr für das Land“ sei, sagte einer seiner
Berater in einer heimlich aufgenommenen

Tonaufnahme. Sie soll von einem Rabbi-
ner stammen, mit dem sich Netanjahu
kurz vor der Veröffentlichung getroffen
hat. Kurz danach wurden Aufnahmen ei-
nes Beraters Netanjahus publik, der
schwärmte, wie „Likuds Hasskampagne“
Wähler motiviere. Netanjahus Sohn Yair
spielte in sozialen Medien auf mögliche Af-
fären von Gantz an. Er sei erpressbar, weil
auf dessen gehacktem Telefon Aufnah-
men von sexuellen Handlungen zu finden
seien. Er wurde auch bezichtigt, am Bank-
rott einer Firma schuldig zu sein.
Netanjahu hat in Umfragen jedenfalls ei-
ne Aufholjagd geschafft. Sein Likud liegt
gleichauf oder knapp vor Blau-Weiß, das
die Wahl im September mit einem Mandat
Vorsprung gewonnen hatte. Aber Netanja-
hu fehlen mindestens drei Mandate zur
Mehrheit von 61 der 120 Sitze in der Knes-

set. Likud und Blau-Weiß hätten eine klare
Mehrheit, aber Gantz schloss eine Beteili-
gung an einer Regierung, der Netanjahu an-
gehört, aus. Eine solche Aussage gibt es
auch von Avigdor Lieberman, der mit sei-
ner ultranationalistischen Partei Unser
Haus Israel einem der beiden Blöcke zur
Mehrheit verhelfen könnte.
Nicht nur das Land ist gespalten, auch
viele Familien. Beim Schabbat-Abendes-
sen der Kleins an diesem Wochenende wa-
ren acht Personen um einen Tisch im Kib-
buz HaGoschrim im Norden Israels ver-
sammelt. Dort ging es vor allem um die Fra-
ge, ob man für die Arbeitspartei stimmen
sollte. Die Älteren tun dies, die Jüngeren
entscheiden sich für Blau-Weiß. „Nicht
aus Überzeugung, sondern damit Bibi weg
ist“, wie Sohn Ehud erklärt.
Bei Familie Jardi in Rehovot im Zentral-
raum Israels haben Mutter und Tochter
Blau-Weiß und die linke Partei Meretz ge-
wählt und wollen dies wieder tun. Der Va-
ter zögert noch, ob er diesmal erneut seine
Stimme Lieberman geben soll. Bei der Fa-
milie Rosenblum, die in der Siedlung Naa-
ma im Westjordanland lebt, schwanken
die Mitglieder zwischen Likud und Jami-
na, der den Siedlern nahe stehenden Partei
von Verteidigungsminister Naftali Ben-
nett.
Auch wenn fast jeder seine Entschei-
dung damit begründet, für oder gegen Bibi
zu sein, so haben die Korruptionsanklagen
gegen ihn im Wahlkampf kaum eine Rolle
gespielt. Warum? „Die Leute sind müde, da-
von zu hören, weil jede der beiden Seiten
seit Monaten das Gleiche sagt: Wie
schlimm oder wie unwichtig das ist“, meint
der in Tel Aviv lehrende Soziologe Natan
Sznaider. Laut einer Umfrage des Israel De-
mocracy Institute stellen sich 30 Prozent
der Israelis bereits darauf ein, dass eine
vierte Wahl notwendig sein wird.
alexandra föderl-schmid

