Frankfurter Allgemeine Zeitung - 02.03.2020

(Steven Felgate) #1

SEITE 18·MONTAG,2.MÄRZ2020·NR.52 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


D


as Motto heißt nicht mehrge-
sundschrumpfen, sondernge-
sundwachsen. SigridNikutta,
seit Jahresanfang Güterver-
kehrs- Vorstand der Deutschen Bahn und
zugleichVorstandsvorsitzende vonDB
Cargo,will dieewig schwächelnde Güter-
bahn zurVorzeigesparte machen. Die ehe-
maligeChefin der BerlinerVerkehrsbe-
triebeBVGnimmt die Klimaschutz-Vor-
gaben derPolitik ernst: Bis 2030 soll der
Anteil der Schiene am Güterverkehr auf
25 Prozentsteigen.Für Nikuttas Strategie
istdas der entscheidendeFingerzeig. „In
der Vergangenheitwarder Auftrag von
DB Cargo nichtganz klar:Mehr Verkehr
auf die Schiene bringen? Internoptimie-
ren, schrumpfen und guteZahlen liefern?
So gabesviele Sanierungsansätze, die
dazu führten, dassKundenverlorengin-
gen“, sagtesie derF.A.Z. in Berlin. „Mein
Plan steht:Wir holen Gütervonder Stra-
ße. WirwollenKunden wiedervonder
Schiene begeistern!“
Seit dreißig Jahren hat der Anteil der
Schiene amgesamtenFrachtverkehr die
20-Prozent-Marke nicht mehr überschrit-
ten; zuletztverharrteerkonstant bei 19
Prozent.Daran schrumpftwiederum der
Anteil der Deutschen Bahn,weil ihr die
Wettbewerber immer mehr Geschäftab-
nehmen.FürNikutt aist klar,dassdie
RechnungmiteinemMarktanteilvon2 5
Prozent nur aufgeht,wenn der hochdefi-
zitär eEinzelwagenverkehr fortgeführt
wird,vondem sichviele andereeuropäi-
schen Bahnunternehmen mangelsWirt-
schaftlichkeit schonverabschiedethaben.
DortwirdHandelsgut beiUnternehmen
abgeholt, inWaggonsverladen und dann
zu längeren Güterzügen zusammenge-
stellt.Das aufwendigeVerfahren mit ho-
hen Fixkosten lässt sichnur schwer mit
Gewinn betreiben. Solangenicht massiv
in Digitalisierung undAutomatisierung
invest iertwird, kann die Bahn inZuverläs-
sigkeit undZeitdauer derTransporte mit

dem Lkwkaum mithalten. Im Einzelwa-
genverkehr vonDBCargo sehen dieZah-
len dramatisch aus: 2018 verzeichnete
DB Cargo 211 Millionen EuroVerlust,
2019 lag das Minus noch deutlichhöher.
In einem Gutachten für denKonzern
wardas Ende des Einzelwagenverkehrs
als Optionvermerkt.Nikutta will nunweg
vonKahlschlags-Phantasien,dafü rhat sie
sichdie Rückendeckung des Aufsichtsrats
verschafft.„Im Einzelwagenverkehr ha-
ben wirgleichimJanuar dieWeichenge-

stellt:Wir stärkenihn alsgrüne Alternati-
ve zum Lkw.Heuteschon sind 1,7 Millio-
nen Lkw täglichauf den deutschenStra-
ßenunter wegs. Wenn wir jetztnichts tun,
kommen in zehn Jahren nochmal über
500 000 proTag dazu. Das will niemand!“
In diesem Jahr wirddie DB-Cargo-Bilanz
nicht viel besser ausfallen als2019. „Ob-
wohl wirvoll aufWachstum setzen, ist
mein Ziel für dieses Jahr eine Stabilisie-
rung derfinanziellen Lage“, sagt Nikutta.
Allerdingskommt neben derkonjunkturel-

