FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft MONTAG, 2.MÄRZ 2020·NR.52·SEITE 17
mas. BERLIN.Die Schuldenbremse ist
im Grundgesetzvorgut einem Jahrzehnt
neu gefasstworden. Seit 2016 darfsichder
Bund in normalenZeiten nicht mehrver-
schulden als in Höhevon0,35 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Länder
dürfenseit diesem Jahrstrukturellkeine
neuen Schulden mehr machen. Die schar-
fe Vorgabe zeigt schnellerWirkung alsge-
dacht, dieStaatsverschuldung sankvonin
der Spitze 82,5 Prozent des BIPs im Jahr
2010 auf zuletztrund 60 Prozent,Tendenz
weiter abnehmend.Vorder Neuregelung
wardie Kreditaufnahme des Bundes auf
die Höhe der Investitionen begrenzt.
Die Fraktion der Linken will nicht nur
zur alten „goldenenRegel“ zurückkehren,
sondernforder tsogar eineVerpflichtung
des Bundes, das Sachkapital zu erhalten.
Die Grünen-Fraktion will ebenfalls die
Kreditspielräume erweitern, damit mehr
Investitionen für den Klimaschutz, die Di-
gitalisierung und die ökologisch-soziale
Transformation der Wirtschaf tmöglich
werden. Die FDP-Fraktionwarnthinge-
gendavor,Schuldenbremse und Investitio-
nen gegeneinander auszuspielen;stattdes-
sen sollteman Ausgabeprioritäten setzen.
Wassagen Sachverständige? Die Anhö-
rung durch den Haushaltsausschussfindet
an diesem Montag statt.Die Deutsche Bundesbank mahnt in ih-
rerStellungnahme, die Schuldenbremse
nicht für zugeringeInvestitionenverant-
wortlichzumachen. „Esstanden insge-
samt gesehen imrelevanten Zeitraum viel-
mehr umfangreiche Finanzmittelzur Ver-
fügung:Bund, Länder und Gemeindenver-
zeichnen seit einigen JahrenÜberschüsse,
die teilweise sogar sehr hoch sind.“ Zu-
dem seien diestaatlichen Investitionen im
Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt seit
mehreren Jahrengestiegen. „DieNettoin-
vestitionen sind mittlerweile wieder posi-
tiv (2019:6Milliarden Euro), und einewei-
tere Ausweitung istangelegt.“ Andere
staatliche Ausgaben seien ebenfalls deut-
lichausgeweitet worden. „Hier erkannte
der Gesetzgeber offenbar nicht-invest iven
Ausgaben eine nochhöherePriorität zu.“
Achim Truger ,Mitglied des Sachver-
ständigenrats zur Begutachtung derge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung,weist
darauf hin, dassdie Schuldenbremse zu ei-
nem dauerhaftenSinken der Schulden-
stands quoteführen wird. Bei einem durch-
schnittlichen nominalenWachstum (der
Preisanstieg wirdnicht herausgerechnet)
könne die Schuldenstandsquotegegen 12
Prozentkonvergieren. „Esexistier tkeine
überzeugende Begründung für die Sinn-
haftigkeit solchniedriger Schuldenstands-quoten.“ EinVerzicht auf die Kreditfinan-
zierung führewegen höherer Steuernoder
geringererStaatsausgaben zu einer über-
mäßigen Lastfür diegegenwärtigeGene-
ration,waseinen Anreiz für zugeringeöf-
fentliche Investitionen zumNachteil künf-
tiger Generationen schaffe.
Sebastian DullienvomInstitu tfür Ma-
kroökonomie und Konjunkturforschung
der Hans-Böckler-Stiftungwarntvor fal-
schen Illusionen. Die Option sei: mehr
Verschuldung für zusätzliche Investitio-
nenoderdas Unterlassendiese rInvestitio-
nen. Aus Sicht derkünftigen Generation
sei klar der ersteWeg vorzuziehen. „Ein
Festhalten an den aktuellenRegeln der
Schuldenbremse istdamit zum Schutz
künftiger Generationen nicht notwendig
und möglicherweise sogar schädlich.“
TomKrebs vonder Universität Mann-
heim, der für ein halbes Jahr im Bundesfi-
nanzministerium forscht, geht da vonaus,
dassder zusätzliche Investitionsbedarfdes
Bundes imRahmen derverfassungsrecht-
lichverankerten Schuldenbremse möglich
ist. Diese würde in diesem Jahr einestruk-
turelle Kreditaufnahmevon11,7 Milliar-
den Euroerlauben.