von alan cassidy

Washington –Woist dieser Joe Biden bloß
gewesen? Das dürften sich manche seiner
Unterstützer gefragt haben, als sie am
Samstagabend seine Siegesrede schauten.
Befreit, kämpferisch, euphorisch: So hat-
ten die Amerikaner den 77-Jährigen in die-
sem Wahlkampf noch nie gesehen. Aber Bi-
den hatte ja bisher auch keinen Grund zum
Feiern gehabt. Nicht nach der enttäuschen-
den ersten Vorwahl in Iowa, nicht nach
dem Desaster in New Hampshire, als er
den Bundesstaat noch vor dem Ende des
Wahltages fluchtartig verließ. Die Nachru-
fe auf Bidens politische Karriere waren da
schon geschrieben. Und jetzt das: Come-
back in South Carolina, Comeback dank je-
ner Wähler, die nun erstmals eine wichtige
Rolle spielten – der Schwarzen.
Dass Biden in South Carolina gewann,
war keine Überraschung. Doch die Deut-
lichkeit des Wahlausgangs machte aus ei-
nem Pflichtsieg einen Triumph. Nach den
ersten Ergebnissen kam er auf 48 Prozent
aller Stimmen, viel mehr als der linke Sena-
tor Bernie Sanders, der auf bloß 20 Prozent
kam. Der Unternehmer Tom Steyer lande-
te mit elf Prozent auf Platz drei. Alle weite-
ren Kandidaten: abgeschlagen. Steyer gab
noch in der Wahlnacht bekannt, dass er sei-
ne Kandidatur beendet. Er hatte mehr als
200 Millionen Dollar aus seinem Vermö-
gen in den Wahlkampf gesteckt. Pete Butti-
gieg, Elizabeth Warren und Amy Klobu-
char, die in South Carolina allesamt ein be-
scheidenes Resultat einfuhren, kündigten
dagegen an, weiterzumachen.


In South Carolina gab es 54 Delegierte
für den Nominierungsparteitag zu gewin-
nen, fast so viele wie in Iowa und New
Hampshire zusammen. Biden sicherte sich
36 Delegierte, Sanders erhielt zwölf. Die
ersten Nachwahlbefragungen zeigten da-
bei, dass Biden besonders bei den Afroame-
rikanern auf große Unterstützung stieß.
60 Prozent von ihnen stimmten für Biden,
den einstigen Vizepräsidenten von Barack
Obama. Bloß 17 Prozent wählten Sanders,
nur unwesentlich mehr als bei dessen ers-
ter Präsidentschaftskandidatur vor vier
Jahren, als er in South Carolina haushoch
gegen Hillary Clinton verlor. Insgesamt
machten die Schwarzen laut den Nachwahl-
befragungen 56 Prozent der Wähler aus –
viel mehr als in den ersten drei Vorwahlen.

Als wichtig erwies sich für Biden offen-
bar die Wahlempfehlung, die er vor eini-
gen Tagen von dem schwarzen Abgeordne-
ten Jim Clyburn erhalten hatte. Clyburn
vertritt South Carolina seit vielen Jahren
im Repräsentantenhaus in Washington, er
ist dort quasi der ranghöchste afroamerika-
nische Vertreter und hat auch in seinem
Heimatstaat großen Einfluss. In den Nach-
wahlbefragungen gab ein Drittel der
schwarzen Wähler an, dass Clyburns Emp-
fehlung zugunsten von Biden der wichtigs-
te Faktor für ihre Entscheidung gewesen
sei. Bei Bidens Siegesrede stand Clyburn

denn auch an der Seite des früheren Vize-
präsidenten. „Mein Kumpel Jim Clyburn,
du hast mich zurückgebracht!“, rief Biden.
Der US-Vorwahlkampf ist zu guten Tei-
len ein Spiel mit Erwartungen. Kandida-
ten, die in einem Bundesstaat unter den Er-
wartungen bleiben, riskieren den Absturz.
Kandidaten, die hingegen besser abschnei-
den als allgemein gedacht, erhalten
Schwung für die nächste Primary. Bidens
Pech ist, dass bereits am Dienstag der Su-
per Tuesday ansteht: der Tag, an dem in 14
Bundesstaaten sowie bei den Auslandsde-
mokraten gewählt wird. Dabei werden
mehr als ein Drittel der Delegierten verge-
ben. Biden bleibt also nicht viel Zeit, um
von der positiven Berichterstattung und
dem Spendenzuwachs zu profitieren, mit
denen ein Kandidat nach einem Sieg in ei-
ner Vorwahl in der Regel rechnen kann.
Dabei wäre er genau darauf angewie-
sen. Noch in der Wahlnacht versuchte Bi-
den, der zum moderaten Flügel der Partei
gehört, das Rennen um die demokratische
Nominierung als Zweikampf zwischen
ihm und dem selbsterklärten Sozialisten
Bernie Sanders darzustellen. Sanders hat
nach seinen Siegen in New Hampshire und
Nevada derzeit die meisten Delegierten. Er
liegt auch in den Umfragen in vielen Bun-
desstaaten des Super Tuesday an erster
Stelle, darunter in Kalifornien, das mit Ab-
stand am meisten Delegierte zu vergeben
hat. Zudem hat Sanders mehr Geld in sei-
ner Wahlkampfkasse. Die demokratischen
Wähler müssten sich jetzt entscheiden, sag-
te Biden am Samstagabend: „Die meisten
Amerikaner wollen nicht das Versprechen