len Delle jetzt auchnochdas Coronavirus
dazu. Dakann gerade nochniemandrich-
tig die Auswirkungen absehen.“
Trotzder ernüchternden Bilanz bleibt
die Managerin bei ihrerVision: „25 Pro-
zent Marktanteil sind zunächstdas Ziel.
Österreichhat heute schon 30 Prozent.
Wieso sollen wir das in Deutschland
nicht auchschaffen? Das Jahrzehnt der
Eisenbahn hat gerade erst begonnen.“
Das passiereaber nichtvonallein. Der
Staat müsse im Klimawandel dieRahmen-
bedingungenrichtig setzen. Angefangen
hat diePolitik schon: DieTrassenpreise,
die Güterbahnen an die DBNetz zahlen,
wurden Mitte2018 halbiert. Au ßerdem
werden Entgeltezur NutzungvonRan-
gieranlagen subventioniert. Allein für DB
Cargo summiertsichdie Entlastung auf
annähernd 200 Millionen Eurojährlich.
Österreichgeht nochweiter :Dortgibt
es Betriebsbeihilfen. Sowerden die ersten
Frachtkilometerauf der Schienegeför-
dert–befris tetbis 2022 und EU-konform.
Die Österreicherrechtfertigen die Beihil-
fenmit derVermeidungexterner Kosten,
die durch den Straßenverkehr entstehen.
Für die er sten 100 Kilometergibt es einen
Zuschus svon 22,10 Euroje1000 Tonnen-
kilometer, bei Strecken darüber 9,
Euro. Insgesamt unterstützt Wien den
Schienengüterverkehr einschließlichdes
KombiniertenVerkehrsmit rund 120 Mil-
lionen EuroimJahr.Inder Branche wird
auchhier derRufnachfinanziellerUnter-
stützung lauter–besondersimwachsen-
den KombiniertenVerkehr vonZug und
Lkw,der heuteschon weit überwiegend
grenzüberschreitend unterwegs is t. So for-
dernetwaSpediteure, die Lkw im„Vor-
und Nach lauf“ desKombiniertenVer-
kehrsvon der Maut zu befreien–oder
aber die derzeitvollständigeMautbefrei-
ung vonGas-Lkw auf dieseStreckenab-
schnittezubeschränken. Oder eben auch
Betriebsbeihilfen nachösterreichischem
Vorbild.
Zurzeit kann DB Cargo nicht auf mehr
Staatsgeld setzen. Nikuttaweiß, dassdas
Unternehmen selbstbesser werden muss.
„Wir stärkenden regionalenVertrieb und
überlegengemeinsam mit unserenKun-
den, wie wir ihreGüter vonder Straße ho-
len. Wirbrauchen mehr Gleisanschlüsse
und neueVerlademöglichkeiten für den
Umschlag. Daran arbeiten wir mit Hoch-
druc k.“Hinzu kommen sollen außerdem
mehrfesteTrass en zwischen denWirt-
schaftszentren. Einigedieser Ideen seien
nicht neu, gibt sie zu, aber eben nie umge-
setzt worden. Bis zum Sommer sollen ers-
te Fortschritteabzulesen sein. IhreMann-
schaf tist dabei, Gespräche mitKunden
zu führen.Um die „Vertriebsattacke“um-
zusetzen, sollen dieses Jahr noch
neue Mitarbeiter zu DB Cargokommen.

miha. FRANKFURT. Aufdem deut-
schen Privatradio-Markt istbuchs täblich
High Noon: Vondiesem Montag an näm-
lichnimmt die in Leipzig ansässigeAgen-
tur „National GermanRadio“ Angebote
vonBewerbernentgegen, die einen der
maximal 16 Plätze auf der neuen Platt-
form für bundesweitgesendetes, digitales
Privatradio der neuenTechni k„DAB+“
belegenwollen. Die Plätzewerden inter-
national auktioniert, bewerben können
sichbis Ende Märzschon auf dem Markt
vertretene Anbieter ebenso wie branchen-
fremde Unternehmen, die neu in den
deutschenRadiomarkt einsteigen wollen.
Vergeben werden die Lizenzen auf
zehn Jahre, mit einer Option aufweitere
zehn. Dertechnische Betrieb eines Digi-
talkanals wirdmit technischen Kosten
vonrund einer Million Europro Jahr ver-
anschlagt.Bis Ende Juni soll dieAuswahl
zwischen den Bewerberngetroffen sein,
zur Internationalen Funkausstellung
(IFA) in Berlin Anfang September soll
der Sendebetriebstarten.