Volker Wielandvonder Universität
Frankfurt, der auchMitglied des Sachver-
ständigenrats ist, gibt zu bedenken, dassder Fokusauf die Investitionen in die Irre
führe. So zähle der Bau eines Schulgebäu-
des als Investition,während dieAusgaben
für Lehrer zum Staatskonsumgerechnet
würden.„DieAbgrenzung zwischen Inves-
titio nen und anderenAusgabenarten ist
nichtgleichbedeutend mit einerUnte r-
scheidung zwischen produktiven und un-
produktiven Ausgaben.“ Einenweiteren
Rückgang der Schuldenquote häl terfür er-
strebenswert, damit es einen Sicherheits-
abstand zur Obergrenze des Stabilitäts-
und Wachstumspakts gibt.„Das wäre gut,
um für zukünftig möglichefiskalische Kri-
sen gewappnetzusein.“
Wieland erinnertdaran, dassSpanien,
Irland undPortugal vorder Finanzkrise
deutlichniedrigereSchuldenquotenauf-
wiesen, diesen Spielraum jedochinkürzes-
terZeit aufbrauchen mussten. Der Öko-
nom sieht auchinden negativen Zinsen
keinen Grund, den Kreditrahmen auszu-
weiten. „Es istzweifelhaft, ob eine höhere
Neuverschuldung in Deutschland tatsäch-
lichohne zusätzlichefiskalischeKosten
möglichist.“ Eine historische Betrachtung
der Zeiten mit einer negativen Zins-
Wachstums-Differenz zeige, dasssolche
Phasen mit einem erheblichenUmkehrri-
sikoinnerhalb der nächstenzweiLegisla-
turperiodenverbundengewesen seien.chs. PARIS. Kein Landder Welt emp-
fängt Jahr für JahrsovieleTouris ten
wie Frankreich. DerEiffelturm,der
Louvre,das Schloss vonVersailles
oder die Côted’Azursind nur einige
derAnziehungspunkte. Unterden
mehr als 80 MillionenBesuchernim
Jahr befindensichzwarauchetliche
Durchreisende, vorallem nachSpa-
nien,dochbleibt Frankreicheine Spit-
zendestination derTourismusbranche,
die wirtschaftlichfür 7Prozentdes
Bruttoinlandsproduktessteht –mehr
als beispielsweise die französischeAu-
tomobilindustrie.
Ein Phänomen wie das Coronoavi-
rusist da ein schlimmes Gift. Die chine-
sischen Besucher sin deiner der Pfeiler,
aufden die Anbieter angewiesensind.
Gleichzeitigsind Chinaund die Län-
der derRegion auchein beliebtesReise-
land derFranzosen.Und darüber hin-
ausstellt der französischeVerband der
Reiseun ternehmen (EDV)nun eine all-
gemeine Zurückhaltunggegenüber
demReisenfest. „Wir erleben,wie sich
die Konsumenten auf sich selbstzu-
rückziehen,ein Rückzug in die familiä-
re Gebo rgenheit.Esist das Gleiche wie
nachden Anschlägen aufdas World
Trade Center am 11. September2001,
bei derSars-K rise 2002 bis2003 oder
bei derVogelgrippe2006“,berichtet
Jean-Pierre Mas, Präsidentdes franzö-
sischenVerbandesder Reiseunterneh-
men, der 4000Unternehmenvertrit t.