auf eine Revolution, sie wollen Resultate.“
Er sei der Garant dafür, dass die Demokra-
ten Donald Trump besiegen könnten.
Dieser Ansicht sind nach dem Resultat
von South Carolina auch viele Vertreter des
demokratischen Establishments. Ex-Par-
teichef Terry McAuliffe rief die anderen
Präsidentschaftskandidaten mehr oder we-
niger direkt auf, ihren Wahlkampf einzu-
stellen und sich hinter Biden zu stellen,
wenn sie eine Nominierung von Sanders
noch verhindern wollten. Er sprach dabei
explizit von Pete Buttigieg, Sieger der Vor-
wahl in Iowa, sowie von Amy Klobuchar,
Dritte der Vorwahl in New Hampshire. Die-
se Bewerber, so McAuliffe, müssten sich
nun ernsthaft fragen, mit welcher Begrün-
dung sie noch im Rennen verbleiben woll-
ten, wo doch klar sei, dass es für sie keinen
Weg zu einem Sieg gebe.
Die größere Gefahr für Biden ist wohl al-
lerdings ein Mann, der in South Carolina
gar nicht zur Wahl stand: Mike Bloomberg.
Der schwerreiche frühere Bürgermeister
von New York war erst spät in den Vorwahl-
kampf eingestiegen, weil er eine Wahl von
Sanders oder Warren verhindern wollte
und der Überzeugung war, dass Bidens Be-
werbung nirgends hinführen werde.
Bloomberg steht am Super Tuesday erst-
mals auf den Wahlzetteln. Er zielt auf ähnli-
che Wähler wie Biden: moderate Demokra-
ten. Zudem hat er in den Super-Tuesday-
Staaten schon für Hunderte Millionen Dol-
lar Werbespots geschaltet. Biden oder
Bloomberg: Wollen die Demokraten San-
ders tatsächlich stoppen, muss wohl einer
von ihnen bald weichen.

Rentenreform per Dekret


Frankreichs Premierminister würgt Parlamentsdebatte ab


Handshake


der Hoffnung


Für Afghanistans Bevölkerung steht nun viel auf dem Spiel


Zurück im Rennen: Der demokratische Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur Joe Biden (links) vor Anhängern in South Carolina. FOTO: TOMGRALISH/AP


DEFGH Nr. 51, Montag, 2. März 2020 (^) POLITIK HMG 7
Gespaltenes Land
Israel wählt zum dritten Mal binnen eines Jahres. Umfragen sagen wieder ein Patt voraus
Triumph statt Pflichtsieg
Nach seinem Erfolg in South Carolina inszeniert Joe Biden das Rennen um die demokratische Nominierung
als Zweikampf gegen Bernie Sanders. Doch am Super Tuesday gibt es einen noch größeren Konkurrenten
Schafft er es diesmal? Herausforderer Benny Gantz versucht am Montag erneut, Ben-
jaminNetanjahu zu schlagen. FOTO: GALI TIBBON / AFP
„Mein Kumpel Jim Clyburn,
du hast mich zurückgebracht“,
rief Biden bei seiner Siegesrede
Nicht nur die Opposition, auch
Abgeordnete in der eigenen
Fraktion kritisieren das Vorgehen
„Alles verändern“: Der US-Diplomat Zalmay Khalilzad und der Taliban-Verhand-
lungsführer Mullah Abdul Ghani Baradar in Doha. FOTO: IBRAHEEM AL OMARI/REUTERS
In Sorge sind vor allem
die Frauen: Was passiert,
wenn die Taliban zurückkehren?

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