Betrieben undverwaltet wirddie Digi-
talradio-Plattformvon demKonsortium
„Antenne Deutschland“, zu dem sichdie
UnternehmenAbsolut Digital und Media
Broadcastzusammengeschlossen haben.
Eine gewisse, noch nicht bezifferteZahl
vonProgrammen will Antenne Deutsch-
land selbstentwickeln. Bei derZusam-
menstellung desKanalangebotswollen
„National GermanRadio“und Antenne
Deutschland dreiKörbe bilden: einen für
Prog ramme, die sie selbstmitentwickeln;
einenfürSender ,zudenenbereits Kontak-
te bestehen, und einen fürNeueinsteiger.
Im Er gebnis soll ein vielfältiges, innovati-
vesAngebotmit neuenFormaten beste-
hen, zudem zum Beispielauchein sprach-
lastiges„Talk Radio“, wie man es aus den
VereinigtenStaatenkennt, gehörenkönn-
te.
Vielfalt zu schaffen, lautetdie Vorgabe
der Sächsischen Landesmedienanstalt
(SLM). Diese hattedie Lizenz für die
DAB+-Plattformfür Privatsender,den so-
genannten „zweiten Bundesmux“ (Bun-

desweiter Digital-Multiplex), nacheinem
Auswahl verfahren schon 2017 an das
Konsortium Antenne Deutschlandverge-
ben. Ein unterlegener Bewerber,die Digi-
talAudio Broadcasting Plattform, klagte
jedochgegen die Entscheidung und be-
kamvor Gericht in erster Instanz recht.
DieLizenzvergabe wurde für mangelhaft
befunden. Es drohte, dassdie Landesme-
dienanstalt den Prozessganz vonvornbe-
ginnen müsste. Der Gerichtsstreit ging
perSprun grevision vordas Bundesverwal-
tungsgericht.Ende Januar dieses Jahres
einigtesichdie Landesmedienanstalt
dann mit dem unterlegenen Bewerber Di-
gital Audio Broadcastaußergerichtlich.
Das erst machteden Wegfreifür den ur-
sprünglichschon für 2019vorgesehenen
Startdes bundesweiten privaten Digitalra-
dio-Bouquets, das dieFirma Antenne
Deutschland betreut.
Bedeutsam istdies insbesondere,weil
es denregionalgeprägten deutschenRa-
diomarkt, der im Jahrrund 700 Millionen
EuroNettowerbeumsatzgeneriert, erwei-

tert.Das geschieht, indem national emp-
fangbares Privatradio ingroßemStil eta-
bliertwirdund für internationaleUnter-
nehmen interessantgemacht wird. Auf
dem vorachtJahrengestarteten„ersten
Bundesmux“ befinden sich13Program-
me –neun privateund vier Angebote des
öffentlich-rechtlichen Deutschlandra-
dios. Nunkommen bis zu 16 neue bundes-
weiteDAB+-Kanäle dazu. Beobachter
hoffendarauf, dassdies dem Digitalradio-
markt den Schub zum Durchbruc hbringt.
Rechnetman national undregional aus-
strahlende Digitalradiosender zusam-
men, kommt man–jenachSendegebiet–
zurzeit auf ein Gesamtangebotvon 35 bis
90 Programmen. Dem zweiten Multiplex
sollen in den Bundesländerneine ganze
Reihe regionaler DAB+-Multiplexe fol-
gen. So soll binnen zehn Jahren der jetzt
bestehende UKW-RadiomarktvomDigi-
talradio abgelöstund er weiter twerden.
Dazu beitragen wird, dassvom 1. Januar
2021 an nur nochRadios im Handel sein
dürfen, die UKW undDAB+ empfangen.