Nachdemdas Jahr unter anderem
miterheblichen Buchungen in die
maghrebinischenLänder gut angefan-
genhatte, stellt derVerband nun mit
Blickauf dieReservierungender Früh-
jahrs- undSommerreiseneinenRück-
gang von4Prozentfest.„Unddas könn-
te nochweiter runter gehen“, sagt Mas.
DieNachrichten aus Italien haben die
Buchungen in dieseRichtungeinbre-
chen lassen.Teilweise profitieren nörd-
licheDestinationen,etwanachSkandi-navien, Irland und Schottland. Doch
für einenvollen Ausglei ch sorgendiese
nicht .„Es is tnicht eineFragedieses
oder jenesReiselandes. DiePsychose
wie das Viruskennenkeine Grenzen“,
sagte der Chef desReiseanbieters Alpi-
tour,Patrice Caradec,der Wirtschafts-
zeitung„Les Echos“.
Ganzfinstersieht es für die Anbieter
aus, die aufchinesischeTouris tenange-
wiesen sind. In der jüngerenZeit waren
schon die abschreckenden Bilder der
„Gelbwesten“-Proteste und derStreiks
gegendie Rentenreformeine Herausfor-
derung für die Branche. Jedes Jahr besu-
chen rund 2,2 Millionen Menschen aus
dem Reichder Mitteden GroßraumPa-
ris. DochimJanuar dieses Jahres gin-
gendie Buchungen um 80 Prozent und
im Februar um 100 Prozent zurück, be-
richtetDidier Kling, der Präsident der
Industrie- und Handelskammer.Das sei
nicht überraschend, denn esgebe ja
auchkeine Flugzeugemehr,welche die
chinesischenTouris tentransportieren,
fügt er hinzu.
Vonden großen Kaufhäusernam
Boulevard Haussmann über die Schlös-
ser imUmkreis bis zumVergnügungs-
parkDisneyland im Ostenvon Paris,
überall wirdvon einemTotalausfall an
chinesischen Besuchernberichtet.
Nicht zuletzt für dieLuxushersteller ist
daseinebittere Nachricht, den ndie Chi-
nesengehören normalerweise zu den
ausgabefreudigstenTouris tenimGroß-
raum Paris. Zwischen 2008 und 2018
hattesichihreZahl fast vervierfacht.
Sie geben im Durchschnitt allein an
Duty-free-Käufen mehr als 1500 Euro
proBesucher aus, heißtesine iner Bran-
chenstudie. IhrWegbleiben hinterlässt
Spuren. DerLuxushersteller LVMH hat
an der Börse beispielsweise seit Mitte
Januar 15 Prozent anWert verloren –
nicht nurweil die Chinesen in ihrer Hei-
mat weniger einkaufen, sondernauch
weil ihr Konsum inFrankreichfehlt.pwe. TOKIO. Mit seiner plötzlichen Ent-
scheidung, dassvon diesem Montag an die
Schulen zur Bekämpfung des Coronavirus
schließen sollten, hat Ministerpräsident
ShinzoAbeJapans Elternund Lehrer
starkbeunruhigt. Hektisch suchtenberufs-
tätigeEhepaarenach Weg en, wie sie in
den kommendenWochen das Dilemma
zwischen Arbeit und Kindererziehung lö-
sen sollen. In Supermärkten wurden nach
japanischen Medienberichten verstärkt
Fertiggerichtegekauft, und in Internet-
kaufhäusernschossdie Nachfragenach
SpielzeugundLehrmaterialfürzuHause
in die Höhe.Abereagierte prom pt und
wendete sichamSamstagabend in einer
Pressekonferenz erstmals seitAusbruch
der Viruskrise direkt an die Bevölkerung.Er kündigteFinanzhilfen für Elternan,
wenn sie Einkommenverlören.
AbehattevergangeneWocheempfoh-
len, die Schulen bis zum Beginn des neuen
Schuljahres Anfang April zu schließen.
Die übliche SchulpausevonzweiWochen
wirdsoauf vierWochen verlänger t. Klei-
ne Unternehmen und Krankenhäuser klag-
ten, dasssie auf viele Mitarbeiter mit Kin-
dernverzichten müssten. MancheStädte
und mindestens eine Präfekturkündigten
an, ihreSchulen vorerstoffen zu halten.
Die Wirkung der Schulschließung in Ja-
pan istzweifelhaft,weil Kindertageszen-
tren und Nachmittagsprogramme für
Schulkinderweiter offenbleiben sollen.
Abewill Kommunen sogar Geldgeben,
wenn siewährend der SchulschließungKinderbetreuung für berufstätigeEltern
anbieten. Südkorea, das am Sonntag mehr
als 3700 Infektionen meldete,hat den Be-
ginn des neuen Schuljahres um eineWo-
cheauf den 9. Märzverschoben.
Abewill für dieFinanzhilfenReserven
aus einemNotfondsvon270 Milliarden
Yen(2,3 Milliarden Euro) heranziehen.
Neben den Elternsollen auchUnterneh-
men Geld erhalten,wenn sie ihreMitarbei-
tertrotz einesNachfragemangelswährend
der Viruskriseweiterbeschäftigten.
NobuhikoOkabe, der Leiter eines Ge-
sundheitsinstituts der StadtKawasaki und
Mitglieddes Coronavirus-Beratungsgremi-
ums derRegierung, sagte, das Gremium
habe die Schulschließung nicht diskutiert.
Es handelt sichumeine rein politischeEntscheidung. DiePopularität des Minis-
terpräsidenten istnachUmfragen zuletzt
deutlichgesunken.Abewirdunter ande-
remfür eine zu späteReaktionauf den
Ausbruc hdes Coronavirus kritisiert. Ge-
sichtsmasken sind trotzberuhigenderVer-
sprechungen derRegierungkaum zukau-
fen. Es gibt KlagenvonÄrzten, dassPa-
tienten trotzeines dringendenVerdachts
nicht zu Corona-Testszugelassenwerden.
Abebehandelteauchein anderes The-
ma, das die Japaner sehr beschäftigt.Seit
Tagenist Toilettenpapier ausverkauft,
nachdem im InternetGerüchte aufkamen,
die Rollen würden aus China importiert.
Der Regierungschefversicherte, dassdas
Toilettenpapier aus dem Inlandstamme
und genug vorhanden sei.N
achden schwerenKursverlus-
tenanden Aktienmärkten hat
sichBundesfinanzminister
Olaf Scholz (SPD) für einKon-
junkturprogramm bereit erklärt, solltees
zu schwerenVerwerfungen in derWelt-
wirtschaftkommen. Deutschlandkönne
daraufreagieren, sagteder Vizekanzler in
einem Gespräch mit derZeitung„Welt
am Sonntag“.„Wenn die Lageeserfor-
dert, dassein solcher Impuls nötig wird,
haben wir auchdie Mittel, einKonjunk-
turprogramm aufzulegen.“ Am Sonntag
kündigtedie italienischeRegierung ein
Hilfspaket für die durch den Coronavirus-
Ausbruc hangeschlageneWirtschaf tin
Höhevon3,6 Milliarden Euroan. Das soll
das Parl ament in dieserWocheabsegnen,
sagteWirtschaftsministerRoberto Gual-
tierider Zeitung „LaRepubblica“.
In dervergangenenWochehatten die
ÜberlegungenvonScholz, die Schulden-
bremse zu lockern,für einekurzeErho-
lung an den Börsengesorgt, obwohl er
nur auf eine EntschuldungvonKommu-
nen und nicht auf höhereStaatsausgaben
gezielt hatte. Am Donnerstag hatteBun-
deswirtschaftsministerPeter Altmaier
(CDU) im Falle eines Wachstumsein-
bruchs aufgrund einerPandemie Gegen-
maßnahmen in Aussicht gestellt.Er
sprac hvon Überlegungen, auf eineweite-
re Verschlechterung „notfalls“ zureagie-
ren. Esgehe nicht umKonjunkturpro-
gramme, sonderndarum, schongeplante
steuerliche Maßnahmenvorzuziehen.