Im Vorstandder Bahn für den Güterverkehr zuständig: SigridNikutta FotoImago

bfch. FRANKFURT. Der deutsche Musik-
markt ist2019 wiedergewachsen. Nach
Rück gängen in den beiden Jahren zuvor
wurde mit Musikaufnahmen einUmsatz
von1,62 Milliarden Euroerzielt, wie der
Bundesverband Musikindustrie (BVMI)
mitteilte.„Wir sehen dasgrößteUmsatz-
plus seit langerZeit, wasverdeutlicht, in
welchdynamischem Markt sichdie Bran-
chederzeit befindet“,kommentierte der
BVMI-Vorstandsvorsitzende Florian Drü-
ckedas Wachstum von8,2 Prozent.
Maßgeblichverantwortlich dafürwar
das Audio-Streaming: Die Einkünfte über
Dienstewie denenvon MarktführerSpoti-
fy,Apple Music, Amazon oder Deezer
standen 2019 für gut 55 Prozent des Bran-
chenumsatzes.2018waren es noch46Pro-
zent gewesen, wasauchdamals schon
dem größten Einzelpostenentsprach. Mit
Downloads und den Einkünftenbeispiels-
weise aus demVideo-Streaming sorgte
das digitale Geschäftimvergangenen
Jahr damit für 64,4 Prozent des Gesamt-
umsatzes. Demgegenübersteht die sin-

kende Bedeutung der physischenTonträ-
ger. Der Verkauf vonCDs machte
noch29Prozent desUmsatzes der Musik-
industrie aus, ein Minusvon10,5 Prozent
zum Vorjahr.Das Geschäftmit Schallplat-
tenlief nacheinem Minus imvergange-
nen Jahr dagegen besser (plus 13 Pro-
zent),wobei Vinylmit Blickauf den Ge-
samtmarkt mit einem Anteilvon4,9 Pro-
zent weiterhinkein allzugroßer Posten
ist. Insgesamtstammen aus demVerkauf
vonphysischenTonträgernnoch etwas
mehr als ein Drittel derUmsätze.
Deutschland isthinter Großbritannien,
Japan und denVereinigtenStaaten der
viertgrößteMusikmarkt derWelt.ImVer-
gleichzu Amerikakommtgerade der CD
hierzulandeweiterhin einevergleichswei-
se hohe Bedeutung zu. Dortsteht die
Schallplattesogar kurz davor, die CD im
Umsatz zu überholen. DiegrößteBedeu-
tung hat aber ohne Zweifel dasStrea-
ming-Geschäft. Fachleutesehen hier für
Deutschland nocheiniges anPotential,
während dasWachstum in Märkten wie

Großbritannien oder Amerikalangsamer
werden dürfte. Aufsatte79,5 Prozent be-
lief sichder Anteil der Einnahmen aus
dem Streaming in denVereinigtenStaa-
ten. Auch auf demglobalen Markt für Mu-
sikaufnahmen, der im Gegensatz zum
deutschen seit vier Jahren durchgehend
wächst,sorgt vorallem dasStreaming für
Aufwind.NacheinemUmsatz von19,
Milliarden Dollar im Jahr 2018 erwarten
Branchenbeobachter,dass2019 die 20
Milliarden Dollar-Markeüberschritten
wurde. Diesgelang zum letzten Mal 2003,
als die CD nochihreGlanzzeit hatte.
VonKünstlerseitegab esvordem Hin-
tergrund des Stre aming-Booms immer
wieder Kritik an der aus ihrer Sicht zuge-
ringen VergütungvonStreams einerseits
und derVerteilung der Einnahmen ande-
rerseits. In Deutschland sorgt eine Initiati-
ve vonVertr eterndiverserPopstars wie
HeleneFischer ,Rammstein oder Herbert
Grönemeyerfür Aufsehen. Diesefordert
eine Umstellung desAbrechnungsmodells
der Streaming-Dienste,nachdem dieAus-

zahlungen an dieRechte inhabervorge-
nommenwerden. Die Initiative fordert,
dassdie 9,99 Euro, die ein Premium-Nut-
zer etwa bei Spotify zahlt, nur nochunter
den vonihm auchgehörten Interpreten
verteilt werden sollen. Der kleinerefran-
zösis cheDienstDeezer will ein solches
nutzerbasiertes System im Laufedes Jah-
reszunächstinFrankreichund dann auch
in Deutschland einführen. Hierfür müs-
sen aberzunäc hstsämtlicheRechte inha-
ber zustimmen.Vonden großen Diensten
wie Spotify,Apple oder Amazon gibt es
derzeitkeinerlei derartiger Bestrebungen.
Ein Grund für denVorstoßder Künst-
lervertreterdürfteauchdie Hiphop-Do-
minanzinden Charts sein und die tenden-
ziell jüngere, streamingaffinereHörer-
schaf tdieses Genres. Die Beliebtheit der
Rapper zeigt sichauchinden aktuellen
BVMI-Zahlen. Zwar bleibt dasweiteFeld
PopinDeutschland die nachUmsatz
stärkste Musikrichtung, dochhat Hiphop
zum ersten Mal denRock vonPlatz zwei
verdrängt.