Auch die amerikanische Notenbank
Fedist zum Handeln bereit. AmFreitag-
abend hatteFed-Präsident JeromePowell
gesagt:„Wirwerden unsereWerkzeuge
nutzen und angemessen handeln, um die
Wirtschaf tzuunterstützen.“ Als „bösesEr-
wachen“ stuft die Bank für internationa-
len Zahlungsausgleich(BIZ) die heftigen
Kursverluste an den Börsen inReaktion
auf die Ausbreitung des Coronavirus ein.
Die Unsicherheit bestimme die Entwick-lung, sagteClaudio Borio, Chefvolkswirt
der als Bank derZentralbankengeltenden
BIZ, anlässlichder Vorlagedes aktuellen
Quartalsberichts. SeinerAnsicht nachwer-
den sichdie Finanzmärkteinden kom-
menden Wochen an den Nachrichten
rund um dasVirusund den Maßnahmen
der Behörden orientieren.Nach Angaben
der Finanznachrichtenagentur Bloomberg
haben dieglobalenKursverluste inderver-
gangenenWocheBörsen werteinHöhe
von6Billionen Dollarvernichte t. Der
WeltaktienindexMSCI Worldhat 11 Pro-
zent verloren, Dax und DowJones jeweils
rund 12 Prozent.Für den amerikanischen
Leitindexwar es der höchsteWochen ver-
lustseit derFinanzkrise 2008.Bezosverliert12Milliarden DollarDas Vermögen der 500reichs tenPerso-
nen derWelt soll sichnachBerechnung
vonBloomberginder vergangenenWo-
cheum444 Milliarden Dollarverringert
haben. Amazon-ChefJeffBezos hat dem-
nachknapp 12 Milliarden Dollarverlo-
ren, Microsoft-Gründer Bill Gates 10 Mil-
liarden Dollar und BernardArnault,
Mehrheitseignerdes französischen Luxus-
konzernsLVMH, 9Milliarden Dollar.Umdiesen Betrag soll sichauchdas Vermö-
genvon Tesla-Chef Elon Muskreduziert
haben. Gleichzeitig schichteten die Anle-
gerihr Geld inStaatsanleihen sicherer
Länder um. DieKursgewinne amerikani-
scherTiteldrückten dieRenditen aufRe-
kordtiefs. Auch die Renditen der Bundes-
anleihen bewegten sichinRichtung histo-
rischerTiefstände. Alle Bundesanleihen
haben eine negativeRendite.
FürBIZ-Ökonom Boriostellen die ho-
hen Kursverluste eine Gegenreaktion auf
die vorangegangene Phase an denFinanz-
märkten dar,die voneiner hohen Risikobe-
reitschaftder In vestorengeprägt war. Die
in Basel ansässigeBIZ, die für dieNoten-
banken Devisenverwaltet und alsgeldpoli-
tische Denkfabrik dient, hat es über-
rascht, wiestabil sichzuletzt dieriskanten
Segmenteanden Anleihemärktengehal-
tenhaben.Hierverweistsie au fdie Schuld-
titel vonfinanzschwachenUnternehmen
und die Anleihen hochverschuldeterEuro-
länder wie Italien und Griechenland. Als
Grund nennt sie die Suche der Investoren
nachRendite, diequalitativ hochwertige
Anleihen solider Schuldner nicht bieten.
Die BIZ nennt alsweiteresriskantes Seg-
ment den Markt für privateKredite, wo
Fonds und nicht Banken Darlehen anUn-ternehmenvergeben. Dieser Markt hat
nachBIZ-Angaben mittlerweile einVolu-
menvon 800 Milliarden Dollar.Die Locke-
rung vonKreditver gabestandards führtsie
auchauf dasWachstum des Marktes zu-
rück. Diese privaten Kredite seien fürUn-
ternehmen attraktiv,die sic hbei Banken
nur schwerfinanzierenkönnten. Private
Kreditenennt Borio alsweiteres Beispiel,
wie sichFinanzrisiken aus dem Banken-
sektor inweniger transparenteNischen
des Finanzsystems verschoben haben.Notenbanken müssen mehr tun
DeramSonntagveröffentlichteQuartals-
berichtbeschäftigtsichauchmit de rDigi-
talisierung des Finanzmarkts undder
EntwicklungvondigitalemGeld. BIZ-
ChefAgustínCarstens sieht dieNoten-
banken in einer Schlüsselrolle. Sie müss-
tenmehrtun, um Sicherheit und Effi-
zienz der neuen Systemezuverbessern.
DieBIZ beschäftigtsich sehrintensiv mit
digitalen Geldformen, seitdem der Inter-
netkonzern Facebook seinePläne für das
Digitalgeld Libravorgestellt hat.Auch
die EuropäischeZentralbank (EZB) un-
tersucht die Möglichkeiten,einendigita-
len Euroeinzuführen.Die neue Lust auf den alten Staatskredit
Linkeund Grünewollen für mehr Investitionen die Schuldenbremse lockern –wie sinnvoll is tdas?
Viel Rotauf denKurst afeln an derWall Street: DieNewYorkerBörse erlebt ihreschlimmste Wocheseit derFinanzkrise. FotoAFPFrau Marin, wirddas Coronavirus
zumSargnagelder Globalisierung?
Alleshängt davonab, wi elangedie Epi-
demiedauert. Aber es wirdreale Effek-
te auf dieglobalenWertschöpfungsket-
tengeben. Denn dasViruswirkt sich
insbesondereauf die Entscheidungvon
Unternehmen aus, Produktion in ihre
Heimat zurückzuverlagern, ob es sich
also nochlohnt, in einemanderen
Land zu produzieren. DieglobaleUnsi-
cherheit wirdnochweit er steigen als oh-
nehin schon.Siemeinendie Unsicherheit seitAus-
bruchder Handelskonflikte?
Nein, die Phase der Deglobalisierung
setzt eschon viel früher ein. Mitteder
1990er Jahrehaben dieUnternehmen
in denreichen Industrieländernbegon-
nen, durch die VerlagerungvonProduk-
tion in Niedriglohnländer in Osteuropa
und Fernost ihreKostenzusenken.
Dazu beigetragen hat neben der politi-
schen Liberalisierung eineRevo lution
der Transportkosten, die sogenannte
Containerisierung. In dieser Phaseder
Hyperglobalisierung sind dieglobalen
Wertschöpfungsketten regelrechtexplo-
diert. Sie haben zu 60 Prozent dazu bei-
getragen, dassder Of fenheitsgradder
Weltwirtschaft, also dasVerhältnisvon
Ex- und Importengeteilt durch das glo-
bale Bruttoinlandsprodukt, gestiegen
ist. Mit derFinanzkriseinden Jahren
2008 und 2009 istdieser Prozessabrupt
zum Erliegengeko mmen.Wasist dannpassiert?
Die Unsicherheit hat massiv zugenom-
men. Es gibt einen Index, denStanford-
Forscher entwickelt haben, und der
zählt, wie oftind en Wirtschaftszeitun-
genvon 150 Länderndas Wort „Unsi-
cherheit“ oder Synonyme davonver-
wendetwerden.Wenn man ihn ver-
knüpftmit einer Datenbank,die di eglo-
balenWertschöpfungskettenerfasst,las-
sen sichdie EinflüssevonFinanzkrise,
Euro-Krise und Brexit klar erkennen.Aber derWeltwirtschaft gingesdoch
garnicht so schlecht in denvergange-
nenJahren.
Richtig, das liegt aber nicht zuletzt dar-
an, dassdie Unternehmenverstärktin
Roboterinvestier thaben. Dastatensie
schonvorder Finanzkrise, die Bundes-
republiksteht dabei neben Südkorea
und Japan anvorderster Stelle: Kamin
der deutschen WirtschaftMitteder
1990er Jahreein Roboterauf 1000 Ar-
beitskräfte,waren es 2014 schon vier.
Deutschland istWeltführer derRobote-
risierung.Die Roboterisierungrettet also, was
dieTurbulenzen der Weltwirtschaft
vernichten?