Nik utta:Mehr Güter auf dieSchiene


Starts chussfür digitalesPrivatradio


InternationaleAuktion für Privatsender in der neuen DigitaltechnikDAB+ beginnt


Deutscher Musikmarkt wächst durch Streaming


Es geht wieder aufwärts/Wachstum durch EinnahmenvonSpotify und Co./AuchCDist noch nichttot


Die Politik setzt die


Güterbahnen mitihren


Klimaschutz-Vorgaben


unter Erwartungsdruck.


Ausder Branchekommt


derRuf nachBeihil fen.


VonKerstin Schwenn,


Berlin


BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER


ZumLeserbrief „O, du liebes Amazo-
nien!“ vonKardinal Walter Kasper
(F.A.Z.vom21. Februar): Die kirchli-
cheSituation in einem Sauerländer
Dorfwirdinspätes tens 20 Jahren–ver-
längertgedacht aus der Situation schon
heute–so aussehen: Das Pfarrhaus ist
verkauft, das Jugendheim abgerissen,
die letztentapferenFrauen derKatholi-
schen FrauengemeinschaftDeutsch-
land (kfd) treffensichnochsporadisch
im Speisesaal der Schützenhalle, die
Kircheist im bestenFall zumKulturzen-
trumgeworden (die letzten 20 Leute,
die nochamsonntäglichen Gottes-
dienstteilnahmen, sindgestorben)–
eine Geburtstagsfeier in derFamilie er-
setzt dieTaufe, die Erstk ommunionver-
giss tman, dieFirmun gwar ja sowieso
nur eine lästigeÜbung, bei derstandes-
amtlichenTrauung mitgroßer anschlie-
ßender Feier trägt die Braut schon
Weiß, vielleichtfolgt nocheine freie
Trauung ein halbesJahr später (die an-
geblichsobeliebteOrgelmusik wirder-
setzt durch ein paar Love-Songs), die
Beerdigung übernimmtkomplett und
sehr feierlic hdas findigeBestattungsin-
stitut, die Seelsorge eine kommerzielle
Trauerbegleiterin.
Ostern wirdzum Frühlingsfest, die
Fastenzeit vorher is tnur der lästigeAb-
schlussvon exzessivgefeiertemKarne-
val(bei der Erwähnung, dassessoeine
stille Zeit gibt,stößt man schon heute
auf schallendes Gelächter), Pfingsten
zum Motorradfestival, Erntedank
kennt man nochvom Hörensagen,
Weihnachten istdas Winter fest in der
Familie mit allenfolkloristischen Ele-
menten, die einfachzuschön sind, um
sie aufzugeben (die Christmette aller-
dings istjaschon heute halb leer–was
soll man da auchnoch, wenn man mit
dem fast hundertjährigen Pfarrer, der si-
cher auchlieber unter den Gläubigen
sitzen möchte, zittert, dasserd ie Stufen
zum Altar nochschafft und den Gottes-
dienst biszum Ende unbeschadetdurch-
hält?).
Das istaber alles nicht schlimm:
Hauptsache, wir haben nochden Zöli-
bat, denn der istewig, sagtKardinal
Walter Kasper,einmal ein Hoffnungs-
träger für alle Christen, die mit dem 2.