Gehen wir zunächstnocheinmal einen
Schritt zurück:AusUnternehmenssicht
istentscheidend, denKostenvorteil ei-
ner Verlagerung in ein Billiglohnland –das Verhältnis der Löhne im Billiglohn-
land zu den Löhnen in der Heimatein-
schließlich derTransportkosten–mit
den Anschaffungskosteneines Robo-
ters zu vergleichen. Die Finanzkrise
warein totaler Schockfür diesesVer-
hältnis: DieKosten der Produktionsver-
lagerung sindwegender gestiegenen
Unsicherheit nachder Finanzkr ise ge-
wachsen, und dasgestiegene Risikoei-
nes Ausfalls macht die Produktion in
Lieferketten weniger attraktiv.Zu-
gleichsind die Zinsen und somit die
Kreditkostenfür dieRoboteranschaf-
fung rapide gesunken.Und dieser Effekt warnichtnur von
kurzer Dauer?
Im Gegenteil, dasTemponimmt immer
weiter zu, und Corona wirddieser Ent-
wicklung nochmal einen kräftigen
Schubverleihen. Ichgehe davonaus,
dassdas Coronavirus mindestens drei-
mal so vielUnsicherheit schaffenwird
wie SarsAnfang der 2000er Jahre.Zu-
dem istdie Roboterisierung in Deutsch-
land schonstarkvorangekommen,wo-
durch die Lohnkosteninder Produk-
tion nicht mehr die entscheidendeRol-
le spielen. Dadurch rechnetsichdie
Rück verlagerung in das Hochlohnland
Deutschland.Zusammen mit dergestie-
genen Unsicherheit begünstigt all das
die Roboterisierungstark. Zwar hat Ers-
tere die Bereitschaftfürjedwede In vesti-
tion gesenkt, auchdie in Roboter–un-
termStrich, daszeigenunsereErgebnis-
se, schreitet die Roboterisierung aber
voran.Sinddavonalle Wirtschaftsbereiche
erfasst?
Für denDienstleistungssektor kann
man nochkeine klareAussagenfällen.
In der Industrie sind zahlenmäßig 60
Prozentaller RoboterimAutomobilsek-
tor, bei Herstellernund Zulieferernglei-
chermaßen. DieRückverlagerung lässt
sichjedoch amstärksten in der Chemie-
industrie beobachten,gefolgt vonder
Metall- un dder Elektroindustrie. Anek-
dotischkann man auchUnternehmen
wie den Sportartikelhersteller Adidas
und den Spielzeughersteller Märklin
nennen.Der Standort Deutschland steht also
vor einer Renaissance?
Wirerlebentektonische Veränderun-
geninder Weltwirtschaftund, ja,kön-
nen eineRenaissance der Industriein
Deutschland und in anderenreichen In-
dustrieländernbeobachten. Der Anteil
der Industrie an der Wertschöpfung
wirdsteigen, auchwenn dies nicht unbe-
dingt den Beschäftigten zugutekom-
men wird. DonaldTrumpund das Coro-
navirus beschleunigen diese Entwick-
lung. Aber der eigentlicheAuslöserdie-
ser Reorganisation derWeltwirtschaft
istdie Finanzkrise der Jahre 2008/2009.Das Gesprächführte Niklas Záboji.Kaum Chinesen in Paris
Das ReiselandFrankreichleidetunter dem Virus
Japans Elternüber Schulschließung entrüstet
Regierungkündigt Finanzhilfen bei Einkommensverlustan/„Es gibtgenug Toilettenpapier“
FinanzmärkteimCorona-Sog
„Dasbegünstigt
die Roboterisierung“
Die Handelsforscherin Dalia Marin erklärt,welche
Folgen das Coronavirusfür die Globalisierung hat.
FinanzministerScholz
hält denBund fürein
Konjunkturprogramm
gewappnet.Die Bank
derZentralbanken
wertet dieAktienbaisse
alsböses Erwachen.
VonMarkusFrühauf,
Frankfurt