VatikanischenKonzil daranglaubten,
dassdiese Kircheein freundliches,
menschliches, jesuanischgestimmtes
Antlitz bekommen würde, ein moder-
nes, nicht ein „mondänes“, wieKasper
in seinem Leserbrief schreibt.Erdiffa-
miertauchalle, die sichSorgenumdie
Kirchemachen, mit einer martiali-
schen Sprache (dieFrauen, die „sichins
Bein geschossen haben“),Redakteure,
die sichkritischzum römischenWider-
stand gegenjeglicheReformbestrebun-
genäußern(die „habenvonder katholi-
schen Kirchenur wenig verstanden“),
die ChristeninDeutschland (die bilde-
tensichein, dasssie ir gendeineRele-
vanz für dieWeltkirchehätten).
Zwar sei der Zölibat nicht unbedingt
wichtig fürdie Kir che,aber er müss eun-
bedingt bleiben–und Franziskus sei
mit seiner Haltung echtevangelisch.
Nunist es so, dassdas Evangeliumwe-
nig vomZölibaterzählt –Petrushatte
eine Schwiegermutter –, und die ersten
Chris tenwaren durchaus reformwillig:
Petrus plädiert auf dem Apostelkonzil
in Jerusalem für die Aufhebungvon
Speisevorschriften, die für Christen
nicht mehrrelevant seien. Die Moderni-
tätfängt aber schon bei Jesus an, wie
nur ein Beispiel zeigt.
Mit großer Freude lese ichgesternim
Pfarrbrief einer kleinen Sauerlandge-
meinde (eswarnatürlichnur eine Seite
aus dem Pfarrbrief einesgroßem Pfarr-
verbundes), wie vieleTabubrüche Jesus
allein inder Erzählungvonder Begeg-
nung mit einer samaritischenFrau am
Jakobsbrunnen begeht und dassdieses
unkonventionelle, „moderne“Verhal-
tenLeben ermöglicht.Kein Stein wer-
de auf dem anderen bleiben,wenn man
den Zölibat aufhebe und–nochschlim-
mer –Frauen zum Priesteramt zulasse,
meintKasper.
Ach, HerrKardinal, die Erdrutsche
finden schonstatt, und die Entwick-
lung gestaltet sichzueinem Erdbeben.
Wiesehr würden sich alle, diedas Ch ris-
tentum und die Kircheals einengroßen
Schatz für die Menschheit sehen, wün-
schen, dasssichdie Entwicklung um-
kehrt, dasssie unrecht hätten mit ihren
Befürchtungen!
ELISABETH TEBBE, SUNDERN

Zu „Es spricht vieles für eine Schizo-
phrenie“ (F.A.Z.vom21. Februar):To-
bias Rathjen hat sein Leben langStim-
men unsichtbarer Leutegehört, fühlte
sichvon einem Geheimdienstüber-
wachtund ausgebeutet und hielt sich
selbstfür ein Genie. Offenbar litt er an
einer paranoid-halluzinatorischen Schi-
zophrenie inextremerForm.Deshalb
lässt sichwohl kaum bezweifeln, dass
der Hanauer Massenmorddie Tateines
Wahnsinnigenwar. Die Frage, mitwel-
chen Mitteln ein solchesAttentat hätte
verhindertwerdenkönnen,istschwie-
rigzubeantworten.
In einer offenen Gesellschaft, in der
wir glücklicherweise leben,können wir
nicht einfachallen Jägernund Sport-
schützen ihreWaffen wegnehmen. An-
dererseitskönnen wir auchnicht alle


Menschen, die wieTobias Rathjen an ei-
ner Schizophrenie leiden, lebenslang
wegsper ren, solangesie ni chtdurch Ge-
walttaten aufgefallen sind. Dieswäre
nur möglichineinem totalitärenÜber-
wachungsstaat, in dem jeder seinen
Nach barnjenachpolitischer Einstel-
lung alsRechts- oder Linksabweichler
oder auchals Geisteskranken zur Anzei-
ge bringenkann.
Wirwerden, so will mir scheinen, mit
der unbequemenWahrheit leben müs-
sen, dasssichinunserer offenen Gesell-
schaf tgrauenhafte Wahnsinnstaten wie
jene vonHanaukaum verhindernlas-
sen. Wenn aberjemand hierzu einenver-
nünftigenVorschlag hat, lasse ichmich
gerneeines Besseren belehren.

PROFESSORDR.RUDOLFHAPPLE,
FREIBURG

Der Leitartikel vonPhilip Plickert
(„Der Brexit alsVerlustund Chance“,
F.A.Z. vom31. Januar)fasstdie stritti-
genFragenwie in einem Brennglas zu-
sammen.Plicker tschreibt, aus deut-
scher Sicht sei der EU-Austritt der Bri-
tenein großer Verlust, da siestetsein
Verbündeter für Marktwirtschaftund
Freihandel, gegenBürokratisierung
und Zentralisierung in Brüsselgewesen
seien. Richtig, damit macht man sichin
Brüssel aber nicht beliebt.Das Eu ropäi-
sche Parl amentversammelt sichhinter
der Formel „mehr Europa“,wassichin
der Praxis als zunehmende Bürokrati-
sierung undKompetenzgewinn für die
EU-Kommission auswirkt.
AlsehemaligesMitglied des Europäi-
schenParlaments habeich sowohl die
Vorgängevor demBrexit-Votum als
auchdie Reaktionen darauf miterleben
können. Ichkann mich desbegründe-
tenEindrucks nicht erwehren ,dass
eineReiheverantwortlicher Politiker
die Briten alslästi ge Bremser empfun-
den haben, die siegerneloswerden
wollten .Wäredie EU auf dieVorstel-
lung en D avid Camerons, des damali-
genbritischen Premierministers, zum
Freizügigkeitsprinzipund dessen sozi-
alpolitischeRege lungeingegangen, so
wäre das knappe Brexit-Votum wohl
andersausgegangen. CharlesTannoc k,
konservativer britischerAbgeordneter
des EuropäischenParlaments, stellte
fest:HätteAngelaMerkel nur halbso
vielInteresse für denVerbleibGroßbri-
tanniens in derEUgezeigt wie für den
Griec henlands, so hätte es keinen Bre-
xit gegeben. In derTat wardas Desinte-
resseunserer Bundeskanzlerin erstaun-
lich. Voneinemexistenziellen Interes-
se Deutschlands an einemVerbleib
Großbritanniens in derEUwar nichts
zu spüren.
Erstaunlichist auch,dassletztlich
zwei Akteuredie Fäden in der Hand
hielten undhalten: derfrüherePräsi-
dentder EU-Kommission, Jean-Clau-


de Juncker, und der Chefunterhändler
derEU, Michel Ba rnier.Juncker rühm-
te sich, dass seine Entscheidung, Bar-
nier zum Chefunterh ändlergemacht
zu haben, eineseinerklügsten in sei-
nerpolitischen Laufbahngewesen sei.
Er wirdgewusst haben,dassder Fran-
zose Barnier–imVergleich zu einem
holländischen oder deutschenUnte r-
händler–eherzuProte ktionismus und
Regulierung neigt als zu Marktwirt-
scha ft undFreihandel. Das zeigt sich
auch bei derUmsetzungdes Br exits.
DerZugang Großbritanniens zum Bin-
nenmarkt, sagt Barnier,werde davon
abhängen, wie eng sich Großbritan-
nien an EU-Regeln, Standardsund
Richtsprüche des Europäischen Ge-
richtshofeshalte.
Die Antwortdes britischen Premier-
ministerskam prompt:Großbritan-
nien tretenicht aus der EU aus,um
dann nachder Pfeifeder EU zu tanzen.
Manstellesichaber vor, Johnson hätte
umgekehrtgefordert, dassdie EU briti-
sche Regulierungen undStandardszu
akzeptieren hätte,wenn derbritische
Marktfür sieoffensein solle.Wieso
kann Barnier solcheForde rungen auf-
stellen? Es isteine Frageder Machtver-
teilung :Der EU-Binnenmarktist für
Großbritannien existentiell, die EU
kann dagegenden Wegfall des briti-
schen Marktesverkr aften. Dasweiß na-
türlichBarnier undspielt dieMarkt-
machtder EU aus.Wielangelassen
ihn AngelaMerkelund Ursula vonder
Leyengewähren?
PROFESSORDR.JOACHIM STARBATTY,
TÜBINGEN

In eineroffenenGesellschaft


Die Erdrutsche der Kirche


Die Marktmachtder EU



Vonden vielen Zuschriften, dieuns täglicherreichen
unddie unswertvolleAnregungen für unsere Arbeit
geben,könnenwir nur einen kleinenTeil veröffent-
lichen.Dabei kommt es nichtdarauf an, ob sieKritik
oder Zustimmung enthalten. Oftmüssenwir kürzen,
denn möglichstviele Leser sollen zuWort kommen.
Wirlesen alle Briefesorgfältigund beachten sie, auch
wenn wir sie nicht beantwortenkönnen.
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